Zachäus

Wir betrachten heute eine Begebenheit aus Jesu Leben, über die es sich nachzudenken lohnt: seine Begegnung mit dem Zöllner Zachäus, nachzulesen im 19. Kapitel des Lukas-Evangeliums.

Versuchen wir zunächst, diese Begebenheit zeitlich einzuordnen. Gehört sie eher an den Anfang oder ans Ende des Wirkens von Jesus? Wohl eher ans Ende, da sie sich in den Aufzeichnungen von Lukas im 19. Kapitel findet.

Wir wollen zunächst betrachten, was dem Ereignis vorausgeht, denn daraus können wir es am besten verstehen.

Zu einem etwas früheren Zeitpunkt, nachzulesen im 18. Kapitel, findet eine andere Begegnung statt, die in einem gewissen Zusammenhang mit der Zachäus-Episode steht. Dort geht es um die Begegnung Jesu mit wem … .? Mit dem reichen Jüngling. Die Geschichte ist bekannt: Der junge Mann kommt zu Jesus und fragt ihn, was er tun kann, um das ewige Leben zu erlangen. Jesus weist ihn auf die Gebote hin, und als sein Gesprächspartner versichert, daß er sie alle seit seiner Jugend einhält, und den Herrn fragt, was ihm noch fehlt, antwortet ihm Jesus, er solle all seinen Besitz verkaufen, das Geld den Armen geben und ihm nachfolgen. Da verläßt ihn traurig der junge Mann, denn, wie es im Text heißt, er war sehr reich.

Hier ist es interessant, die Worte Jesu zu betrachten, die er unmittelbar nach dieser Begegnung gesagt hat - Verse 24 und 25-: „Wie schwer werden die, welche Güter haben, in das Reich Gottes hineinkommen! Denn es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als daß ein Reicher in das Reich Gottes hineinkommt.”

Dieser bekannte Satz ist sehr aufschlußreich. Natürlich bezieht er sich auf sein Gespräch mit dem reichen Jüngling, von dem wir wissen, daß er Jude und nicht Heide war; es heißt sogar, er sei eine führende Persönlichkeit in Jericho gewesen, also ein Mann von Rang. Ohne Zweifel war er eine in der Stadt hochgeachtete und angesehene Person. Wichtig dabei ist, daß er ein wahrer Israelit und nicht jemand aus den Heidenvölkern war. Er gehörte zu denen, um derentwillen Jesus vorrangig, zunächst, auf die Erde gekommen ist.

Und dieser vielzitierte Satz veranlaßt die Umstehenden zu der Frage: „Und wer kann dann errettet werden?”, worauf Jesus antwortet: „Was bei Menschen unmöglich ist, ist möglich bei Gott.”

Hier stellen wir am Rande fest, daß Jesus etwas macht, was auch sonst seiner Gewohnheit entspricht: er antwortet nicht direkt auf die gestellte Frage; so macht er es oft. Wenn er Politiker wäre, würde man sagen, das ist die übliche, diesen Leuten eigene gewundene Rede. Aber hier handelt es sich nicht um einen Politiker, sondern um den Herrn. - Wir können erkennen, daß man in dieser Antwort etwas viel Tieferes sehen muß. Wie des öfteren, wenn er nicht oder nicht sofort auf eine Frage antwortet, sondern in seiner Äußerung dem Fragenden zunächst scheinbar ausweicht, erleben wir, daß er die Antwort Stunden oder Tage später gibt, indem er den Gegenstand durch ein Beispiel, anläßlich einer Begebenheit oder durch ein Gleichnis darstellt; und so verhält es sich auch dieses Mal.

Die Jünger erinnern Jesus daran, daß sie alles aufgegeben haben und ihm nachgefolgt sind, anders als der reiche Jüngling. Und Jesus sichert ihnen zu, daß ihre Belohnung in den Himmeln groß sein wird.

Aber sogleich nach dieser Zusicherung teilt er ihnen mit, daß er nach Jerusalem gehen wird, um dort zu sterben. Bekanntlich verstehen die Jünger diese Worte nicht.

