Vom Sinn des Leidens

„Und als Paulus und Barnabas jener Stadt das Evangelium verkündigt und viele zu Jüngern gemacht hatten, kehrten sie nach Lystra und Ikonium und Antiochien zurück, indem sie die Seelen der Jünger befestigten und sie ermahnten, im Glauben zu verharren, und daß wir durch viele Trübsale in das Reich Gottes eingehen müssen”. - Apostelgeschichte 14:21 - 22

„Und wir sandten Timotheus, unseren Bruder und Mitarbeiter Gottes in dem Evangelium des Christus, um euch zu befestigen und zu trösten und zu ermuntern eures Glaubens halber, auf daß niemand wankend werde in diesen Drangsalen oder Trübsalen. Denn ihr selbst wisset, daß wir dazu gesetzt sind; denn auch als wir bei euch waren, sagten wir euch vorher, daß wir Drangsale haben würden, wie es auch geschehen ist und ihr wisset”. - 1. Thessalonicher 3:2 - 3

„Du nun, mein Kind, sei stark in der Gnade, die in Christo Jesu ist. … Nimm teil an den Trübsalen als ein guter Kriegsmann Jesu Christi”. - 2. Timotheus. 1:3

So könnten wir noch ein Dutzend Schriftworte anführen, die uns zeigen, daß Trübsale notwendig sind. Wir müssen Trübsal leiden.

Als zu Beginn des letzten Weltkrieges Winston Churchill in England in einem Augenblick tiefer Entmutigung des Volkes an die Spitze der Regierung berufen wurde, da hielt er eine berühmte Rede, in der er dem englischen Volke sagte: „Ich kann euch nichts anderes versprechen, als daß uns die kommenden Zeiten viel, viel Schweiß, Blut und Tränen kosten werden”.

Mit dieser Rede hat er aber tatsächlich die Moral und Entschlossenheit der Engländer aufgerichtet. Man kann also auch damit trösten und befestigen, daß man in einer kritischen Lage den ganzen Ernst ungeschminkt offenbart und die wahren Tatsachen hervorhebt.

So machen es auch die Apostel; so stärkt und befestigt auch das Wort Gottes, und wir sollten es nicht anders machen. Wir hören deshalb, wie der Apostel Paulus dieses immer wieder hervorhebt.

Nachdem ein Bruder sich dem Volke Gottes angeschlossen und von der Welt getrennt hatte und mit seinem alten Universitätsprofessor zusammentraf, fragte dieser ihn: „Sind Sie jetzt glücklich?” Der Bruder antwortete darauf: „Ja”. Aber nicht mit der Begeisterung, die man oft bei Neubekehrten findet. Da bemerkte der Pofessor: „Das ist ja immer die Hauptsache, daß man auf dem Weg, den man betreten hat, glücklich ist.” Als die beiden nach vielen Jahren wieder einmal zusammentrafen, kam es noch einmal zu genau dem gleichen Gespräch. Der Bruder wurde wieder gefragt: „Sind Sie glücklich?” und weiter wollte der 78 Jahre alte Herr nichts von ihm wissen. Doch diese Frage konnte er ihm nicht einmal ganz eindeutig und überzeugt beantworten. Es kam ihm dann auch deutlicher zum Bewußtsein, daß sie falsch ist. Es kommt eben nicht nur darauf an, ob wir glücklich sind - und auch der Herr fragt nicht danach. Zumindest müßten wir das Wort „Glück” ganz neu erklären, wenn das wirklich die Hauptsache wäre.

Wenn „Frieden haben mit Gott” das Glück ist, ja dann sind wir glücklich und können mit Paulus sagen: „Ich bin mit Trost erfüllt, ich bin ganz überströmend in der Freude bei all unserer Drangsal”. - 2. Korinther 7:4

Aber wie ist das möglich? Entweder sind wir betrübt, d. h. niedergedrückt von den Leiden und Beschwerden, die wir haben, oder aber wir sind heiter, froh, leicht und unbeschwert; beides zusammen aber geht doch nicht. Wir wollen uns doch nicht überreden, daß man ein und dasselbe Gefäß gleichzeitig mit Wasser und mit Wein füllen könne? Oder daß wir gleichzeitig unter Hitze und unter Kälte leiden können?

Doch, es geht! Weil da zwei sind, der „alte Adam” und die „Neue Schöpfung”. Nur deswegen geht es. Während der „alte Adam” leidet, wird die „Neue Schöpfung” erquickt. Während wir uns von Leiden umringt sehen, kann sich die Hoffnung in uns freuen; Christus in uns kann leben, während wir leiden und sterben. - 2. Korinther 4:8 - 10

Wenn also der Professor fragt: „Sind Sie glücklich?”, so meint er den „alten Adam”, und wir wissen, daß er den meint, und wir müßten ihm sagen: „Glücklich und unglücklich wie alle Menschen”. Aber das wäre doch nur die halbe Wahrheit. Die eigentliche Wahrheit lautet: „Wir sind sehr glücklich, denn das höchste Glück ist der Friede mit Gott! Das höchste Glück ist die Verheißung des ewigen Lebens und die Zusicherung, daß nichts uns zu trennen vermag von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist”.

