Verborgene Sünden und übermütige Sünden

„Reinige mich von verborgenen Sünden! Auch von übermütigen halte deinen Knecht zurück; laß sie mich nicht beherrschen! Dann bin ich tadellos und bin rein von großer Übertretung. Laß die Reden meines Mundes und das Sinnen meines Herzens wohlgefällig sein vor Dir, Jahwe, mein Fels und mein Erlöser!” Psalm 19:12 - 14

Dieses prophetische Gebet bringt die Herzensstellung des völlig geweihten und ernsten Christen zum Ausdruck. Er ist sich der Vergebung der „vorher geschehenen Sünden unter der Nachsicht Gottes“ durch Gottes Gnade, die in Christo Jesu war, die unsere Sünden auf ihn legte und uns, die wir an ihn glauben, seine Gerechtigkeit zurechnete, bewußt. Die wohlunterrichtete Seele erkennt dabei doch ihre auch weiterhin bestehenden Fehler, ihre Mängel. Es mögen Fehler sein, die uns zu der Zeit, da sie geschehen, verborgen sind - Versehen, unbeabsichtigte Irrtümer. Selbstverständlich wird jeder ernste Christ, der die rechte Gemeinschaft mit dem Herrn begehrt, auch seine unbeabsichtigten Mängel beklagen und nach Gottes Gnade streben. Er wird darum beten, den Sieg über sie zu erringen. Es gibt jedoch noch andere verborgene Fehler, die in dem Sinne verborgen sind, daß sie niemandem außer uns selbst und dem Herrn bekannt sind - Unvollkommenheiten oder Fehler des Geistes, noch bevor sie die äußere Form tatsächlicher oder übermütiger Sünden annehmen.

Alle Christen, die Erfahrung auf dem guten Weg und im Kampf gegen die Sünde und das Ich besitzen, haben gelernt, daß es keine äußeren oder übermütigen Sünden geben kann, die nicht aus zuvor verborgenen Fehlern des Geistes entstanden sind. Der sündige Gedanke mag Stolz sein - ein Wunsch nach Selbsterhöhung; es mag ein Gedanke des Geizes sein, den unrechtmäßigen Erwerb von Reichtum vorschlägt; oder es mag ein anderes fleischliches Begehren sein. Das bloße Auftauchen des Gedankens in unserem Geist ist keine Sünde; es ist nur die Arbeit unserer Geisteskräfte und der uns umgebenden Einflüsse, die unseren Willen fragen, ob wir solchen Gedanken zustimmen wollen oder nicht. Viele Menschen, die eigentlich jeden Vorschlag, böse Taten zu begehen, weit von sich weisen würden, stimmen bösen Gedanken jedoch zu. Wenn der Gedanke jedoch aufgenommen wird, so ist bereits ein verborgener Fehler entstanden. Die zunehmende Hinwendung zu solchen Gedanken führt mit Sicherheit zu dem mehr äußeren und übermütigen sündigen Verhalten. Diese Tendenz führt immer vom Bösen zum Schlimmeren. Um es bildhaft darzustellen: Vorausgesetzt, daß unserem Geist eine Möglichkeit vorgeschlagen wird, durch die wir unsere eigenen Interessen oder unseren Ruhm, oder unsere Ehre, oder unseren guten Namen durch die Untergrabung des Einflusses und des guten Namens eines anderen fördern können: schnell wird der böse, selbstsüchtige Gedanke, wenn er aufgenommen wird, zu Neid und vielleicht sogar zu Haß und Streit führen. Beinahe sicher wird er zu Verleumdung und anderen Werken des Fleisches und des Teufels führen. Der Anfang ist immer klein und daher ist einem solchen Gedanken leichter zu widerstehen als zu einem späteren Zeitpunkt, da er sich erst festgesetzt und entwickelt hat. Daher besteht das prophetische Gebet: „Reinige mich von verborgenen Sünden” und halte mich dadurch von übermütigen Sünden zurück.