Am Stadtrand von Jericho heilt Jesus einen Blinden, wodurch die Volksmenge, die dieses Wunder beobachtet hat, veranlaßt wird, ihm zuzujubeln und sich um ihn schart. Von einer Masse Menschen umgeben geht also der Herr in die Stadt Jericho; bestimmt sind es hunderte, wenn nicht tausende von Leuten.

Und da ereignet sich die Sache mit Zachäus. Wir lesen in Lukas, Kapitel 19 von Vers 2 an: „Und siehe, ein Mann, mit Namen Zachäus genannt, und der war ein Oberzöllner und war reich. Und er suchte Jesus zu sehen, wer er sei; und er konnte es nicht wegen der Volksmenge, denn er war klein von Gestalt. Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, damit er ihn sehe; denn er sollte dort durchkommen. Und als er an den Ort kam, sah Jesus auf und erblickte ihn und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilends herab! Denn heute muß ich in deinem Haus bleiben. Und er stieg eilends herab und nahm ihn auf mit Freuden.”

Wir wollen diese Situation genauer betrachten - warum? Weil Jesus etwas äußerst Seltenes tut: Er wendet sich an eine Person in der Menschenmenge. Das ist so außergewöhnlich, daß es die Sache wert ist, sich näher damit zu befassen.

In den Berichten über Jesu Leben in den Evangelien stößt man immer wieder auf Personen, die den Herrn aufsuchen, ihm eine Frage stellen, um ihn auf die Probe zu stellen, ihn um Heilung zu bitten usw.

Doch wie oft ist der Herr von sich aus auf jemand zugegangen und hat mit ihm gesprochen oder ihn um etwas gebeten? Abgesehen davon, daß er auf die Apostel zugegangen ist, sie ausgesucht hat und ihnen dann Fragen gestellt hat, wie z. B. Petrus nach seiner Auferstehung „Petrus, liebst du mich?”. Nun, einmal davon abgesehen, an welche Personen hat Jesus sich spontan gewandt, mit welchen Personen hat er eine Unterredung angefangen, ein von seiner Seite ausgehendes Gespräch?

Wir haben vier solche Begebenheiten ermitteln können:

Nach seiner Auferstehung hat er Maria Magdalena angesprochen, die aber zu seinem gewohnten Umfeld gehörte und die er gut kannte.

Vor seinem Tod finden sich nur diese drei:

Und unter diesen Umständen können wir davon ausgehen, daß, wenn der Herr in dieser Weise auf den im Baum sitzenden Zachäus zugeht, diese Person der Mühe wert ist, und daß er uns durch diese Begegnung eine wichtige Lektion mitzuteilen hat.

Vermutlich trifft beides zu. Zunächst zur Person des Zachäus, bei dem er Wohnung nehmen will, zu dem Zöllner, an den er das Wort richtet. Zachäus, ein verhaßter Mann. Warum? Es steht geschrieben, daß Zachäus Steuereinnehmer war. Er ist mit diesem Beruf nicht der erste, der im Evangelium in Erscheinung tritt; wir wissen, daß einer der Apostel Zöllner war, nämlich Matthäus.

Und was war deren Aufgabe? Eine sehr verbreitete im römischen Weltreich.

Es war Aufgabe der Zöllner, Steuern bei der Bevölkerung zu erheben, sowie Abgaben auf die Waren, die man von einem Ort zu einem anderen transportierte. Eigentlich sollten die Römer und die als ihre Statthalter eingesetzten Fürsten, im Judäa z.B. Herodes, für dieses Amt Beamte einsetzen, die bestimmte feste Gebühren erhoben. Stattdessen vergaben sie dieses Amt in einer Art Versteigerungsverfahren an den Meistbietenden. Wer den Zuschlag erhielt, nahm die Steuern ein, sei es in vollem Umfang, sei es nur bestimmte Steuern, je nach Provinz, Stadt, Marktflecken oder Verwaltungsbezirk des Reiches. Die Entscheidung darüber konnte er willkürlich treffen.

