ALS PASTOR RUSSELL STARB




Als Pastor Russell starb

Am 31. Oktober 1916 verstarb in einem durch Texas nach Osten fahrenden Eisenbahnzug Pastor Charles Taze Russell, Tausenden seiner Geschwister in Christo auf der ganzen Welt als „Bruder" Russell wohlbekannt. Die Nachricht von seinem Tod verbreitete sich sehr schnell, und eine Zeitlang konnten jene, die ihn kannten und um seines Werkes willen liebten, wenn sie sich trafen, kaum an etwas anderes denken und von anderem sprechen, als: „Bruder Russell ist tot.“ Hatten doch viele von uns erwartet, dass Bruder Russell solange bei der Kirche im Fleische verbleiben würde, als es diesseits des Vorhanges noch Arbeit gab, und es war schwer, die harte Tatsache seines Abscheidens zu fassen.

Pastor Russell begann seinen Dienst als ein sehr junger Mann. Als Presbyterianer erzogen, nahm er sich die Lehren dieser Glaubensgemeinschaft zu Herzen, insbesondere die Lehre von der ewigen Qual für alle, die unbekehrt sterben. Er war von diesem Aberglauben so überzeugt, dass er manchmal in den Straßen seiner Heimatstadt umherging und mit Kreide besondere Warnungen für alle Sünder auf den Bürgersteig schrieb. Später begann er die Sache selbst zu durchdenken und kam zu dem Schluss, dass ein Gott der Liebe Ungläubige nicht quälen würde. Aber in dem Glauben [oder in der Annahme], dass die Lehre von der Qual in der Bibel gelehrt würde, begann er zu bezweifeln, dass sie von Gott inspiriert ist.

Darauf studierte er verschiedene heidnische Religionen, ohne jedoch etwas zu finden, das seinen Verstand und sein Herz befriedigte. Später erfuhr er durch die Überwaltung des Herrn, dass das Missverständnis bezüglich zukünftiger Strafe für Sünde zum großen Teil von falschen Übersetzungen des hebräischen Wortes Scheol und der griechischen Wörter Hades und Gehenna herrührte. Durch die unrichtige Übersetzung dieser Wörter in gewissen Schriftstellen wurde der Anschein erweckt, als ob die Bibel lehrte, dass Gott Sünder ewig quälen würde. Jetzt erkannte Bruder Russell, dass die Erklärung des Apostels Paulus: „Der Lohn der Sünde ist der Tod“, wirklich wahr ist - dass der Tod und nicht Qual die Strafe für Sünde ist.

Dann begann er die Prophezeiungen zu studieren. Andere gesellten sich ihm zu. Sie fanden, dass eine falsche Übersetzung des griechischen Wortes Parusia ebenso zu einem Missverständnis bezüglich der Wiederkunft Christi geführt hatte, wie falsche Übersetzungen der Wörter Scheol, Hades und Gehenna zum Irrtum hinsichtlich der Strafe für Sünde geführt hatten. Es wurde entdeckt, dass das Wort Parusia nicht „Kommen“ bedeutet, sondern „Gegenwart“ und dass seine Anwendung in den Prophezeiungen vom zweiten Advent sich auf die Zeit bezieht, in der Christus gegenwärtig ist, und nicht auf die Zeit, da er kommen wird. Dies erwies sich als der Schlüssel, der die Prophezeiungen vom zweiten Advent erschloss, und bald wurde dank dem Licht, dessen man sich damals erfreute, klar, dass nach der Bibel das Jahr 1874 den Anfang der zweiten Gegenwart kennzeichnete.

Anfang der siebziger Jahre studierte Bruder Russell gemeinsam mit anderen die Heilige Schrift mehr als zwei Jahre lang. Wenn er später von dieser Erfahrung sprach, sagte er, dass die hervorragendste Wahrheit des Wortes Gottes, welche als Ergebnis dieser langen Studienzeit zutage kam, war, dass die Wiederkunft Christi den Zweck hat, das Menschengeschlecht zum Leben wiederherzustellen, und nicht, wie normalerweise in kirchlichen Kreisen allgemein angenommen wird, die Erde zu zerstören. In Verbindung damit zitierte er jenen wunderbaren Ausspruch des Apostel Petrus in Apostelgeschichte 3:19-21 von den „Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge, von welchen Gott durch den Mund seiner heiligen Propheten von jeher geredet hat“.

Der Geist der Bewegung

Diese erhabene und veredelnde Wahrheit von der „Wiederherstellung“ für ein sündenverdammtes Geschlecht war es, die sich in weitgehendem Maße als die belebende Kraft der von Bruder Russell ins Leben gerufenen und geförderten „Wahrheits“-Bewegung erwies. Zum ersten Mal seit dem Tod der Apostel wurde dieser wesentliche Grundzug des Evangeliums aus dem Kehricht der Überlieferungen, unter welchem er begraben war, herausgehoben und auf der ganzen Erde verkündigt.

Kirchliche Führer aller Richtungen waren empört darüber, dass es jemand wagte, von einer „zweiten Gelegenheit“, wie sie es nannten, zu sprechen, wobei sie vergaßen, dass die große Mehrzahl der Menschheit gestorben war, ohne irgendeine Gelegenheit gehabt zu haben. So lange waren sie gewohnt gewesen, die Gnade Gottes zu beschränken und seine Rache zu vergrößern, dass ihre begrenzte Vorstellung von der Wahrheit und die daraus sich ergebende Engherzigkeit ihnen nicht zu glauben erlaubten, dass Gott seine Gnade und seinen Segen auch anderen außer ihnen verleihen könnte. Als Folge davon, dass Bruder Russell das Feuer der Hölle auslöschte und Gott als liebevoll schilderte, bereit und willens, solche zu segnen, die in Unkenntnis und Unglauben gestorben waren, wurde er der gehasste Gegenstand von Angriffen und Verfolgungen in nahezu der gesamten Christenheit.

Aber das, was seine Feinde veranlasste, „Ketzerei“ zu schreien, erwärmte die Herzen derjenigen, welche für das ursprüngliche und nun wiederhergestellte Evangelium der Liebe - das wahre Evangelium von Christo - empfänglich waren. Das Wort „Wiederherstellung“ war fast ein Zauberwort, weil es eine neue Hoffnungs- und Lebensaussicht öffnete. Männer und Frauen aller Bekenntnisse waren für die Botschaft empfänglich. Atheisten, deren Großherzigkeit ein Glaubensbekenntnis für einen Gott der Qual ablehnten, waren erfreut, den wahren Gott der Bibel zu finden. Ungeachtet ehemaliger Glaubensanschauungen oder früheren Unglaubens wurden diejenigen, welche „in die Wahrheit kamen“, durch die lautere Erhabenheit und Schönheit der Botschaft von dem Entschluss erfüllt, das Evangelium weit und breit zu verkündigen.

„Ich bring so gern die Botschaft, sie tat so viel für mich“, das war es, was das „Wahrheits-Volk“ empfand. Und was für eine großartige Botschaft das war! Wahrheitsgemäß sagt der Dichter „Sie stillt mein Verlangen wie sonst nichts auf der Welt.“ Bruder Russell selbst sagte einmal, und das ist sehr wahr, dass dann, wenn das Verlangen eines Menschen durch das Evangelium von Christo, wie es in dem göttlichen Plan zum Ausdruck kommt, nicht gestillt wird, etwas mit seinem Verlangen nicht stimmt.

Im Licht der Wiederherstellungs-Segnungen für die Welt wurde die himmlische Berufung der Kirche besser verstanden. In der Tat, jede Phase göttlicher Wahrheit erlangte, im Licht der Wiederherstellungslehre betrachtet, neue und tiefere Bedeutung. Fast möchten wir sagen, dass ohne die Wiederherstellungslehre das Studium irgendeines Teiles der Bibel in eine Sackgasse führt und den Studierenden ohne Antwort auf seine Fragen lässt. Die Lehre von der Wiederherstellung erwies sich als der Generalnenner zur Lösung aller Probleme göttlicher Offenbarung. Ohne dieselbe entstanden endlose Streitfragen, Widersprüche und Verwirrung. Mit derselben stellten sich Harmonie und Zufriedenheit ein und ein nicht zu leugnender Drang, der ganzen Welt diese frohe Botschaft zu verkünden.

Die Wiederherstellungshoffnung für die Menschheit hob das Evangelium aus dem Bereich der Selbstsucht in die Sphäre der Liebe empor. Diejenigen, welche „in die Wahrheit kamen“, hatten keine Verwendung mehr für jene kümmerliche und selbstsüchtige Auffassung vom Christentum, wie sie in dem althergebrachten Gebet zum Ausdruck kam: „Gott segne mich und meine Frau, meinen Sohn und seine Frau; uns vier und sonst niemand.“ Sie wussten nun, dass Gottes Plan die Segnung „aller Geschlechter der Erde“ erfordert, und wie freuten sie sich über diese Erkenntnis.

Mehr als vierzig Jahre lang wurde dieses herrliche Evangelium von der Gnade Gottes auf jede denkbare Weise von Bruder Russell verkündet. Ständig zunehmende Tausende arbeiteten freudig mit ihm. Gemeinsam verbreiteten sie die Botschaft durch Druckschriften, vom Rednerpult aus, durch die Presse und das Photodrama der Schöpfung, und auch von Tür zu Tür. Diejenigen, welche sich des wiederhergestellten Evangeliums von Christo erfreuten, wurden oft als „Russelliten“ und manchmal als „Tagesanbrüchler“ bezeichnet. Aber es machte nichts aus, wie die Welt sie nannte, sie wussten, dass Gott sie „aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht" berufen hatte.

Bereitwillige Liebe

Das durch die Hoffnung auf Wiederherstellungs-Segnungen für alle Geschlechter der Erde erstrahlende segensreiche Licht der Wahrheit offenbarte die Liebe Gottes, wie nichts anderes es tun konnte, und erfüllte die Herzen der Gläubigen mit Liebe. Göttliche Liebe ist selbstlos, sie denkt an andere und strebt danach, sie zu segnen. Es konnte daher nicht ausbleiben, dass ein inbrünstiger Diensteifer das charakteristische Merkmal der Wahrheits-Bewegung wurde.

Bruder Russell konnte die Wahrheit nicht für sich behalten. Er weihte sein persönliches Vermögen der Verbreitung der Botschaft und verbrauchte alle seine geistige und körperliche Kraft zu demselben Zweck. Er hatte das Empfinden, dass er nie genug tun konnte. Die Glaubensbekenntnis-Götzen waren so erbärmlich und verächtlich, dass nur das eine ihn befriedigen konnte, sein Alles der Verkündigung des Lobes des guten Gottes der Liebe zu widmen, den er in der Heiligen Schrift geoffenbart fand. Und alle, die in die Wahrheit kamen, empfanden ebenso.

Es war daher nicht überraschend, dass als Ergebnis vierzigjährigen Diensteifers einer Klasse, die von der Liebe Gottes derart begeistert wurde, Tausende die Botschaft annahmen und das „Wahrheits-Volk" wurden. Etwa hunderttausend Leser bezogen die von Bruder Russell herausgegebene Zeitschrift „Der Wachtturm“. Zwölfhundert Bibelstudien-Ortsgruppen wählten ihn zu ihrem Pastor. Einige dieser Gruppen hatten mehr als tausend, viele hatten Hunderte von Mitgliedern. Unter diesen waren die Versammlungen in Brooklyn und London die größten.

Aber nun war Bruder Russell tot. Dass er starb, während er noch im Missionsfeld tätig war, änderte nichts an der Tatsache, dass er nicht mehr der Schrittmacher für die eifrigen Arbeiter sein konnte, welche die Wahrheit liebten, die sie durch ihn empfangen hatten, und welche ihr Leben niederlegen wollten, um sie anderen zu bringen. Er war tot, und die Geschwister waren ratlos. Was nun?

Prüfungen beginnen

Nachdem Bruder Russell jenseits des Vorhanges gegangen war, hielten sich die meisten Geschwister eine Zeitlang genau an die Wahrheit, wie sie aus seiner Feder kam. Trotzdem war es von Anfang an offenbar, dass Dinge von geringerer Bedeutung die Aufmerksamkeit derer in Anspruch nahmen, die bei der Fortführung des Werkes einen leitenden Anteil hatten. Im Anfang seines Dienstes überschaute Bruder Russell das Gesamtgebiet der Wahrheit und kam zu dem Schluss, dass ein Satz von sieben Bänden notwendig sein würde, um alle ihre Phasen ausführlich zu behandeln, die Botschaft zu erläutern und die Wahrheit von dem Aberglauben des finsteren Mittelalters zu scheiden. Im siebenten Band gedachte er vornehmlich die Offenbarung zu behandeln.

Er starb, ohne den beabsichtigten siebenten Band geschrieben zu haben. Dies ließ für spekulierende Geister den Weg offen, ans Werk zu gehen, und sie taten es. In bemerkenswert kurzer Zeit wurde ein „siebenter Band“ veröffentlicht mit der Behauptung, dass er das hinterlassene Werk Bruder Russells sei. Er brachte Unruhe unter die Geschwister, was an vielen Orten Spaltungen zur Folge hatte. Er war wirklich nicht das hinterlassene Werk Bruder Russells und widersprach in vieler Hinsicht dem Buchstaben und dem Geist seiner Lehren.