Im Brief des Jakobus (1:14 - 15) lesen wir: „Ein jeder wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust fortgezogen und gelockt wird. Danach, wenn die Lust empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod.” Hier finden wir denselben Gedanken auf eine andere Art und Weise ausgedrückt. Die Versuchung besteht darin, daß dem Geist Einflüsterungen gemacht werden, die unrein oder unfreundlich oder untreu gegen Verpflichtungen sind. Bis dahin ist es keine Sünde, kein Fehler. Der Fehler beginnt, wenn wir die bösen Einflüsterungen beherbergen, sie in unserem Geist erwägen und die Vorteile betrachten, die sie uns scheinbar bieten können. Es ist in einem solchen Augenblick, in dem die Lust (die das Böse annimmt, anstatt ihm zu widerstehen) den Anfang der verborgenen Sünde veranlaßt. Von da an ist es ein Entwicklungsprozeß, der in vielen Fällen, unter günstigen Umständen, sehr schnell sein mag, daß Sünde, die übermütigen oder äußeren Taten der Sünde, das Resultat sind - zum Beispiel, falsches Zeugnis über einen Nachbarn, Verleumdung oder andere böse Werke. Sobald der üble Weg durch das Aufnehmen böser Einflüsterungen einmal begonnen ist und zu übermütigen Sünden geführt hat, so besteht eine große Gefahr, daß der ganze Lauf des Lebens schließlich dadurch beeinflußt wird. Dies schließlich kann dazu führen, daß es den Übertreter in den Zustand bringt, in dem er die große Übertretung begeht - willentliche, absichtliche Sünde - deren Lohn der Tod ist, der „Zweite Tod”.

Jeder intelligente Christ sollte ständig dieses inspirierte Gebet um Reinigung von verborgenen Fehlern beten, damit er dadurch von übermütigen Sünden zurückgehalten wird. Wenn er so von Herzen betet, kann er auch über diese Anfänge der Sünde wachen und sein Herz rein erhalten, indem er immer zur Quelle der Gnade geht, um Hilfe für jede Zeit der Not zu suchen. Wer ein Leben der Heiligkeit in der Nähe des Herrn zu führen sucht und dabei nur gegen äußere oder übermütige Sünden kämpft und wacht, jedoch den Anfang der Sünde im Verborgenen seines eigenen Geistes vernachlässigt, versucht eine richtige Sache in einer sehr törichten und unvernünftigen Weise. Genau so gut könnten wir versuchen, lediglich durch äußere Reinlichkeit eine Pockeninfektion zu vermeiden - wir gestatten damit den Krankheitserregern den Eintritt in unser System. Die Viren der übermütigen Sünden dringen durch den Geist ein, und das Gegenmittel der Wahrheit und ihres Geistes muß sie dort finden und die Viren der Sünde prompt töten, ehe sie sich vermehren und uns in einen so bösen Zustand bringen, daß er sich in dem äußeren Betragen kundtut.

Wenn zum Beispiel die Viren des Stolzes und des Gefühls der eigenen Wichtigkeit zu uns kommen, so müssen wir uns das Gegenmittel aus dem großen medizinischen Laboratorium des Herrn zur Heilung der Seele unverzüglich darreichen lassen. Die geeignete Menge, um diese Art Viren unschädlich zu machen, finden wir in den Worten: „Wer sich selbst erhöht, soll erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, soll erhöht werden;” und „Hoffart geht dem Sturze und Hochmut dem Falle voraus.”

Wenn der Gedanke, der zu unserem Geist kommt, das Virus des Neides ist, so laßt uns schnellstens das Gegenmittel anwenden, das besagt, daß Neid zu den Werken des Fleisches und des Teufels gehört und dem Geist Christi zuwider ist, den wir bei unserer Weihung als den unseren angenommen haben. Laßt uns dabei bedenken, daß der Neid mit Bosheit, Haß und Streit nahe verwandt ist und uns genau dazu führen kann - und das würde nach der Auslegung unseres Herrn unter Umständen Mord bedeuten - 1. Johannes 3:15 und Matthäus 5:21 - 22

Wenn es sich bei den Viren, die zu unserem Geist kommen, um Geiz handelt, mit der Einflüsterung ungerechter Methoden für eine Befriedigung, so laßt uns ohne zu zögern die Arznei anwenden, welche das Wort des Herrn darreicht, nämlich: „Was wird es einem Menschen nützen, wenn er die ganze Welt gewänne und seine Seele einbüßte?” „Die Geldliebe ist eine Wurzel alles Bösen, welcher nachtrachtend etliche von dem Glauben abgeirrt sind und sich selbst mit vielen Schmerzen durchbohrt haben.” - 1. Timotheus 6:10

