Die Eigenschaften Gottes

Eine Betrachtung über die Eigenschaften Gottes scheint im ersten Augenblick nur wenig interessant zu sein, da sie über eine schematische und abstrakte Schilderung kaum hinausgehen kann. Das Abstrakte - das Ergebnis systematischen menschlichen Denkens aber - ist ohne tieferes Interesse für die Allgemeinheit, der es als leblose, wirklichkeitsfremde Spekulation erscheint.

Es liegt jedoch gerade im Wesen des unsichtbaren Gottes, daß sich der Mensch Ihm nur auf gedanklichem Wege nahen kann. Und hier liegt auch die Ursache dafür, daß der unsichtbare Gott dem natürlichen Wesen des Menschen von jeher ferner gestanden hat als die sichtbaren „Götter”: die Mächtigen dieser Erde - alle Arten von Machtrepräsentanten, wie Tempel und Tempelverwalter, der Staat und seine Staatsrepräsentanten (Könige, Diktatoren, Präsidenten usw.), Militär und Militärgewaltige. Hier liegt auch die Ursache, warum der primitive Mensch sichtbare Bilder der unsichtbaren Götter als Gegenstände der Anbetung forderte: Götzen aus Holz, Stein und Metall in Tier- und Menschengestalt, denen er die übermenschlichen Kräfte zuschrieb, die ihm im Leben als meist feindliche, manchmal auch als freundliche Einflüsse und Schicksalswendungen begegneten.

Hinter allem Götzendienst stehen sehr oberflächlichliche und ungenaue Gottesvorstellungen, denen keine Wahrheit innewohnt. Über die Vorstellung eines mächtigen Menschen kommen solche Vorstellungen kaum hinaus. Von denjenigen, die auch davor nicht zurückschrecken, wird Gott sogar ins Menschliche herabgezogen.

Wir sollten aber nicht glauben, daß diese Gottesbegriffe das Ursprüngliche darstellen und der wahre Gott eine „Erfindung” der Juden oder ihrer Vorfahren sei. Gott ist überhaupt keine Erfindung des Menschengeistes - Gott ist eine Erfahrung. Die Kenntnis des wahren Gottes, des Schöpfers des Himmels und der Erde, ist lange vor den Zeiten der Nation Israel vorhanden gewesen. Diese Kenntnis ist so alt wie die Menschheit. Adam, Kain und Abel, die vor Noah lebten, waren keine Israeliten. Aber der wahre und unsichtbare Gott war vielen von ihnen wohlbekannt, denen, die Ihm auch Anbetung darbrachten. Es ist somit gerade umgekehrt, als es die Religionshistoriker meist darstellen: Die Kenntnis des wahren Gottes ist das Älteste.

Doch diese Erfahrung und Erkenntnis kam vielen Menschen schnell abhanden und entartete in scheußlichen Gottesersatz, in alle Formen von Götzendienst. Noah war in seinen Tagen wohl der einzige, der an der Überlieferung der Gottesoffenbarung alter Zeit noch festgehalten hatte, und um derentwillen er der ersten Weltzerstörung entgehen durfte. Nach der Flut wird in der Nachkommenschaft Noahs die Gotteserkenntnis noch eine Zeit lang gehütet worden sein; aber wie der ersten Menschheit, kam sie auch der zweiten bald fast vollständig abhanden und entartete erneut in Götzendienst. Ein zweites Mal in der Menschheitsgeschichte bestand die Gefahr, daß die Kenntnis des Ewigseienden in völlige Vergessenheit geriet. Gott beschloß, mit Abraham einen Neuanfang zu machen, den Er erwählte und in dem Er auch „Abrahams Samen”, das Volk Israel, erwählte, um fortan Seinen hohen Namen auf der Erde wohnen zu lassen: in Abraham und seiner Nachkommenschaft bis zu der Zeit, da Er den Erlöser senden würde, um den Weg der Gotteserkenntnis für alle Nationen zu öffnen.