In vielen Versammlungen wurde er zu einem Prüfstein für die Mitgliedschaft gemacht. Er sollte sich als einer der ersten Hauptanlässe herausstellen, welche die Aufmerksamkeit von jenem herrlichen und überragend wichtigen Thema des wahren Evangeliums ablenkten. Der „siebente Band“ selbst leugnete weder die Lehre von der Wiederherstellung, noch eine der anderen Grundlehren der Wahrheit, aber dadurch, dass man die Aufmerksamkeit auf seine Spekulationen konzentrierte, wurden die Augen und Herzen der Geschwister von jenem Hauptthema abgelenkt, welches ihr Verlangen gestillt hatte, wie nichts anderes es getan hatte. Er kennzeichnete den Beginn einer Zeit, in welcher unter den Geschwistern die Neigung bestand, erstrangige Dinge in den Hintergrund zu drängen und die Aufmerksamkeit der Geweihten auf Nebenfragen spekulativer und unwesentlicher Lehrmeinungen zu konzentrieren.

Die Geschichte vom „siebenten Band“ würde nicht vollständig sein, wenn wir zu erwähnen versäumten, dass er in auffallend kurzer Zeit nach seiner Herausgabe von den Herausgebern eigentlich verworfen wurde. Es ist kaum zu glauben, aber wahr, dass zur Zeit der Herausgabe des Buches diejenigen verurteilt und ausgestoßen wurden, welche es nicht annahmen, während nach wenigen Jahren jene ausgeschlossen wurden, welche es annahmen.

Die Verwerfung des „siebenten Bandes" durch seine Herausgeber war ganz im Einklang mit einer allgemeinen Entwicklung, die um das Jahr 1924 offenkundig wurde. Zu jener Zeit begann ein Abweichen von der Wahrheit, wie die Geschwister sie unter Bruder Russells Anleitung gelernt und geprüft hatten. Da man behauptet hatte, dass der siebte Band von Bruder Russell geschrieben worden sei, war es nur natürlich, dass er verworfen werden musste. Schließlich wurden alle Werke Bruder Russells, einschließlich der sechs Schriftstudienbände, nicht mehr gedruckt.

Die Abweichungen von der reinen Wahrheit waren anfangs unbedeutend. Viele nahmen sie nicht wahr und viele von denen, die sie gewahrten, trösteten sich mit dem Gedanken, dass diese Richtung nicht beibehalten würde. Als jedoch von der Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft jeder Wahrheitspunkt abgeschafft und durch Irrtümer ersetzt wurde, entzogen einige diesem allgemeinen Bestreben ihre Unterstützung. Das ging Jahr für Jahr weiter. Mehr und mehr von den „Früheren“ verließen die ursprüngliche Organisation, weil deren Lehren immer mehr von dem abwichen, was sie waren, als Bruder Russell starb.

Man behauptete, dass die Geschwister im Lichte fortschritten, einem Licht, das stets heller leuchten sollte bis zur vollen Tageshöhe! Aber war diese Behauptung wahr? Lasst uns sehen. Wie wir bemerkt haben, war das große Thema, welches die Wahrheit so wunderbar machte und so überaus vorteilhaft von jeder Lehre des Kirchentums unterschied, jenes von der Wiederherstellung - das erhabene Evangelium, von welchem „Gott durch den Mund seiner heiligen Propheten von jeher geredet hat“. Die praktische tägliche Nutzanwendung hieraus war, dass alle, die daran glaubten und sich daran erfreuten, Hoffnung hegen konnten für jene, die es in diesem Leben nicht annehmen.

Neues Licht - Alte Finsternis

Als sich nach dem Tod der Apostel jene furchtbare Decke der Unwissenheit über die Christenheit legte, war einer der dunkelsten Gesichtspunkte die menschlich ersonnene Begrenzung der Gnade Gottes durch die Behauptung, dass Errettung nur auf jene beschränkt sei, die da glauben, ehe sie dieses unstete und verdammte Leben mit dem letzten Atemzug aushauchen. Noch schlimmer als das war die sektiererische Auslegung, welche man dem Worte „Glauben“ gab. Für die Katholiken heißt das, die Lehren der Katholischen Kirche zu glauben. Für die verschiedenen protestantischen Gruppen bedeutet es die Annahme ihrer besonderen Auslegung der Wahrheit und der praktischen Anwendung derselben. Für alle aber bedeutet es: „Komm zu uns, und zwar bevor du stirbst, oder du bist für immer verloren“ - oder du leidest mindestens Jahrhunderte lang in einem furchtbaren Fegefeuer der Qual, wie die Katholische Kirche lehrte.

Diese Vorstellung vom Evangelium ersetzte die Liebe durch Furcht, um zu Glauben und Gehorsam anzuspornen, und hierfür gibt es keine Ermächtigung durch die Schrift. Nirgendwo gibt es einen Hinweis in der Bibel, dass die Gelegenheit, durch Christum Errettung zu erlangen, auf das gegenwärtige Leben beschränkt ist. Wie freuten wir uns über die Größe der Wahrheit, dass sie uns ermöglichte, mit Teilnahme auf solche zu blicken, die nicht erkennen konnten wie wir, und uns zu freuen, dass sie, wenn die Zeit ihrer Heimsuchung kommt, eine günstigere Glaubensgelegenheit haben würden, als es jetzt möglich ist, da Satan darauf ausgeht, die Sinne derer zu täuschen und zu verblenden, die nicht glauben. Jawohl, wir waren stolz auf die Wahrheit! Mit Paulus konnten wir sagen: „Ich schäme mich des Evangeliums Christi nicht.“ - Röm. 1:16

Doch was geschah? Nun, der „Kanal" brachte, um mit einem Beispiel zu beginnen, eine neue Auslegung des Gleichnisses von den Schafen und Böcken. Und die neue Auslegung war falsch. Das steht außer Frage. Doch wichtiger als die irreführende Auslegung selbst war die Tatsache, dass sie ein Schritt in die Finsternis war, weil sie jene erhabene Hoffnung auf die Segnung aller Geschlechter der Erde zu beseitigen begann. Sie gab nachdrücklich zu verstehen, dass die meisten Geistlichen der Namenkirchen in den „zweiten Tod“ gingen.

AIs wir zuerst die Wahrheit lernten, war der „zweite Tod“ nur eine ihrer Lehren, eine notwendige, aber wir dachten nicht zu viel darüber nach. Wir wussten, dass alle unverbesserlichen Sünder in den zweiten Tod gehen würden. Aber wir dachten nicht, dass diejenige, welche die Wahrheit wegen unserer unzulänglichen und ungeschickten Erklärung derselben nicht verstanden und weil hundert andere Stimmen aus anderen Richtungen dazwischenrufen, alle unverbesserliche Sünder seien.

So kam diese düstere Lehre vom zweiten Tod plötzlich in den Vordergrund, und da die neuen Strahlen des angeblichen Lichts an Helligkeit zunahmen (?), wurde den Geschwistern erzählt, dass immer mehr Menschen in den zweiten Tod gingen. Unter denjenigen, für die es überhaupt keine Hoffnung gab, schuf man eine Klasse von solchen, die das „neue“ Licht nicht annahmen, das wie behauptet wurde durch des Herrn ausschließlichen Kanal göttlicher Wahrheit kam. Diesen „Kanal“ zu verlassen, sah man deshalb als die schwärzeste aller Sünden an, die ein gewöhnlicher Sterblicher begehen konnte. Wer es tat, wurde als ein Teil des „Menschen der Sünde“, des „Sohnes des Verderbens“, betrachtet und war der Bestrafung mit dem zweiten Tode sicher.

Finsternis statt Licht

Wie gesagt, diesen Lehren gemäß schien eine ständig zunehmende Anzahl auf dem Weg in den zweiten Tod zu sein. Diese allgemeine Richtung des sogenannten zunehmenden Lichts dauerte an, bis man feststellte, dass so viele Menschen in den zweiten Tod gingen, so dass von denen, die gelebt hatten und gestorben waren, nicht mehr genügend übrigbleiben würden, um die Erde zu füllen. Darum offenbarte der nächste „Lichtstrahl“, dass diejenigen, welche diese Lehren annehmen und fleißig arbeiten, um sie zu verbreiten, die „Zeit der Drangsal“ überleben werden, heiraten und große Familien - sehr große, in der Tat - gründen würden, und dass so durch sie die Erde gefüllt werden würde.

Die Schrift lehrt natürlich keine derartige Idee, aber weil so viele Menschen dem zweiten Tod überliefert worden waren, musste etwas dagegen getan werden, und die Aufnahme dieser falschen Lehrmeinung vom „Füllen der Erde“ schien das logisch Richtige zu sein. Wie jede andere falsche Lehre wurde sie „bewiesen" durch die Anwendung zusammenhangloser Schrifttexte, unpassend zusammengestellt und in eine Glaubensschablone eingewoben, die nichts anderes war als eine „geschickt erdichtete Fabel“.

Dieser Ersatz für Wiederherstellung war so ziemlich der letzte Schritt zurück zur Grundanschauung des gesamten Namenkirchentums. Jenes beglückende Thema von Gottes Barmherzigkeit und Gnade, jene Melodie der Liebe, deren Kehrreim die Segnung aller Geschlechter der Erde ist, wurde darin kaum noch gehört. Wie in Babylon trat Furcht an die Stelle von Liebe und wurde die treibende Kraft hinter aller ihrer Betriebsamkeit. Und Furcht wurde bewirkt durch die Drohung mit dem zweiten Tod für alle, die das neue „Licht“ anzuzweifeln wagten.

Mit diesem vollendeten „Fortschritt“ unterschieden sich die Lehren des Wachtturms bezüglich der Hoffnung über das Grab hinaus grundsätzlich nicht mehr von denen der gesamten Christenheit, außer in einer Beziehung; man gebraucht den „zweiten Tod“ statt ewiger Qual als Geißel, um die Arbeiter bei der Stange zu halten. Ihre Lehren unterschieden sich natürlich von denen der Kirchen in hunderterlei Einzelheiten. So unterscheiden sich alle Namenkirchen voneinander; aber das Endergebnis ihrer Lehren ist dasselbe, nämlich: Glaube uns jetzt, oder du bist verloren. In diese große Finsternis wurden allmählich viele geführt, die sich einst der Wahrheit erfreuten. Das Hohelied von der Wiederherstellung des verurteilten Geschlechts rührte ihre Herzen nicht mehr.

Viele wunderbare Werke

Der durch Liebe entfachte „Eifer um dein Haus“ verließ Tausende von Bibelforschern nach dem Tod Bruder Russells nicht. Aber das Bild änderte sich allmählich, und der Geist der Bewegung wandelte sich. Anstatt von Liebe gedrängt zu werden und von der reinen Freude, der Welt von einem Gott der Liebe zu erzählen, wurden die Geschwister durch „große Werke“ dieser und jener Art zu einer Raserei von Eifer und selbstverzehrender Hingabe für eine falsche Sache angetrieben. Eine Mischung von Furcht und Hass war der Hintergrund für diese Szenen der Betriebsamkeit - Furcht vor dem zweiten Tod im Falle der Untreue, und Hass gegen diejenigen, welche die Botschaft nicht annahmen, besonders gegen Katholiken.

Ja, viele „große Werke“ wurden unternommen: Das „Elisa-Werk“; das „Herausrufen der Gefangenen" aus Babylon; der „Bau der Tempelmauer“; das Sammeln der „Jonaklasse“; das Aufwerfen des „Hochweges der Heiligung“; das Anbieten der „Wasser vom Strom des Lebens“ usw. Es war wirklich erstaunlich, wie schnell jede einzelne dieser gewaltigen Aufgaben unternommen und dann vergessen wurde, sobald die Mitarbeiter an die nächste vorliegende Aufgabe gingen.

Das Schlagwort vom „neuen Licht“ fand bei der allgemeinen Raserei des Antreibens seinen wirksamen Platz. Die „Kanal“-Verfechter gingen unverfroren und völlig gleichgültig von einer Ansicht zur anderen über, und zuweilen wollte es scheinen, als rühmten sie sich fast ihrer Fähigkeit, heute zu widerrufen, was sie gestern gelehrt hatten. Im Jahre 1923 wurde von diesen Brüdern ein Artikel veröffentlicht, der die Geschwister ermahnte, an den Lehren Bruder Russells festzuhalten, und mit der Warnung, dass diejenigen, welche die Geschwister von diesen Lehren abzuziehen versuchten, Wölfe in Schafskleidern waren. Nicht lange danach lehrten sie, dass diejenigen, welche von Bruder Russels Lehren nicht abließen, sondern beharrlich daran festhielten, zur Klasse des „bösen Knechtes“ gehörten und bestimmt in den zweiten Tod gehen würden, wenn sie nicht bereuten.

Als das „Elisa“-Werk seinen Höhepunkt erreichte, wurde verkündigt, dass die daran Beteiligten mit einem „doppelten Maß des Geistes“ gesegnet seien; aber im Jahr 1927 wurde verkündet, dass die Kirche überhaupt nicht mehr den Heiligen Geist besäße.

Im Jahr 1921 wurde gesagt, dass die Wiederherstellungs-Segnungen für alle Menschen seien; im Jahr 1934 wurde dies geleugnet, und im Jahr 1939 wurden „gewählte Älteste“ verlacht, weil sie weiter an die Wiederherstellung für die Welt glaubten.