Wer sich um dieses Amt unter der Bezeichnung „Oberpächter” bewarb, mußte zu diesem Zeitpunkt bereits ein riesiges Vermögen besitzen, um die Summe ggf. vorstrecken zu können, die der Bewerber sich verpflichtete, in die Staatskasse einzuzahlen. Dieser Oberpächter hatte ihm untergebene Angestellte zum Einnehmen der Steuern. Im allgemeinen waren die Oberpächter römische Adelige, nicht so aber ihre Untergebenen. Im Evangelium werden sie als „Zöllner” oder „Steuereinnehmer” bezeichnet. Um selbst ein Einkommen zu erzielen (das zweifellos großzügig bemessen war) und um Risiken vorzubeugen, daß Steuern nicht gezahlt wurden, verlangte der Oberpächter Geldbeträge von den Steuerzahlern, die wesentlich höher waren als die Summen, die er selbst an die Staatskasse abführte. Die Staatsverwaltung ließ ihm da freie Hand; es gab kein Gesetz, das die Steuerzahler vor überzogenen Forderungen schützte. Von einigen wenigen ehrlichen Vertretern ihres Berufsstandes abgesehen waren die Zöllner Diebe.

In den römischen Provinzen waren sie in allen Gesellschaftsschichten verhaßt, außer vielleicht bei den Statthaltern, die oft mit ihnen gemeinsame Sache machten, um sich am Geld der Besteuerten zu bereichern. Der Steuereinnehmer eines Landes, das von den Römern erobert worden war, stammte oft aus dieser Gegend, wie auch seine angestellten Zöllner. So war sicher der Jude Matthäus (Levi) vom Oberzöllner beauftragt worden, die Steuern von Kapernaum einzuheben. Desgleichen scheint Zachäus diese Funktion für Jericho innegehabt zu haben.

Warum stellten die Römer Leute aus der Gegend an? Zunächst um von der Vertrautheit dieser Leute mit der Stadt, in der sie lebten, und wo sie die Steuern eintreiben mußten, zu profitieren. Warum? Weil diese Leute ziemlich genau wußten, welchen Lebensstandard die einzelnen Familien hatten. Sie kannten die Anzahl ihrer Felder, Weinberge, Obstgärten, Kühe, Schafe usw., sie kannten den Umfang der Geschäfte der Handwerker - all das war dazu geeignet, um die Steuern zu schätzen, die sie ihnen abnahmen.

Und es gab noch einen zweiten Grund: Die Römer richteten es so ein, daß der Haß der Bevölkerung unmittelbar die Zöllner traf und nicht sie. Daraus ergab sich, daß, wenn jemand wegen dieser Machenschaften umgebracht werden sollte, dies ein Jude und nicht etwa ein Römer war. Umgekehrt wiederum gewährten die Römer den Steuereinnehmern, die für sie einen notwendigen Dienst leisteten, ein gewisses Maß an Schutz, sonst hätte so mancher von ihnen ein kurzes Leben gehabt. Sich an einem Zöllner zu vergreifen war sehr riskant.

Man kann sich also den Haß der Juden auf die Steuereinnehmer vorstellen. Warum dieser Haß? Weil die Juden es nicht ertragen konnten, daß ein Landsmann ein Angestellter der Römer war und Steuern im Auftrag einer heidnischen Regierung eintrieb. Der Zöllner war aus der jüdischen Gesellschaft ausgeschlossen, desgleichen, wer mit ihm befreundet war.

Im übrigen anerkannte Jesus selbst den geringen Wert der Zöllner in der Gesellschaft, nachzulesen z. B. in Matthäus 5:46: „Denn wenn ihr liebet, die euch lieben, welchen Lohn habt ihr? Tun nicht auch die Zöllner dasselbe?” und in Matthäus 18:15 - 17: „Wenn aber dein Bruder … auch auf die Versammlung nicht hören wird, so sei er dir wie der Heide und der Zöllner.”

Da können wir uns die Frage stellen: Was konnte Zachäus bewogen haben, den Beruf des Zöllners zu ergreifen?

