Auf dieselbe Weise schmähten ihn auch die Räuber

Wenn wir die vier Evangelienberichte miteinander vergleichen, so bemerken wir, daß alle Verfasser gemeinsam das Leben und Werk unseres Herrn und Erlösers beschreiben, doch jeder individuell auf seine ganz persönliche Weise und aus seiner persönlichen Sicht.

Für Matthäus, der sich vorwiegend an die Juden wendet, ist es von größter Wichtigkeit, Jesus Christus als den Messias und König Israels darzustellen. Folglich finden wir in seinem Bericht die Königsreichsgleichnisse. Nur Matthäus verwendet den Begriff „das Reich der Himmel”, der etwa 30 mal in seinem Bericht erscheint.

Markus, der seinen Bericht besonders an die römische Welt, also an die Nationen richtet, hat den Dienst und die Werke Christi im Sinn. Er sieht Christus als den Knecht des Herrn, der gesandt ist, um das besondere Werk Gottes zu vollbringen.

Lukas, der sich sowohl an die Juden als auch an die Nationen wendet, sieht Christus als den vollkommenen Menschen, der großes Mitleid mit jedem Mitmenschen zeigt. Die Gleichnisse, von denen Lukas berichtet, zeigen besonders die Besorgnis Christi um die verlorene Menschheit.

Johannes, der seinen Bericht offensichtlich als letzter schrieb, ergänzt viele Details, von denen Matthäus, Markus und Lukas nicht berichten. Wir wissen, daß Johannes unserem Herrn immer nahe war, und daß er Augenzeuge seines Ringens in Gethsemane und seiner Kreuzigung war, als alle anderen ihm fern waren. Sein Evangelium beschreibt Christus als den Sohn Gottes.

Matthäus und Johannes waren Apostel und als solche inspiriert, während Markus und Lukas nicht zum Kreis der Apostel gehörten. Dennoch dürfen wir davon ausgehen, daß sie als Werkzeuge Gottes vom Heiligen Geist geleitet ihre Berichte niederschrieben.

Es ist offensichtlich, daß die Evangelien ein-ander ergänzen und bestätigen, wenn man sie im Geist der Wahrheit betrachtet. Die Bibel ist kein Buch, das man Seite für Seite dem Buchstaben nach lesen kann, wie ein Geschichtsbuch oder einen Roman.

Wer dies nicht beachtet, und die innewohnende Harmonie der Schriften außer acht läßt, kann schnell zu Fehlschlüssen dahingehend verleitet werden, daß unterschiedliche Schriftaussagen in den einzelnen Evangelien Widersprüche unter ihren Schreibern anzeigen.

Wenn aber, „alle Schrift von Gott eingegeben ist”, wie uns Paulus in 2. Timotheus 3:16 versichert, und wenn „Menschen von Gott her redeten getrieben vom Heiligen Geist”, wie Petrus sagt, so ergibt sich daraus die logische Schlußfolgerung, daß die auf diese Weise übermittelten Aussagen der Evangelien untereinander nicht widersprechen können.

Wir dürfen überzeugt sein, daß alle dem Buchstaben nach unterschiedlichen Aussagen, die sich in den Evangelien ergeben können, im Geist der Harmonie der Schriften und eines gesunden Sinnes betrachtet, letztlich zu einer befriedigenden, einheitlichen Antwort führen müssen.

Alle lästerten und verspotteten ihn

Alle Evangelien berichten ausführlich über die Leidensgeschichte, den Verrat des Judas, die Verleugnung durch Petrus, das Verhör und die Kreuzigung.

Als Jesus auf einem Eselsfüllen in Jerusalem einzog und sich den Israeliten als König anbot, wurde er mit dem Jubel des Volkes empfangen: „Hosanna dem Sohn Davids! Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosanna in der Höhe!” - Matthäus 21:9

Nur wenige Tage später ruft das gleiche Volk: „Kreuzige, kreuzige ihn!” Die Evangelien berichten einstimmig, daß sich letztlich alle von ihm abgewandt hatten und ihren Spott mit ihm trieben.