Sogar die fundamentale Grundlehre vom Lösegeld wurde gefälscht. Nach Bruder Russells Tod wurde noch eine Zeitlang gelehrt, dass Jesus für alle starb, einschließlich Adam; dass „gleichwie in Adam alle sterben, also werden auch in dem Christus alle lebendig gemacht werden“. Im Jahr 1939 wurde „entdeckt", dass Adam nicht durch Christum erlöst wurde, also auch nicht von den Toten auferweckt wird. Man gab in Verbindung mit dieser Abänderung sehr geschickt eine falsche Begründung und sagte, dass Adam deshalb nicht durch Christum erlöst wurde, weil er ein vorsätzlicher Sünder war. Alle, die dieses „neue Licht“ annahmen, schienen die Tatsache zu übersehen, dass er nicht hätte erlöst zu werden brauchen, wenn er nicht ein vorsätzlicher Sünder gewesen wäre.

Beispiele anderer und weniger wichtiger Änderungen seien kurz erwähnt: Nebukadnezar stellte im Jahr 1930 den Satan und im Jahre 1936 Gott dar. Im Jahr 1923 war Charakterentwicklung ein Werk Gottes, im Jahr 1927 eine Täuschung des Teufels. Im Jahr 1924 war die wahre Religion von Gott, im Jahr 1937 war alle Religion ein Fallstrick des Teufels und eine Erpressung. Im Jahr 1918 stand die Kirche nicht unter dem Neuen Bund, im Jahr 1934 war sie unter dem Neuen Bund.

Wir könnten schier endlos fortfahren, diese Widersprüche anzuführen, doch es würde den Leser nur ermüden. Irren ist menschlich, und kein Lernender und Lehrer der Heiligen Schrift sollte verspottet werden, nur weil er feststellt, dass er einen Fehler gemacht hat und ihn zu berichtigen wünscht. Doch in diesem Fall wurden Fehler nicht zugegeben und konnten von ihrem Standpunkt aus auch nicht gemacht worden sein. Es wurde behauptet, dass Gott ihr Lehrer war, und Gott konnte keinen Fehler machen. Man kann jedoch nicht umhin, sich verwundert zu fragen, welcher Gott es war, denn er war, gelinde gesagt, sehr wandelbar; dagegen steht vom wahren Gott geschrieben: „Denn ich, Jehova, ich verändere mich nicht.“ - Mal. 3:6

Doch sollten wir die Hauptsache, welche sich hieraus ergab, nicht aus den Augen verlieren. Von Wichtigkeit ist nicht so sehr, dass dieser und jener Punkt der Wahrheit geändert wurde, oder dass verschiedene Arten von Tätigkeit versucht wurden. Die Hauptsache ist, dass in all dem Wust von Deutung und Fehldeutung, phantastischen Spekulationen und merkwürdigen Theorien, von unbefugten und voreiligen Unternehmungen großer Werke und durch Drohungen mit dem zweiten Tod hervorgerufener Furcht das wohlklingende Hohelied von Gottes Liebe, wie es früher aus seinem Plan für die Segnung aller Geschlechter der Erde widerhallte, verloren ging.

Durch diesen Verlust gerieten Tausende von Geschwistern auf der ganzen Welt in dieselbe Lage wie die Hebräer in Babylon, von denen geschrieben steht, dass sie „weinten, indem sie Zions gedachten“. (Psalm 137:1) Die Wahrheit war verlorengegangen! Der Wachtturm hatte dieselbe Stellung eingenommen, wie alle anderen Gruppen, die den Menschen keine Hoffnung bieten, wenn sie nicht „in die Organisation fliehen“, um Sicherheit und Schutz zu genießen. Diese Freunde meinen es immer noch ernst, sind aufrichtig und eifrig. Es wäre zu wünschen, dass wir alle den gleichen Eifer hätten; aber die reine Wahrheit besitzen sie nicht mehr. Sie haben einige Einzelheiten der Wahrheit. Sie können die Seele erklären; sie glauben an einen Gott anstatt an drei; sie erkennen im Allgemeinen, dass wir am Ende des Zeitalters leben; aber ihr Kernthema handelt nicht von Gott. Sie legen ihr Leben nieder im Zeugnisgeben von einer Botschaft, die nach ihrer eigenen Ansicht für die Massen, welche sie nicht annehmen, nichts anderes tut, als sie dem zweiten Tode auszuliefern. Dadurch ist die heilige Flamme der Wahrheit - jener begeisternden Wahrheit von der durch das Lösegeld und die Wiederherstellung geoffenbarten Liebe Gottes - in vielen Herzen ausgelöscht worden.

Standhaft treu

Nachdem wir diese hauptsächlichste Abweichung von jener großen Lehre, welche gleichsam das Herz- und Lebensblut der Wahrheits-Bewegung unter der Leitung Bruder Russells war, nachgewiesen haben, wollen wir wieder zur Zeit seines Todes zurückgehen und andere Entwicklungen beachten. Nicht alle Bibelforscher blieben in einer Gruppe. Weit davon entfernt. Einige stellten ihre Mitarbeit fast unmittelbar nach Bruder Russells Tod ein. Andere „gingen weg“ in Verbindung mit dem „Siebten-Band-Zwischenfall“; und im Verlauf der Jahre entzogen weitere Geschwister aus diesem oder jenem Grund der „Gesellschaft“ ihre Unterstützung.

Unter diesen vielen, welche nicht beim „Kanal“ bleiben wollten, entstanden mannigfaltige Bewegungen, eine jede mit einer anderen Ansicht über die Erfordernisse der Zeit. Eine derselben nahm ihren Anfang im Nordwesten der Vereinigten Staaten und in Kanada, und auch wenn sie hier und da einige Anhänger fand, ging sie nie über die Grenzen jenes Gebietes hinaus. Diejenigen, welche Mitglieder dieser Bewegung wurden, waren edle, ernste und opferfreudige Christen.

Sie waren auch gute Bibelforscher. Sie hatten die Wahrheit begriffen und konnten ihre Hoffnung begründen. Sie weigerten sich, die Wahrheit und deren Anwendung auf ihr Christenleben preiszugeben. Ihr Standpunkt schloss auch die Verweigerung von Kriegsverpflichtungen und jeder Teilnahme an den Kriegsanstrengungen während des ersten Weltkrieges ein.

Der „Siebente Band“ gehörte ebenfalls in ihre Vorstellung von Treue gegenüber den Grundsätzen der Wahrheit. Diese lieben Geschwister nahmen „Das vollendete Geheimnis“ als das wirkliche Buch an, das Bruder Russell zwar zu schreiben beabsichtigte, aber nicht geschrieben hat. Sie glaubten, dass es das Nachlasswerk Bruder Russells war. Darum hielten sie am Siebenten Band fest, als er von seinen Herausgebern verworfen wurde; einige dieser Geschwister tun es noch.

Diese Bewegung als eine gemeinschaftliche Bestrebung war kurzlebig. Die Geschwister versuchten gemeinsam zu arbeiten, ohne ein Werk zu tun zu haben, und das unvermeidliche Ergebnis war Auflösung. Und warum hatten sie kein Werk zu tun? Weil sie zu dem Schluss kamen, dass das Erntewerk des Evangelium-Zeitalters mit Bruder Russells Tod beendet wäre, und dass daher eine öffentliche Verkündigung der Wahrheit nicht mehr das Wohlgefallen Gottes hätte.

Dies war ein bedauernswerter Standpunkt, weil er der Wahrheit viel von ihrer freudespendenden Kraft raubte. Da der Anreiz zur Missionstätigkeit durch spekulative Auslegungen verdrängt worden war, fanden die Geschwister ein Ventil für ihren Tätigkeitsdrang darin, an einander Fehler in der Lehre und anderer Art zu suchen, mit dem Ergebnis, dass Spaltungen an der Tagesordnung waren. Sie standen fest in der Wahrheit, das war sehr recht, aber dadurch, dass sie dieselbe ausschließlich für sich behielten, verloren sie viel von ihrem Geist. Das Hohelied der Liebe, die Stimme Gottes, hörte auf, für sie eine belebende Kraft zu sein, ihr Leben niederzulegen, damit andere eine Gelegenheit bekommen möchten, von dem Vorhaben Gottes zu erfahren, alle Geschlechter der Erde zu segnen. Sie liebten die Wahrheit, vergaßen aber, dass Gott sie in sein wunderbares Licht berufen hatte, damit sie anderen seine Tugenden verkündigen sollten.

Sie vergaßen, dass die Würdigkeit, während des nächsten Zeitalters am Segnen aller Geschlechter der Erde beteiligt zu sein, von ihrem Interesse für alle Geschlechter der Erde in der Jetztzeit abhängt. Bei vielen derselben jedoch brannte der Eifer des Hauses Gottes weiter wie eine Flamme, die nicht ausgelöscht werden konnte. Die Tatsache, dass leitende Brüder sagten, dass das Werk getan sei, konnte diese Flamme nicht löschen. Sie brannte weiter und findet heute wieder ihren Ausdruck im freudigen Verkündigen dieser segensreichen Botschaft in der ganzen Welt.

Wachend und Wartend

Unabhängig von der Hauptgruppe war noch ein anderes allgemeines Bestreben unter den Geschwistern vorhanden. Eine Zeitung wurde herausgegeben, und Pilgerbrüder wurden von Versammlung zu Versammlung gesandt, um die Geschwister zu trösten und zu ermutigen. Da das Jahr 1914 gekommen und vergangen war, da Bruder Russell gestorben war und keine Möglichkeiten mehr für die Veröffentlichung der Wahrheit vorhanden zu sein schienen, herrschte unter den Geschwistern allgemein das Empfinden, dass es nichts anderes für sie zu tun gab, als vornehmlich die Übriggebliebenen zu stärken.

Der Göttliche Plan der Zeitalter wurde zwar wieder herausgegeben, und kleine Mengen von Traktaten wurden gedruckt, aber der Verkündergeist schien bei diesen lieben Geschwistern verebbt zu sein. Gewiss, die Geschwister in ihrer Gesamtheit waren nicht besonders ermuntert worden, in der Verkündigung der Wahrheit tätig zu sein. Ein allgemeines Seelsorge- oder Hirtenwerk wurde für angebracht und wichtig gehalten, aber bald stellte sich heraus, dass nur eine Handvoll von Geschwistern dieses Werk für die Allgemeinheit der Geschwister tat, die zum großen Teil den Standpunkt von Laien einnahmen, die darauf warteten, bedient zu werden.

Eines der großen Hauptmerkmale der Wahrheit war, wie Bruder Russell gelehrt hatte, dass jedes geweihte Kind Gottes ein Diener ist, dazu gesalbt, die frohe Botschaft zu verkündigen. Mit einem Meisterstreich räumte diese kostbare Lehre mit der Trennung der Kirche in Geistlichkeit und Laienstand auf. Bruder Russell betonte wiederholt: „Einer ist euer Lehrer, ihr alle aber seid Brüder.“ (Matth. 23:8) Und um diesen Standpunkt in die Tat umzusetzen, dachte Bruder Russell ständig an die Mitarbeit der Geschwister und ermahnte sie alle, sich ihrer Verantwortung für die Wahrheit und für die Verkündigung derselben bewusst zu sein. Das Schlusskapitel in Der Göttliche PIan der Zeitalter ist ein Beispiel hierfür. Ein großer Teil der Kommentare im Täglichen Himmlischen Manna liefert ein weiteres gutes Beispiel. Bruder Russell war unser Pastor, und er war ein treuer Pastor - nicht allein, weil er uns diente, sondern weil er es allen auch möglich machte, an dem Dienst für die Wahrheit einen Anteil zu haben, und weil er alle ermahnte, dies je nach Fähigkeit und sich bietender Gelegenheit zu tun.

Wir bezweifeln, dass unmittelbar nach seinem Tod jemand von den Geschwistern tatsächlich eine andere Ansicht hierüber vertrat. Aber das Zusammentreffen besonderer Umstände verursachte eine Geisteshaltung, welche die Veranlassung war, dass dies zum Teil übersehen wurde. Zwei oder drei Jahre verhältnismäßiger Untätigkeit in dieser Beziehung seitens einer Gruppe von Geschwistern dürften keinen ernsthaften geistigen Niedergang zur Folge haben. Aber die Zeit verging; das Jahr 1914 als prophetisches Datum lag immer mehr in der Vergangenheit, und immer noch war die Kirche diesseits des Vorhanges vertreten. Bei diesen Tatsachen verweilte man und suchte Gründe dafür. Man fand eine neue Chronologie und stellte das Jahr 1933 als das volle Ende der Zeiten der Nationen fest. Die Bedeutung des Dienstes Bruder Russells wurde bagatellisiert. Man bat namenkirchliche Schriftsteller um Hilfe. Die neuzeitliche Ansicht über die verhältnismäßige Unwichtigkeit von Lehrmeinungen begann Fuß zu fassen, und ohne zu erkennen, was eigentlich nicht in Ordnung war, begann die verhältnismäßig geringe Zahl kleiner Versammlungen im ganzen Land, die hinter dieser Bewegung standen, sich aufzulösen.

