Der verlorene Sohn

In Lukas Kapitel 15 spricht unser Herr in drei Gleichnissen von der Freude über etwas das verloren war und wiedergefunden wurde. Im ersten Gleichnis ist vom „verlorenen Schaf” die Rede, im zweiten von der „verlorenen Drachme” und schließlich im dritten vom „verlorenen Sohn”. Alle drei Gleichnisse verbindet die zum Ausdruck gebrachte Freude über das, was verloren war und wiedergefunden wurde.

„Freut euch mit mir! denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war.” - Lukas 15:6

Anlaß zu diesen drei Gleichnissen gaben die Pharisäer und Schriftgelehrten, die in ständigem Widerspruch zu unserem Herrn standen. Sie hielten sich streng an den Buchstaben des Gesetzes und konnten sich darum nicht freuen, wenn der Herr am Sabbat Kranke heilte, oder wenn er mit Zöllnern und Sündern verkehrte. Weil sie das Gesetz buchstäblich befolgten und zusätzlich ihre mündlichen Überlieferungen, hielten sie sich selbst für gerecht und alle anderen, die nicht so handelten, für Sünder.

Der Evangelist Matthäus berichtet darüber, wie die Pharisäer den Jüngern Jesu die konkrete Frage stellten: „Warum ißt euer Lehrer mit den Zöllnern und Sündern?” Als Jesus dies hörte, antwortete er den Pharisäern: „Nicht die Starken brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Geht aber hin und lernt was das ist: ‚Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer’. Denn ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen sondern Sünder.” - Matthäus 9:11 - 13

Der Herr ist in die Welt gekommen, um Sünder zu rufen, um nach denen zu suchen, die verloren gegangen sind. Darum läßt der „gute Hirte” die neunundneunzig Schafe in der Wüste und geht dem einen „verlorenen Schaf” nach und sucht nach ihm bis er es findet. Und wenn er es gefunden hat, so erfüllt ihn dies mit großer Freude, die er allein nicht tragen kann. Er ruft seine Freunde und Nachbarn zusammen und spricht zu ihnen: „Freut euch mit mir! Denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war.”

Jesus zieht die geistige Konsequenz aus diesem Gleichnis mit den Worten: „Ich sage euch: So wird Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, (mehr) als über neunundneunzig Gerechte.” - Lukas 15:7

Im Gleichnis von der verlorenen Drachme stellt der Herr fest: So sage ich euch, ist Freude vor den Engeln Gottes über einen Sünder der Buße tut.” - Lukas 15:10

Um Freude über die Buße oder Umkehr eines Sünders empfinden zu können, muß man zuvor ein tiefes Interesse an der Heilung oder Rückführung des Sünders zu Gott gehabt haben. Die Pharisäer und Schriftgelehrten zeigten keine Anteilnahme an dem in ihren Augen niedrigen Volk und hielten Abstand zu denjenigen, die sie verächtlich als Zöllner und Sünder bezeichneten. Es war ihnen unverständlich, daß Jesus ein so auffallendes Mitgefühl für die Schwachen, Kranken und Verachteten - die verlorenen Schafe vom Hause Israel - zeigte.

Die Pharisäer und Schriftgelehrten feindeten Jesus an, weil er am Sabbat Kranke heilte. Sie konnten nicht verstehen, daß für ihn der hilfebedürftige Mensch immer Vorrang hatte. „Der Sabbat”, so belehrte er sie, „wurde für den Menschen gemacht, und nicht der Mensch für den Sabbat.”

In der dritten Lektion, dem Gleichnis vom „verlorenen Sohn”, zeigt Jesus den Pharisäern und Schriftgelehrten an dem Verhalten des älteren Sohnes gegenüber dem jüngeren Sohn und dem Vater, wie verkehrt und unbarmherzig ihre Einstellung ist.

Laßt uns zunächst den Text dieses Gleichnisses in Lukas 15:11 - 32 ins Gedächtnis zurückrufen: „Er sprach aber: Ein Mensch hatte zwei Söhne; und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Vater gib mir den Teil des Vermögens, der mir zufällt. Und er teilte ihnen die Habe. Und nach nicht vielen Tagen brachte der jüngere Sohn alles zusammen und reiste weg in ein fernes Land, und dort vergeudete er sein Vermögen, indem er verschwenderisch lebte. Als er aber alles verzehrt hatte, kam eine gewaltige Hungersnot über jenes Land, und er selbst fing an, Mangel zu leiden. Und er ging hin und hängte sich an einen Bürger jenes Landes, der schickte ihn auf seine Äcker, Schweine zu hüten. Und er begehrte seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Schweine fraßen; und niemand gab ihm.

