Die Heilung eines Blinden nach dem Bericht von Markus

Im Evangelium nach Markus wird von einer Blindenheilung berichtet, die unser Herr in der Nähe von Bethsaida am See Genezareth bewirkte. Der kurze Bericht, den wir im 8. Kapitel aufgezeichnet finden, enthält eine Fülle tiefsinniger Wahrheit, die sich einem oberflächlichen Leser aber nicht enthüllen kann. Einem solchen muß die Handlungsweise Jesu bei der Heilung des Blinden vielmehr unverständlich und widersprüchlich erscheinen.

Wir wollen diesen Bericht darum nach Beröerart untersuchen und sehen, welch ein harmonisches Wahrheitsbild sich für uns hier entfaltet. Dazu lesen wir den Schrifttext von Markus 8:22 - 25: „Und sie kommen nach Betsaida; und sie bringen ihm einen Blinden und bitten ihn, daß er ihn anrühre. Und er faßte den Blinden bei der Hand und führte ihn aus dem Dorf hinaus; und als er in seine Augen gespien (und) ihm die Hände aufgelegt hatte, fragte er ihn: Siehst du etwas? Und er blickte auf und sagte: Ich sehe die Menschen, denn ich sehe sie wie Bäume umhergehen. Dann legte er wieder die Hände auf seine Augen, und er sah deutlich, und er war wiederhergestellt und sah alles klar.”

Wer die Wunderheilungen, und wie sie zustande kamen, mit Interesse studiert hat, wird zu der Feststellung kommen, daß es sich hier um einen ganz außergewöhnlichen Ablauf der Heilung handelt.

Ungewöhnlich ist zunächst die Tatsache, daß der Herr den Blinden nach dem ersten Handauflegen fragt, ob er etwas sehe. Erstaunt werden wir uns fragen, war sich unser Herr denn des vollen Erfolges seiner Heilung nicht sicher? Und dann die Antwort des Blinden, ist sie nicht der klare Beweis dafür, daß es sich um eine in der ersten Phase mißlungene Heilbehandlung handelt? Daß der Herr dem Blinden ein zweites Mal die Hände auflegen muß, ist dies nicht ein deutlicher Beweis dafür, daß der erste Heilversuch nicht den Erfolg einer völligen Heilung brachte? Hatte die heilende Kraft unseres Herrn diesmal nicht ausgereicht, so daß eine Nachbehandlung notwendig wurde?

Würde es sich um einen ganz normalen Heilungsversuch eines Arztes unserer Tage handeln, so könnten wir uns damit abfinden, daß der erste Heilungsversuch nur zum Teil erfolgreich war. Aber hier handelt es sich um unseren Herrn und Meister. Es ist der gleiche Herr, von dem Lukas berichtet: „Und die ganze Volksmenge suchte ihn anzurühren, denn Kraft ging von ihm aus und heilte alle.” - Lukas 6:19

Matthäus berichtet in ähnlicher Weise: „Und als die Männer jenes Ortes ihn erkannten, schickten sie in jene ganze Umgegend und brachten alle Leidenden zu ihm, und sie baten ihn, daß sie nur die Quaste seines Gewandes anrühren dürften, und alle, die ihn anrührten, wurden völlig geheilt.” - Matthäus 14:35 und 36

Das Vertrauen in Jesus und seine Fähigkeit Kranke zu heilen war so überwältigend, daß der Hauptmann von Kapernaum, der um Heilung für seinen gelähmten Knecht nachsuchte, sagen konnte: „Sprich nur ein Wort, und mein Knecht wird gesund werden.” - Matthäus 8:8

Übereinstimmend berichten die Evangelisten von völligen Heilungen, die nach einmaligem Handauflegen erfolgten, und so ist die einzige logische Schlußfolgerung die, daß eine bestimmte Absicht in der Handlungsweise unseres Herrn lag, die Heilung des Blinden in zwei Phasen auszuführen. Wenn diese Vermutung zutreffend ist, so entsteht nun die Frage: Wem sollte diese ungewöhnliche Handlungsweise etwas sagen, und was beabsichtigte der Herr mitzuteilen?

Wie wir aus einzelnen Schriftaussagen entnehmen können, bedeutet Blindheit in einem übertragenen Sinn einen Mangel an geistigem Sehvermögen - einen Mangel an Erkenntnis. Unglaube ist eine Art von geistiger Blindheit.