Je mehr Aufmerksamkeit wir diesen Einflüsterungen schenken, umso mehr werden wir durch unsere eigenen persönlichen Erfahrungen von der Wahrheit des Ausspruches der Schrift über den Beginn der Sünde als verborgene Fehler des Geistes überzeugt sein - und umso mehr werden wir den Ausspruch des Wortes würdigen: „Behüte dein Herz (Geist, Neigungen) mehr als alles, was zu bewahren ist; denn von ihm aus sind die Ausgänge des Lebens.” - Sprüche 4:23

Aber wir dürfen uns nicht wundern, daß Gott uns so geschaffen hat, daß wir Versuchungen des Geistes zugänglich sind. Wir sollten auch nicht darum beten, daß wir keine Versuchungen haben möchten - denn wenn es keine solche Versuchungen gäbe, so könnte es keine Siege unsererseits geben, kein Überwinden der Sünde und des Bösen. Aber wir wissen, daß wir aus genau diesem Grunde in der Schule Christi sind. Wir sollen nicht vor allen Versuchungen geschützt werden, sondern wir sollen von dem großen Lehrer lernen, wie wir dem Versucher begegnen sollen. Und wir sollen durch unseres Meisters Gnade und Hilfe Überwinder und Sieger im Kampf gegen die Sünde werden. Das Maß unseres Erfolges in diesem Konflikt wird zum großen Teil von der Kraft unseres Glaubens und Vertrauens zu dem großen Lehrer abhängen. Wenn wir Vertrauen zu seiner Weisheit haben, so werden wir seinen Unterweisungen genau folgen, und unser Herz (Geist) mit allem Fleiß behüten. Glauben an des Herrn Weisheit und seine Hilfe in jeder Zeit der Not ist für uns notwendig, damit wir ihm völlig gehorsam sein können. Daher steht geschrieben: „Das ist der Sieg, der die Welt überwindet, unser Glaube”, das heißt, wir werden „mehr als Überwinder durch den, der uns gebliebt und sich selbst für uns gegeben hat”, wenn wir Glauben und den Gehorsam üben, der daraus erfolgt.

Wir sollen auch Gottes Hilfe nicht weit voraus suchen. So sollen wir nicht darum bitten, durch das ganze kommende Jahr bewahrt zu werden, oder für den nächsten Monat oder die nächste Woche. Vielmehr sollen wir wissen, daß wenn wir mit dem Herrn einen Bund eingegangen sind und sein sind, er uns zu allen Zeiten nahe ist - in jeder Prüfung, in jeder Versuchung. Sein Beistand ist für uns bereit, wenn wir ihn nur annehmen und danach handeln wollen. Daher sollten wir in Zeiten der Not um Hilfe beten, wie auch um des Herrn Segen und Fürsorge für jeden Tag. Im Augenblick der Versuchung sollte sich das Herz zu dem großen Meister erheben, in voller Gewißheit des Glaubens - seine Liebe, seine Weisheit und Fähigkeit, uns zu helfen und seine Bereitwilligkeit erkennend, alle Dinge denen, die ihn lieben, zum Besten mitwirken zu lassen. Wenn wir in solcher Zeit der Not um seinen Beistand bitten, werden wir sicherlich des Herrn Rat und Hilfe und Kraft für Gerechtigkeit, Wahrheit, Reinheit und Liebe erhalten. So werden wir stündlich, täglich siegreich und auch am Ende siegreich sein.

Die Schwierigkeit für viele Christen liegt darin, daß sie nach großen Kämpfen ausschauen, anstatt daß sie die großen Kämpfe vermeiden, indem sie die Vorsorge des Herrn benutzen und ihren Geist von verborgenen Fehlern rein halten. Die kleinen Kämpfe, die viel zahlreicher sind, sind es, in denen wir die Siege mit der schließlichen Belohnung erringen. „Besser ein Langmütiger, als ein Held, und wer seinen Geist beherrscht, als wer eine Stadt erobert.” - Sprüche 16:32

Schließlich werden die großen Ergebnisse des Gehorsams gegenüber diesem Rat des Herrn, die große Errungenschaft derjenigen, die ihre Herzen mit allem Fleiß behütet haben, in unserem Leittext ausgesprochen und sind das wiederholte ernste Gebet aller Geheiligten in Christo Jesu. - „Laß die Reden meines Mundes und das Sinnen meines Herzens wohlgefällig sein vor dir, Jahwe, mein Fels und mein Erlöser.”



Tagesanbruch Bibelstudien- Vereinigung