Aber dieses Glück ist kein Aushängeschild. Wir können damit nicht prahlen, weil wir sonst mißverstanden werden. Wenn wir davon reden, meinen die Menschen, es gehe uns irdischerweise gut. Aber Paulus sagt doch: „Wir rühmen uns auch der Trübsale”. (Römer 5:3). Aber ob er sich vor der Welt der Trübsale rühmt? Vielleicht in einer Predigt, aber was er von diesem Rühmen schreibt, schreibt er doch an Gläubige, die es verstehen könnten.

Aber nun:

Warum müssen wir durch viele Trübsale gehen? Was sollen Trübsale und Leiden nützen? Die Welt rühmt sich nicht der Trübsale. Im allgemeinen suchen die Menschen ihr Unglück, ihre Rückschläge, Schwächen, Ohnmächte und Mißerfolge zu verheimlichen und zu verbergen. Sie sehen nichts Rühmliches darin. Dagegen rühmen sie sich gerne ihres Glückes, und das zeigen sie der Welt so schnell wie möglich.

Wenn man befördert worden ist, einen größeren Lohn verdient, wenn man Prüfungen und Examen glücklich bestanden hat, wenn man preisgekrönt worden ist, wenn die Tochter eine gute Partie gemacht hat, wenn man geerbt hat, das alles wird mit Freuden an die große Glocke gehängt, bis die lieben Nachbarn und Verwandten neidisch werden.

Aber Unglück wird verheimlicht, wenn es möglich ist. Warum ist das so? Unglück demütigt, offenbart die Schwäche oder die Schuld des Menschen, sein Versagen - ob verschuldet oder unverschuldet. Nur das Unglück nicht zeigen!

Warum denn aber rühmen wir uns der Trübsal? Weil unser Unglück nicht unsere Schwäche und Verlorenheit allein offenbart, sondern auch unsere Kraft, unseren helfenden und rettenden Gott, unsere unverwüstliche Zuversicht, daß wir nicht verloren gehen, sondern uns mit der Verheißung Gottes trösten können.

Wir haben von den Zweien geredet, die in uns sind: der alte Adam und die Neue Schöpfung. Das eine Mal überwiegt der eine, das andere Mal der andere. Wenn wir „glücklich” sind und die Dinge nach unseren irdischen Wünschen gehen, dann liegt das Schwergewicht im alten Adam. Wenn wir unglücklich sind und am Leben und Lebensglück verzweifeln, dann verlegen wir das Schwergewicht in die Neue Schöpfung, und diese lebt auf.

„Wenn wir das Sterben Jesu an unserem Leibe herumtragen”, dann wird auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar. - 2. Korinther 4:10 Aber, fragen wir nun, kann das Leiden dem inneren Menschen nicht auch schaden? Kann es uns nicht bis aufs Äußerste entmutigen? Kann es uns nicht so entkräften, daß wir am Leben verzweifeln? Können wir nicht durch fortgesetzte Schicksalsschläge in unserer Glaubenszuversicht angegriffen werden, und wenn wir uns zehnmal aufgerafft und gegen Entmutigung angekämpft haben, aber doch wieder Rückschläge erleiden, können wir nicht zermürbt werden durch allzu viele und allzu schwere Lasten?

Haben wir in unserem Glauben wirklich einen Schlüssel, der jedes Schloß öffnet? Ein Mittel, das uns jeden Schwächezustand überwinden hilft? Antworten wir ruhig mit „Ja”.

Es gibt keine Lage in unserem Leben, die nicht im Glauben ertragen werden kann. Die Frage ist die: Halten wir den Glauben fest? Wollen wir den Weg Gottes gehen? Oder lassen wir uns von dem Weg abbringen, der Überwindung bedeutet? Lassen wir uns vom Widersacher einreden, daß es einen leichteren Weg zum Leben gibt als den der Überwindung des Leidens durch Glauben?

Wir sehen im irdischen Leben, daß zwei Dinge erforderlich sind, um zum Wohlstand und Glück zu kommen: 1. Arbeit, guten Willen, Anstrengung und 2. Anspruchslosigkeit. Nun wird gar vielen eingeflüstert: Ich weiß einen viel einfacheren Weg: Lotterie, Schwindel, Spekulation, flottes Auftreten usw. Aber dieser Weg führt zum Verderben. Das wissen wir.