Israels Blindheit

Im Alten Testament wird dem Volk Israel immer wieder eine solche geistige Blindheit vorgeworfen. „Wer ist blind, als nur mein Knecht”, stellt der Prophet Jesaja fest. - Jesaja 42:19 Unser Herr Jesus bezeichnete die Pharisäer und Schriftgelehrten als „blinde Leiter”. Obwohl es ihre Aufgabe war, rechte Gotteserkenntnis zu lehren, fehlte ihnen selbst die Erkenntnis des göttlichen Vorhabens in Bezug auf ihren Messias. In dieser Hinsicht waren sie blind.

Im Bericht über die Heilung eines Blindgeborenen, in Johannes, Kapitel 9, macht unser Herr die kennzeichnende Feststellung: „Zum Gericht bin ich in diese Welt gekommen, damit die Nichtsehenden sehen und die Sehenden blind werden.” - Johannes 9:39

Jesaja spricht von unserem Herrn als dem „Licht der Nationen”: „Ich, der HERR, habe dich in Gerechtigkeit gerufen und ergreife dich bei der Hand. Und ich behüte dich und mache dich zum Bund des Volkes, zum Licht der Nationen, blinde Augen aufzutun … .” - Jesaja 42:6 und 7

Wir entnehmen aus diesen Worten, daß nicht nur das Volk Israel blind ist, sondern auch die Nationen, die heidnischen Völker, blind sind. Nur besteht ein feiner Unterschied darin, daß Israel seinerzeit blind wurde, während die Nationen als Blindgeborene anzusehen sind, als solche, die Gott fern sind und zu keiner Zeit von Ihm beachtet wurden.

Wenn wir nun einen Blick in die Zukunft tun, in die Zeit der Wiederherstellung aller Dinge, so können wir anhand der Schrift feststellen, daß unter dem Neuen Bund mit Israel auch die geistige Blindheit von allen Menschen genommen werden soll. Der Prophet Joel spricht davon, daß zur bestimmten Zeit innerhalb der tausendjährigen Wiederherstellung des Menschen, der Geist Gottes, der Heilige Geist, auf alle Menschen ausgegossen werden soll, um alle Menschen von ihrer Blindheit gegenüber Gott und Seinen gerechten Absichten mit den Menschen zu befreien. - Joel 3:1

Der Prophet Jesaja läßt uns einen vorausschauenden Blick in diese zukünftige Zeit tun, wenn er sagt: „Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden; dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und aufjauchzen wird die stimme des Stummen.” - Jesaja 35:5 und 6

Kehren wir nun zurück zur Frage: Wen stellt der Blinde dar, der vom Herrn in zwei Phasen geheilt wurde? War es das Volk Israel, mit dem Gott zunächst allein handelte? Und wann könnte eine solche Heilung in zwei Phasen in der Geschichte Israels stattgefunden haben, eine Berührung, die die Augen des Verständnisses öffnete?

Könnten der Gesetzesbund und der Neue Bund diese zweiteilige Handlung der Heilung anzeigen? Nach den Aussagen der Propheten Israels sollen unter dem Neuen Bund die Augen aller Menschen völlig geöffnet werden, und dies würde zuerst das natürliche Volk Israel betreffen. Fragen wir uns aber auch: Welche Wirkung hatte das Gesetz in Bezug auf die Blindheit Israels? Öffnete es dem Volk die Augen des Verständnisses im Hinblick auf den Messias und die segensreichen Vorkehrungen, die mit seiner Person verbunden waren?

Nein, Israel erkannte nicht die Zeit seiner Heimsuchung. Der Apostel Paulus schreibt im Römerbrief: „Was nun? Was Israel sucht, das hat es nicht erlangt; aber die Auserwählten haben es erlangt, die übrigen aber sind verstockt worden, wie geschrieben steht: Gott hat ihnen einen Geist der Schlafsucht gegeben, Augen um nicht zu sehen und Ohren um nicht zu hören, bis auf den heutigen Tag.” - Römer 11:7 und 8

An dieser Tatsache hat sich bis heute nichts geändert, Israel ist nach wie vor blind und weigert sich noch zum Herrn zu kommen, um sich von ihrer Blindheit heilen zu lassen.

Dann sagt der Apostel: „Was Israel sucht hat es nicht erlangt, - aber die Auserwählten haben es erlangt.”

Hier spricht der Apostel Paulus von einzelnen Nachfolgern des Herrn Jesu, die zunächst nur aus dem Volk Israel auserwählt wurden. Sie hatten sich von unserem Meister an die Hand nehmen und aus der Umklammerung der Traditionen menschlicher Überlieferungen herausführen lassen, um von ihm geheilt zu werden. Während unser Herr die ersteren auf Grund ihrer Blindheit tadelte, weil sie die Augen geschlossen hielten, um nicht zu sehen und geheilt zu werden, sagt er von diesen Auserwählten: „Glückselig aber eure Augen, daß sie sehen.” - Matthäus 13:15 und 16 Auch diese waren einst blind gewesen, hatten sich aber von dem Herrn hinausführen und heilen lassen.