Als er aber in sich ging, sprach er: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben Überfluß an Brot, ich aber hier komme um vor Hunger. Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und will zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir, ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen! Mach mich wie einen deiner Tagelöhner!

Und er machte sich auf und ging zu seinem Vater. Als er aber noch fern war, sah ihn sein Vater und wurde innerlich bewegt und lief hin und fiel ihm um den Hals und küßte ihn.

Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir, ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen. Der Vater aber sprach zu seinen Sklaven: Bringt schnell das beste Gewand heraus und zieht es ihm an und tut einen Ring an seine Hand und Sandalen an seine Füße; und bringt das gemästete Kalb her und schlachtet es, und laßt uns essen und fröhlich sein! Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an fröhlich zu sein.

Sein ältester Sohn war aber auf dem Feld, und als er kam und sich dem Haus näherte, hörte er Musik und Reigen. Und er rief einen der Sklaven herbei und erkundigte sich, was das sei. Der aber sprach zu ihm: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wiedererhalten hat.

Er aber wurde zornig und wollte nicht hineingehen. Sein Vater aber ging hinaus und redete zu ihm. Er aber antwortete und sprach zu dem Vater: Siehe, so viele Jahre diene ich dir, und niemals habe ich ein Gebot von dir übertreten; und du hast niemals ein Böckchen gegeben, daß ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre. Da aber dieser dein Sohn gekommen ist, der deine Habe mit Huren durchgebracht hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet.

Er aber sprach zu ihm: Kind, du bist allezeit bei mir, und alles was mein ist, ist dein. Aber man mußte (doch jetzt) fröhlich sein und sich freuen; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden und verloren und ist gefunden worden.”

Soweit der Text des Gleichnisses vom verlorenen Sohn nach der revidierten Elberfelder Übersetzung.

Es mag von Interesse sein hier zu erwähnen, wie der Übersetzer Hermann Menge dieses Gleichnis in seiner Übersetzung betitelt. Er schreibt: „Das Gleichnis vom verlorenen Sohn bzw. von den zwei verlorenen Söhnen”.

Verloren in Adam

Was den Übersetzer Hermann Menge zu diesem Zusatz veranlaßt haben könnte ist nicht schwer nachzuvollziehen. Er mag daran gedacht haben, daß wir als Menschen in Adam alle verlorengegangen sind. Auch wenn Jesus Christus zunächst nur die verlorenen Schafe vom Hause Israel suchte, so war er doch gekommen um sein Leben im Austausch für Adam zu geben, um alle Menschen durch sein auf Golgatha vergossenes Blut zu erretten.

So können wir diese Ansicht des Übersetzers als eine allgemein zutreffende Ergänzung betrachten, während Jesus, als er dieses Gleichnis anführte noch zu niemand gekommen war, als nur zu „den verlorenen Schafen vom Hause Israel”. In Johannes 10:16 ist jedoch auch von „anderen Schafen” die Rede, die nicht vom Hause Israel sind. Der Herr sagte: „Ich habe andere Schafe, die nicht aus diesem Hof sind, auch diese muß ich bringen … .” Auch diese „anderen Schafe”, - wir sehen in ihnen die übrige Menschheit außerhalb Israels dargestellt, die Nationen, - waren „verlorene Schafe” für die der „gute Hirte” sein Leben gab, denn auch diese sollte er nach dem Willen Gottes suchen und zurückbringen.

Pharisäer, Zöllner und Sünder

Der jüngere Sohn, der zuerst in diesem Gleichnis in Erscheinung tritt, scheint das allgemeine einfache Volk, die Volksmenge Israels zu repräsentieren, von der die selbstgerechten Pharisäer und Ältesten des Volkes verächtlich sagten, daß diese das Gesetz nicht kennen würden und verflucht seien. - Johannes 7:49 „Zöllner und Sünder” war eine andere herablassende Bezeichnung für die Masse des Volkes, wobei das Wort „Zöllner” gleichbedeutend mit „Sünder” war.

In Israel waren die Zolleinnehmer schlecht angesehen, weil ihnen nachgesagt wurde, daß sie sich durch überhöhte Steuereintreibungen selbst bereicherten, und weil sie die verhaßten Römer repräsentierten, für die sie als Zöllner tätig waren. Aus diesem Grund waren auch die Pharisäer und Schriftgelehrten nicht gut auf sie zu sprechen.

