Verlorene „Schlüssel” der Erkenntnis

„Da sprach Pilatus zu ihm: „Also du bist ein König?” Jesus antwortete: „Du sagst es, daß ich ein König bin. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, auf daß ich der Wahrheit Zeugnis gebe. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört meine Stimme.” Pilatus sprach zu ihm: „Was ist Wahrheit?” - Johannes 18:37 und 38

Die Frage: „Was ist Wahrheit?”, die Pilatus an Jesus richtete, hat über alle Zeitalter hinweg die Gedanken vieler Menschen beschäftigt. Heutzutage wird das Wort „Wahrheit” oft in einem weiten Sinn angewandt und bezieht sich auf Gedanken, Ansichten und Lebensanschauungen, die in Wirklichkeit weit von der Wahrheit entfernt sind. Selbst auf den Gebieten der Wissenschaft wird vieles als Wahrheit angenommen und dargestellt, was in Wirklichkeit nicht wahr ist. Auf religiösem Gebiet ist die Lage noch verworrener.

Da Pilatus seine Frage an einen religiösen Führer richtete, dachte er zweifellos dabei an Religion - er meinte damit: „Was ist religiöse Wahrheit?” Jesus antwortete Pilatus nicht - aber am Abend vorher sagte er im Obersaal im Gebet zu seinem Vater: „Dein Wort ist Wahrheit”. (Johannes 17:17) Das geschriebene Wort Gottes bestand zu jener Zeit aus den Schriften des Alten Testaments. Durch Gottes Vorsehung sind seitdem die Schriften des Neuen Testaments hinzugefügt worden. Nun können wir die ganze Bibel als das „Wort” Gottes betrachten, welches die „Wahrheit” ist.

Es gibt Vieles in der Bibel, dem alle ihre Anhänger zustimmen - dazu gehören sicherlich ihre historischen, ethischen und erbauenden Lehren. Alle freuen sich über die vielen Zusicherungen der Liebe und Fürsorge Gottes für Sein Volk. Die meisten Bibelleser jedoch scheinen in dem „kostbaren Wort” nicht mehr zu erkennen, als daß es ein Buch alter historischer Berichte ist, in denen viele gute und heilsame Vorschriften enthalten sind, die, wenn wir uns durch dieselben leiten lassen, uns zu besseren Menschen machen werden. Es ist ein gutes Buch, um sich in seinem Leben danach zu richten - wenige jedoch erkennen, daß in der „gesegneten Bibel” auch Gottes wunderbarer und harmonischer Plan zur Wiederherstellung des Menschengeschlechtes von Sünde und Tod enthalten ist.

Wenn wir dies jedoch freimütig aussprechen, werden wir oft gefragt: „Was meinen Sie mit Gottes Plan? Ich glaube, es ist Gottes Absicht, daß alle treuen Gläubigen in den Himmel kommen, wenn sie sterben, und die übrigen Menschen in die … gehen”. Nun, nur sehr wenige Menschen sprechen gerne aus, wohin, sie meinen, daß die übrigen gehen. Ihr Gedanke dabei ist jedenfalls der, daß sie „verloren” sind, und dieses Wort hat für die meisten Menschen eine furchtbare Bedeutung. Es ist wahr - die Bibel beinhaltet viele Aussagen über eine himmlische Belohnung für die glaubenstreuen Nachfolger Jesu. Jesus sagte zu seinen Jüngern: „Ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingehe, … so komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, auf daß, wo ich bin, auch ihr seiet”. (Johannes 14:2 und 3) Was das „Wort der Wahrheit” nicht lehrt, ist, daß alle, die keine Jünger Christi sind, für die er hinging, eine „Stätte” zu bereiten, ewig „verloren” sind.

Was allerdings tatsächlich „verloren” ging, ist die große Wahrheit, daß diejenigen, die Jesus jetzt aus der Welt herausnimmt, mit ihm zu dem Zweck „leben und herrschen” sollen, um die Gelegenheit der Errettung auf die übrige Menschheit auszudehnen - die Lebenden und die Toten. Diese Wahrheit ist ein „Schlüssel” zur Erkenntnis. Wenn er richtig gebraucht wird, offenbart er uns sowohl die herrliche Harmonie der Bibel als auch den Reichtum der Liebe Gottes für die ganze Welt - die Welt, die Er so liebte, daß Er Seinen Sohn sandte, um ihr Erlöser und Segenspender zu sein.