Wie die Erkenntnis der Wahrheit und des lebendigen Gottes zu Abraham gekommen ist, erfahren wir aus der Heiligen Schrift nicht. Jedenfalls war sie keine Familienüberlieferung unter Abrahams Vorfahren. Denn von ihnen erfahren wir in Josua 24:2: „Eure Väter wohnten vor alters jenseits des Stromes (Euphrat), Tarah, der Vater Abrahams, und der Vater Nahors, und sie dienten anderen Göttern”.

Wir dürfen jedoch annehmen, daß damals unter den Nachkommen Sems die Erkenntnis des unsichtbaren Gottes noch nicht völlig verschwunden war, daß die alten vorsintflutlichen Überlieferungen hier noch eine Heimstätte hatten, und daß Abraham (Abram) irgendwie mit dieser Überlieferung in Verbindung stand, wenn auch nicht durch seinen Vater oder seine Familie. Er muß als junger Mann die Wahrheit mit brennendem Interesse ergriffen haben. Und eben diese Wahrheitserkenntnis ließ ihn unter seinen Volksgenossen in Mesopotamien zu einem Fremdling werden und bildete die Voraussetzung dafür, daß der Ruf Gottes an ihn erging, aus seinem Lande, seiner Verwandtschaft und seines Vaters Hause hinauszugehen, um in ein Land zu ziehen, das Gott ihm zeigen würde. - 1. Mose 12:1

Daß es aber zu Abrahams Zeiten und selbst später noch Anbeter und Priester des höchsten Gottes auch außerhalb der Linie Abrahams gab, sehen wir an dem Priester von Salem, Melchisedek - 1. Mose 14:18 fortfolgende -, der ein Heiliger des höchsten Gottes war, so daß Abraham ihm die tiefste Ehrfurcht erwies, ihm den Zehnten der Kriegsbeute entrichtete und sich von ihm segnen ließ. Und noch zur Zeit des Auszuges der Kinder Israel aus Ägypten gab es in Peor am Euphrat einen Propheten Jahwes namens Bileam. - 4. Mose 22 :5 ff. Aber ungeachtet der Tatsache, daß die Verehrung des wahren Gottes noch ihre Stätten auf Erden hatte, wäre doch die wahre Gotteserkenntnis in Gefahr gewesen, völlig verloren zu gehen, wenn nicht Gott mit Abraham und dem Samen Abrahams nach dem Fleische der Wahrheit (über Vergangenheit und Zukunft des Menschen) eine feste und dauernde Wohnstätte angewiesen hätte.

Abraham und seine Nachkommen waren es, die die uralten Überlieferungen vom Anbeginn der Welt hüteten, bis sie dann durch Moses im Pentateuch schriftlich niedergelegt wurden.

Durch das Gesetz der zehn Gebote aber und das damit verbundene feierliche Bündnis mit Gott wurde einer neuen Entartung der wahren Gotteserkenntnis in groben Götzendienst ein Riegel vorgeschoben. Denn das erste Gebot lautete nun: „Du sollst keine andern Götter haben neben Mir” und ein anderes: „Du sollst dir kein geschnitztes Bild machen, irgendein Gleichnis dessen, was oben im Himmel und was unten auf der Erde und was in den Wassern unter der Erde ist. Du sollst dich nicht vor ihnen niederbeugen und ihnen nicht dienen; denn ich, Jahwe, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Ungerechtigkeit der Väter heimsucht an den Kindern, ja, am dritten und vierten Gliede derer, die mich hassen; und der Güte erweist auf Tausende hin an denen, die mich lieben und meine Gebote beobachten”. - 5. Mose 5:7 - 10

Wenn auch diese Bestimmung des Gesetzes oft mißachtet worden ist, so hat Gott doch immer Getreue gehabt, die sich dem völligen Abgleiten in Götzendienst und Heidentum tapfer widersetzt und den Untergang der Wahrheit auf Erden mit Gottes Hilfe aufgehalten haben.