Die große Mehrheit der Juden zu Jesu Zeit war gläubig, oder zumindest patriotisch gesinnt und voller Verachtung für die römische Besatzung. Wenn man von Verachtung spricht, müßte man eigentlich von Haß sprechen, denn sie als auserwähltes Volk, das sich als von Gott bevorzugt fühlte, erwartete schließlich in naher Zukunft ein Königreich, wo sie in der Position der Herrschenden sind, wie zu Zeiten Salomos.

Doch was nützt es sich Illusionen zu machen, wenn man seit 90 Jahren in einem von der zur damaligen Zeit herrschenden Weltmacht Rom besetzt ist, und nirgends ist jemand in Sicht, der dieser Fremdherrschaft ein Ende machen könnte? Entweder man fand sich eben ab mit dieser Lage und resignierte bei diesem Leben, wo die Demütigung durch die Besatzungsmacht allgegenwärtig ist, und auch mit der von Rom auferlegten drückenden Steuerlast. Oder man widersetzte sich, wie einige es getan haben - die am Kreuz ihr Leben beendeten. Oder man versuchte aus dieser Eintönigkeit herauszukommen, man versuchte zu handeln und dieses Los zu verändern - bereit, auch Dinge zu tun, die ethisch zweifelhaft sind. Solche Menschen nahmen es nicht mehr einfach hin, nur still Steuern zu zahlen, sondern sie drehten den Spieß um und wurden Steuereinnehmer und profitierten damit vom System.

Deshalb verabscheuten die Leute Zachäus.

An diesem Tag also waren in Jericho eine Menge „wohlanständige” Leute, bei denen der Herr Unterkunft hätte finden können, z. B. bei dem reichen Jüngling aus der Stadt, der ihn sicher mit Freude aufgenommen hätte; doch nein, der Herr hat keinen dieser Leute um Obdach gebeten, er ist zu dem am meisten verhaßten Menschen gegangen, zu Zachäus.

Versuchen wir uns hier die Reaktion der Leute vorzustellen, die sich in Jesu Nähe befanden und Zeugen des Gesprächs mit Zachäus waren. Was können wir annehmen, dachten sie? „Das ist nicht möglich; wir verstehen ihn nicht. Seine Predigt handelt vom Guten, vom Gehorsam Gott gegenüber. Erinnert euch: Als wir in Kapernaum zu ihm gesagt haben, daß seine Mutter und seine Brüder mit ihm reden wollten, hat er geantwortet: „… Wer ist meine Mutter oder meine Brüder? … wer irgend den Willen Gottes tun wird, derselbe ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter”. Der Wille Gottes? Tut denn dieser Kollaborateur, dieser Freund Roms, dieser Zöllner, den Willen Gottes?”

Wir meinen, daß mehr als einer der Umstehenden, noch unter dem Eindruck der wunderbaren Heilung des Blinden durch Jesus am Stadttor von Zweifel und Enttäuschung ergriffen wurde, als er Jesu Verhalten sah. Dazu heißt es auch in Kapitel 19, Vers 7: „Und als sie es sahen, murrten alle und sagten: Er ist eingekehrt, um bei einem sündigen Manne zu herbergen.”

Einzig die Apostel haben wohl dieses Handeln des Herrn verstanden, aus einem ganz einfachen Grund: einer von ihnen, Matthäus (auch Levi genannt) war nämlich auch Zöllner, und ihn hatte der Herr selbst erwählt. Im Bericht über die Wahl der Apostel heißt es - dies zur Erinnerung für die, die es vielleicht nicht wußten oder vergessen haben: „Und nach diesem ging er hinaus und sah einen Zöllner, mit Namen Levi, am Zollhause sitzen und sprach zu ihm: Folge mir nach.”