Unser Herr stellt die Klasse der Pharisäer und der Zöllner in einem seiner Gleichnisse gegenüber und zeigt die unterschiedliche Haltung, die beide in ihrem Gebet vor dem Himmlischen Vater einnehmen. Der eine wie der andere sind in Gottes Augen Sünder. Dabei ist es ohne Bedeutung wer von beiden mehr zu kurz kommt, denn beide bedürfen der Vergebung ihrer Sünden durch die Gnade Gottes. Der Zöllner sieht dies ein, daß er ein Sünder ist und der Gnade Gottes bedarf, und er bittet mit den einsichtsvollen und demütigen Worten um Vergebung: „Gott sei mir dem Sünder gnädig!” - Lukas 18:9 - 14

Tatsächlich gab es einen nicht zu übersehenden Unterschied in der Lebensführung der Pharisäer, die sich strikt an das Gesetz hielten, und sicherlich traf es zu, daß der als „Zöllner und Sünder” bezeichnete Volksteil moralisch tiefer gesunken war als diese. Es mag stimmen, daß unter der Volksmenge Raub, Ungerechtigkeit und Ehebruch an der Tagesordnung waren.

Aber es gab den Pharisäern, Schriftgelehrten und Obersten des Volkes nicht das Recht, mit Verachtung auf ihre Mitmenschen herabzusehen, weil auch sie nicht ohne Sünde waren, und es nicht ihr Verdienst war, wenn sie nicht so tief gesunken waren. Es gab also überhaupt keinen Anlaß überheblich zu sein und zu dem Ewigen zu beten: „Gott, ich danke dir, daß ich nicht bin wie die übrigen der Menschen: Räuber, Ungerechte oder wie dieser Zöllner.” - Lukas 18:11

Die Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit und des Zukurzkommens gegenüber der göttlichen Gerechtigkeit ist der erste Schritt zur Buße. Die Klasse der „Zöllner und Sünder” fühlten ihre Erniedrigung, und so waren sie für des Herrn Einladung empfänglich: „Kommt her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen! Und ich werde euch Ruhe geben.” - Matthäus 11: 28 Sie bekannten sich als Sünder und nahmen freudig die Barmherzigkeit Gottes wahr, die ihnen in der Person Jesu begegnete.

Der betende Pharisäer, der die religiöse Oberschicht des Volkes repräsentierte, alle diejenigen, die auf dem Stuhl Mose saßen, sah seine Person makellos vor Gott, ja, er rühmte sich sogar alles dessen, was er geopfert hatte. Aus seiner erhabenen Sicht bestand keine Veranlassung, um irgendeine Vergebung zu bitten, und er sah mit Verachtung auf den Sünder herab.

Die Besinnung des verlorenen Sohnes zur Umkehr

Der „verlorene Sohn”, der die Klasse der Zöllner und Sünder repräsentiert, kommt, nachdem er sein Hab und Gut in schlechter Gesellschaft durchgebracht hat, in große Schwierigkeiten. Er endet im fernen Land, fern von seinem Vaterhaus, als Schweinehirt und ernährt sich notdürftig von Johannisbrotschoten, die die Schweine übriggelassen haben. Eine rabbinische Redensart sagt zutreffend: „Wenn der Jude Johannisbrot essen muß, dann tut er Buße.”

Wie oft haben wir diese Wahrheit erkannt, daß der Mensch, wenn es ihm gut geht, wenig nach Gott fragt. Aber wenn sich Trübsale häufen und schwere Schicksalsschläge kommen, wenn die Zukunft trüb und aussichtslos scheint, dann wird der Mensch empfindsam und fragt nach dem Sinn des Lebens. Und so ist es auch hier.

Der jüngere Sohn erinnert sich in seiner Not daran, wie gut er es in seines Vaters Haus gehabt hat, an die vielen Segnungen, die ihm frei zuteil wurden. Die Augen wurden ihm geöffnet für das, was von dauerhaftem Wert war. Er sieht nun ein, wie sehr er seinen Vater enttäuscht haben muß, als er sein Haus verließ und das Gute, das er von seinem Vater empfangen hatte, für nichts achtete und sein Gut im fremden Land vergeudete. Kann man einem Vater, den man so sehr enttäuscht hat, noch als Sohn unter die Augen treten? Nein, sicherlich nicht!