Du sollst dir kein Bildnis machen

Nachdem Gott sich dem Volke Israel vom Sinai her in Feuer, Rauch und Erdbeben auf eine schreckenerregende Weise geoffenbart hatte - 2. Mose 19 -, ließ Er diesem Volke aufs neue durch Mose das Gebot einschärfen: „Ihr habt gesehen, daß ich vom Himmel her mit euch geredet habe. Ihr sollt nichts neben mir machen, Götter von Silber und Götter von Gold sollt ihr euch nicht machen. Einen Altar von Erde sollst du mir machen und darauf opfern”. - 2. Mose 20:22 - 24 Aber nur kurze Zeit später dringt das ungehorsame Volk darauf, daß ihr Priester Aaron ihnen ein goldenes Kalb mache, das sie unter dem Namen Gottes anbeten. - 2. Mose 32 Und zu Rückfällen in den Götzendienst ist es bis zur Babylonischen Gefangenschaft immer und immer wieder gekommen, wenn auch nie zu einem vollkommenen Verlust der Wahrheit.

Geistige Symbole des unsichtbaren Gottes haben aber die Israeliten schon immer gehabt, und solche waren auch nicht verboten. Das Gefährliche liegt in einem vergegenständlichten Gottesbegriff. Der Prophet Jesaja gibt uns eine bildhafte Vision Gottes und Seines Thrones und der Seraphim in Jesaja 6:1 - 7: „Ich sah den Herrn sitzen auf hohem und erhabenem Throne, und seine Schleppen erfüllten den Tempel. Seraphim standen über ihm; ein jeder von ihnen hatte sechs Flügel: mit zweien bedeckte er sein Angesicht, mit zweien bedeckte er seine Füße und mit zweien flog er. Und einer rief dem andern zu und sprach: „Heilig, heilig, heilig ist Jahwe der Heerscharen, die ganze Erde ist voll seiner Herrlichkeit! Und es erbebten die Grundfesten der Schwellen von der Stimme der Rufenden und das Haus wurde mit Rauch erfüllt”.

In viel deutlicherer Ausführung kehrt dieses Bild des göttlichen Thrones im ersten Kapitel des Hesekiel wieder. Wir erblicken hier den mit Rädern versehenen Thron Gottes. Die vier Räder laufen kreuzweise nach den vier Himmelsrichtungen, so daß sich der Thron ohne Achsendrehung nach vorn und rückwärts und nach beiden Seiten bewegen kann, aber auch in die Höhe und wieder in die Tiefe. - Hesekiel 1:19

Bei oder über diesen Rädern schweben vier Engel, die als „lebendige Wesen” bezeichnet werden. Sie sehen im ganzen wie Menschen aus, doch haben sie Rinderfüße und ein vierfaches Angesicht. Wenn man den Thron von vorne betrachtete, so sah man bei jedem lebendigen Wesen ein Menschengesicht; von der rechten Seite aus erblickte man bei allen ein Löwengesicht, von der Linken aus bei jedem einen Stierkopf, von hinten aus bei jedem einen Adlerkopf. Nach jeder Himmelsrichtung hin blickt dasselbe Angesicht. Darum wird auch in der Offenbarung nichts davon gesagt, daß jedes lebendige Wesen vier Angesichter habe, weil von einunddemselben Standpunkte aus bei allen vier dasselbe Angesicht gesehen wird, und nur bei Wechsel des Standpunktes vier verschiedene Angesichter erblickt werden.

Die vier lebendigen Wesen haben je vier Flügel; mit je zweien bedecken sie den Leib, wie mit einem Gewand, mit den beiden anderen schweben sie über einem der vier Räder. Ihr Geist ist in den Rädern, d. h. daß die Räder sich immer in die Richtung bewegen, in die das Vorderantlitz des Engels blickt. Es bewegt sich immer genau geradeaus. Aber es bewegt sich auch aufwärts und abwärts, wie der Cherub es will. Die Spitzen der ausgebreiteten Flügel berühren sich mit den Spitzen der beiden benachbarten Engel, so daß die acht Flügel ein Quadrat bilden. Über diesem Viereck befindet sich eine durchsichtige Ebene, auf der der Thron Gottes steht.