Und um die Geschichte zu vertiefen: Als Matthäus Jesus und die anderen Jünger zum Essen eingeladen hat, nachdem ihn der Herr zu den Seinen hinzugenommen hatte, hören wir folgendes: „Und es geschah, als er in dem Haus zu Tisch lag, und siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder und lagen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern. Und als die Pharisäer es sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum ißt euer Lehrer mit den Zöllnern und Sündern? Als aber er es hörte, sprach er: Nicht die Starken brauchen einen Arzt, sondern die Kranken.” - Matthäus 9:10 - 12

Soviel zum Haß auf die Zöllner. Und doch beeilt sich Zachäus, wie wir in Vers 6 gelesen haben, von seinem Baum, dem Maulbeerfeigenbaum, herunterzusteigen. (Wir sollten keine geheimnisvolle Bedeutung in der Nennung dieser Baumart suchen; das ist ein Baum, der eben dort in der Gegend wächst und der Zweige hat, auf die man steigen kann.) Nun, so heißt es im Text, Zachäus freute sich sehr über die Bitte Jesu.

Der Rest dieser Geschichte ist kurz. So lesen wir in Vers 8, daß der Hausherr, zweifellos im Verlauf der Mahlzeit in seinem Haus, eine bedeutsame Erklärung abgibt: „Zachäus aber stand auf und sprach zu dem Herrn. Siehe, Herr, die Hälfte meiner Güter gebe ich den Armen, und wenn ich von jemand etwas durch falsche Anklage genommen habe, so erstatte ich es vierfältig.”

Zachäus wollte den Herrn kennenlernen; er ist auf einen Baum gestiegen, um ihm zu sehen, und der Besuch des Herrn in seinem Haus hat einen anderen Menschen aus ihm gemacht. Können wir uns vorstellen, genauso, von jetzt auf gleich, die Hälfte unseres Besitzes für karitative Zwecke wegzugeben?

Einige werden sicherlich sagen: Ja, aber er hat bestimmt so viel Geld gestohlen, daß dieses Geld sowieso unrecht war, und da war es normal, daß er den Armen gibt, und mit Zinsen, Geld, das er bei anderen eingehoben hat.

Wir denken, daß das, was Zachäus entschlossen war zu tun, ein echtes Versprechen war, eine Zusage, sein Leben zu ändern, rein dazustehen und den Willen Gottes zu tun, der ja in einem der Gebote gesagt hat: „Du sollst nicht stehlen.” - 2. Mose 20:15

Zachäus hat öffentlich bekannt, vor dem Herrn, wie es im Text heißt, aber auch vor allen Personen, die bei diesem Abendessen anwesend waren, daß er ein Sünder war, und er hat zugleich um Vergebung für seine Vergehungen gebeten und gelobt, von dem Tag an als integrer Mensch zu leben.

Von den beiden wohlhabenden Männern, über die wir berichteten, hat der Jüngling den Armen nichts gegeben, Zachäus hingegen gab die Hälfte seines Besitzes. Wir denken, Zachäus brauchte großen Mut für seine Tat, noch dazu in der Öffentlichkeit.

Die Haltung von Zachäus ist schon insofern eine Lektion für uns, da auch wir Sünder sind. Sind wir uns dessen immer bewußt? Und sind auch wir so wir Zachäus bereit, das Unrecht, das wir anderen Menschen angetan haben, wiedergutzumachen?

Betrachten wir zunächst, was Jesus auf die öffentliche Erklärung von Zachäus antwortete. Er sagte: „Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, dieweil auch er ein Sohn Abrahams ist: denn der Sohn des Menschen ist gekommen, zu suchen und zu erretten, was verloren ist.”

Halten wir hier einmal fest, was er über sein Werk sagte: Denn der Sohn des Menschen ist gekommen zu suchen und zu retten; das ist ein sehr einfaches Programm, und es umreißt den ganzen Plan Gottes; und Jesus sagt dies in ganz schlichten Worten im Haus seines Gastgebers - nicht vor einer Menschenmenge, sondern bei jemand, den er aufgesucht hat, eine am Ort verhaßte Person.

Wer nun sollte gesucht und gerettet werden? Wir haben gesehen, daß der Herr drei Personen gegenüber ausdrücklich bekundet hat, daß er zu ihnen kam, daß er sie also suchte.