Ist hier der tiefere Sinn des Berichts von Markus 8 zu suchen? Wollte der Herr den Weg eines Auserwählten von der Blindheit bis zur völligen Heilung, zur Glückseligkeit der Überwinder, bildlich darstellen? Wollte er die einzelnen Schritte, die dazu führten oder die Phasen seiner Handlungsweise, seiner Führung im Leben eines solch begnadigten Menschen zeigen? Wem wollte er diesen Ablauf vermitteln? Diese Fragen werden uns im weiteren beschäftigen.

Wehe dir, Betsaida

Der Bericht über die Heilung des Blinden beginnt mit den Worten: „Und sie bringen ihm einen Blinden und bitten ihn, daß er ihn anrühre.”

Die Erwartung der Freunde des Blinden, augenblicklich Zeuge einer Wunderheilung zu werden erfüllt sich zunächst noch nicht. Anstatt dem Blinden die Hand aufzulegen, wie dies zu erwarten war, nahm Jesus den Blinden bei der Hand und führte ihn aus dem Ort hinaus. Wir werden uns fragen: Warum nutzte der Herr nicht sogleich die günstige Gelegenheit vor der versammelten Menge die ihm von Gott verliehene Macht zu gebrauchen und den Blinden zu heilen? War diese Handlung symbolisch zu verstehen? Wollte Jesus seinen Jüngern auf diese bildliche Weise etwas zu verstehen geben, was nur sie betraf?

Oder hängt es mit dem Ort zusammen, daß der Herr in diesem Dorf kein Wunder wirken wollte? Immerhin wissen wir, daß Bethsaida von unserem Herrn wegen ihres Unglaubens mit den Worten sehr getadelt wurde: „Wehe dir, Chorazin! Wehe dir, Betsaida! Denn wenn in Tyros und in Sidon die Wunderwerke geschehen wären, die unter euch geschehen sind, längst hätten sie in Sack und in Asche Buße getan.” - Matthäus 11:21

Wenn es zum einen ein Zeichen dafür war, daß Betsaida vom Herrn verworfen war, und er an diesem Ort kein Wunder mehr tun würde, so war es zum anderen auch als ein Hinweis zu verstehen, daß jeder, der Heilung von dem Herrn begehren würde, diesen Ort zu verlassen habe. Der Meister gab zu verstehen, daß er einen jedem „Blinden”, der bei ihm Hilfe sucht, bei der Hand nehmen und ihn aus dem Ort des Unglaubens hinausführen würde, um ihn außerhalb der Stadt zu heilen.

Wie die vorbildlichen Wunderheilungen, die der Herr in Israel ausführte, alle auf ein weit bedeutsameres Gegenbild hinweisen, so hat auch das Herausführen aus Betsaida, dem Ort der Verwirrung und des Unglaubens, eine tiefere gegenbildliche Bedeutung. Was könnte Betsaida vorschatten?

Nach dem Namenslexikon von Abraham Meister bedeutet der Name Betsaida „Haus der Jagd oder des Fischfangs”. Die Bezeichnung scheint nicht ohne Bedeutung hinsichtlich des zu betrachtenden Gegenbildes zu sein.

Jesus nimmt uns bei der Hand

Ein jeder der Nachfolger des Herrn hat auf seine Weise und zu seiner bestimmten Zeit die Erfahrung gemacht, wie der Herr ihn bei der Hand genommen und behutsam aus dem Ort herausgeführt hat, der symbolisch für Unglauben und Verwirrung steht - und als „mystisches Babylon” bezeichnet wird. Auch wir mußten zunächst aus Unglauben und Irrtum herausgeführt werden, um den Ruf des Bräutigams zu hören, der in Babylon nun nicht mehr gehört wird.

Unser Herr hat uns an die Hand genommen, als wir noch blind waren und ihn noch nicht erkennen konnten. Welch ein wunderschönes Bild ergibt sich hier. Er hat uns unbeachtet von der Welt aus der Umklammerung von Überlieferung, Tradition, Aberglauben und Unwissenheit an seiner Hand herausgeführt, nicht weil wir auf irgendeine Weise dieses Vorrecht erworben hätten, sondern aus lauter Liebe, Gnade und Barmherzigkeit. Wir haben nichts dazugetan, wie auch der Blinde dem Herrn nichts zu bieten hatte. Wie wahr sind hier die Worte unseres Herrn: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt”, - ich habe euch an die Hand genommen, wie ich es bei dem Blinden von Betsaida getan habe.