Aber, - „… ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und will zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir, und ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen! Mach mich wie einen deiner Tagelöhner!” - Lukas 15:19

Er hat die Erfahrung gemacht, daß die „Welt” ihm kein Erbarmen, sondern nur Verachtung gezollt hat. Die Welt liebt die Starken und Erfolgreichen und verachtet die Schwachen und Erfolglosen. Hier hat er kein Mitleid und Erbarmen zu erwarten. Da ist aber noch der Vater, und auf seine Barmherzigkeit setzt der „verlorene Sohn” seine ganze Hoffnung. Er hat sich tief gedemütigt, indem er sagt: „Mach mich wie einen deiner Tagelöhner”. Tagelöhner oder Lohnarbeiter gehörten in Israel im Gegensatz zu Knechten nicht zur Familie. Der verlorene Sohn erwartete nicht einmal mehr als Knecht aufgenommen zu werden, und damit noch zur Familie zu gehören.

Nachdem er sein ganzes Erbe, alles auf das er irgendeinen Anspruch haben konnte, leichtsinnig durchgebracht hatte, stand ihm nun nichts mehr zu, daß er von seinem Vater hätte fordern können. Alles, was er noch tun konnte, war auf die Gnade und Barmherzigkeit seines Vaters zu hoffen. Und diese Hoffnung wurde nicht enttäuscht.

Die unbegreifliche Liebe und Barmherzigkeit, die der Vater noch immer für seinen „verlorenen Sohn” empfindet, äußert sich darin, daß er ihn schon von fern erkennt. - „Als er aber noch fern war, sah ihn sein Vater und wurde innerlich bewegt und lief hin und fiel ihm um den Hals und küßte ihn.” - „Kehrt zu mir um, und ich werde zu euch umkehren!”

Wir alle haben es längst erkannt, daß unser Herr hier sinnbildlich von unserem Himmlischen Vater spricht und dessen Charakterzug der vollkommenen Liebe zeigt, die sich in der Vergebung der Sünden äußert. Der Vater sieht den bußwilligen Sünder von fern und ist bereit ihm die Hand der Gnade in Jesum entgegenzustrecken.

Göttliche Barmherzigkeit und Gnade

Es ist Barmherzigkeit, es ist Gnade, die uns der Himmlische Vater erweist. Als Sünder konnten wir nicht auf den Vater zugehen. Durch Sünde waren wir von der Familie Gottes entfernt. Wir konnten aus uns heraus nichts tun, um diesen Zustand zu ändern. Aber Gott sah „von fern”, vor Grundlegung der Welt, wohin der Ungehorsam des ersten Menschenpaares führen würde; aber weil Er „innerlich bewegt” wurde, weil Er den in Adam „verlorenen Sohn” noch liebte, beschaffte Er selbst das Opfer zur Versöhnung.

Wie sehr steht dies doch im Gegensatz zu dem Bild, das die Menschen im allgemeinen von Gott haben, und das ihnen von der sogenannten hohen Geistlichkeit vermittelt wurde - ein grausamer Gott, der die Menschen in einer Feuerhölle ewig quält, - ein Gott, der willkürlich festlegt, wer ewige Qualen erdulden soll und wer himmlische Herrlichkeit genießen soll. Wie wohltuend ist es doch zu erkennen, daß der Himmlische Vater beim Anblick des Sünders „innerlich bewegt” ist, wie unser Herr innerlich bewegt war, wenn er die sündenkranken Menschen sah, die sich hilfesuchend an ihn wandten: „Herr erbarme dich meiner!”

In Johannes 3:16 finden wir die bekannten Worte: „Denn so hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat.”

Schon Mose machte diese Erfahrung, daß Gott willig ist Sünden zu vergeben, als der Ewige Seinen heiligen Namen vor ihm ausruft: „Jahwe, Jahwe, Gott, barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn und reich an Gnade und Treue, der Gnade bewahrt an Tausenden (von Generationen), der Schuld, Vergehen und Sünde vergibt, aber keineswegs ungestraft läßt … .” - 2. Mose 34:6 und 7

Als David sich schwer versündigt hatte, bittet er Gott um die Vergebung seiner Schuld, indem er auf die göttliche Barmherzigkeit und Bereitschaft zur Vergebung der Sünden anspielt, wie dies dem Mose in der Begegnung mit dem heiligen Namen Gottes offenbart wurde und sagt: „Um deines Namens willen, HERR, vergib mir meine Schuld, denn sie ist groß.” - Psalm 25:11, siehe auch Psalmen 31:4, 79:9, 109:21 und 143:11

Unser großer Gott ist barmherzig und gnädig und reich an Vergebung gegen diejenigen, die ihre Sünden bekennen und bereuen, und die zu ihm umkehren möchten. Er ist nahe denen, die „zerschlagenen Herzens” sind.