Die Menschheit wird zu Leben auf der Erde wiederhergestellt werden. Alle Verheißungen Gottes, die diesen Teil des göttlichen Planes betreffen, schildern irdische Segnungen. Petrus gebraucht den Ausdruck „Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge”, und fügt hinzu, „von welchen Gott durch den Mund seiner heiligen Propheten von jeher geredet hat”. (Apostelgeschichte 3:19 - 21) Wir sollten beachten, daß es sich hierbei um eine große Wahrheit der Bibel handelt, die in den Schriften aller Propheten gefunden wird, jedoch von allen Namenkirchen und Organisationen der Christenheit nicht beachtet wird! Für die weit überwiegende Mehrheit derjenigen, welche die Bibel lesen, ist sie ein verlorengegangener „Schlüssel” der Erkenntnis. Deshalb versuchen sie, die irdischen Verheißungen zu vergeistigen und werden auf diese Weise zunehmend verwirrt.

Die Königreichs-Hoffnung

Das „Königreich” Gottes, das auch das Königreich Christi ist, wird in der Bibel - sowohl im Alten-, wie auch im Neuen Testament - auf deutliche und eindeutige Weise gelehrt. Die Prophezeiungen der Bibel verbinden dieses Königreich mit dem ver-heißenen Messias oder Christus - „Die Herrschaft ruht auf seiner Schulter”, und „Die Mehrung der Herrschaft und der Friede werden kein Ende haben”. (Jesaja 9:6 und 7) Daniel schrieb: „In den Tagen dieser Könige wird der Gott des Himmels ein Königreich aufrichten”. - Daniel 2:44

Als Jesus kam, kündigte Johannes der Täufer an: „Das Reich der Himmel ist nahe gekommen”. (Matthäus 3:1 - 3) Praktisch waren alle Lehren Jesu direkt oder indirekt mit dem „Königreich” verbunden. Seine Gleichnisse bezogen sich auf das Königreich und die Vorbereitungen für dieses Königreich. Einige der Gleichnisse betrafen ein nachgeahmtes Königreich, das der Satan zur Täuschung der Menschen aufrichten würde. Jesus ermutigte seine Jünger durch die Hoffnung auf die Mitherrschaft mit ihm in seinem Königreich, indem er sagte: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn es hat eurem Vater Wohlgefallen, euch das Reich zu geben”. - Lukas 12:32

In den letzten drei Kapiteln der Bibel wird uns eine symbolische Beschreibung der Aufrichtung und des Werkes des Königreiches gegeben. Es wird gezeigt, daß die Nachfolger Jesu in der „ersten Auferstehung” hervorkommen, um mit ihm „tausend Jahre” zu leben und zu herrschen. Eine „heilige Stadt” kommt vom Himmel hernieder, und „die Hütte Gottes (ist) bei den Menschen”, und „der Tod wird nicht mehr sein”. Wir sehen „den Thron Gottes und des Lammes”, und „ein Strom von Wasser des Lebens” fließt aus dem Throne hervor, und die Menschen werden eingeladen: „Komm! Und … empfange (das) Wasser des Lebens umsonst”.

Diese wunderbare Lehre vom Königreich jedoch ist der großen Menge der bekennenden Christen verloren gegangen. Tatsächlich betrachtet die sogenannte „moderne christliche Welt” der Namenchristenheit diese Lehre mit Geringschätzung. Eine falsche Übersetzung von Lukas 17:21 läßt es so erscheinen, als ob Jesus sagt: „Das Reich Gottes ist inwendig in euch” (Luther), aber es muß heißen: „Gottes königliche Majestät ist unter euch”. (Dia-glott). All die herrlichen Verheißungen und Prophezeiungen der Bibel über das Königreich wurden so hingestellt, als würden sie nicht mehr zu bedeuten haben als das rechtschaffene Verlangen des Herzens, das - wie man vergeblich hofft - eines Tages das Leben der Mehrheit der Menschen beherrschen mag.