So ist es auf dem Weg zum ewigen Leben: Glaube, Wahrheitsliebe und Leiden heißt dieser Weg dazu; auch hier: Arbeit, Fleiß und Anspruchslosigkeit. Und wenn einer meint, er wisse einen anderen als den schmalen Weg, so irrt er.

Aber wir haben die Frage noch nicht beantwortet: Warum leiden? Leiden drückt uns ja zu Boden, entmutigt ja, macht uns kleinmütig und schwach, knickt Selbstgefühl und Lebensmut! Das ist es eben: Wir müssen gedemütigt werden. So wie wir als „Fleisch” sind, sind wir Feinde Gottes. Unser ganzes Wesen ist „Feindschaft” gegen Gott, Unglaube und Ungehorsam.

„Die, welche nach dem Fleische sind, sinnen auf das, was des Fleisches ist; die aber, welche nach dem Geiste sind, auf das, was des Geistes ist … weil die Gesinnung des Fleisches Feindschaft ist gegen Gott, denn sie ist dem Gesetz Gottes nicht untertan”. - Römer 8:5 und 7

Wenn wir den Geist Gottes empfangen haben, so wünschen wir die Abtötung der fleischlichen Gesinnung in uns. „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus in mir”. „Nimm mich mir und gib mich Dir!” hat ein frommer Mann alter Zeit gebetet. Wir wünschen, daß die in unserem Fleische vorhandene Rebellion gegen Gott zum ewigen Verstummen komme. Das kommt sie aber nur, wenn wir unterliegen, wenn wir entmachtet werden, wenn wir leiden! Ja, wenn wir mit Christo sterben!

Auch im Glaubensstand ist unser Fleisch immer noch in Rebellion gegen Gott begriffen. Es kennt keine Ehrfurcht vor Gott, will nicht Gottes Ehre, es will sich selbst behaupten, ist undemütig und stolz. Es muß durch den Geist, die Neue Schöpfung, in Schach gehalten werden.

Der Weg zur Überwindung des Fleisches ist das Leiden, ja das Sterben des Fleisches. Darum müssen wir sterben mit Christo, so wie er gestorben ist, um zum Leben als Neue Schöpfung zu gelangen.

„Das Wort ist gewiß; denn wenn wir mitgestorben sind, so werden wir auch mitleben”. - 2. Timotheus 2:11

„Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren, wer das Leben verliert um meinetwillen, der wird es gewinnen”, sagt der Herr. Das heißt, daß wir mit Jesu, auf dem Wege Jesu, auf dem Wege der Gerechtigkeit und des Glaubens sterben. Daß wir, die wir durch Glauben an das Verdienst Jesu gerechtfertigt sind, überhaupt sterben wie andere Menschen, ist aber durchaus nicht selbstverständlich. Wir sterben nur, weil wir diesen irdischen Leib zum ewigen Leben nicht brauchen; wir sterben unschuldig und schuldig - „simul justus et pecator”, sagt Luther. Und wir sterben, weil wir eine Gelegenheit haben, uns im Sterben Jesu gleichzumachen. Denn wie er gestorben ist, so wollen auch wir mit ihm den Tod erdulden und auf diesem Wege Gott einen vollkommenen Gehorsam erweisen. Unser Sterben ist ein Opfer für Gott, eine Demon-stration des Gehorsams und der Treue bis in den Tod. Diesen Sinn der Demonstration der Treue hatten ja auch gewisse Opfer im Gesetz Moses.

Wir haben gesagt: Leiden bewirken Demut. Sie lassen uns unsere Schwächen und Abhängigkeit von Gott aufs Tiefste empfinden. Aber erst im Erleiden des Todes erlischt der letzte Rest von Fleischlichkeit, d. h. von Auflehnung gegen den Willen Gottes. Somit erfüllen wir unsere Aufgabe durch das freiwillige Erleiden des Todes, und je geduldiger und williger wir uns in das Leiden und Sterben ergeben, desto schöner und konsequenter handeln wir.

Das Leiden muß mit Freiwiligkeit geschehen, in Zustimmung und Unterwerfung unter Gottes Willen. Alles Murren gegen das Leiden ist Auflehnung und Rebellion des Fleisches! Einen Segen hat das Leiden nicht, solange wir murren, solange wir es nicht im Glauben und mit geistiger Freude und Willigkeit tragen. Aber aus dem Murren wird manchmal auch Demut, und aus der Demut Gehorsam und Dankbarkeit.

Daß wir auf dem Weg Gottes unsere eigene Unzulänglichkeit und die Fleischlichkeit unserer Gesinnung erfahren und uns schämen müssen, das ist auch nötig, denn alles, was uns in unseren Augen klein werden läßt und die Gnade Gottes groß, das ist kostbar und ein Gewinn.