Von diesen Geschwistern wurde ein hoher Gerechtigkeitsmaßstab für die Geweihten aufrechterhalten. In der Tat, sie verlegten sich besonders auf die Grundforderungen von Glauben, Gebet und persönlicher Heiligkeit. Man neigte tatsächlich ein wenig zu der Meinung, dass Bruder Russell in dieser Richtung etwas nachlässig gewesen wäre. Gedanken und Worte gottesfürchtiger Männer der Vergangenheit wurden eingeführt. Doch diese Spezialisierung des Dienstes hielt die Geschwister nicht zusammen; auch verlieh er ihnen nicht den Ansporn, ihr Leben im Dienste der Wahrheit niederzulegen. Es war nur ein Teil der Wahrheit, aber doch nicht jener Teil der Wahrheit, der die eigentliche belebende Kraft der Wahrheits-Bewegung war. Charakterentwicklung und Frömmigkeit sind im Leben des Christen von grundsätzlicher Bedeutung; aber es waren nicht diese Wahrheiten, welche das Volk des Herrn in dieser Erntezeit am Ende des Zeitalters aus Babylon herausriefen. Alle Kirchen erfreuen sich der Segnungen herkömmlicher Frömmigkeit und einer angenommenen Charakterentwicklung; aber nur die durch die gegenwärtige Wahrheit Erleuchteten erfreuen sich jenes Verständnisses des Planes Gottes, wodurch sie in Feuereifer versetzt werden, die frohe Botschaft zu verkünden.

Wenn jetzt von den einfachen Lehren des göttlichen Planes als bloßer Milch des Wortes gesprochen wird und die Geschwister zu glauben gelehrt werden, dass sie über die Erörterung derselben in ihren Versammlungen hinaus sein sollten, und dass deren Verkündigung vor der Welt von sehr nebensächlicher Bedeutung sei, dann ist nicht schwer zu verstehen, was geschah, und warum. Weil die wahren Lehren selten erörtert wurden, begannen falsche Lehren sich bei den Geschwistern einzuschleichen. Von einigen wurden namenkirchliche Vorstellungen hinsichtlich des zweiten Kommens Christi aufgegriffen, und diese verneinten die zweite Gegenwart Christi. Man begann den Anteil der Kirche an den besseren Opfern - die zweite Phase des Sündopfers - zu bezweifeln. Mit der Zeit konnte man schwerlich eine Versammlung finden, welche über viele der wirklich wichtigen und bedeutenden Züge der Wahrheit, nicht mehr oder weniger geteilter Meinung war.

Dieser Zustand entstand nicht über Nacht, auch wurden nicht alle Geschwister darin verwickelt. Die Entwicklung ging allmählich und ganz subtil vor sich. Die sich aus der Enttäuschung des Jahres 1914 entstandenen Verhältnisse und der Tod Bruder Russells erzeugten die Geisteshaltung, die das möglich machte. Wenn wir die Tatsachen hier berichten, geschieht es nicht mit dem Gedanken, Tadel anzubringen, zu spotten oder zu entmutigen, sondern um einen ungesunden Zustand festzustellen in der Hoffnung, das erforderliche Heilmittel gefunden werden, um die geistige Gesundheit wieder herzustellen.

Und wie wir diese besondere Lage sehen, spricht das, was in dem Bild völlig fehlt am lautesten. Es glänzt durch Abwesenheit. Ob wir an der Wahrheit festhalten oder mit Irrtum uns abgeben; ob wir einen Glauben haben, der Berge versetzen kann, oder zu zweifeln beginnen; ob wir oft zum Thron der Gnade kommen oder uns auf unsere eigene Kraft beim Überwinden verlassen, wenn wir die grundlegende Tatsache aus den Augen verloren haben, dass wir als Christen dazu berufen sind, „das Licht der Welt“ und „Gesandte für Christum" zu sein, um „inmitten eines verkehrten und verdrehten Geschlechtes" darzustellen [zu predigen] „das Wort des Lebens“, dann haben wir gar nichts verstanden. - Matth. 5:14; 2. Kor. 5:20; Phil. 2:15

Satan ist der Fürst der Finsternis, und er ist unter anderem hauptsächlich darauf bedacht, zu verhindern, dass das Licht der Wahrheit die Menschen erreicht. Er beschränkt sich deshalb nicht auf nur eine Methode. Wie wir gesehen haben, waren einige der Geschwister eifrig bestrebt, für den Herrn zu wirken. Komme, was da wolle, sie waren entschlossen, tatkräftig im Dienst Gottes fortzufahren, obgleich Bruder Russell gestorben war. Da Satan ihren Eifer nicht auslöschen konnte, fand er die Möglichkeit, den Strom der Wahrheit zu verunreinigen. Als er dies erreicht hatte, kümmerte es ihn nicht, wie tätig sie nun seien.

Bei anderen Geschwistern war eine andere Methode erforderlich. Bei ihnen war es unmöglich, die Wahrheit durch Irrtum zu ersetzen. Sobald Satan dies herausfand, war sein nächster Schritt, welcher eine Zeitlang erfolgt hatte, dass er die Lieben überzeugte, dass es Gott nicht wohlgefällig sein würde, wenn sie weiter die Wahrheit verkündigten. Ihr starker Sinn für Treue zur Wahrheit ließ sie mit solcher Zähigkeit an dieser vermeintlichen Wahrheit festhalten, dass sie jahrelang jedes Zeugniswerk einstellten. Wieder hatte Satan gewonnen!

Besondere Diener

Noch einmal gehen wir zu der Zeit von Bruder Russells Tod zurück, um einen anderen Faden in der Geschichte der Bibelforscher aufzunehmen. Der Tod eines so treuen und umfassend gebrauchten Dieners Gottes, wie Bruder Russell es war – „der treue und kluge Knecht" - musste zwangsläufig in den Herzen der Geschwister eine gewisse Leere zurücklassen. Bei vielen füllte die Glückseligkeit der Wahrheit diese Lücke aus, und sie konnten von Herzen singen

„Send’ aus, o Herr, der Wahrheit Licht, Lass ES der Führer sein.“

Aber nicht alle vermochten einen solchen Unterschied zu machen zwischen der Wahrheit und einem Führer, der sie ihnen brachte. Als nun der Führer gestorben war, suchten sie einen anderen. Und wir finden es nicht überraschend, dass es nicht an solchen fehlte, die bereitwillig auszuhelfen bestrebt waren. Die Heilige Schrift liefert den Beweis, dass Gott, wenn er wirklich einen Diener für ein besonderes Werk erwählt, diesem eine Vision oder Erkenntnis des Werkes gibt, welches getan werden soll, und dass der Erwählte mehr an diesem Werk interessiert ist als an der Beweisführung, dass Gott ihn besonders erwählt hat.

So war es bei Bruder Russell. Es war schwierig, von dem Pastor das Zugeständnis zu erlangen, dass er glaubte, vom Herrn besonders erwählt worden zu sein. Er wusste, dass Gott ihm die Wahrheit geoffenbart hatte, und es war eine so herrliche Botschaft, dass er nicht unterlassen konnte, alles, was er hatte, ihrer Verkündigung zu widmen. Und Gott in seiner Vorsehung gab Bruder Russell die Fähigkeit, die Gelegenheit und alles andere, wodurch es ihm möglich wurde, „jener Knecht“ an diesem Ende des Zeitalters zu sein. Das Beste, was wir Übriggebliebenen tun können, ist die weitere Verkündigung der Wahrheit, welche Gott uns durch ihn gab.

Doch als Bruder Russell starb, gab es solche, die dachten, dass Gott sie zu besonderen Dienern in der Kirche bestimmt hätte, und dass sie deshalb Bruder Russells Nachfolger wären. Hat auch nur einer von denen, die den Rang eines besonderen Dieners in der Kirche als Nachfolger Bruder Russells beansprucht haben, das Werk Bruder Russells fortgeführt? Nein, nicht einer! Alle haben sie unverzüglich eine Reihe neuer Lehren aufgestellt. Nicht alle haben abgeleugnet, was Bruder Russell lehrte. In der Tat, einige haben sich unter dem Vorwand der Treue zu Bruder Russell in das Vertrauen der Geschwister eingeschlichen und verstiegen sich sogar zu der Behauptung, dass sie die einzigen waren, die den Lehren Bruder Russells treu sind.

Aber wieder ist nichts zu spüren von jenem Geist und Standpunkt Bruder Russells bezüglich des Nutzens der Wahrheit für uns und unseres Vorrechtes, das Licht der Welt zu sein. Bis zu einem gewissen Grad haben einige derselben zu einem öffentlichen Dienst ermutigt, haben ihn aber eingeschränkt mit eitler Philosophie bezüglich der Stellung, welche die neu Interessierten im Plan Gottes einnehmen. Fast ohne Ausnahme lehren diese besonderen Führer eigenmächtig, dass die Tür zur Himmlischen Berufung etwa zu der Zeit geschlossen wurde, da sie nach ihrer Behauptung vom Herrn zu ihrer Sonderstellung in der Kirche ernannt wurden.

So wurde durch unzuverlässige Spekulationen, seltsame Auslegungen und durch die Versuche, das Volk des Herrn in Gruppen von Geistiggesinnten und weniger Geistiggesinnten, die himmlische und die irdische Klasse, die „große Schar“ und die „kleine Herde“ aufzuteilen, Gottes hohes Lied von der Liebe - von den Wiederherstellungs-Segnungen für alle Geschlechter der Erde - wieder in den Hintergrund verdrängt, und jener Grundzug des wirklichen Werkes Gottes, wie Bruder Russell es verstand und betrieb, und für welches er starb, wurde vernachlässigt.

Wir haben in diesem Zusammenhang insbesondere von dem Streben nach ausschließlicher Führerschaft unter den Geschwistern gesprochen, dass in gewissem Maße Unterstützung fand in dem Sinne, dass jeder sich ein paar Nachfolger erwarb. Da wir gerade bei dieser Phase der Geschichte sind, kann es nicht schaden, andere Erscheinungsformen derselben Zwangsvorstellung zu erwähnen, die fast gar nichts erreicht haben. Wir erwähnen dies, um eine sehr falsche Meinung vieler Geschwister klarzustellen, die von einigen vertreten wird; nämlich über die vermeintlich ungeheure Anzahl von „Spaltungen“ unter den Bibelforschern.

Diese Meinung ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass einzelne Brüder hier und da in der ganzen Welt eine Lieblingstheorie in der Lehre oder in der Auslegung von Prophetie aufbauen, sie von einem örtlichen Drucker drucken lassen und unter ihrem Namen an alle Geschwister senden, deren Adresse sie haben oder bekommen können. Mitunter werden diese Botschaften unter dem Namen „Vereinigte Bibelforscher“ versandt, oder manchmal als von einer Versammlung kommend; aber gewöhnlich stammen sie von Einzelpersonen.

Viele Geschwister, die derartige Literatur erhalten, nehmen irrtümlicherweise an, dass jedes neue Rundschreiben, Flugblatt oder Büchlein eine andere Spaltung unter den Geschwistern bedeutet. Dem ist nicht so! Wir wissen von einem Fall, wo auf der Literatur die Bezeichnung „Vereinigte Bibelforscher“ verwendet wird, aber nur eine alleinstehende Person die vervielfältigten Bogen mit ihren Spekulationen über die Prophezeiungen versendet.

Diese Tatsache ist beachtenswert. Eine von Satans Taktiken ist es, uns bange zu machen und zu entmutigen. Er würde uns gerne glauben machen, dass alle Bibelforscher entzweit sind; dass nicht mehr zwei von ihnen dasselbe glauben; dass die meisten von ihnen aus der Wahrheit gehen, und dass wir allein dem Herrn treu bleiben. Wenn er uns dazu bewegen kann, dies zu glauben, dann werden wir leicht zu dem Schluss kommen, dass nichts mehr im Dienst Gottes getan werden kann. Und kommen wir zu dieser Schlussfolgerung, dann werden wir auch nichts mehr tun.

Wie steht es mit denen, die ihre neuen Theorien von der Wahrheit veröffentlichen? Sollen wir sie zum zweiten Tod verurteilen? Nein! Sollen wir sagen, dass sie kein Recht haben, das zu tun? Nein! Sollen wir Zeit darauf verwenden, alles zu lesen, was uns gesandt wird? Das muss jeder Christ selbst entscheiden. Was wir aber alle erkennen sollten, ist der bei dem Vergleich mit den großen Grundwahrheiten des göttlichen Planes nur bedingte Wert dieser unbewiesenen, höchst spekulativen Lehrmeinungen. Helfen sie uns, unseren Gott besser zu verstehen, ihn mehr zu lieben und sein Lob hingebender zu verkünden? Wenn die herrliche Wahrheit des göttlichen Planes noch immer unser Sehnen stillt, wie nichts anderes es tun kann - nun, dann kann nichts anderes es tun, und das genügt. Also werden wir nicht Zeit verschwenden, um unseren Geist mit dem anzufüllen, was eher unzufrieden macht als zufriedenstellt.