Der Allmächtige ist in dieser Vision ein strahlendes Wesen von menschlicher Gestalt. Die von Gott ausgehenden Strahlen bilden einen prächtig leuchtenden Regenbogen. - Verse 26 - 28 Die Felgen der Räder sind überall mit Augen besetzt. Nach dem Bild der Apokalypse befinden sich diese Augen an den (sechs) Flügeln der lebendigen Wesen. - Offenbarung 4:6 Unaufhörlich rufen die vier Cherubim (so werden sie in Hesekiel 10:20 genannt): „Heilig, heilig, heilig, Herr, Gott, Allmächtiger, der da war und der da ist und der da kommt” - Offenbarung 4:8 -, wodurch sie offenbar mit den Seraphim des Bildes von Jesaja 6 identifiziert werden.

Wir sehen also, daß sich die Propheten doch Bilder von Gott machten, aber eben rein geistige Bilder, die der Erhabenheit des Allmächtigen niemals Abbruch tun können, sondern die höchste geistige und seelische Erhebung des anbetenden Menschen voraussetzen, um sie sich überhaupt vorstellen zu können. Nicht ohne die Hilfe des Heiligen Geistes Gottes vermag der Sterbliche sich zu solcher Schau zu erheben oder gar die tiefe Symbolik der einzelnen Züge zu verstehen. Die Einzigkeit Gottes, des Schöpfers auf Seinem himmlischen Throne, Seine Unzugänglichkeit, Geistigkeit und Unsichtbarkeit werden durch solche Vergegenwärtigung des Allerhöchsten betont. Wie eine geheimnisvolle Bilderschrift ältester Zeiten muten uns diese prophetischen Visionen an. Sie vertiefen unsere Ehrfurcht vor dem Allmächtigen, statt sie zu banalisieren, wie es Götzenbilder tun. Andererseits überzeugen sie uns mehr als bloße Worte und Namen von der Wirklichkeit Gottes.

Auch der Prophet Daniel gibt uns ein Bild von der himmlischen Wirklichkeit, indem er uns eine himmlische Gerichtsszene in Kapitel 7 beschreibt: Auf dem himmlischen Throne erblicken wir einen „Alten an Tagen”. „Sein Gewand war weiß wie Schnee, und das Haar seines Hauptes wie reine Wolle; sein Thron Feuerflammen, dessen Räder wie loderndes Feuer. Ein Strom von Feuer floß und ging von ihm aus”. - Verse 9 und 10

Nach all diesem ist Gott eine Person; Er gleicht dem Menschen, der ja nach Gottes Bilde erschaffen worden ist. Sein Wesen ist Energie, Kraft, Licht, Glut, verzehrendes Feuer, rasende Bewegung, in ständiger Wirkung begriffen, wie durch die von dem Throne ausgehenden Blitze veranschaulicht wird. Seine Geistnatur wird durch strahlende Edelsteine und glühendes Metall gezeigt, Seine auf Autorität beruhende, machtvolle Stimme wird uns durch das Rauschen tosender Wassermengen oder durch rollenden Donner versinnbildlicht. Seine Allwissenheit beweisen die zahlreichen Augen an den Rädern des Thrones und an den Flügeln der „lebendigen Wesen”. Seine Allgegenwart wird durch die nach allen Richtungen hin und nach oben und unten beweglichen Räder des Thrones verständlich gemacht.

Dicht um den Thron herum stehen die vier „lebendigen Wesen”. Sie hören Tag und Nacht nicht auf, den Ewiglebenden, „der da war, der da ist und der da sein wird” (oder „kommt”), zu preisen. Wer sind sie? Sie sind Gottes Eigenschaften oder Tugenden: Die Liebe (das Menschenantlitz), die Allmacht (der Stierkopf), die Gerechtigkeit (der Löwenkopf) und die Allweisheit Gottes (der Adlerkopf). Gott wird unablässig verherrlicht durch Seine Tugenden; Ihn preisen - mehr als die Gebete der Gläubigen es vermögen - Seine Werke und Wirkungen.