Warum suchte er sie? Weil diese Leute aus dem Volk Israel im eigentlichen Sinn ausgeschlossen waren:

Diese drei Personen, der Gelähmte, die Samariterin und Zachäus, haben also die besondere Aufmerksamkeit des Herrn auf sich gezogen; drei sündenbeladene Menschen. Drei Leute, und von zweien wird berichtet, daß sie den Herrn ohne Zögern und eilfertig angenommen haben, öffentlich ihre Sünden bekannt haben und die, nachdem sie mit ihm geredet hatten, ihm ihre Liebe bekundet und ihm vermutlich treu geblieben sind.

Was für eine Lektion für einen Christen!

Anläßlich dieser Begebenheit sehen wir auch, daß Jesus manchmal in Gleichnissen spricht oder auf etwas Bestimmtes hinweist, was die Jünger nicht sofort verstehen, doch er tut dies mit Absicht: um nämlich eine Lehre auszusprechen und später eine Erklärung nachfolgen zu lassen.

So spricht Jesus, gemäß dem Bericht in Lukas 18, der der Begebenheit mit Zachäus vorausgeht, vom Kommen des Sohnes des Menschen; darauf folgt ein erstes Gleichnis, nämlich das vom ungerechten Richter, das die Lehre enthält, im Gebet nicht nachzulassen. Dann, in Vers 9, geht es um das Gleichnis von Leuten, die sich für gerecht halten und auf andere herabsehen. Welches Gleichnis ist das? Natürlich das vom Pharisäer und Zöllner, die beide zum Gebet in den Tempel kommen.

Wir lesen: „Zwei Menschen gingen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer und der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst also. O Gott, ich danke dir, daß ich nicht bin wie die übrigen der Menschen, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche, ich verzehnte alles, was ich erwerbe. Und der Zöllner, von ferne stehend, wollte sogar die Augen nicht aufheben gen Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: O Gott, sei mir, dem Sünder, gnädig!”

Und welche Lehre ziehen wir aus diesem Gleichnis? Wir lesen Vers 14 aus Kapitel 19: „Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus vor jenem; denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden; wer aber sich selbst erniedrigt, wir erhöht werden.”

Wir sehen, daß der Herr dieses Gleichnis kurz vor dem Zusammentreffen mit dem reichen Jüngling und dann mit Zachäus erzählt. Haben sich alle Zuhörer dabei an jene Gleichnisse erinnert, als sie Zeugen der Begegnung von Jesus mit Zachäus wurden? Vermutlich nicht, und doch hatte Jesus die Gleichnisse angeführt, sozusagen als Auftakt für das, was sich ein paar Stunden später mit Zachäus zutragen sollte.

Man kann nicht sagen, daß die Aussagen des Herrn nicht zusammenpassen! Er hat den Boden bereitet, hat sozusagen angekündigt, daß er etwas später Kontakt zu einem Zöllner suchen würde, um allen Aufgeschlossenen seines Volkes eine Lehre in Demut zu geben.

Ist es etwa nicht so, daß auch wir manchmal eine Lehre in Demut brauchen? Wenn man meint, daß man alles über die Botschaft der Bibel und den Plan Gottes weiß, und sich das zuweilen in solchen Worten ausdrückt, wie: „Du verstehst diese Stelle der Schrift nicht (und dabei eigentlich sagen will: Du verstehst sie nicht so, wie ich sie verstehe …); ich bete für dich, daß du darüber Klarheit gewinnst!” Hier scheint uns die strenge Zurechtweisung sehr am Platze, die der Herr den hochmütigen Pharisäern hinwirft - Matthäus 21:31: „Wahrlich, ich sage euch, daß die Zöllner und die Huren euch vorangehen in das Reich Gottes.” Wenn man sieht, wie sehr der Herr Wert legt auf jene Tugend der Demut, dann ist es unserer Meinung nach unsere Pflicht, unser Verhalten daraufhin zu überprüfen und im Gebet zum Vater zu kommen, und es nicht wie dieser Pharisäer zu machen, sondern dem Beispiel des Zöllners zu folgen und immer wieder zum Vater zu kommen und um Vergebung für unsere Verfehlungen zu bitten.