Spaltungen

Wieviel Spaltungen gibt es unter den Bibelforschern? Diese Frage ist schwer zu beantworten, denn das Wort Spaltung bedeutet nicht für alle dasselbe. Wir wollen es vom Standpunkt und Gesichtspunkt der Versammlungen aus betrachten. Wenn wir dies tun, finden wir nicht so viele Spaltungen, wie manche erwarten mögen. Überall in ganz Amerika und in anderen Teilen der Welt gibt es nur zwei Gruppen - diejenigen, die bei der ursprünglichen Organisation geblieben sind, und jene, die sie verlassen haben. In einigen Orten gibt es Versammlungen, die ihren Lieblingsführern nachfolgen; aber das ist nur eine sehr kleine Minderheit der Geschwister. In einigen Orten befinden sich Geschwistergruppen, die wegen verschiedener Ansichten über die Bündnisse und damit verwandte Lehren für sich zusammenkommen. Aber auch hier ist die Gesamtzahl sehr klein. Hier und da finden wir heutzutage, wie auch zu Bruder Russells Zeit, zwei Versammlungen in einer Stadt, wo beide Gruppen im Wesentlichen dasselbe glauben, aber wegen persönlicher Konflikte entzweit sind.

Diese Zustände sind natürlich beklagenswert, doch Gottes Erntewerk auf der Erde ist nicht fehlgeschlagen, wie manche uns glauben machen möchten. Es ist ein Anerkennungsbeweis für die Macht der Wahrheit und für die Tiefe der Weihung des Volkes Gottes, dass nach so vielen Jahren schwerer Prüfung durch Verwirrung und Enttäuschung Tausende von Bibelforschern immer noch voll glühenden Eifers sind für den Herrn und für jene segensreiche Speise zur rechten Zeit - für die Wahrheit, welche dem Haushalt des Glaubens durch „jenen Knecht“ dargereicht wurde.

Wiederbelebung

Wenn man in Betracht zieht, was sich unter den Bibelforschern ereignete, als Pastor Russell gestorben war, könnte man annehmen, dass trotz der weiten Ausdehnung des Erntewerkes, das unter seiner Aufsicht ausgeführt und durch den wunderbaren Geist des Eifers und der Selbstaufopferung ermöglicht wurde, der ihn und die Geschwister im allgemeinen während jener Zelt verzerrte, diesem Werk bleibende Erfolge versagt geblieben seien. Doch diese Ansicht wäre nicht richtig. Zeit ist in Gottes Anordnungen ein wesentlicher Faktor. Was wir heute sehen, muss für morgen nicht mehr gelten. Gott verändert sich nicht, aber zur Entwicklung und Erprobung seines Volkes lässt er sie alle mannigfaltige Erfahrungen durchmachen, damit ihr Glaube erprobt und ihre Entschlossenheit, ihm in Treue zu dienen, gehärtet und geläutert werden.

Die Jahre nach dem Tod Bruder Russells sind eine Zeit besonderer Erprobung gewesen. Sie waren für alle vom Volk des Herr ein feuriger Ofen, und wir sollten sehr darauf bedacht sein, niemand von den Geschwistern auf Grund ihrer zeitweiligen Reaktionen auf die Flammen zu verurteilen. Bei allen galt die große Prüfung ihrer Ergebenheit für Gott und für die Wahrheit und deren Geist, auch ohne menschliche Führung. Bruder Russell war nicht nur "jener Knecht" Gottes, sondern er war auch ein edler und guter Mensch, den wir alle liebten, und auf den wir uns verließen. Gott wünscht, dass wir uns auf ihn verlassen, und dass wir im Tun seines Werkes persönlich treu sind. Durch die Wahrheit rief er uns aus dem Kirchentum - aus Babylon - heraus, und in diesen Jahren hat er uns durch den feurigen Ofen der Prüfung geführt, damit alle Bande der Knechtschaft verbrennen möchten, um uns von menschlicher Führung ganz zu befreien, so dass wir nur noch mit dem Herrn und mit einander durch die Bande der Liebe und Ergebenheit im Tun seines Willens verbunden sind.

Mit Ausnahme derjenigen, die von der Wahrheit soweit abgewichen sind, dass sie deren große Grundlehren leugnen, sind alle Geschwister „in der Wahrheit“ geblieben. Sie waren stolz darauf, dass sie das „Wahrheits-Volk“ genannt wurden. Aber in den Herzen der meisten blieb die Erkenntnis, dass in ihrem christlichen Leben etwas fehlte, das mit Bruder Russell noch etwas starb. Kein Ersatzprogramm konnte diesen Verlust ersetzen, und sie konnten nicht zufrieden sein, bis das Echte wiederhergestellt war.

Ja, sie wussten, was es war! Sie hatten die Lektion gut gelernt, dass dazu, ein Christ zu sein, mehr gehörte als nur die Annahme der Gnade Gottes für unser persönliches Heil und Zufriedensein. Dieselbe Lektion wurde von den Jüngern gleich am Anfang des Zeitalters gelernt. Noch vor seinem Tod „sandte Jesus“ die Zwölf und die Siebzig aus in den Dienst. Als die Frauen das leere Grab fanden, das Sinnbild dafür, dass er nicht mehr tot war, wurde ihnen geboten: „Gehet hin, verkündet“ anderen die Nachricht. Als Jesus mit seinen Jüngern zusammentraf, bevor er in den Himmel zurückkehrte, gebot er ihnen, in Jerusalem zu warten, bis sie mit Kraft aus der Höhe angetan würden, danach sollten sie in alle Welt gehen und das Evangelium predigen.

Wenn wir uns vorstellen könnten, dass denjenigen, die früh zum Grab gingen, einfach erzählt wurde, dass Jesus von dem Tode auferweckt worden ist, und sie dann angewiesen wurden, heimzugehen und nichts zu sagen oder zu tun; oder wenn wir glauben könnten, dass Petrus und die anderen Jünger ähnliche Anweisungen erhielten; oder wenn Jesus zu seinen Jüngern gesagt hätte, dass sie weiter in Jerusalem warten sollten, bis sie ihre natürliche Lebensspanne ausgelebt hätten und in Untätigkeit gestorben wären, dann könnten wir uns gleichzeitig in etwa die Empfindungen von vielen des Volkes des Herrn in diesen Jahren der Prüfung seit Bruder Russells Tod vorstellen. Mit Ausnahme des Bemühens, welches Geschwister zur Tätigkeit verleitete, etwas anderes als die Wahrheit in ihrer Reinheit zu predigen, ließ man die Freunde gewöhnlich annehmen, dass der Höhepunkt christlichen Lebens, das Ende von allem, was die Wahrheit für sie bedeuten sollte, darin bestehe, zu „warten“, bis sie „heimgerufen" würden, um mit Jesu im Königreich zu sein.

Aber zu Pfingsten wurde der Heilige Geist ausgegossen. Er erreichte des Herrn Volk am Ende dieses Zeitalters durch das Mittel der gegenwärtigen Wahrheit. Der Tod eines großen Führers konnte unter den Geschwistern Bestürzung hervorrufen und hat es getan, aber er verdrängte nicht den Heiligen Geist aus ihren Herzen - wenigstens nicht aus den Herzen aller. Er blieb! Der Geist der Wahrheit und Liebe brannte weiter, und in all den Jahren der Ungewissheit sagte er weiter zu Tausenden der Geschwister in der ganzen Welt: „Gehet hin, verkündet“; „gehet hin in alle Welt“. Sie waren vielleicht geneigt, eine Zeitlang zu „warten“, erkannten aber, dass anhaltende Untätigkeit ihr geistiges Leben beeinträchtigte.

Das war die persönliche Erfahrung von Geschwistern in allen Gruppen. Es gab zwar bei einigen Richtungen lebhafte Tätigkeit, aber die Wahrheit wurde verändert und viele, welche sie liebten, sahen sie beiseite gesetzt und waren zur Mitarbeit nicht imstande. Einzelnen Personen in anderen Gruppen wurde durch den Heiligen Geist in ihren Herzen zum Bewusstsein gebracht, dass etwas getan werden sollte, was nicht getan wurde. Es war keine verabredete und angeordnete Forderung, sondern das unvermittelte Wiederaufleben jenes Geistes der Liebe in einzelnen Herzen, welcher die Wahrheits-Bewegung zu Lebzeiten Bruder Russells auszeichnete.

Um diese Zeit begannen Geschwister die ursprüngliche Organisation in größerer Anzahl als zuvor zu verlassen. In Pittsburgh / Pennsylvania, trennte sich eine genügend große Anzahl, um eine Versammlung zu bilden. Bald darauf (im Oktober 1929) plante diese Versammlung eine Hauptversammlung und es ist von Interesse, dass diese Hauptversammlung im alten Bibelhaus-Saal abgehalten wurde, wo Bruder Russell so lange den Dienst für die Wahrheit ausgeübt hatte.

Im darauffolgenden Oktober wurde eine weitere Hauptversammlung an demselben Ort abgehalten. Bei dieser zweiten Hauptversammlung begann das Verlangen der Geschwister nach dem Dienst für die Wahrheit sich fühlbar zu machen. Es wurde ein Geschäftstreffen einberufen, sehr gegen den Wunsch einer Minderheit, welche - es ist traurig, dies zu berichten - die Geschwister weiter „zum Warten“ aufforderte und vergaß, dass der Heilige Geist vor neunzehn Jahrhunderten gegeben worden war! Auf dieser Versammlung wurde ein Komitee ernannt, um die Möglichkeiten zu untersuchen, wie den Geschwistern geholfen werden könnte, ein ausgedehnteres Zeugnis für die Wahrheit zu geben und einander im Allerheiligsten Glauben aufzuerbauen.

Im darauffolgenden Winter äußerten Geschwister im Gebiet von New York ihr Verlangen, loszuziehen und anderen die Wahrheit zu verkünden. Das wurde von der Versammlung Brooklyn getan, die sich im Jahre 1918 gebildet hatte und in all den folgenden Jahren der Wahrheit treu ergeben geblieben war. In der Erkenntnis, dass der Rundfunk, ein seit Bruder Russells Tod aufgekommenes Mittel zur Verbreitung von Wissen, hierfür gut geeignet sei, wurde ein aus den dreizehn Ältesten der Versammlung bestehendes Rundfunk-Komitee gebildet, es wurden Programme vorbereitet und über eine der stärksten Rundfunkstationen von New York gesendet.

Die Wirkung auf die Freunde war elektrisierend. Abseitsstehende Geschwister hörten die Programme und waren erfreut. Viele derselben begannen mitzuarbeiten. Infolge des Widerstandes einiger gegen dieses Bemühen und durch die Überwaltung des Herrn, so glauben wir, wurde die Aufmerksamkeit von Geschwistern im ganzen Land auf die Angelegenheit gelenkt, ebenso in Großbritannien und Australien. Jene, die noch an der Wahrheit festhielten, freuten sich.

Das Rundfunkwerk erwies sich in jener Zeit (1932) als zu kostspielig, um weiter beibehalten zu werden. Trotzdem wurden ein paar Programme zusätzlich zu den Sendungen von New York über eine beschränkte Anzahl von Stationen in anderen Teilen des Landes gesendet. Offensichtlich sollte dies nach des Herrn Vorsehung hauptsächlich als ein Signal für die Geschwister dienen, dass die Zeit gekommen war, mit dem "Warten" aufzuhören, und dass es für willige Hände etwas zu tun gab.

Dieses Rundfunkwerk erforderte die Herausgabe geeigneter Literatur, um dem entstandenen Interesse nachzukommen. Und wenn auch das Rundfunkwerk damals nicht fortgesetzt wurde, so konnte doch kein Zweifel bestehen über das Verlangen von Geschwistern im ganzen Land, die Herausgabe von Literatur beizubehalten. Dies geschah. Das wöchentliche „Rundfunk-Echo“, das für den Folgedienst nach den Sendungen bestimmt war, wurde zu einer Monatsschrift ausgestaltet. Es wurde The Dawn [Der Tagesanbruch] genannt in Übereinstimmung mit der ursprünglichen Millennial Dawn Literatur, wegen der tiefen Überzeugung am Anbruch des Millenniums zu leben. The Dawn wollte keine Führungsstellung über die Geschwister, sondern suchte nur Beistand zu leisten, wann und wo Geschwister und Versammlungen darum baten. Er legt Gewicht darauf, dass Gottes Stimme in der Kirche durch die örtlichen Versammlungen gehört wird.

Im Verlauf der Jahre, und wie der Herr den Weg wies, wurden Stiftshütte, Tägliches Himmlisches Manna, Zionslieder und die Schriftstudien wieder herausgegeben. Broschüren und Traktate wurden herausgebracht und weit verbreitet. Es entstand neues Interesse für die Wahrheit, und unter dem Volk des Herrn gab es ein allgemeines Erwachen, weil die Herzen empfänglich waren für das Thema, welches so lange Zeit fast in Vergessenheit geraten war. Sie hatten wieder Freude an dem Konzept der Wahrheit, ausgedrückt im Gebot des Meisters: "Gehet hin, verkündet.“

Die gegenseitige Liebe der Geschwister wuchs und mit ihr immer mehr das Verlangen nach Zusammenkünften. Örtliche und allgemeine Hauptversammlungen wurden zur Tagesordnung. Häufig wurden in einer einzigen Dawn-Ausgabe derartige Tagungen angekündigt. Diese Zusammenkünfte der Freunde haben sie weiter zu der früheren Begeisterung für die Wahrheit und ihren Dienst angeregt. „Es ist genau so, wie es zu Bruder Russells Zeiten war“; diese Äußerung wurde von Tausenden der Geschwister immer wieder getan, wenn sie sich bei diesen verschiedenen Hauptversammlungen trafen. Und sie hatten Recht!