Diese Eigenschaften Gottes werden als lebendige Wesen dargestellt, weil es sich eben nicht nur um Möglichkeiten der göttlichen Natur handelt, sondern um ständige Äußerungen des göttlichen Wesens. Nicht einige der Handlungen Gottes sind gerecht, sondern alle Seine Handlungen, und ungerecht ist gar keine; Gottes Handeln ist nicht manchmal weise, sondern es ist immer weise; allem Tun Gottes liegt Liebe zu Grunde, und allezeit ist Er machtvoll und richtet Sein Wort aus, wozu es gesandt ist. - Jesaja 55:11

Und immer wirken die Eigenschaften Gottes in voller Harmonie miteinander in allem Seinem Wollen und Tun. Was ist Gerechtigkeit, wenn sie nicht mit Liebe gepaart ist? Was nützt Macht, wenn sie nicht mit Weisheit verwaltet wird? Was hilft Gerechtigkeit, wenn keine Macht dahinter steht?

Ich möchte dem beistehen, dem Gewalt angetan wurde; ich möchte dem Bedrückten helfen, vom Joch der Gewalttätigen loszukommen; ich möchte dem Gefangenen zur Freiheit verhelfen, aber es fehlt mir an Macht, vielleicht an Weisheit - und meine Gerechtigkeit ist ohnmächtig. Sie ist eine bloße Möglichkeit meines Charakters, die fruchtbar und lebendig werden könnte, wenn andere Bedingungen dazukämen, und die ausnahmsweise einmal lebendig wird, wenn die wenige Macht, Weisheit, Liebe, über die ich verfüge, in einem ganz bestimmten Fall ausreichen, damit sich meine Gerechtigkeit ausleben kann. Ich kann vielleicht unter streitenden Kindern eine gerechte Entscheidung treffen, bin aber schon nicht mehr dazu fähig, unter streitenden Nachbarn durch gerechte Schlichtung den Frieden herzustellen, weil es mir an Autorität, Macht und Weisheit fehlt.

So sind Gerechtigkeit, Liebe, Weisheit für uns meist nur große Worte, und selten treten sie als lebendige Wirkungen in Erscheinung. Wo das aber der Fall ist, da wecken sie immer Leben und Freude in unserem Herzen.

Welch ein Aufatmen, welches Gefühl der Befriedigung erquickt uns, wenn wir es erleben, daß der frevelhaften Bedrückung eines Tyrannen von einem Mächtigeren und Gerechteren und Weiseren ein Ende gesetzt wird! Welche Genugtuung erfüllt uns, wenn dem Unschuldigen gegen den Gewalttätigen zum Recht verholfen wird!

Über die Liebe werden viele schöne Worte gemacht; aber all das ist eine tote Angelegenheit. Wo uns aber die lebendige Ausstrahlung selbstloser Liebe im Leben begegnet, da gießt sie Freude, tiefen Trost und Beseligung in unsere Herzen. Auf einmal merken wir, daß Liebe nicht nur ein Wort ist, sondern eine unwiderstehliche geistige Kraft. Und welche Befriedigung und Beruhigung erfüllt uns, wenn wir es erleben, daß die Mächte des Bösen in dieser Welt doch nur Ohnmächte sind gegenüber der unbesiegbaren Macht Gottes, und daß Gott ihnen nur eine kurze Frist läßt, sich auszuleben, um sie endlich vor aller Menschen Augen als falsche Mächte, törichte, menschlich-satanische Überhebung zu entlarven.

„Der im Himmel thront, lacht, der Herr spottet ihrer. Dann wird Er zu ihnen reden in Seinem Zorn, und in Seiner Zornglut wird Er sie schrecken”. - Psalm 2

Was für eine Beruhigung gibt uns dieses souveräne Lachen Gottes, welche Überlegenheit spricht aus diesem göttlichen Spotten! Da wissen wir: Die Wahrheit wird siegen, die Gerechtigkeit wird triumphieren. „Jesus lebt, Jesus siegt, Halleluja Amen!”