Die entgegenkommende Liebe des Vaters

Wir sprechen im Hinblick auf unsere Weihung davon, „daß Gott uns gezogen hat”, und möchten damit zum Ausdruck bringen, daß der erste Impuls zu diesem Schritt nicht aus uns heraus entstand, sondern, daß der Himmlische Vater uns „entgegenkam”, und das, als wir noch Sünder waren.

Gottes ganzer Gnadenreichtum wird in der Berufung und Erwählung der Kirche sichtbar. Es ist Gnade, daß Gott uns zu dieser unbegreiflichen Herrlichkeit beruft. Es ist Gnade, daß wir umsonst gerechtfertigt werden. Es ist Gnade, daß Gott auch uns aus den Nationen eingeladen hat. Es ist Gnade, daß wir in Jesus Christus einen Fürsprecher beim Vater haben.

Gnade ist unverdiente Güte, etwas auf die man keinen Anspruch hat. Diese Feststellung bewahrheitet sich auch in unserem Gleichnis vom „verlorenen Sohn”, dem der Vater trotz all seiner Sünden entgegenkommt, ihn in die Arme schließt und ihn küßt. Ja, er beauftragt sogleich seinen Sklaven, der das „beste Kleid” bringen und ihm anziehen muß, und er läßt einen kostbaren Ring an seine Hand stecken und ein großes Fest für den wiedergefundenen Sohn ausrichten. „Alle sollen fröhlich sein, denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, war verloren und ist gefunden worden.”

Das beste Kleid

In dem „besten Kleid”, das der „verlorene Sohn” vom Vater geschenkt bekommt, können wir „das Kleid der Gerechtigkeit Christi” wiedererkennen, daß uns als Sündern gegeben wird und uns vor Gott annehmbar macht. Es zeigt sich im Gleichnis, daß der Sklave beauftragt wird ihm das „beste Kleid” anzulegen, bevor er in das Haus seines Vaters eintritt.

Wir lesen in Jesaja 61:10: „Freuen, ja freuen will ich mich in dem HERRN! Jubeln soll meine Seele in meinem Gott! Denn er hat mich bekleidet mit Kleidern des Heils, den Mantel der Gerechtigkeit mir umgetan … .”

Dieses „Kleid oder dieser Mantel der Gerechtigkeit” bedeckt all unsere Unvollkommenheiten unserer gefallenen Natur und wird uns umsonst gegeben. Nur in diesem Kleid sind wir annehmbar vor dem Vater. Paulus sagt im Römerbrief: „… denn alle haben gesündigt und erlangen nicht die Herrlichkeit Gottes und werden umsonst gerechtfertigt durch seine Gnade, durch die Erlösung, die in Christus Jesus ist.” - Römer 3:23 und 24

Auch der Ring, den der Vater dem zurückgekehrten Sohn durch seinen Sklaven an die Hand stecken läßt, hat seine symbolische Bedeutung. Er ist hier ein Zeichen der nicht endenden Liebe des Vaters für den „verlorenen Sohn”. Wie ein Ring keinen Anfang und kein Ende hat, so ist auch die vollkommene Liebe unseres Himmlischen Vaters beständig und ewig vorhanden. „Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, daß Christus, als wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist.” - Römer 5:8

Die Lieblosigkeit des älteren Sohnes

Als der Vater seine Herzensfreude über die gesunde Rückkehr seines verlorenen Sohnes in einem Freudenfest kundtut, erfährt auch der ältere Sohn von der Rückkehr seines jüngeren Bruders. Aber der ältere Sohn kann sich nicht darüber freuen, weil Gefühle des Neides und der Eifersucht in seinem Herzen aufsteigen. Er wird zornig und will nicht ins Haus gehen, um seinen Bruder willkommen zu heißen.