Wir müssen also im Leiden einen Weg der Reinigung von unserem Hochmut, unserer Selbstüberschätzung sehen. Dieses Leben ist uns gegeben, um das Fleisch zu überwinden und den Fleischessinn durch die Kraft Christi in uns zu verdrängen.

Der einzige Weg ist der, daß wir die von Gott verordneten Leiden geduldig und mit Wertschätzung, ja Dankbarkeit, entgegennehmen - entgegennehmen aus der Hand Gottes. Wir sollen uns nicht etwa selbst Leiden bereiten. Der Weg Gottes ist kein langsamer Selbstmord. Eigenwilliges Leiden, verkehrte Enthaltsamkeit nützt uns gar nichts, sondern schadet uns. Alles, was der Mensch sich eigenwillig auferlegt, ist vom Hochmut des Fleisches befleckt. Wenn der Mensch sich Entbehrungen und Leiden aufhalst, die nicht nötig sind, so bekommt er dadurch ein Gefühl von seiner eigenen Tüchtigkeit, Energie, Größe und Überwindungskraft. Er wird hochmütig und aufgeblasen durch diese Leiden, nicht demütig. Der Zweck des Leidens wird also ins Gegenteil verkehrt. Ja, es ist sogar so, daß wir jedem Leiden im Leben ausweichen müssen, wenn dieses möglich ist, ohne daß wir dadurch die Wahrheit oder ein wahrheitsmäßiges Verhalten verraten oder preisgeben müssen.

Wenn das Ausweichen vor dem Leiden jedoch einen Verrat an Christus und der Wahrheit mit sich bringen, dann dürfen wir jedoch nicht ausweichen. Abgesehen davon haben wir uns aber weder Gefahren noch Leiden leichtfertig auszusetzen. Wir sollen uns ihnen möglichst entziehen. So wie Jesus, da er wußte, daß ihn die Juden steinigen wollten, sich aus Judäa still entfernte. Aber als der Tod des Lazarus seine Gegenwart nötig machte, da kehrte er ebenso furchtlos nach Bethanien zurück.

Eigenwillige Leiden machen uns eingebildet, geben uns ein Gefühl von Kraft und Tugend und Größe und sind zu vermeiden. Nur die stille Entgegennahme der von Gott über uns verhängten Leiden bewirkt Demut. Demgemäß dürfen wir dem irdischen Leib auch alle nötige Erleichterung in Speise, Trank, Ruhe und Erquickung zuteil werden lassen, die notwendig und möglich ist. Das hindert unser Sterben nicht! Es geht ja auch nicht darum, unser Leben zu verkürzen und so bald wie möglich zu sterben, sondern so zu sterben, wie Gott will, und dann zu sterben, wann Gott es will. Denn bei diesem von Gott verhängten Sterben haben wir etwas zu lernen: Geduld, Überwindung, Glauben unter widrigen Umständen; und wieviel Zeit und wie manche Wiederholung eine solche Lektion beansprucht, das weiß Gott, nicht wir. Einige brauchen ein langes, andere ein kurzes Leben, um das zu erlernen, was von ihnen gelernt werden muß.

Das Sterben der Gläubigen ist nicht zu vergleichen mit dem adamitischen Sterben, das auf alle Menschen übergegangen ist. Diese schulden ihr Leben als Sold für die Sünde, als zum Tode Verurteilte.

Wir sind nicht mehr unter Verdammnis, nicht mehr Verurteilte, sondern freigesprochen von Sünde und Tod durch Glauben an das Blut Christi. Wir aber haben eingewilligt, auf unser irdisches Lebensrecht zu verzichten und damit auf die Wiederherstellung nach dem Fleische und gleich unserem Herrn so zu sterben, so als ob wir noch Sünder wären hier im Fleischesleben, um damit ihm gleich werden zu können nach dem Geiste. Wir können Mitopferer mit dem Herrn werden, Gott zu einem Wohlgeruch.

Ist es nicht sonderbar, daß eben das Gleiche, was allen Menschen durch Urteil Gottes auferlegt worden ist, zu leiden und zu sterben, durch Gottes Gnade uns in eine wunderbare Segens- und Lebensgelegenheit umgewandelt worden ist? Was Fluch ist für die Menschheit, ist uns zu einer Segensquelle geworden. Darum rühmen wir uns der Trübsale!

Sollte die Erkenntnis, daß wir durch viele Trübsale ins Reich Gottes eingehen müssen, nicht zur Befestigung im Glauben führen? Die Leidensschule ist ein Durchgang, sie ist nicht das Ziel. Das Ziel ist: infolge von Überwindungskräften göttlicher Art für immer über dem Leiden und dem Tod zu stehen.

Welch hoher Wert des Leidens!



Tagesanbruch Bibelstudien- Vereinigung