Matthäus erwähnt zuerst die Vorübergehenden, die Jesus lästerten - Matthäus 27:39 -, dann die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten, die ihn verspotteten - Matthäus 27:41 - und schließlich zwei Räuber, die mit ihm gekreuzigt wurden, und ihn auf dieselbe Weise wie alle anderen schmähten - Matthäus 27:44 -.

Alle diese, die sich von Jesus abwandten, repräsentierten das jüdische Volk, an das Matthäus sein Evangelium richtete.

Markus berichtet wie Matthäus, daß die Vorübergehenden den Christus lästerten - Markus 15:29 -, und ebenso die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten ihn verspotteten - Markus 15:31 -, und daß auch „die mit ihm gekreuzigt waren” (gemeint sind die beiden Räuber) ihn schmähten - Markus 15:32 -.

Die nebeneinander gestellten Evangelien zeigen übereinstimmend die Stimmung im Volke Israel, als Jesus zur Kreuzigung ging. Alle waren gegen ihn und verhöhnten ihn, die Vorübergehenden, die Hohenpriester und Schriftgelehrten, die Obersten und Ältesten, das Volk, die Soldaten und auch die beiden Räuber - wenn wir dabei von dem Bericht von Matthäus und Markus ausgehen. Dies war die Stunde des Triumphes der Finsternis, in der es schien, daß das ganze Volk ohne Ausnahme gegen Jesus war - oder doch nicht alle!?

Dieser aber hat nichts Ungeziemendes getan

Lukas, der von dem gleichen Ereignis spricht und die gleiche bedrückende Atmosphäre der Ablehnung des gesamten Volkes darstellt, zeigt uns die beiden Räuber, die mit Jesus gekreuzigt wurden, in einem Dialog, mit dem wir uns im weiteren beschäftigen wollen.

Wir wollen zunächst den entsprechenden Text in Lukas 23:39 - 43 betrachten. Dort heißt es: „Einer der gehängten Übeltäter aber lästerte ihn: Bist du nicht der Christus? Rette dich selbst und uns! Der andere aber antwortete und wies ihn zurecht und sprach: Auch du fürchtest Gott nicht, da du in demselben Gericht bist? Und wir zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsere Taten wert sind; dieser aber hat nichts Ungeziemendes getan. Und er sprach: Jesus, gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst! Und er sprach zu ihm: Wahrlich ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein!”

Wir finden hier bei Lukas eine ins Detail gehende Aussage über die beiden Räuber - einen Dialog, der den Aussagen von Matthäus und Markus zu widersprechen scheint.

Matthäus sagte: „Auf dieselbe Weise schmähten ihn auch die Räuber (also beide), die mit ihm gekreuzigt waren”. - Matthäus 27:44 -. Markus sagt: „Auch die mit ihm gekreuzigt waren (also beide Räuber) schmähten ihn”. - Markus 15:32 -. Lukas dagegen berichtet, daß nur einer der Räuber den Herrn schmähte, während der andere Jesus verteidigte.

Welche von beiden Aussagen können wir als zutreffend annehmen, die von Matthäus und Markus, die übereinstimmend beide dasselbe berichten - oder die des Lukas?

Wir sollten uns diese Frage so gar nicht stellen, denn wenn wir so fragen, dann würde es zu verstehen geben, daß entweder Matthäus und Markus oder Lukas hinsichtlich der beiden Räuber oder Übeltäter einen falschen Bericht abgegeben hätten. Laßt uns dagegen lieber nach den Beweggründen forschen, die Matthäus und Markus, wie auch Lukas, zu ihren Aussagen bewogen haben könnten.

Die unterschiedlichen Beweggründe

Wir haben schon zu Anfang festgestellt, daß Matthäus den Christus als rechtmäßigen König und Messias Israels darstellt, der zu seinem Volk kommt, um sein Reich der Gerechtigkeit aufzurichten. Doch der rechtmäßige König wird von seinem Volk verworfen.