Dies ist der erste Schritt auf dem Weg zur wahren Erkenntnis, daß wir uns unserer eigenen Unvollkommenheit und Blindheit bewußt werden und ein Verlangen nach Reinigung und Heilung von derselben zeigen, die wir allein beim Herrn suchen. Es bedarf aber noch weiterer Schritte an der Hand des Herrn bis zur völligen Heilung. Und wie wir bemerkt haben, bedeutete auch der nächste Schritt, als der Herr dem Blinden die Hand zur Heilung auflegte, für diesen noch nicht die völlige Heilung.

Unser Weg vom „Lager” bis ins „Heilige”

Wenn wir nun weiter den Schritten des Blinden bis zu seiner völligen Heilung folgen, so wollen wir dies anhand der Stiftshütten-Bilder tun. In diesen Schattenbildern der „besseren Opfer” stellte das Lager Israels den Zustand des Unglaubens bildlich dar, während das „Heilige”, der erste Raum der Stiftshütte, den Standort eines Geweihten anzeigt . Könnte der Bericht über die Heilung des Blinden von Markus 8 den Weg vom Lager Israels bis in das „Heilige” der Stiftshütte darstellen?

Beginnen wir damit, daß die ungläubige Menschheit, die der Aussöhnung mit Gott bedarf, durch das Lager Israels darstellt wird. Das Lager war außerhalb des Vorhofes gelegen, und es war von hier aus unmöglich einen Einblick in die Dinge zu tun, die sich im Vorhof abspielten, weil ein Zaun aus weißen Leinenvorhängen dies verhinderte. Bildlich gesehen stellte er eine Scheidewand des Glaubens dar. Dann gab es nur eine Möglichkeit in den Vorhof zu gelangen, und dieser Weg führte durch das einzige Tor. Durch unseren Herrn wissen wir, daß er sich selbst als dieses Tor bezeichnete „Ich bin die Tür, wenn jemand durch mich eingeht, so wird er errettet werden.” - Johannes 10:9

Desweiteren lesen wir an anderer Stelle in den Schriften: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als nur durch mich.” - Johannes 14:6

Am Anfang, bevor wir diesen Weg einschlagen, steht die Einsicht unserer eigenen Schwäche und Unvollkommenheit. Wir fühlen, daß wir Sünder sind, die fern von Gott stehen. Das Verlangen nach Reinigung und Heilung auf dem von Gott vorgesehenen Weg durch das reinigende Blut Jesu Christi stellt uns auf den Weg und führt uns durch das Tor in den Vorhof. Wir haben den Weg betreten, der uns am Ende zur Rechtfertigung und völligen Heilung führen soll. Der Herr hat uns so zu sagen ein erstes Mal die Hände aufgelegt, um uns zur Harmonie mit Gott zu führen. Wir zählen nun zum Haushalt des Glaubens, und es liegt an uns, ob wir uns weiter in die Stiftshütte hineinführen lassen wollen.

Obwohl wir nun nicht mehr „blind” sind, sind wir auch nicht als völlig geheilt anzusehen - wir haben noch keine völlige Rechtfertigung erfahren. Gott kann uns noch nicht als völlig gerecht gerechnet oder völlig geheilt ansehen, weil wir in diesem Zustand Seine umfassende Liebe und Gerechtigkeit noch nicht völlig wertschätzen können. Um dies zu tun, ist es notwendig einen weiteren Schritt zu machen, der uns zur Weihung bis in den Tod mit Christus führt.

All denen, die im Vorhofzustand verweilen, bleibt das wahre Licht des goldenen Leuchters verborgen, und sie haben auch keinen Zugang zur wahren Speise der Wahrheit, die durch die Schaubrote im Heiligen angezeigt wird. Die wahre Erleuchtung und die wahre Speise, die durch den Geist Gottes gegeben werden, erlangen sie nicht, die Tiefen der Erkenntnis Gottes und der Wahrheit über Seinen liebevollen Plan bleiben ihnen verborgen. Sie sehen und erkennen nur undeutlich und ihr Schauen ist nicht in die Tiefe und in die Ferne gerichtet.

Die Frage: „Siehst du etwas?” die Jesus dem Blinden nach dem ersten Handauflegen stellt, scheint bereits ein Anzeichen dafür zu sein, daß der Herr zu diesem Zeitpunkt noch keine völlige Heilung erwartete, noch beabsichtigte.