Im Jahre 1940 wurde auf Drängen einer Anzahl von Geschwistern beschlossen, das Rundfunkwerk erneut zu versuchen. Diejenigen, welche die Angelegenheit in der Hand hatten, bezweifelten offen die Leistungsfähigkeit der Freunde, eine derartige Aufgabe durchzuführen. Aber es wurde begonnen, und zur Freude und Überraschung aller Geschwister wurden innerhalb einiger Monate tatsächlich die gesamten Vereinigten Staaten und Kanada wöchentlich mit der Königreichs-Botschaft der Wahrheit erreicht. Das wurde unvermindert bis jetzt beibehalten. Inzwischen haben Geschwister in Australien das Rundfunkwerk ebenfalls aufgenommen. In den 1950er Jahren gab es dies auch in Neufundland, Großbritannien, Europa und Asien.

Ergebnisse

Es ist nicht zu erwarten, dass alle - selbst vom Volk des Herrn - an derselben Sache die gleiche Freude haben. Einige haben immer noch Bedenken und fragen, was mit einem solchen ausgedehnten Zeugnis für die Wahrheit erreicht wird. Aber auch diejenigen von uns, die sich über das allgemeine Wiederaufleben der Tätigkeit im Verkündigen der Botschaft freuen, haben, ein Interesse daran, die Ergebnisse unserer Bemühungen zu erfahren. Natürlich sollten für das Tun dessen, was der Herr von uns fordert, Ergebnisse nicht ausschlaggebend sein. Es wäre für die Frauen am Grabe durchaus unpassend gewesen, wenn sie Jesu geantwortet hätten, dass auch dann, wenn sie den Jüngern von seiner Auferstehung erzählen würden, Thomas nicht glauben würde. Die Anweisungen lauteten: „Gehet hin, verkündet.“

So ist es heutzutage auch bei uns. Dennoch ist die Erkenntnis ermutigend, dass Erfolge zu verzeichnen sind. Einer der größten Erfolge zeigte sich vielleicht bei den Geschwistern selbst. Das Rundfunk- und sonstige Zeugniswerk erreicht viele der Geweihten, die lange von ihren Geschwistern getrennt gewesen sind. Sie hören oder lesen die Botschaft, erkennen sie als die „alte“ Wahrheit, die sie so lange geliebt und fast verloren haben und ihre Herzen jubeln. Durch die Behandlung der großen Grundlehren des göttlichen Planes für diejenigen, welche nicht in der Wahrheit sind, erfahren die Geschwister den wirklichen Wert und die Schönheit der Wahrheit aufs Neue. Dies trägt dazu bei, den Geist der Einheit unter ihnen zu fördern - nicht einer Einheit in unwesentlichen Dingen oder um menschliche Führung, sondern einer Einheit des Geistes der Wahrheit.

Und auch neues Interesse ist vorhanden! Es kommen nicht Tausende in die Wahrheit, aber einige sind es. Und eine größere Anzahl erfreut sich einer teilweisen Erkenntnis derselben, während Millionen ein Zeugnis erhalten. Schon dieser Gedanke macht den Geschwistern insgesamt Freude. Sie empfinden, dass ihnen die Wahrheit wieder viel mehr ist als nur eine bessere Religion gegen diejenige ihrer Mitmenschen. Sie empfinden, dass sie an einem Werk teilhaben, welches der Herr billigt, weil es dasselbe Werk ist, das er in seinem Wort beschreibt, und das von Pastor Russell so treu hinausgeführt wurde.

Der Beweggrund

Es ist dienlich, hier nach dem Beweggrund zu fragen, welcher innerhalb weniger Jahre die eben beschriebene gemeinsame Tätigkeit zustande brachte. Entstand The Dawn [Der Tagesanbruch] als ein Mittel zur Verbreitung neuen Lichts? Wurden die Freunde zur Tätigkeit angetrieben, weil durch The Dawn [den Tagesanbruch] etwas entdeckt worden war und proklamiert wurde? Nein!

Des Herrn geweihtes Volk in der ganzen Welt ist in seiner Gesamtheit durchaus zufrieden mit der Wahrheit, wie sie ihm durch den Dienst Bruder Russells gebracht worden ist. Die Brüder, die unmittelbar für das verantwortlich sind, was im Dawn [Tagesanbruch] erscheint, sind mit dieser Wahrheit durchaus zufrieden. Sie haben keine neuen Lehrmeinungen und keine neue christliche Lebensart zu verkünden. Sie sehen keine Notwendigkeit für Belehrungen hinsichtlich der Lehre oder Weihung, die im Gegensatz stehen zu denjenigen, welche wir in den Schriftstudien haben.

Nein, das Wiederaufleben der Tätigkeit war nicht auf das Verkündigen eines neuen göttlichen Planes zurückzuführen. Ganz bestimmt wurde es nicht durch Furcht vor dem zweiten Tod veranlasst; auch war es nicht im entferntesten Sinne ein Scharen um einen oder einige neugefundene Führer. Es war vielmehr ebenso das Ergebnis der Wirksamkeit des Geistes Gottes in den Herzen seines gesamten Volkes, wie es der Geist Gottes im Herzen Bruder Russells war, der ihn trieb, sein Unternehmen zu verkaufen und sich der Verbreitung der herrlichen Botschaft der Wahrheit zu widmen. Und es ist derselbe Geist, welcher das „Wahrheits-Volk“ in all den glückseligen Jahren anspornte, da Bruder Russell bei uns war.

Das Werk - Was ist es?

Welche Phase des Werkes Gottes wird jetzt getan? Offenbar scheint diese Frage für viele Geschwister aus dem Grunde von so großer Bedeutung zu sein, weil angenommen worden ist, dass das „Erntewerk“ im Jahre 1914 oder 1918 beendet worden sei. Wenn das Erntewerk in einem dieser Jahre endete, dann muss logischerweise die jetzige Verbreitung der Wahrheit ein anderes Werk darstellen.

Nach den klaren Lehren der Schrift werden während des Evangelium-Zeitalters durch die Verkündigung der Wahrheit drei Hauptzwecke erfüllt: Das Säen des Samens, die Ernte und ein allgemeines Zeugnis für die Welt. Das allgemeine Zeugniswerk enthält die Aufforderung zur Buße. Hierüber sagt Apostel Paulus: „Gott … gebietet jetzt den Menschen, dass sie allenthalben Buße tun sollen.“ (Apg. 17:30) Diese Aufforderung ist durch die Kirche ergangen und ergeht weiter. In Verbindung mit dem Säen und Ernten findet die Auferbauung und Pflege derer statt, welche zum Herrn kommen. Der ganze Auftrag an die Kirche ist in Jesaja 61:1-3 aufgezeichnet; dort wird gezeigt, dass er einen Dienst umfasst, der dazu bestimmt ist, Christen zu erreichen und zu nähren, sowie den Trauernden der Welt eine Botschaft zu bringen, und schließlich auszurufen den Tag der Rache unseres Gottes.

Das Verkünden des Tages der Rache gehört in die Rubrik des allgemeinen Zeugniswerkes und ist nur eine zeitgemäße Anwendung der Wahrheitsbotschaft auf gegenwärtige Weltverhältnisse, eine Erklärung der Bedeutung der „Zeit der Drangsal“. Gottes Volk ist nicht beauftragt, ein Racheurteil über die Welt zu fällen. Wir sollen die Menschen nicht schlagen. Sie werden durch die Zeit, der großen Drangsal geschlagen, und deswegen trauern sie. Unser Vorrecht ist es, die Ursachen ihres Trauerns zu erklären und sie dadurch zu trösten.

Kein neues Werk

Es scheint keine Notwendigkeit für die Annahme vorzuliegen, dass Gott jetzt ein Werk anderer Art tun müsste. Das allgemeine Zeugniswerk ist wahrlich immer noch angebracht. „Dieses Evangelium des Reiches wird gepredigt werden auf dem ganzen Erdkreis, allen Nationen zu einem Zeugnis, und dann wird das Ende kommen.“ (Matth. 24:14) Das Ende ist noch nicht völlig gekommen, warum also sollten wir nicht weiter predigen? Was das Ergebnis dieses Zeugnisses sein wird, das liegt in der Hand des Herrn. Unsere Verantwortung ist es, die Botschaft rein zu erhalten und sie weit und breit zu verkünden, wie Gelegenheit und Fähigkeit es gestatten.

Solange immer noch einige die Wahrheit annehmen und sich dem Herrn weihen, bedeutet dies, dass das Erntewerk noch nicht abgeschlossen ist. Wir können es, wenn wir wollen, eine Nachlese nennen, aber es ist dennoch ein Erntewerk. Es ist zu erwarten, dass im Verlauf der Jahre die Zahl derer abnehmen wird, welche tatsächlich die Wahrheit annehmen, danach handeln und den schmalen Pfad beschreiten. Gleichzeitig ist folgerichtig anzunehmen, dass während der Schlussjahre dieses Zeitalters einige neue Weihungen stattfinden und vom Herrn angenommen werden. Warum?

Wir alle wissen, dass das Volk des Herrn aus Anlass des Todes Bruder Russells eine Zeit harter Prüfung durchgemacht hat. Prüfungen und Erprobungen bedeuten, dass einige versagen. Dies bedeutet, dass diejenigen, welche ausgefallen sind und ihre Kronen verloren haben, von anderen ersetzt werden. Ist es überraschend, dass nach so vielen Jahren derartiger Erprobung einige in die Wahrheit kommen, um die Plätze der Treulosen einzunehmen? Wir glauben, es wäre eine Überraschung, wenn das nicht der FaIl wäre. Wenn heutzutage niemand in die Wahrheit käme, dann hätten wir sehr guten Grund zu der Frage, ob unser Verständnis von den Ereignissen am Ende des Zeitalters nicht falsch sein könnte. Was wir in dieser Hinsicht tatsächlich geschehen sehen, ist daher ein bestätigender Beweis für die Wahrheit bezüglich der Ernte.

Was also ist der gegenwärtige Auftrag für die Kirche? Er lautet: Die Wahrheit zu verkündigen, unser Licht leuchten zu lassen. Die Kirche ist noch immer das Licht der Welt - das einzige Licht, welches die Welt hat! Es kommt uns nicht zu, unser Licht unter einem Scheffel zu verbergen, bloß weil wir nicht genau wissen können, was sich daraus ergeben wird, wenn wir es leuchten lassen. „Gott aber hat das Wachstum gegeben", und in Übereinstimmung mit diesem Gedanken können wir sagen, dass Gott es ist, der entscheidet, welcher Art dieses Wachstum sein wird. (1 Kor. 3:6) An uns ist es, treu den Auftrag zu erfüllen, welchen er uns gegeben hat, uns dem heiligen Drange des Geistes hinzugeben, der uns gebietet; „Gehet hin … und lehret alle Nationen“. (Matth. 28:19) Lasst uns nicht den Geist „betrüben“ durch Unterdrückung des Verlangens, unser Licht leuchten zu lassen.

Einer der entmutigenden Gedanken, die mitunter den Geschwistern eingeimpft werden, ist es, dass ein Zeugniswerk, welches der Herr jetzt billigt, von der „großen Schar“ verrichtet wird, wenn wir also an einem solchen Werke teilnehmen, dann sei dies ein Beweis, dass wir zur großen Schar gehören. Wie grundfalsch das ist! In seinem großen Vorhaben bezweckte Gott unter anderem, dass er die Kirche mit dem Zeugniswerk beauftragte, den Gliedern derselben eine Gelegenheit zu geben, ihre Ergebenheit für ihn angesichts von Prüfungen und Widerspruch zu beweisen. Diesen das Werk wegzunehmen, während sie es noch benötigen, und bevor sie ihre Treue bis zum Tod bewiesen haben, würde dem ganzen Plan Gottes mit Bezug auf sein Volk widersprechen.

Es ist eine Ehre, für die Wahrheit Zeugnis zu geben, in einer gottlosen Welt Gesandte für Christum zu sein, und Gott hat diese Ehre nicht der Kleinen Herde weggenommen und sie nicht der Großen Schar gegeben. Gott zeichnet die Mindergetreuen nicht derart aus, dessen können wir sicher sein. Wenn jemals die Zeit kommt, da die Große Schar gebraucht wird, um ein Zeugnis für die Wahrheit zu geben, dann wird es sein, nachdem die Kirche jenseits des Vorhanges ist.

Die Wahrheit

Wir sind jetzt viele Jahre über das Jahr 1914 hinaus. Der zweite Weltkrieg ist vorbei und die Welt wundert sich, ob es einen Dritten Weltkrieg geben wird. Die große "Zeit der Drangsal" hat ihren Höhepunkt noch nicht erreicht, und die lebengebenden Segnungen des Königreiches sind noch zukünftig. Wie wirken sich diese Tatsachen auf unser Verständnis der Wahrheit aus? Endeten die Zeiten der Nationen im Jahre 1914? Ist Christus gegenwärtig? Befinden wir uns tatsächlich am Ende des Zeitalters? Wird diese Generation Augenzeuge der vollständigen Aufrichtung des Königreiches sein, wie wir zu glauben gelehrt worden sind?