Für Matthäus scheint es aus seiner Sicht bedeutsam gewesen zu sein, zu zeigen, daß das ganze Volk ohne Ausnahme seinen König verwarf, darum zählt er auch nacheinander die verschiedenen Gruppen des Volkes auf: die wissende religiöse Oberschicht, Hohepriester und Schriftgelehrte und Älteste - dann die anonyme Mittelschicht der Vorübergehenden - und letztlich die unterste und verachtete Schicht, die durch die beiden gesetzlosen Räuber repräsentiert zu werden scheint.

Auch sollten wir bedenken, daß Matthäus, obwohl er ein Apostel und Jünger Jesu war, so doch kein Augen-oder Ohrenzeuge dieses Dialoges war, wie auch Markus, der berichtet, daß, nachdem Jesus überliefert worden war, „ihn alle verließen und flohen”. - Markus 14:50 und 51 und Matthäus 26:56

Offenbar waren zunächst unter dem Schock der Gefangennahme Jesu alle Jünger geflohen. Später jedoch müssen Johannes, die Mutter Jesu und die Schwester seiner Mutter, Maria, des Klopas (Frau) und Maria Magdalena bis zur Kreuzigungsstätte zurückgekehrt sein, wie wir aus dem Johannesevangelium entnehmen können. - Johannes 19:25 Jedenfalls wissen wir aus dem gleichen Evangelium, daß Jesus vom Kreuz aus zu Johannes sprach und seine Mutter dem geliebten Jünger anvertraute. - Johannes 19:26 und 27

Matthäus konnte seine Informationen zunächst von Johannes erhalten haben, aber auch von den drei Frauen beim Kreuz oder möglicherweise von dem römischen Hauptmann und den Soldaten, die Jesus bewachten. - Matthäus 27:54 Das gleiche gilt auch für Markus, der selbst kein Zeuge der Kreuzigung war.

Für Matthäus, der besonders hervorheben wollte, daß das ganze Volk seinen König und Messias ablehnte, mögen die Worte eines einzelnen gesetzlosen Räubers, der sich im Angesicht seines bevorstehenden Todes an Jesus wandte, nur von untergeordneter Bedeutung gewesen sein - wenn er sie denn überhaupt erfahren hat. Sein Interesse war vornehmlich darauf ausgerichtet Jesus Christus als Messias und König Israels zu zeigen. Auch Markus, der den Herrn Jesus als Knecht zeigt, hatte, wenn wir von seinen Beweggründen ausgehen, keinen besonderen Grund dieses Detail in seinen Bericht aufzunehmen.

Warum Lukas von diesem Zwiegespräch berichtet

Ganz anders verhält es sich jedoch mit Lukas, von dem wir wissen, daß er besonders sorgfältig jedes Detail erforschte, und dem es darum ging, Jesus als mitfühlenden Menschen zu zeigen - als den „Sohn des Menschen, der gekommen ist, zu suchen und zu retten, was verloren ist”. - Lukas 19:10 Entsprechend führt Lukas auch das Geschlechtsregister Jesu über Adam bis auf Gott zurück. Er ist es auch, der Jesus im Gespräch sowohl mit Zöllnern, Steuereinnehmern und Sündern zeigt, als auch mit Samaritern und Frauen.

Lukas betont Jesu Mitgefühl für alle „die zerbrochenen Herzens sind”, für die Kranken, die Miß-achteten und Leidenden, für die „verloren Schafe vom Hause Israel”, wie auch für alle Menschen.

Entsprechend finden wir bei Lukas die Gleichnisse vom „verlorenen Schaf”, von der „verlorenen Drachme” und vom „verlorenen Sohn”. Nur Lukas allein erwähnt das Gleichnis vom „barmherzigen Samariter” und vom „verlorenen Schaf”, in welchem unser Herr die Schlußfolgerung zieht: „Ich sage euch: So wird Freude im Himmel sein über einen Sünder der Buße tut, (mehr) als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht nötig haben”. - Lukas 15:7

Im zweiten Gleichnis, dem von der „verlorenen Drachme”, finden wir die dem Grunde nach gleiche Schlußfolgerung: „So, sage ich euch, ist Freude vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut”. - Lukas 15:10

Freude über einen verlorenen Sünder der Buße tut

Lukas zeigt uns Jesus als den mitfühlenden Menschensohn, der gekommen ist, um auch den einzelnen verlorenen Sünder zu suchen. Lukas 5:32: „Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder zur Buße”.