Ich sehe die Menschen wie Bäume

Dann heißt es von dem zuvor Blinden, daß er aufblickte und sagte: „Ich sehe die Menschen, denn ich sehe sie wie Bäume umhergehen.” Schlachter übersetzt: „Ich sehe die Leute als sehe ich wandelnde Bäume.” Und die Zürcher Bibel übersetzt: „Ich sehe die Menschen, denn Wesen wie Bäume sehe ich umhergehen.”

Was der Blinde nach dem ersten Handauflegen als erstes sieht, sind Menschen, die wie Bäume umhergehen. Auf den ersten Blick, scheint die Aussage über das, was der Blinde nach dem ersten Handauflegen sieht, eher einer geistigen Verwirrung zu entsprechen, als der Realität. Welcher normale Mensch hat jemals einen Baum umhergehen sehen?

Aber hier scheint es nicht um die Realität unserer Betrachtungsweise zu gehen, sondern um eine symbolisch bildliche Aussage. Diese Annahme läßt sich auch aus einer weiteren Beobachtung belegen, die wir im 24. Vers finden, wo es heißt: „Und er blickte auf und sagte: Ich sehe die Menschen, denn ich sehe sie wie Bäume umhergehen.”

Wenn wir annehmen, daß der Blinde vor dem Herrn stand oder kniete, und aufblickte, wie es wörtlich heißt, so war seinen Blickrichtung himmelwärts gerichtet.

Wir fragen uns, wie konnte er dann die Menschen, wie Bäume auf der Erde wandeln sehen? Wenn hier aber mit dem „aufblicken” ein visionäres Schauen angedeutet werden sollte, so können wir dieses Bild in einen passenden Rahmen bringen. Wir denken dabei auch an den Propheten Daniel oder den Apostel Johannes auf Patmos, die Dinge aussprachen, für die es keine reale Deutung gibt.

„Ich sehe Menschen”, dies ist der erste Teil der eigenartigen Aussage. Dieser Ausspruch scheint die Menschen in ihrer Gesamtheit zu zeigen - die Menschheit. Und was tun die Menschen? Sie gehen umher oder wie es in einer anderen Übersetzung heißt, sie wandeln umher. Umhergehen oder wandeln deutet eine ruhiges und friedliches Einhergehen an. Es ist der Ausdruck eines friedlichen Umgangs miteinander. Menschen wandeln friedlich miteinander, aber nicht gegeneinander. Das Bild, das uns hier vermittelt wird, paßt nicht in die heutige hektische Zeit, in der Menschen und Nationen gegeneinander anrennen. Menschen, die in Ruhe und Frieden umhergehen, das ist ein Bild des künftigen Zeitalters, wenn der Christus als Friedefürst herrscht.

Was der Blinde nach dem ersten Handauflegen sah, war das visionäre Bild der neuen Zeitordnung, des Königreichs, um das wir seit 2.000 Jahren beten. Zwei Weltkriege und Kriege in den verschiedensten Ländern der Erde bis auf den heutigen Tag legen ein beredtes Zeugnis dafür ab, daß die Menschen und Nationen nicht friedlich miteinander wandeln oder umhergehen.

Daß der von der Blindheit zum Teil Wiederhergestellte Menschen wie Bäume umhergehen sah, könnte anzeigen, daß er die Realität dieses zukünftigen Zustandes des Menschen noch nicht deutlich sehen und erkennen konnte.

Es war nicht ohne Grund, daß der Blinde, nachdem er etwas sehen konnte, die Menschen „wie Bäume” sah, zumal Bäume symbolisch Menschen oder auch Nationen darstellen. Die Heilige Schrift gibt uns dafür viele Beispiele. So stellt der Feigenbaum die Nation Israel dar. Nebukadnezar wurde mit einem Baum verglichen, der inmitten der Erde stand. In Jesaja 55:12 lesen wir: „Die Bäume werden in die Hände klatschen … .” Dies ist ein visionäres Bild, das die Freude ausdrückt, die unter den Nationen und Menschen im Königreich sein wird. Psalm 96:11 und 12 versetzt uns in diese Zeit, und spricht von der Freude, die dann im Himmel und auf der Erde sein wird: „Es freue sich der Himmel, und es frohlocke die Erde! Es brause das Meer und seine Fülle! Es frohlocke das Feld und alles, was darauf ist! Auch alle Bäume im Wald sollen jubeln.”

Es ist naheliegend, daß dem von der Blindheit zum Teil Geheilten einen visionärer Ausblick in das Königreich Christi vermittelt wurde, in die Zeit, in der alle Menschen von ihrer Blindheit geheilt werden. Es muß für ihn zu diesem Zeitpunkt noch ein unreales und unverständliches Bild gewesen sein, weil seine Augen des Verständnisses nicht völlig von der Blindheit geheilt waren. Er konnte den tieferen Sinn noch nicht verstehen, weil ihm der Herr noch nicht ein zweites Mal die Hände zur völligen Heilung aufgelegt hatte. Den Stiftshüttenbildern entsprechend befand er sich im Vorhof und hatte von hier aus keinen Einblick in das „Heilige”.