So hofft die Namenchristenheit im allgemeinen, daß in dem Maße, in dem sich Geistliche an der Politik beteiligen und sie beeinflussen können, das rechtschaffene Verlangen der Menschen durch zivile Gesetze, die das Böse wirksamer kontrollieren werden, verwirklicht werden kann. Auf diese Entwicklung wird oft der Begriff „Königreich Gottes” angewandt. Die Hoffnung auf das wahre Königreich der Verheißung ist jedoch verloren gegangen. Das Ergebnis ist, daß die einzige den Menschen gezeigte Hoffnung auf eine bessere Welt sich nur auf den vergeblichen Wunsch gründet, daß der gefallene Mensch sich durch seine eigenen Anstrengungen auf die eine oder andere Weise selbst emporzuheben vermag.

Doch wie bedeutungsvoll sind die Verheißungen der Bibel über das Königreich, wenn wir Gott bei Seinem Worte nehmen! Nachdem uns der Prophet Jesaja versichert hat, daß „die Mehrung der Herrschaft und der Friede kein Ende haben werden”, fügt er hinzu: „Der Eifer Jahwes der Heerscharen wird dieses tun”. (Jesaja 9:6 und 7) Als Nachfolger des Meisters - berufen, mit ihm zu leiden und zu sterben, damit wir mit ihm leben und herrschen werden - haben wir das Vorrecht, durch Glaubenstreue und des Herrn helfenden Beistand zu jeder Zeit der Not, unsere „Berufung und Erwählung fest zu machen”. Die Aufrichtung des Königreiches und sein erfolgreiches Wirken zur Segnung „aller Geschlechter der Erde” hängt jedoch nicht von menschlichen Anstrengungen ab - denn, wie wir zuvor schon gelesen haben: „Der Eifer Jahwes der Heerscharen wird dieses tun”.

Wenn wir diese große Wahrheit unbeachtet lassen, verwerfen wir einen weiteren wichtigen „Schlüssel” zu einem richtigen Verständnis der Bibel. Ohne ihn aber ist vieles vom Worte Gottes in seiner Bedeutung nicht recht zu erfassen. Beim Gebrauch dieses Schlüssels bekommen Gottes Königreichs-Verheißungen Leben, und wir erhalten eine herrliche und tröstende Hoffnung auf kommenden Frieden, Freude, Gesundheit und Leben für alle Willigen und Gehorsamen in der Menschheit. Die Lehren der Bibel vom Königreich zeigen, daß es in dem verheißenen Königreich sowohl Herrscher als auch Beherrschte gibt, die Könige und ihre Untertanen. Jesus wird der „König der Könige”, und seine treuen Nachfolger dieses Zeitalters werden mit ihm vereint sein. Alle Menschen werden die Untertanen des Königreiches sein, und diejenigen, welche seinen Gesetzen gehorchen, werden in Ewigkeit in Frieden und Freude leben.

Die Bekehrung der Welt

Ein weiterer „Schlüssel” der Erkenntnis, der uns dabei hilft, ein harmonisches Verständnis des Wortes Gottes zu erlangen, ist die Erkenntnis der Tatsache, daß das gegenwärtige Evangelium-Zeitalter nicht die Zeit im Plane Gottes für die Bekehrung der Welt ist. Sicherlich beauftragte Jesus seine Jünger, in alle Welt zu gehen und das Evangelium zu predigen, aber er ermutigte sie nicht zu dem Glauben, daß das Ergebnis hiervon die Bekehrung der Welt sein würde. Der wirkliche Zweck dieses weltweiten Zeugniswerkes wird uns in Apostelgeschichte 15:14 erklärt. Hier unterrichtet uns Jakobus, daß Petrus (Simon) „hat erzählt, wie Gott zuerst die Nationen heimgesucht hat, um aus ihnen ein Volk zu nehmen für seinen Namen”.