„Hingezogene Hoffnung macht das Herz krank“, schrieb Salomo (Spr. 13:12). Und der scheinbare Verzug des „Gesichts“ der Wahrheit hat bei einigen Geschwistern eine verhältnismäßige Unsicherheit ausgelöst, hinsichtlich der Tätigkeit im Dienst Gottes. Der in diesem Zusammenhang gegebene Rat des Propheten scheint diese Frage zu beantworten. Er schrieb: „Wenn das Gesicht verzieht, so harre sein; es wird nicht ausbleiben.“ (Hab. 2:3) Das Gesicht der Wahrheit verzog nicht tatsächlich. Es schien zu verziehen, weil wir verfehlten, uns die Länge der Zeit vorzustellen, die von den Ereignissen zu überbrücken war, welche das Ende sowohl des Evangelium-Zeitalters, als auch der gegenwärtigen bösen Welt herbeiführen sollten.

Wie Bruder Russell die Prophezeiungen verstand und erklärte, sollte die Zeit der Drangsal in „Krämpfen“ kommen - gleichwie Geburtswehen. Er deutete an, dass es vor dem vollständigen Sturz dieser gegenwärtigen bösen Welt und der Aufrichtung des Königreiches drei Hauptwehen der Drangsal geben würde. Der erste Weltkrieg, welcher am Ende der Zeiten der Nationen begann, war die erste Hauptwehe der „Zeit der Drangsal“. Er war die Einleitung zu einer Zeit der Bedrängnis und der Erschütterung der Nationen, gefolgt von der zweiten militärischen Drangsalswehe, einer Art „revolutionärem Krieg“. Praktisch jede Regierung auf Erden hat sich verändert im Vergleich zu 1914. In Europa - das vornehmlich der geographische Schauplatz der Prophezeiungen ist - sind beinahe alle Regierungen aus der Zeit vor dem Jahr 1914 jetzt ganz von der Bildfläche verschwunden. Das Dasein der wenigen übriggebliebenen unbedeutenderen hängt nur an einem Faden.

Wie wir alle wissen, schloss die zweite militärische Drangsalswehe mit der Geburt der Atom-Energie, deren Anwendung in Vernichtungswerkzeugen von so verehrender Wirkung ist, dass man jetzt als Folge des nächsten Krieges die gänzliche Ausrottung des Menschengeschlechtes befürchtet. Dies erinnert zwangsläufig an Jesu Worte: „Wenn jene Tage nicht verkürzt würden, so würde kein Fleisch gerettet werden.“ Wie wir gesagt haben, weichen einige Einzelheiten dieser Zeit der Drangsal von unseren Erwartungen ab, und die erforderliche Zeit ist länger, als einst angenommen wurde. Aber das Endergebnis vollzieht sich genauso, wie die Prophezeiungen es schildern, und wie Bruder Russell es erklärte. Auch die „Drangsal Jakobs“ über die Juden kommt ganz gewiss, und die ihr vorausgehenden Verhältnisse gestalten sich.

All das bedeutet, dass die Zeiten der Nationen im Jahre 1914 endeten. Die Zeit der Könige, denen jenes Machtlehen übertragen war, ist abgelaufen. Die meisten derselben sind jetzt von der Bildfläche verschwunden, und andere Regierungsformen sind an deren Stelle getreten, während der Erschütterungsprozess anhält.

Ja, Bruder Russell brachte uns unfehlbar zum Jahre 1914. Die Chronologie, wie er sie sah, ging nur wenig über jenes Datum hinaus. Im Jahre 1914 und danach wurde erfüllt, was unser Herr zu seinen Jüngern bezüglich der Zeichen seiner zweiten Gegenwart sagte: „Wenn ihr dies geschehen SEHET, hebet eure Häupter empor, weil eure Erlösung naht." Bruder Russell brachte uns zum Tag des „Sehens“ dieser Dinge, welche ein Beweis für die zweite Gegenwart sind. Seine Aufgabe war erfüllt.

Wie bereits erwähnt, ist diese Entwicklung in den Einzelheiten nicht in allen Fällen so verlaufen, wie viele annahmen. Aber die Grundbedeutung der Prophezeiungen ist nicht misszuverstehen. Die Schrift erklärt ausdrücklich, dass die Vernichtung der alten Welt in Wehen kommen sollte, deren letzte die „Drangsal Jacobs“ sein wird. Die Prophezeiungen zeigen, dass diese letzte Drangsals-Wehe mit der Offenbarung der Autorität und Macht des Königreiches enden wird. Wir sehen, dass die Dinge sich in dieser Weise gestalten, und haben es seit dem Jahr 1914 gesehen. Es besteht also keine Veranlassung, die Echtheit der gegenwärtigen Wahrheit zu bezweifeln, keine Notwendigkeit für eine neue Chronologie oder eine neue Auslegung der Zeitprophezeiungen. Unser König schreitet vorwärts, lasst uns über diese herrliche Tatsache uns freuen!

Die Tatsache der zweiten Gegenwart Christi ist heute klarer erkennbar als zu irgendeiner Zeit seit dem Jahr 1874. Das „prophetische Wort“ offenbart es durch vergangene und nun vor sich gehende Weltereignisse und dadurch, wie göttliche Vorsehung die Angelegenheiten der Kirche überwaltet. Durch all die umwälzenden Erfahrungen zweier Weltkriege haben sich die Hoffnungen und Pläne des Namenkirchentums ebenso wie die Lehren ihrer Glaubensbekenntnisse als völlig wirkungslos erwiesen. Die Führer des Kirchentums haben keine Antwort für diejenigen, welche fragen, was das alles zu bedeuten hat. Mittlerweile haben gerade diese Erfahrungen die Echtheit der Wahrheit bewiesen, und heutzutage gibt diese Wahrheit die einzige Erklärung, die enttäuschte und trauernde Herzen tatsächlich zufriedenstellen kann.

Mehr denn je ist heute die Wahrheit das Einzige, das die Probe dieser chaotischen und Drangsals reichen Jahre bestanden hat, welche die Welt zum Zusammenbruch geführt haben. Mehr denn je bietet das Königreich Christi die einzige Lösung für die Leiden der Welt. Mehr denn je ist es angebracht, dass wir der ganzen Welt diese segensreiche Botschaft bringen. Mehr denn je werden jene, welche die Wahrheit lieben und in derselben wirklich glücklich sind, sie nicht für sich behalten können. Mehr denn je macht es Freude, die Frohe Botschaft zu verkündigen. Mehr denn je müssen wir im Dienst der Wahrheit tätig sein, um sie in unserem eigenen Herzen lebendig und strahlend zu erhalten.

Ein ausgeglichenes Programm

Bei unserem Versuch, die Bedeutung der Vorgänge unter den Bibelforschern seit dem Tod Bruder Russells zu analysieren, haben wir gezeigt, dass Freude und Einigkeit verloren gingen, weil versäumt wurde, daran zu denken, dass uns die Wahrheit die Verantwortung auferlegt, getreue Gesandte für Christum zu sein. Wir taten dies nicht mit dem Gedanken, zur Nichtbeachtung anderer Phasen des christlichen Lebens zu veranlassen. Bei weitem nicht! Wie wir die Sache sehen, ist der Dienst für die Wahrheit weitgehend vernachlässigt worden und aus diesem Grund haben wir die Aufmerksamkeit hierauf konzentriert.

Der Dienst für die Wahrheit ist von zwei Standpunkten aus vernachlässigt worden. In einigen Kreisen ist zwar viel Dienst getan worden, aber es war kein Dienst für die unverfälschte Wahrheit, sondern ein Dienst für Irrtum. Bei einigen Geschwistern gab es bis vor einigen Jahren wenig oder keine Tätigkeit in der Verkündigung der Wahrheit, wenn sie im Allgemeinen auch an derselben festhielten. In beiden Fällen war für das Volk des Herrn geistiger Schaden die Folge.

Man bemühte sich gemeinschaftlich und persönlich, auf Frömmigkeit und Charakterentwicklung Nachdruck zu legen. Wir freuen uns hierüber, und es wäre in der Tat traurig, wenn diese im christlichen Leben vernachlässigt würden. Aber in unserem Bericht über die Ereignisse haben wir uns bemüht, die Aufmerksamkeit besonders auf das zu lenken, was übersehen worden ist, und freuen uns natürlich über das, was weitergeführt wurde. Wer das gesunde geistige Wachstum des Volkes des Herrn in den Jahren, da Bruder Russell bei uns war, anerkennt, dem sollte es einleuchten, dass ein Zurückkehren zu demselben ausgeglichenen Programm einen ebensolchen gesunden und freudigen Zustand unter uns zur Folge haben wird.

Welcher Art war nun jenes Programm? Wir glauben, das beste Beispiel hierfür liefert die ausgeglichene geistige Nahrung, die uns in den Schriftstudien dargeboten wird. In diesen von Gott gegebenen Schlüsseln zur Bibel werden uns die Lehren des göttlichen Planes dargelegt und erklärt. Irrtum wird zerstört. Prophezeiungen, einschließlich der Zeitprophezeiungen, werden untersucht und erklärt. Wir werden zu einem gottergebenen Christenleben ermutigt, und das Werk des Heiligen Geistes in unseren Herzen wird uns verständlich gemacht. Zu alledem ermahnen uns die Schriftstudien immer wieder, im Dienst für die Wahrheit eifrig zu sein, insbesondere dann, wenn wir in die „Zeit der Drangsal“ eintreten.

Ein ausgeglichenes Programm besteht demnach für einen Christen nicht allein im Studium der Grundlehren des göttlichen Planes; es besteht nicht ausschließlich in Andacht und Gebet; nicht nur in Werken; nicht nur im Studium der Prophezeiungen. Das alles zusammen ist es, in harmonischem Zusammenwirken unter dem Einfluss des heiligen Geistes der Liebe, wodurch ein Christ sich seinen klaren Blick für die Wahrheit bewahrt und dicht beim Herrn gehalten wird.

Ist es nicht wichtig, da wir dem Königreich immer näher kommen, diesen Weg des Herrn zu suchen, diese grünen Auen göttlichen Segens, an welchem so viele von uns sich einst erfreuten und so viele sich immer noch erfreuen? Paulus schrieb an die Hebräer: „Gedenket aber der vorigen Tage.“ (Hebr. 10:32) Ist es nicht angebracht, dies jetzt zu tun? Und nicht nur dieser glücklichen Tage in der Wahrheit und ihrem Dienst, als Bruder Russell noch bei uns war, zu gedenken, sondern uns dasselbe Programm zu eigen zu machen, welches uns damals glücklich machte? Es ist sicher, dass die reichen Freuden jener Tage allen bevorstehen, welche sich den Dingen wieder zuwenden, die damals jene Freuden hervorriefen!

Ja, Tausende von Geschwistern genießen heutzutage dieselbe Fülle christlicher Erfahrung in der Wahrheit wie in den „guten alten Tagen“, nicht weil sie neue Wahrheit gefunden haben, sondern weil sie an der reinen Wahrheit festhalten, welche sie gelernt haben, und von der sie überzeugt sind. Ihre Freude rührt nicht daher, dass sie einen neuen christlichen Lebensweg gefunden haben, sondern dass sie das christliche Leben führen, wie es von Jesu, den Aposteln und Bruder Russell gelehrt worden ist. Warum sollten wir nicht alle dieselbe Freude genießen?

Der Geist der Einheit

Man hat die Geschichte von einem Geistlichen erzählt, der Bruder Russell besuchte, um ihn über seine Lehren und über die Ausführung seines Werkes zu befragen. Als ihm gesagt wurde, dass Bibelforscher keine Mitgliederlisten und keine künstlichen Anordnungen haben, um sie aneinander zu binden, fragte der Geistliche: „Wie halten Sie dann Ihre Leute zusammen?" Bruder Russells weise Antwort war: „Bruder, es macht uns keine Mühe, die Geschwister zusammenzuhalten, sondern sie auseinander zu kriegen“, womit er natürlich den gewohnheitsmäßigen Brauch der Freunde meinte, nach den Versammlungen noch lange zum Zwecke der Geselligkeit zu verweilen.

Die Freiheit des Christen ist ein unschätzbares Besitztum und sollte von allen Geweihten gehütet werden. Aber es bedeutet nicht, dass wir berechtigt sind, das zu tun, was uns gefällt, die Geschwister zu verlassen, wenn sie nicht mit uns übereinstimmen, und zu versuchen, Jünger hinter uns her abzuziehen. Seit Bruder Russells Tod haben augenscheinlich einige diese falsche Auffassung von der Freiheit eines Christen sich zu Eigen gemacht und damit ihre Versuche gerechtfertigt, eigene kleine Gruppen zu bilden. Überall, wo dies geschah, ist es für die Geschwister eine Prüfung gewesen, obgleich die Zahl derjenigen, welche unwissentlich verleitet wurden, solcher Führerschaft zweitweise zu folgen, klein gewesen ist.

In Band VI, Studie 5 der Schriftstudien äußert Bruder Russell den Gedanken, dass es seiner Meinung nach nicht genug Sekten in der Namenkirche gäbe und dass Babylon sich weiter zerteilen sollte, bis jedes einzelne Kirchenglied allein stände, allein mit Christo verbunden. Er sagt, dass es dann wahre Einheit unter ihnen geben würde. Dies ist von einigen als eine Berechtigung aufgegriffen worden, Spaltungen unter den Geschwistern zu befürworten.