Wie beglückend ist es doch für den Betrachter der Natur und den Forscher, wenn er die göttliche Weisheit in allem Erschaffenen entdeckt: Weisheit, die immer neues Staunen hervorruft und alle menschliche Weisheit und Erfindungsfähigkeit unendlich weit hinter sich läßt! Und wie sonderbar, daß der göttlichen Weisheit, der wahren Lebensweisheit, nicht der eigenwillige Denker, nicht der nimmerruhende menschliche Streber und Forscher am nächsten kommt; daß die größte Weisheit vielmehr bei den Einfältigen (Einfachen), Demütigen, Unschuldigen und Kindlichen wohnt! Denn „was der Verständigste der Verständigen nicht sieht, das entdecket in Einfalt ein kindlich Gemüt”, sagt Schiller. Die wahre Weisheit ist eben gegeben, sie ist von oben. Die „Weisheit” unserer Diplomaten, Politiker und Manager ist in der Regel nichts mehr als Pfiffigkeit, Gerissenheit, Schlauheit. Was fehlt ihr? Es fehlt ihr die Gerechtigkeit, die Wahrheit, die Liebe, die Macht.

Die vier Wesensäußerungen des lebendigen Gottes wirken immer einträchtig zusammen, wenn auch manchmal die eine, manchmal die andere Kraft in Erscheinung tritt. Erst in ihrem Zusammenwirken werden sie wohltätig, eben wahrhafter Ausfluß der Persönlichkeit Gottes.

Weisheit ohne Liebe kann zu Gift werden. Was hat die Entdeckung der Atomspaltung der Menschheit gebracht? Nur eine ebensogroße Leistung der Liebe und der Gerechtigkeit könnte den Schaden dieser „Weisheit” ausgleichen oder gar in einen Segen verwandeln.

Liebe ohne Gerechtigkeit ist Torheit. Die Gerechtigkeit muß sogar der Liebe vorangehen. Wer sich gegen die Gesetze vergangen hat, muß zuerst einmal vor Gericht gestellt und verurteilt werden. Erst nach der Verurteilung kann die Gnade, Vergebung oder Milderung der Strafe ausgeübt werden, wenn der Übertreter solcher würdig erscheint. Gewöhnlich muß ein Verurteilter seine Strafe erst einmal antreten oder einen Teil davon abbüßen, ehe man auf Grund seines Verhaltens gegenüber der gerechten Strafe ermessen kann, ob er der Gnade würdig ist. Unsere heutigen klugen Mütter machen es meist umgekehrt: Wenn das Kind sich ungebärdig, anspruchsvoll und trotzig benimmt, so entschuldigen sie es sofort, plädieren für mildernde Umstände, beruhigen es mit einer Süßigkeit; sie gehen über die Gerechtigkeit hinweg sofort zur Liebe und erziehen sich im Kinde eine Zuchtrute für ihre Torheit.

Aber eine Gerechtigkeit ohne Liebe ist unmenschlich. Es steht dem menschlichen Richter nicht zu, zu vergessen, daß er selber ein Sünder ist. Darum ist die Todesstrafe vom christlichen Standpunkt aus nicht zu verteidigen, weil sie jede Gnade und spätere Milderung auf Grund eines Gesinnungswandels ausschließt. Mit Beispielen aus dem Alten Testament soll man sie nicht verteidigen. Christus sagt: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein”. *

* Dieser Text fehlt in den drei ältesten Handschriften: Codex Sinaiticus, Codex Vaticanus und Codex Alexandrinus. - Anmerkung der Redaktion

Die Eigenschaften Gottes wurden nicht auf einmal offenbar

Zuerst erkannte der Mensch wohl die überlegene Macht der Gottheit, wie sie sich in ihrer unversiegbaren Schöpferkraft zeigt. „Und Gott sprach: ,Es werde Licht!’ und es ward Licht”. Gott zeigte gewissermaßen zuerst das Stiergesicht. Im Gewittersturm, im Erdbeben, in der Wasserflut verheerender Überschwemmungen, im verzehrenden Feuer der Waldbrände erfuhr der erschreckte Mensch die unwiderstehliche Allmacht des Schöpfers.