Dieses „Volk für seinen Namen” sind die „Söhne Gottes”, die mit Christo leben und herrschen sollen. Am Anfang des Evangelium-Zeitalters wurden einige derselben aus den Israeliten ausgewählt, und diesen gab er das „Recht (oder Vorrecht), Kinder Gottes zu werden”. (Johannes 1:11 und 12) Von ihnen gab es jedoch nicht genügend, um die von Gott zuvorbestimmte Zahl auszumachen. Deshalb ging die Botschaft zu den Nationen, und während des ganzen Evangelium-Zeitalters hat die Kraft dieser Botschaft „ein Volk für seinen Namen” aus ihnen herausgezogen. Aber dies ist nur eine Vorbereitung für das große Endziel des göttlichen Planes. „Nach diesem”, fährt Jakobus fort, wird der Herr „wieder aufbauen die Hütte (oder das Haus) Davids, die verfallen ist”. (Vers 16) Gottes Königreichs-Verheißungen wurden zuerst den natürlichen Nachkommen Abrahams gegeben. Später wurden sie auf den Stamm Juda beschränkt. (1. Mose 49:10) Und danach wurden sie weiter beschränkt auf die Familie oder das Haus Davids. - 2. Samuel 7:16

Jesus wurde der Erbe dieser Verheißung. Aus diesem Grunde brachte der Prophet Jesaja die „Herrschaft” des Friedefürsten in Verbindung mit dem „Throne Davids … um es (das Königreich) zu befestigen und zu stützen durch Gericht und durch Gerechtigkeit, von nun an bis in Ewigkeit”. (Jesaja 9:7) Bei seinem zweiten Kommen richtet Jesus den Thron Davids wieder auf, wenn er und seine verherrlichte Kirche die geistigen Herrscher in dieser neuen Welt-Regierung sein werden. Hier-auf nimmt Jakobus mit seinem Ausspruch bezug: „… wieder aufbauen die Hütte Davids, die verfallen ist”.

Jakobus erklärt, daß danach die „übrigen der Menschen” den Herrn suchen werden und „alle Nationen, über welche mein Name angerufen ist, spricht der Herr, der dieses tut”. (Apostelgeschichte 15:17) Dies wird das Werk des Millennium-Zeitalters sein. Dann wird die Welt bekehrt werden - vollständig bekehrt, denn „die Erde wird voll sein der Erkenntnis Jahwes, gleichwie die Wasser den Meeresgrund bedecken”. (Jesaja 11:9) Es hat keine Verzögerung und keinen Fehlschlag im Plane Gottes gegeben. Was für ein Vertrauen sollte uns dies in die Verheißungen Gottes geben - und welchen Mut, in unseren Bemühungen fortzufahren, Seinen Willen zu erkennen und zu tun!

Die Ängste und Bedrängnisse der Welt sind heutzutage groß. Furcht erfüllt die Herzen der Menschen. Diejenigen, welche den Menschen sagen, daß ihre Befürchtungen unbegründet sind, und ihnen die Hoffnung auf sofortigen Erfolg, Gesundheit und Glück anbieten, gewinnen schnell viele Anhänger. Ein harmonisches Verständnis des Wortes Gottes jedoch bietet keine solchen zeitlichen Vorteile - noch nicht. Die Zeit wird kommen, zu der blinde Augen aufgetan und taube Ohren geöffnet werden, und „der Lahme springen (wird) wie ein Hirsch”. (Jesaja 35) Diese Zeit aber ist jetzt noch nicht. Die gegenwärtigen Nachfolger des Meisters haben dasselbe Vorrecht wie ihre Geschwister in der Urkirche, nämlich unbeliebte Wahrheiten zu verkündigen und dadurch als außer Harmonie mit der Welt und der Namenkirche angesehen zu werden.

Der „Weg” des gegenwärtigen Evangelium-Zeitalters ist ein „schmaler Weg”, und „wenige sind, die ihn finden”. (Matthäus 7:14) Selbst viele von denen, die „ihn finden”, möchten ihn nicht gehen, weil er so schmal und so schwierig ist. Die ausgleichenden Freuden des „schmalen Weges” sind jedoch groß und reich. Eine davon ist das große Vorrecht, der Welt von den bald kommenden Königreichs-Segnungen zu erzählen - daß ein „Hochweg” eröffnet werden wird, auf dem die Welt zu Gott zurückkehren kann - zu Gesundheit und ewigem Leben. Dem Verkünden dieser Botschaft hat sich eine kleine Schar von Menschen in der ganzen Welt gewidmet. Wir freuen uns, zu wissen, daß die tröstende Kraft des Königreich-Evangeliums in dieser Zeit vielen Freude bringt, und daß sie mit dem rechten Verständnis beten können: „Dein Reich komme; dein Wille geschehe, wie im Himmel also auch auf Erden”. - Matthäus 6:10



Tagesanbruch Bibelstudien- Vereinigung