Zachäus gibt uns in seiner Begegnung mit Jesus eine sehr interessante Lektion über unsere Tugenden als Christ, die unerläßlich sind, und die Gott auch von uns einfordert.

Zum Abschluß dieser Ausführungen berichten wir von einer kleinen Begebenheit, die nichts mit Zachäus zu tun hat, die aber auch die Wichtigkeit von Reue und Vergebung unterstreicht. Diese kleine Geschichte hat sich wirklich ereignet.

Sie begab sich im 19. Jahrhundert in Frankreich in einer kleinen Stadt, wo eine junge Frau in ärmlichen Verhältnissen lebt, die ihr Brot als Klavierlehrerin verdient.

Eines Tages beschließt sie, um ein wenig Geld zu verdienen, in einem Saal in der Stadt ein Konzert zu geben, das dem Werk des von ihr verehrten Komponisten Franz Liszt gewidmet ist. Damit sich etwas mehr Leute für ihr Konzert interessieren, läßt sie auf die Einladungen und auch auf die in der Stadt angeschlagenen Plakate unter ihrem Namen den Zusatz drucken: „Schülerin des großen Komponisten Franz Liszt”.

Das stimmt natürlich nicht; aber wer sollte das in der Provinz nachprüfen?

Einige Zeit vergeht, und am Tag des Konzerts kommt jemand zu ihr und sagt: „Weißt du schon das Neueste? Franz Liszt hält sich auf der Durchreise in der Stadt auf.”

Für die junge Frau eine Katastrophe, denn was geschieht, wenn Franz Liszt bei einem Spaziergang in der Stadt die Plakate mit der Ankündigung des Konzerts sieht? Wird er zur Polizei gehen und Anzeige erstatten wegen Urkundenfälschung, oder wird er ins Konzert kommen und sie öffentlich, vor allen Leuten beschuldigen? In beiden Fällen ist sie ruiniert.

Ohne eine Moment zu zögern läuft sie zu dem Hotel, in dem Franz Liszt sich eingemietet hat, klopft an seine Zimmertür, und als er öffnet, wirft sich ihm weinend zu Füßen und fleht ihn um Verzeihung an.

Franz Liszt versteht nicht … Da erklärt sie ihm alles, alles was sie getan hat, und bittet um Vergebung. Einige Sekunden vergehen, lange Sekunden - Franz Liszt richtet sie auf und fragt. „Und welche von meinen Stücken wollten Sie heute Abend spielen?” Und nachdem sie geantwortet hat, sagt er: „Nun, Mademoiselle, hier in meinem Zimmer ist ein Klavier. Kommen Sie und spielen Sie mir die Stücke vor.”

Und der Meister hört ihr zu, unterbricht sie, kritisiert, gibt ihr aber auch Hinweise, wie die Stücke richtig zu spielen sind, zwei Stunden lang. Mehrmals setzt er sich selbst ans Klavier und zeigt ihr, wie sie die schwierigsten Stellen spielen soll und welches Gefühl darin zum Ausdruck kommen sollte, als er sie komponierte.

Und am Ende der zwei Stunden sagt er mit einem Lächeln: „Jetzt, Mademoiselle, können Sie überall in Wort und Schrift behaupten, daß sie tatsächlich meine Schülerin gewesen sind. Als Lehrer bin ich mit Ihnen zufrieden. Und schauen Sie, ich hatte das nicht vor, aber ich werde heute Abend in Ihr Konzert kommen und sie allen Leuten als eine meiner besten Schülerinnen vorstellen, und wenn es Ihnen recht ist, werde ich das letzte Stück selbst spielen.”

So laßt uns auch im Gebet zu Gott kommen und Ihn um Vergebung bitten für unsere Fehler, und wenn wir aufrichtig sind, wird Gott uns vergeben und uns sogar belohnen. Das wünschen wir uns allen.



Tagesanbruch Bibelstudien- Vereinigung