Und genau dies scheint sich hier zu ereignen: ein Sünder mit einem verpfuschten Leben kommt im Angesicht des sicheren Todes zu der bedrückenden Erkenntnis, daß er in seinem Leben alles falsch gemacht hat und als gerechte Strafe den Tod verdient. Vielleicht hatte er irgendwann von Jesus gehört - von seinem Anspruch, König eines Königreiches zu sein. Vielleicht hatte er aber auch nur die Aufschrift auf dem Kreuz Jesu gelesen: „Dieser ist der König der Juden”. - Lukas 23:38 Jedenfalls bemerkt er, daß Jesus „nichts Ungeziemendes getan hat” und verteidigt ihn vor den Lästerungen des mit ihm gekreuzigten Räubers.

Er weiß, daß dieser König hier nichts mehr für ihn tun kann, aber er setzt seine Hoffnung auch weiterhin in Jesus, was sehr bemerkenswert ist: „Jesus, gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst!”

Was für Matthäus anscheinend nur von untergeordneter Bedeutung gewesen sein mag, wird für Lukas, der Jesus Christus als den mitfühlenden Menschensohn zeigt, von herausragender Bedeutung. Für ihn war es in der Tat beeindruckend und der Erwähnung in seinem Bericht wert, daß Jesus selbst in seinen eigenen Schmerzen und seinem Todeskampf am Kreuz noch ein gutes Wort der Hoffnung für den bekennenden Sünder bereit hielt: „Du wirst mit mir im Paradies sein!”

Unter dem ganzen Volk, das einhellig gegen Jesus war und den König Israels verspottete und verhöhnte, hatte einer den Mut zu widersprechen und Jesus zu verteidigen - ein Räuber, ein Verachteter und von der Gesellschaft Ausgestoßener. Nur er allein erhob seine Stimme, um Jesus vor den Vorübergehenden, vor den Hohepriestern, den Ältesten und Obersten des Volkes, vor dem schmähenden Räuber und vor den Soldaten zu verteidigen. „Dieser hat nichts Unrechtes getan!” War dies nicht Grund genug für Lukas, der Jesus als mitfühlenden Freund der Verachteten und Verstoßenen sah, diese erschütternde Begebenheit den Lesern seines Evangeliums zu berichten?

Die Evangelien berichten einstimmig darüber, daß Jesus zwischen zwei Verbrechern gekreuzigt wurde, einer zu seiner Rechten und einer zu seiner Linken. Aber Lukas berichtet mehr über die beiden „verlorenen Schafe”; nämlich daß der eine bis zum Tode verstockt blieb, während der andere die allerletzte Möglichkeit ergriff seine Taten zu bereuen und seine ganze Hoffnung in den von allen verachteten und geschmähten König Israels zu setzen. Und Jesus versicherte ihm: „Du wirst mit mir im Paradiese sein!”

Lukas Aussage stimmt mit Matthäus und Markus in soweit überein, daß einer der beiden Übeltäter den Herrn Jesus mit den gleichen Lästerungen wie die übrigen schmähte: „Bist du nicht der Christus, rette dich selbst und uns!”

Und so sprach auch das Volk - Lukas 23:35 - „Rette dich selbst” das bedeutetet „steige vom Kreuz herab”. - „Wenn du Gottes Sohn bist, so steige vom Kreuz herab!” - Matthäus 27:40

Aber Jesus war nicht bis hierher gekommen, um den Einflüsterungen Satans nachzugeben, der aus diesen Menschen sprach, sondern um sein Leben am Kreuz als ein Lösegeld für alle zu opfern. Für alle? Ja, für alle - für die Soldaten, die ihn ans Kreuz schlugen, für die Obersten, die Hohen-priester und Schriftgelehrten, die seine Leiden am Kreuz zu verantworten hatten, für das verblendete Volk, für jeden einzelnen, der ihn schlug oder verhöhnte, und auch für die beiden Räuber, die mit ihm gekreuzigt wurden.