Das zweite Händeauflegen - die Gabe des Heiligen Geistes

Dann beginnt die zweite Phase der Heilung, die seine Augen völlig wiederherstellten, so daß er klar und deutlich sehen konnte. Wir lesen darüber in Vers 25: „Dann legte er wieder die Hände auf seine Augen, und er sah deutlich, und er war wiederhergestellt und sah alles klar.”

Dieses zweite Handauflegen bedeutete für ihn die völlige Heilung. Von nun an sah der zuvor nur undeutlich und irreal Sehende „deutlich und klar”. Der Herr Jesus fragt ihn auch dieses Mal nicht mehr danach, was er nun, nach dem zweiten Handauflegen, sehen würde. Es läßt sich auch hieraus folgern, daß der Herr von Anfang an beabsichtigte den Blinden in zwei Phasen zu heilen. Erst die zweite Berührung seiner Augen sollte den Blinden völlig sehend machen.

Nun entsteht die Frage: Was wollte uns der Herr mit dem zweiten Handauflegen - dem zweiten Berühren der Augen des Blinden - zu verstehen geben? Wir denken, daß auch hier die Antwort nicht im natürlichen Bereich zu finden ist, sondern nur in einem übertragenen geistigen Sinn zu deuten ist. Dazu wollen wir und ein weiteres Mal aus den Stiftshüttenbildern schöpfen.

Die erste Berührung unserer Augen des Verständnisses fand sinngemäß statt, als wir das „Tor” durchschritten, daß uns Einlaß in den Vorhof gewährte. Im Hintergrund dieses umfriedeten Vorhofs steht die Stiftshütte mit ihren zwei Räumen, dem „Heiligen” und dem „Allerheiligsten”. Und auch die Stiftshütte konnte nur durch eine einzige Tür betreten werden, die von gleicher Ausstattung und Farbgebung war, wie das Tor zum Vorhof. Dies sagt uns auf eine bildliche Weise, daß beide das gleiche darstellten, nämlich den Eingang durch unseren Herrn.

Wir wollen an dieser Stelle zum besseren Verständnis die Erklärungen Bruder Russells zitieren, die er uns in der Broschüre „Die Stiftshütte” über den Wechsel vom Vorhof in das Heilige gegeben hat: „In diesen Zustand kommen wir jedoch auch nur durch Christum Jesum, unseren Herrn, der uns durch Glauben an sein Blut nicht nur das Tor der Rechtfertigung öffnete, sondern auch die Tür (den ersten Vorhang) in die Stiftshütte, zu dem neuen und lebendigen Weg als geistige Wesen, der durch die Aufopferung unseres gerechtfertigten Fleisches durch den zweiten Vorhang und jenseits desselben führt.” - Die Stiftshütte, Seite 24

Und noch ein weiteres Mal lesen wir in der Stiftshüttenbroschüre auf Seite 23: „Ein Mensch, sei er noch so voll Glaubens, von jeglicher Sünde gewaschen und in Gottes Augen freigesprochen von allem und als vollkommen gerechnet, kann keinen Platz oder kein Vorrecht an den durch das Innere der Stiftshütte und des Tempels dargestellten geistigen Dingen haben. Er kann nicht einmal in die geistigen Dinge hineinschauen in dem Sinne, daß er eine Wertschätzung für sie bekommt.”

Es ist die völlige Weihung unseres gerechtfertigten Lebens in den Tod Christi, die uns die Tür in das Heilige öffnet. Es ist die damit verbundene Gabe des Heiligen Geistes, die uns in die ganze Wahrheit führt, und unsere Augen für die Tiefen der Wahrheit öffnet. Die Gabe des Heiligen Geistes ist für uns die Bestätigung, daß der Himmlische Vater von nun an mit uns als mit Söhnen handelt und Seinen Geist in uns wohnen läßt.

Was es heißt, durch den Heiligen Geist geleitet zu werden, erfuhr die Jüngerschar zu Pfingsten in Jerusalem. Sinnbildlich gesehen floß von da an das heilige Öl der Salbung vom Haupt des Hohenpriesters bis auf den Saum seines Kleides, und dies geschah im Gegenbild in der langen Zeitspanne bis zur Gegenwart des Herrn.