Das Charakterbild, das Jesus hier in Form eines Gleichnisses von den Pharisäern als dem älteren Bruder zeichnet, offenbart uns ihre wahre Einstellung gegenüber dem Vater in den Himmeln. Sie beklagten sich, waren enttäuscht, verärgert, selbstgerecht und desinteressiert an dem Leben und der Rückführung der Zöllner und Sünder. Sie waren tatsächlich darüber erbost, daß der Himmlische Vater, wie auch der Herr Jesus diesen „verlorenen Söhnen” vom Hause Israel Barmherzigkeit und Liebe erzeigten.

Die Einstellung der Pharisäer erinnert uns an Jonas, der sich auch beklagte, daß Gott dem sündigen Volk von Ninive Erbarmen zeigte, nachdem sie in Sacktuch und Asche Buße getan hatten.

Unser Herr kennzeichnete das Verhalten der Pharisäer als heuchlerisch und bezeichnete sie als „blinde Leiter”. Tatsächlich waren sie für ihre eigentliche Aufgabe blind. Denn gerade sie sollten Gottes Barmherzigkeit praktizieren und sich eifrig darum bemühen, das sündige Volk zur Buße und zur Rückkehr zu Gott zu bewegen. Mit ihrer selbstgerechten Einstellung hinderten sie das Volk und sich selbst, die Bedingungen des Königreiches Gottes anzunehmen und hineinzugehen. - Matthäus 23:13 Entsprechend werden sie von unserem Herrn im Gleichnis vom Hochzeitsmahl als diejenigen gezeigt, die zuerst eingeladen wurden, aber die Einladung nicht wertschätzten und damit den Gastgeber beleidigten. - Matthäus 22:2 - 10

Danach erging die Einladung an alle verlorenen Schafe vom Hause Israel, und schließlich wurden auch wir als Gläubige aus den Nationen zur Hochzeit eingeladen und sind aufgefordert die Liebe und Barmherzigkeit Gottes nicht nur mit Worten, sondern auch in unserem entsprechendem Handeln mit den Menschen zu verkündigen.

Die Aufforderung zur Barmherzigkeit

Als Fußstapfennachfolger und Botschafter des Herrn sind wir aufgefordert so mit unseren Brüdern und Mitmenschen zu handeln, wie es der Herr getan haben würde. Die Heilige Schrift sagt uns, daß unser Herr tiefes Mitgefühl für alle Menschen zeigte, für die Kranken und Schwachen, für die vom Satan verführten und gequälten Menschen. Nicht immer ist das Mitgefühl und das Mitleidzeigen für den Schwächeren uns angeboren. Aber darum sind wir alle in der Schule Christi, um von unserem großen Vorbild zu lernen. Unser Herr belehrte uns, daß wir nur dann Barmherzigkeit empfangen werden, wenn wir auch unsererseits bereit sind allen anderen Barmherzigkeit zu erzeigen. - Matthäus 5:7

Laßt uns daran denken, daß wir hier und heute auf eine Aufgabe vorbereitet werden sollen, die viel Mitgefühl erfordern wird - die Mitarbeit mit dem Herrn als unserem Haupt bei der Aufrichtung der durch die Sünde erniedrigten Menschheit im irdischen Königreich. Wenn wir dieser wichtigen Aufgabe für würdig befunden werden wollen, so müssen wir ein echtes Mitgefühl für die leidende Menschheit und für jeden einzelnen Sünder entwickeln. Die Pharisäer und Schriftgelehrten konnten es nicht verstehen, warum unser Herr sich so auffällig mit den Kranken, den Zöllnern und den Sündern beschäftigte. Aber eben dazu war er nach dem Willen des Vaters gekommen. Uns aber ruft der Herr zu: „Seid nun barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.” - Lukas 6:36

Die Gelegenheiten Barmherzigkeit zu üben werden wir überall finden. Wenn wir sie versäumen und nicht jetzt diesen überaus wichtigen Charakterzug zu entwickeln trachten und kaltherzig gegenüber unserem Nächsten bleiben, so wird es sich dann zeigen, daß wir ungeeignet für die Aufgaben des Königreiches sind.

Unser Gleichnis endet mit der Feststellung: „Aber man mußte (doch jetzt) fröhlich sein und sich freuen; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden und verloren und gefunden worden!”

Laßt uns allezeit zu denen gehören, die große Freude über die Wahrheit empfinden, daß wir einen Gott der Liebe und der Vergebung haben, der die in Adam verlorene Menschheit durch Christus zum Leben zurückbringen wird.



Tagesanbruch Bibelstudien- Vereinigung