Wenn beide Übeltäter, sowohl der eine, der ihn verhöhnte, wie der andere, der ihn verteidigte, vom Opfertod Jesu in gleicher Weise profitieren, und in der Auferstehung wieder hervorkommen werden, worin besteht dann für sie der Unterschied?

Jesus hat uns verheißen, daß „alle die in den Gräbern sind seine Stimme hören und hervorkommen werden: die das Gute getan haben zur Auferstehung des Lebens, die aber das Böse verübt haben zur Auferstehung des Gerichts”. - Johannes 5:29 Und in der Tat hatten beide in ihrem Leben das Böse getan.

Zu „allen”, die aus den Gräbern hervorkommen werden, zählen auch die beiden Räuber, die, wie wir glauben, zur Auferstehung des Gerichts hervorkommen werden. Beide gingen ins Grab, der eine uneinsichtig und verhärtet und der andere einsichtig und mit mitfühlendem Herzen für den unschuldig leidenden Menschensohn. Ein Sprichwort sagt, daß „Einsicht der erste Weg zur Besserung” ist, und diesen Schritt hatte der eine von ihnen offensichtlich noch diesseits des Grabes getan.

Wir dürfen vermuten, daß der einsichtige Übeltäter, der mit seinem mutigen Eintreten für Gerechtigkeit ins Grab ging, einen wesentlichen Vorteil vor seinem Leidensgenossen haben wird, der mit verhärtetem Herz ins Grab ging.

Die Schrift sagt, indem sie den Menschen mit einem Baum vergleicht: „Und wenn ein Baum nach Süden oder nach Norden fällt: an der Stelle, wo der Baum fällt, da muß er liegenbleiben”. - Prediger 11:3 Der Mensch, der mit verhärtetem Herzen und lästerlichen Gedanken in den Todesschlaf fällt, wird auch in der Auferstehung mit einem verhärteten Herz und den bösen Gedanken im Herzen aufwachen, mit denen er in den Todesschlaf ging.

Vielleicht dürfen wir Jesu Worte: „Du wirst mit mir im Paradise sein”, dahingehend deuten, daß der mit Jesu mitfühlende und nach Gerechtigkeit strebende Übeltäter gute Voraussetzungen in den Auferstehungstag mitbringen wird, um auf dem Hochweg der Heiligung weitere Fortschritte machen zu können. Jesus konnte die Herzen lesen und auch beurteilen, was in diesem Übeltäter vor sich ging, der ihn mutig gegen ungerechte Anschuldigungen verteidigte.

Wenn wir das Gespräch der beiden Übeltäter genau untersuchen, so können wir feststellen, daß der erste die Rettung seines Lebens vom Kreuz von Jesus forderte. Der andere, der Einsicht zeigte, nahm seinen Kreuzestod als eine verdiente Strafe an, und seine Bitte an Jesus hatte nichts mehr mit diesem Leben zu tun: „Gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst!” Die Erfüllung seiner Bitte setzte seinen Glauben an eine Auferstehung aller Menschen voraus, und sie spricht für seinen Glauben an Jesus als König und Herrscher eines Reiches.

Laßt uns zusammenfassend feststellen, daß der bußfertige Räuber die Gerechtigkeit seiner eigenen Strafe einsah, daß er den sündlosen Charakter Christi bemerkte, daß er einen lebendigen Christus jenseits des Grabes sah und ein Reich jenseits des Kreuzes mit Jesus als kommenden König - und daß dieser König alle Voraussetzungen hatte etwas für ihn zu tun.

Wir denken nicht, daß dieser Mensch in einem Augenblick die Wahrheit ergriff und den Opfertod des Herrn verstand. Aber er begann zu verstehen, daß er ein ungerechtes und sündiges Leben geführt hatte, für das er eine gerechte Strafe erhielt. Und er sah im Gegensatz dazu Jesus, der ein gerechtes und heiliges Leben geführt hatte, der nichts getan hatte und zu Unrecht neben ihm am Kreuze hing.