Wir haben erkannt, was diese besondere Kraft Gottes im Leben des Simon Petrus bewirkte. Aus einem zaghaften Jünger, der aus Menschenfurcht seinen Herrn verleugnete, wurde unter der Leitung des Heiligen Geistes ein mutiger Bekenner bis in den Tod.

Im Wandel mit unserem Herrn konnten die Jünger die Auswirkungen des Heiligen Geistes im Leben unseres Herrn beobachten, während ihnen selbst die Tiefen der Wahrheit noch verborgen blieben. Oftmals verstanden sie darum nicht, was unser Herr ihnen sagen wollte. Ihre Augen des Verständnisses waren noch nicht völlig geöffnet, und so konnten sie die Aussprüche, die in die Tiefe der Wahrheit gingen, zu dieser Zeit noch nicht verstehen. Unser Herr deutete diese Situation an, als er zu den Jüngern sagte: „Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit (der Heilige Geist) gekommen ist, wird er euch in die ganze Wahrheit leiten.” - Johannes 16:12 und 13 Die Tiefen der Wahrheit des göttlichen Ratschlusses waren den Jüngern so lange verborgen geblieben, bis sie zu Pfingsten den Heiligen Geist empfingen, der die Augen ihres Verständnisses weit öffnete.

Zurückkehrend zu Markus 8 können wir sagen, daß das zweite Handauflegen unseres Herrn, daß dem Blinden die Augen völlig öffnete, so daß er klar sah, mit dem zu vergleichen ist, was die Ausgießung des Heiligen Geistes zu Pfingsten bei der Jüngerschar bewirkte, daß die Augen ihres Verständnisses völlig geöffnet wurden.

Gläubige, die durch ihre Weihung in den Tod das Recht auf menschliche Wiederherstellung aufgeben, haben bildlich gesehen den „Vorhof” verlassen und sind durch die „Tür” in das „Heilige” eingetreten. Sie sind Heilige, und werden vom dem Licht, das von dem „goldenen Leuchter” ausgeht, erleuchtet, und sie ernähren sich von der geistigen Speise, die durch die „Schaubrote” bildlich dargestellt wird. Die Tiefen der Wahrheit werden vor ihnen nicht länger verborgen. Der Herr hat seine Hände ein zweites mal auf die Augen ihres Verständnisses gelegt, wie auch der Apostel Paulus dies in seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth mit den Worten anzudeuten scheint: „Was kein Auge gesehen, (was kein natürliches Auge gesehen hat) und kein Ohr gehört hat, und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben; uns aber (die durch ihre Weihung Neue Schöpfungen geworden sind, und sich gegenbildlich im „Heiligen” befinden) hat Gott es offenbart durch seinen Geist, denn der Geist erforscht alles - auch die Tiefen Gottes.” - 1. Korinther 2:9 und 10

Das von den Zeitaltern her verborgene Geheimnis, daß die Kirche zunächst aus den Juden und dann auch aus den Nationen gesammelt werden sollte, öffnet sich den geweihten Nachfolgern Christi durch den Heiligen Geist. Nun könnte man annehmen, daß eine vom Geist gezeugte „Neue Schöpfung” den vorgeschriebenen Weg in allem erkennen und bis in den Tod gehen kann. Aber dies ist nicht immer der Verlauf. Sehr deutlich zeigt uns die Schrift, daß viele Berufene, aber nur wenige Auserwählte sind. Nur wenige, nur eine kleine Herde, läßt sich bis zum Ende ihres Pilgerlaufes durch den Heiligen Geist leiten.

Der Apostel Paulus spricht von einem Wettlauf, in dem sich viele befinden, aber nur einer den Siegeskranz erhält. In diesem Wettlauf stehen auch wir mit der Forderung unser Kreuz aufzunehmen und Jesus bis in den Tod nachzufolgen. Für viele endet der Wettlauf schon vor dem Ziel, wenn weltliche Sorgen und Wünsche das Ziel verdecken, wenn sich geistige Müdigkeit einstellt, oder Zweifel darüber entstehen, ob das Ziel überhaupt erreicht werden kann.