Dann bemerkte er die Weisheit Gottes in der wunderbaren Einrichtung der Natur, der Schöpfung. In der Wiederkehr der Jahreszeiten, im Sonnen- und Mondwechsel, in den harmonischen Bewegungen der Himmelskörper sah er das Walten eines weisen Gottes der Ordnung. „Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes, und die Ausdehnung verkündet seiner Hände Werk. Ein Tag berichtet es dem andern, und eine Nacht meldet der andern die Kunde davon. Keine Rede und keine Worte, doch gehört wird ihre Stimme”. - Psalm 19:1 - 3 und fortfolgende. Auch Paulus redet davon, daß Gott sich in der Schöpfung offenbart und daß daher die Gottesleugner, auch unter den Heiden, ohne Entschuldigung für ihre Unkenntnis Gottes seien: „Weil das von Gott Erkennbare unter ihnen offenbar ist, denn Gott hat es ihnen offenbart - denn das Unsichtbare von ihm, sowohl seine ewige Kraft als seine Göttlichkeit, die von Erschaffung der Welt an in dem Gemachten wahrgenommen werden, wird geschaut”. - Römer 1:18 - 20

Sodann wird Gottes Gerechtigkeit, Sein sittlicher Wille, Seine strenge Systematik, Sein Ordnungssinn zuerst den Israeliten geoffenbart im Gesetz, das Gott durch Moses gegeben hat.

Endlich aber wird uns die Liebe Gottes, Seine Gnade und Barmherzigkeit, kundgetan durch Jesus Christus, durch den die Kenntnis Gottes zum Abschluß gebracht wird. „Das Gesetz wurde durch Moses gegeben; die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden. Niemand hat Gott jemals gesehen; der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist, der hat ihn kundgemacht”. - Johannes 1:17 und 18

Nun erst offenbarte sich Gott, der bisher den Menschen auch als strenger Richter verehrungswürdig gewesen war, als der liebende und gnädige Vater aller Seiner Geschöpfe. Der Plan Gottes wurde vollständig erkannt, Gottes Liebesabsichten in all Seinem Tun wurden verstanden und eine unverwelkliche Hoffnung auf Erlösung und ewiges Leben in den Herzen der Gläubigen entzündet. Jetzt erst wußte man, „daß Gott Licht ist und gar gar keine Finsternis in ihm ist”. - 1. Johannes 1:5

In dem Erlösungswerk Jesu Christi wirken die Eigenschaften Gottes in vollendeter Harmonie zusammen. Seine Weisheit ersann den Plan der Erlösung schon vor Grundlegung der Welt.

Seine Gerechtigkeit mußte das Todesurteil über den Sünder fällen, konnte es jedoch aufheben, wenn ein Bürge einen gleichwertigen Loskaufpreis bezahlte. Diesen Bürgen stellte Gott selbst in der Person Seines einzig gezeugten Sohnes, der „Leben um Leben” für den Verurteilten (Adam) gab.

Die Liebe war es, die dieses Opfer vollbrachte.

Gottes Allmacht schließlich erweckte den Sohn aus dem Tode und gab ihm die höchste Lebensstufe: Leben in sich selbst, in welcher er zum neuen Lebengeber der Menschheit geworden ist - zum Mittler und Versöhner des Geschöpfes mit seinem Schöpfer.

O HERR, bis an den Himmel reicht Deine Güte,
und Deine Treue bis zu den Wolken.
Deine Gerechtigkeit ist wie die ewigen Berge,
Deine Gerichte (sind) wie die große Flut.
Den Menschen und den Tieren hilfst Du, HERR!
Wie köstlich ist Deine Güte, O Gott!
Im Schatten Deiner Flügel bergen sich die Menschenkinder.
Sie laben sich am Überflusse Deines Hauses,
und mit dem Strome Deiner Wonnen tränkest Du sie.
Denn bei Dir ist der Quell des Lebens.
In Deinem Lichte schauen wir das Licht.

Aus Psalm 36 nach der Zürcher Übersetzung



Tagesanbruch Bibelstudien- Vereinigung