Er glaubte, daß Jesus, obwohl er als König verhöhnt in den Tod ging, doch eines Tages jenseits des Grabes sein Königreich empfangen würde. Er glaubte auch, daß Jesus dann imstande wäre, etwas für ihn zu tun.

Welcher gerechte und edle Mensch wird nicht eine ihm erwiesene Wohltat, und gerade dann, wenn sie unter solchen Umständen geschieht, vielfach vergelten, wenn er dazu die Gelegenheit hat. Mit diesem Gedanken mag sich der einsichtige Räuber an Jesus gewandt haben: „Gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst”. Und Jesus versicherte ihm, wir zitieren nach der Konkordanten Übersetzung: „Wahrlich dir sage Ich heute: Mit mir wirst du im Paradiese sein!” - Lukas 23:42 und 43

Du wirst mit mir im Paradies sein

In seiner Antwort verheißt Jesus dem Bittsteller nicht mehr und nicht weniger, als daß er mit ihm im Paradies sein wird. Das Bibellexikon gibt zu verstehen, daß das ursprünglich aus dem Persischen stammende Lehnwort „Paradies” einen Garten oder Park bezeichnet, was im Hebräischen zu dem Ausdruck „Garten Eden” oder „Garten in Eden” führte, wie es uns aus dem Schöpfungsbericht geläufig ist. Das Wort „Paradies” erscheint in der Heiligen Schrift nur an zwei weiteren Stellen, in 2. Korinther 12 und in Offenbarung 2:7.

Offenbarung 2:7 spricht von dem Gegenbild des Gartens Eden, von dem wiederhergestellten Paradies Gottes mit dem gegenbildlichen Baum des Lebens, dem Christus, in seiner Mitte. Und dieses Paradies, das irdische Königreich, hatte Jesus im Sinn, dessen Wiederherstellung Jesaja 35 so anschaulich beschreibt.

Jesus konnte seinem Bittsteller nicht die Zusage geben: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein”, weil dieses Paradies zu dieser Zeit noch in weiter Zukunft lag. Nach 2.000 Jahren beten wir heute noch immer, daß das Königreich mit seinen Wiederherstellungssegnungen bald kommen möge. Jesus konnte dem Übeltäter aber an diesem Tag am Kreuz versichern, daß er mit ihm im Königreich sein werde. In der Umschreibung mögen die Worte Jesu folgendes beinhaltet haben: „Ich sage dir schon heute voraus, du wirst mit mir im Paradies, in meinem Königreich sein, um deiner Worte willen, die aus einem bußfertigen Herzen kommen”.

Hermann Menge, ein Bibelübersetzer, der wie nahezu alle anderen Übersetzer (mit Ausnahme des Ludwig Reinhardt) das Komma an die falsche Stelle setzt, gibt dazu in einer Fußnote den folgenden Kommentar ab: „Abzulehnen ist die Übersetzung „Wahrlich ich sage dir (schon) heute: Du wirst mit mir im Paradies sein”. Diese Übersetzung verkennt völlig, was mit dem Paradies gemeint ist, nämlich der Ort, an dem die Gerechten der Vollendung des Reiches Gottes entgegenharren”.

Auch das von Fritz Rienecker herausgegebene Lexikon gibt unter dem Stichwort „Paradies” folgendes Zitat: „Das Neue Testament nennt das Paradies in Lukas 23:43 als Aufenthaltsort der Erlösten in der Zwischenzeit zwischen Tod und Auferstehung”.

Die beiden Zitate von namenkirchlichen Schriftgelehrten zeigen uns, welche Ansichten die Übersetzer zu dieser zweifellos „unbiblischen” Textübersetzung verleiteten, und die einmal mehr die Worte der Schrift bestätigen, daß die tiefere Wahrheit vor den weltlich Weisen verborgen bleibt, während sie „Unmündigen” offenbart wurde.