Wir alle stehen noch in der gleichen Gefahr unseren Lauf zu verlangsamen oder vom „schmalen Weg” uns zu entfernen, oder unsere Bemühungen zu überwinden nicht ernst genug nehmen. Denken wir daran, daß nur derjenige den Siegeskranz erhält, der die Liebe zum Herrn und zu der Wahrheit bis in den Tod behält. In der Offenbarung ermahnt uns unser Herr mit den Worten: „Ich komme bald; halte fest, was du hast damit niemand deine Krone nehme.” - Offenbarung 3:11

Dann sagt uns aber auch die Schrift, daß es unter den Nachfolgern Christi auch einige gibt, die zu „Feinden des Kreuzes” werden und von denen der Apostel Petrus in einem Vergleich mit drastischen Worten sagt: „Der Hund kehrte um zu seinem eigenen Gespei und die gewaschene Sau zum Wälzen im Kot.” - Philipper 3:18 und 19; 2. Petrus 2:22

Für diejenigen, die das Opfer des Herrn mit Füßen treten, ist keine Errettung möglich. Ihr Lauf endet mit dem zweiten und endgültigem Tod. Wir lesen in Hesekiel 18:24: „Wenn aber ein Gerechter von seiner Gerechtigkeit umkehrt und Unrecht tut, nach all den Greueln tut, die der Gesetzlose verübt hat, sollte er leben?” Von diesen sagt Petrus, daß es „ihnen besser wäre, den Weg der Gerechtigkeit nicht erkannt zu haben, als nachdem sie ihn erkannt haben, umzukehren von dem ihnen überlieferten heiligen Gebot.” - 2. Petrus 2:21

Gehe nicht in das Dorf

Diese klaren Worte der Warnung sind an alle gerichtet, die auf dem schmalen Wege der Nachfolge gehen. Auch der von der Blindheit völlig wiederhergestellte Mensch, wird von unserem Herrn Jesus dazu aufgefordert nicht wieder an den Ort zurückzukehren, aus dem er ihn an seiner Hand hinausgeführt hatte. Wir lesen in Vers 26: „Und er schickte ihn nach seinem Hause und sprach: Geh nicht in das Dorf; sage es auch niemand im Dorfe.”

Ohne Zweifel zeigen die Worte Jesu hier, daß der von der Blindheit völlig Geheilte nicht an den Ort zurückkehren sollte, aus den ihn der Herr herausgeführt hatte, bevor er ihm die Hände zur Heilung aufgelegt hatte. Stattdessen schickte ihn Jesus „nach seinem Haus”. Das Haus der Geweihten ist das „Haus des Glaubens”. Als wir uns weihten, haben wir die Welt mit ihren selbstsüchtigen Bestrebungen und Wünschen verlassen, um nie wieder an diesen „Ort” zurückzukehren.

Desweiteren wird der von seiner Blindheit Geheilte auch vom Herrn aufgefordert: „… sage es auch niemand im Dorfe.” Um jemand im Dorf von seiner Heilung zu berichten, hätte der von der Blindheit Geheilte das Dorf erneut betreten müssen, was ihm aber der Herr aus naheliegenden Gründen untersagte.

Bethsaida war trotz der vielen Wunder, die hier durch den Herrn geschahen, ungläubig und unbelehrbar geblieben, und so hätte auch die Nachricht von der wunderbaren Heilung des Blinden nichts bewirken können. Man soll „die Perlen nicht vor die Säue werfen”, warnt uns die Schrift.

Der Herr Jesus gab den Jüngern, als er sie aussandte die gute Botschaft zu verkündigen, die mahnenden Worte mit auf den Weg: „Wenn ihr aber in eine Stadt oder ein Dorf einkehrt, so forscht, wer darin würdig ist; und dort bleibt, bis ihr weggeht.” - Matthäus 10:11

Damit schließt sich für uns der Kreis des Berichtes über die Heilung eines Blinden von der uns Markus berichtet. Wir konnten den Weg der Heilung Schritt für Schritt mitverfolgen, von dem Herausführen aus dem Dorf Betsaida bis hin zu der Ermahnung nicht mehr dorthin zurückzukehren.

Wir haben erkennen können, daß der Blinde erst durch das zweite Handauflegen unseres Herrn völlig von seiner Blindheit geheilt wurde. Erst nachdem wir uns in den Tod Jesu geweiht haben, werden wir als Söhne Gottes gerechnet und durch seinen Heiligen Geist geleitet. Und erst dann können wir mit völlig geöffneten Augen des Verständnisses die Tiefen der Wahrheit verstehen. Dies ist jetzt nur für diejenigen möglich, die den Opferbund mit dem Herrn geschlossen haben.

Die Welt wird später von ihrer Blindheit geheilt werden, wenn der Geist Gottes auf alles Fleisch ausgegossen wird, wovon der Prophet Joel spricht. Dann werden die Augen des Verständnisses aller „blinden” Menschen weit geöffnet sein, und die Stimme der bis dahin Stummen werden das Lob Gottes verkündigen.

„Lobsingt dem HERRN, denn Herrliches hat er getan! Das soll auf der ganzen Erde bekannt werden.” - Jesaja 12:5



Tagesanbruch Bibelstudien- Vereinigung