Diese falsche Lehrmeinung lautet, dass jetzt die Zeit der Trennung ist, nicht des Sammelns. Das Sammeln geschah zu Bruder Russells Zeit, so wendet man ein, aber jetzt sollten wir auseinander gehen und Individualisten werden, solche, die nur an sich denken. Diese Irrlehre hat sich in den Köpfen einiger so weit durchgesetzt, dass man, wenn eine Versammlung als Ergebnis öffentlicher Verkündigung der Wahrheit an Zahl zunimmt, oder wenn einst getrennte Freunde sich wieder versammeln, so wie es ein sollte, eine solche Versammlung beschuldigt, ein Teil Babylons zu sein.

Jene, welche die Wahrheit im rechten Geist empfingen, haben sich bereits losgesagt von jeder menschlichen Führerschaft und Leitung. Sie haben bereits alle Sektenbande zerrissen. Sie haben bereits ihre Verpflichtung gegenüber aller irdischen Autorität gelöst und sind mit dem Herrn allein verbunden. Dieser glückselige und gesegnete Zustand der Freiheit in Christo war es, zu welchem Bruder Russell alle Geweihten in den Kirchen aufrief.

Aber wir sollten seinen weiteren Hinweis nicht übersehen, dass nämlich jene, die so frei geworden sind, in echter Einheit des Geistes in Christo verbunden sein werden. In der Tat, jene, welche in Christo ganz frei sind, werden in gesegneter Gemeinschaft und Zusammenarbeit beisammen sein. Wenn Christus wahrhaftig unser Haupt ist, bedeutet es, dass wir Glieder seines Leibes sind; und wenn wir Glieder seines Leibes sind, dann werden wir nicht wünschen, uns von jenem Leibe abzusondern. Wir werden den Wunsch haben, bei unseren Mit-Gliedern zu sein, um an ihren Freuden und Leiden, an ihrem Vorrecht, Gesandte zu sein, und an den Verfolgungen teilzunehmen, welche wegen ihrer Treue im Verkündigen der Wahrheit auf sie kommen mögen.

Die Heilige Schrift befürwortet es nicht, dass das Volk des Herrn Spaltungen betreibt. Jesus betete um Einigkeit, nicht um Trennung, und Paulus sagte: „Habt acht auf die, welche Zwiespalt anrichten." Es sind jene, welche nicht mit Christo sind, die „zerstreuen". Diejenigen, welche ein Werk tun, welches der Herr billigen kann, sind Sammelnde und zerstreuen nicht. Es ist noch immer Erntezeit, und das Erntewerk ist ein Werk des Einsammelns – „Versammelt mir meine Frommen, die meinen Bund geschlossen haben beim Opfer“. – Ps. 50:5

Die Grundlage der Einheit

Alle, die zum Herrn versammelt werden, werden auch zueinander versammelt in einer köstlichen und heiligen Gemeinschaft in der Wahrheit und ihrem Geist. Darauf hinzuwirken, sollte die Aufgabe eines jeden geweihten Kindes Gottes sein. Aber, um nur mit dem Herrn verbunden zu sein, dazu ist erforderlich, seinen Willen anzuerkennen und demselben zu gehorchen. Das mag eine Trennung von weltlichen Freunden und selbst von Namenchristen erfordern. Es erfordert große Wertschätzung für Gottes Wahrheit und den Entschluss, sie mit allem, was wir sind und haben, zu verteidigen und zu fördern. Doch wahre christliche Einheit ist alles das wert, was sie kostet!

Bibelforscher pflegen zu sagen: „Alle an das Lösegeld Gläubigen sind willkommen!“ Daran sollte dem Buchstaben und auch dem Geist nach festgehalten werden. Aber wir sollten beachten, was diese Losung nicht sagt. Sie sagt zum Beispiel nicht, dass es allen an das Lösegeld Gläubigen freisteht, in unsere Mitte zu kommen und ihre abweichenden Meinungen anzubringen. Sie sagt nicht, dass alle an das Lösegeld Gläubigen eingeladen sind, unsere Lehrer zu werden. Neid, Verwirrung und Durcheinander würden schnell der Annahme einer derartig breiten Grundlage folgen.

Es ist sehr wahr, dass alle, die an das Blut Christi glauben und bekennen, sich völlig dem Herrn geweiht zu haben, als unsere Geschwister in Christo anerkannt werden sollten. Sie sollten in unserer Gemeinschaft willkommen sein. Einen anderen Prüfstein für die Gemeinschaft festzulegen, das ist den Lehren der Heiligen Schrift zuwider gehandelt.

Der Apostel Paulus redet die Hebräer als „heilige Brüder, Genossen der himmlischen Berufung“ an, aber er sagte ihnen auch, dass sie nicht fähig wären, Lehrer zu sein. (Heb. 3:1; 5:12) Es ist wesentlich, den Unterschied zwischen Gemeinschaft und Lehramt zu erkennen. Wenn die Kirche im allerheiligsten Glauben so auferbaut werden soll, wie es für sie notwendig ist, um an diesem bösen Tag der Prüfung zu bestehen, dann ist es wichtig, dass jene, welche als Lehrer und Redner erwählt werden, in der Wahrheit gegründet sind. Lehrfähigkeit - eine schriftgemäße Eignung für das Amt eines Ältesten - ist nicht nur die Fähigkeit der Rede, sondern sie umfasst auch ein klares Verständnis der Wahrheit, welche gelehrt werden soll. Es würde jemand nicht „lehrfähig“ in höherer Mathematik sein, wenn er die höhere Mathematik nicht verstehen würde.

Welches ist nun das Banner der Wahrheit, um das sich die Geschwister heutzutage mit Freuden wieder sammeln, und unter welchem sie im allgemeinen Dienst des Evangeliums vom Königreich harmonisch zusammen wirken können? Es ist dasselbe, welches während des Dienstes Bruder Russells existierte. Dieses Banner war das Banner gegenwärtiger Wahrheit. Es war der göttliche Plan der Zeitalter; seine Lehre von den Zeitaltern, einschließlich der Gegenwart Christi; seine Bündnisse; seine Lehren vom Lösegeld und Sündopfer und seine Forderung nach Heiligkeit des Charakters.

Wir sollten nicht erwarten, dass Anfänger in der Wahrheit, welche unsere Versammlungen besuchen, in der Erkenntnis weit genug fortgeschritten sind, um die Gegenwart Christi zu erkennen, oder den Anteil der geweihten Nachfolger Jesu an den besseren Opfern dieses Evangelium-Zeitalters zu sehen oder den Unterschied zu erkennen zwischen den Dienern des Neuen Bundes und den Empfängern der Wiederherstellungs-Segnungen unter diesem Bund. Wir sollten jedoch darauf bestehen, dass diejenigen, welche wir als Lehrer anerkennen, ein klares Verständnis dieser kostbaren Wahrheiten besitzen und überzeugte Verteidiger derselben sind.

Bedenken und Zweifel, Einwände gegen dieses und jenes sind sicherlich eine ungesunde geistige Grundlage für den Dienst der Wahrheit unter dem Volk Gottes. Es ist nicht Sektiererei, nicht Knechtschaft oder Einschränkung christlicher Freiheit, wenn eine Versammlung oder Gruppe des Volkes des Herrn darauf besteht, dass ihre Lehrer dem Maßstab der Heiligen Schrift entsprechen. Und kein Bruder, welcher danach trachtet, den Geschwistern als Lehrer zu dienen, sollte es unter seiner Würde finden, sie wissen zu lassen, welche Stellung zu diesen wichtigen Lehrpunkten er einnimmt. Lehrer sind die Diener der Geweihten, nicht deren Oberherren; und die Geschwister haben ganz gewiss ein Recht, ihre Diener in Bezug auf deren Befähigung zu prüfen.

Alle seien überzeugt

Wir legen diese Gedanken über christliche Einheit nur zu dem Zweck dar, um für unsere gegenwärtige und zukünftige Zielsetzung die Lektion zu nutzen, welche aus den seit dem Tod Bruder Russells gemachten Erfahrungen der Bibelforscher jetzt gelernt werden kann. Wenn wir einst die Wahrheit annahmen und glaubten, dass Bruder Russell „jener Knecht“ des Herrn war, der an diesem Ende des Zeitalters benutzt wurde, um die Wahrheit zu erläutern, dann sollte es offensichtlich sein, denken wir, dass an den Grundsätzen, welche den in seinen Tagen so reich gesegneten Dienst der Wahrheit leiteten, auch jetzt festgehalten werden sollte, wenn wir dieselben reichen Segnungen wünschen.

Aber ob an diesen Grundsätzen festgehalten werden soll, das ist eine Frage, die alle Einzelpersonen und Versammlungen selbst zu entscheiden haben. Tausende haben ihre Entscheidung bereits getroffen und sind reich gesegnet. Viele sind tatsächlich nie von diesen Grundsätzen abgewichen. Andere taten es und sind zu ihnen zurückgekehrt. Noch andere werden, das glauben wir zuversichtlich, nach diesen vielen Jahren beunruhigender Zweifel und ungesunder Untätigkeit sich aufs neue entscheiden, der Wahrheit den rechtmäßigen Platz in ihren Herzen zu geben, werden sich dem Wahrheits-Volk anschließen und an dem gesegneten Vorrecht teilnehmen, welches jetzt unser ist, einer beunruhigten und leidenden Welt die Wahrheit zu verkündigen.

Bist du noch immer mit halbem Herzen bei dem „Kanal“, gegen jede Hoffnung hoffend, dass er umkehren wird zu der Wahrheit, wie du sie gelernt hast, von welcher du überzeugt bist, und welche du noch immer liebst? Bist du ein Geweihter, der für sich geblieben ist, weil du andere Geschwister nicht kanntest, oder weil du befürchtetest, erneut in einer Organisation gebunden zu werden? Hast du von anderen Weiden gekostet und sie trocken und ohne nahrhafte geistige Speise gefunden? Gehörst du zu denen, welche aufrichtig glaubten, dass mehr sogenannte „Freiheit“ die Lösung der gegenwärtigen schwierigen Fragen unter den Bibelforschern sei, und hast du deshalb jene unterstützt, welche in der Wahrheit nicht gegründet sind? Gehörst du zu jenen, welche an der Wahrheit festhielten, aber aus diesem oder jenem Grund es unterließen, sie anderen zu bezeugen? Welcher Art auch deine Ansicht und Erfahrung in der Vergangenheit gewesen sein mögen, wenn du dich jetzt nicht der Wahrheit und ihres Dienstes erfreust, wie die Geschwister es zu Bruder Russells Zeiten taten, möchten wir dir anraten, dich den Geschwistern deiner örtlichen Versammlung anzuschließen, welche sich dieser Segnungen wie ehedem erfreuen, weil sie diese Wahrheit glauben und bei ihrer Verbreitung mitwirken.

Fragst du: Wer wird denn unser Führer sein? Wir antworten: Der Herr und die Wahrheit - lasst diese unsere Führer sein! Für einen gemeinschaftlichen Wahrheitsdienst ist es notwendig, dass Literatur beschafft wird, und dass die Geschwister ein Mittel haben, mit einander in Kontakt zu stehen, aber eine menschliche Führerschaft ist nicht notwendig. Eine der Lektionen, die wir in den Jahren seit Bruder Russells Tod gelernt haben sollten, ist, dass menschliche „Kanäle“ und menschliche Führerschaft die gute Gemeinschaft vernichten können und, allgemein gesprochen, eine weitreichende Verkündigung der Wahrheit hindern.

Im örtlichen und allgemeinen Dienst ist Spielraum für alle. Nach dem Maß unserer Fähigkeit und Gelegenheit lasst uns alle fleißig sein, so völlig und umfassend wie möglich zu dienen. Alle, die von wahrem Eifer und wahrer Liebe für den Herrn, die Wahrheit und die Brüder erfüllt sind, werden das Verlangen haben, gemeinsam, harmonisch und wirksam zu dienen. Sie werden kein Verlangen haben, gegen einander zu arbeiten, dadurch sich selbst und anderen Prüfungen zu bereiten und Verwirrung unter dem Volk des Herrn zu verursachen. Den völlig Geweihten wird das allgemeine Wohl der Geschwister über ihre eigenen Interessen oder Stellung gehen. Mögen wir alle danach streben, diesen wahren Standpunkt von Liebe und Dienst zu erreichen!

Möge der Geist der Wahrheit, wie er in Gottes Plan der Wiederherstellung - in seinem Vorhaben, alle Geschlechter der Erde zu segnen - sich kundtut, unsere Herzen weit machen, so dass unsere Hauptfreude ihren Ausdruck findet in einem gottähnlichen Interesse an anderen - nämlich an allen, welche durch unsere selbstaufopfernden Bemühungen, das Evangelium vom Königreich zu verkündigen, erreicht werden können. Tun wir dies, so werden wir feststellen, dass außer dem Verlust der Freude, welche Bruder Russells persönliche Beteiligung mit sich brachte, die Segnungen der Wahrheit und ihres Dienstes uns wieder gehören, wodurch Bibelforscher einst zu den glücklichsten Christen in der Welt gemacht wurden. Möchte dieses in Verbindung mit dem Hochhalten der Wahrheit, der Verherrlichung Gottes und dem Festmachen unserer Berufung und Erwählung für einen Platz mit Jesu im Königreich das große Endziel sein, nach dem wir weiter streben und im Streben unser Leben im Dienst Gottes niederlegen wollen!