Als Jesus starb, ging er für drei Tage lang in den Todesschlaf. Der Ort, an den er ging, war nicht das Paradies, sondern das Grab oder der Scheol. Nach drei Tagen wurde er aus dem Todeszustand auferweckt, und auch dann wurde er nicht ins Paradies entrückt, sondern erschien seinen Jüngern 40 Tage lang. - 1. Korinther 15:4 - 7 und Apostelgeschichte 1:3 Auch danach wurde er nicht in das Paradies versetzt, sondern fuhr auf zu seinem und unserem Vater im Himmel - Markus 16:19 und Lukas 24:50 und 51

Jesus selbst gibt uns in der Jonasgeschichte den schlüssigen Beweis, an welchen Ort er im Tode ging. In Matthäus 12:40 lesen wir wie folgt: „Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte in dem Bauch des großen Fisches war, so wird der Sohn des Menschen drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein”.

Jesus war also in der Zwischenzeit nicht zwischen Tod und Auferstehung im Paradies, wie dies in den namenchristlichen Schriften gelehrt wird, sondern im Scheol, „im Herzen der Erde”.

Jesus versprach seinem Bittsteller nicht, daß er an diesem Tage ihrer Kreuzigung, - „heute” - mit ihm im Paradies sein werde. Vielmehr versprach Jesus ihm schon heute, bevor er in den Tod ging, daß er zu einer bestimmten zukünftigen Zeit, bei der Auferstehung der Menschheit, mit ihm im Paradies sein würde.

Während Jesus nach drei Tagen aus dem Todesschlaf auferweckt wurde, schlafen die beiden Räuber, wie auch alle anderen verstorbenen Menschen, in den Gräbern und warten auf den gebietenden Ruf des Herrn: Kommt heraus!

„Wenn dies geschieht, wird, wie die Schrift uns lehrt, jeder für seine eigenen Sünden verantwortlich sein und „der Jüngste wird im Alter von hundert Jahren sterben, und wer das Alter von hundert Jahren nicht erreicht, wird als verflucht gelten”. - Jesaja 65:20

Wir deuten die Worte Jesu dahingehend, daß der eine der beiden Räuber, der Einsicht zeigte, diese Schwelle von hundert Jahren überspringen wird, und dies, weil er schon unter dem geringen Licht, das er hatte, Einsicht und ein gewisses Gefühl für Gerechtigkeit zeigte, und weil er seine Hoffnung auf den Messias und König Israels setzte.

Derjenige, der unter dem vollen Licht und den Gelegenheiten des Neuen Tages in seinen Sünden verharrt und keinerlei Fortschritte zeigt, wird nach hundert Jahren vom Leben endgültig abgeschnitten und fällt in den zweiten Tod.

Jesu Versicherung an den reumütigen Sünder: „Wahrlich … du wirst mit mir im Paradiese sein”, kann auf gewisse Weise auch als allgemeingültiges Prinzip verstanden werden - in dem Sinn, daß alle Menschen, die ihre schlechten Taten bereuen, die Gerechtigkeit suchen, und die ihre einzige Hoffnung auf den König Israels setzen, mit Jesus im Paradies sein werden.

Die Frage, ob der uneinsichtige und von Herzen verhärtete Räuber die günstige Gelegenheit, die ihm durch Christi Loskauf in der Auferstehung aus dem adamischen Tode gegeben wird, zur Umkehr von Herzen nutzen wird, oder ob er „als Jüngling sterben wird”, können wir nicht zu beantworten. Wer aber auf die Stimme des Christus am Auferstehungstage nicht hören wird, soll aus dem Volke ausgerottet werden. - Apostelgeschichte 3:23

Für alle Menschen gilt aber das Prinzip, das Gott durch Hesekiel Seinem Volk gegenüber offenbart: „So wahr ich lebe, spricht der Herr, Jahwe, ich habe keinen Gefallen am Tode des Gesetzlosen, sondern daß der Gesetzlose von seinem Wege umkehre und lebe!”

Also ist Freude vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.



Tagesanbruch Bibelstudien- Vereinigung