Sei nicht allzu gerecht

„Sei nicht allzu gerecht und gebärde dich nicht übermäßig weise! Wozu willst du dich zugrunde richten? Sei nicht allzu ungerecht und sei kein Tor! Wozu willst du sterben, ehe deine Zeit da ist?” (Prediger 7:16 - 17)

Wir halten das wertvollste aller Bücher in den Händen, das Gott dem Menschen gab - es enthält zahlreiche Lehren, Ratschläge, Ermahnungen und Überlegungen. Die Lektion, mit der wir uns heute beschäftigen wollen, entstammt dem Buch Prediger. In manchen Situationen unseres Lebens ist es angemessen, gerade dieses Buch aufzuschlagen und dort eine Feststellung Salomos zu lesen, die uns vielleicht merkwürdig erscheint: „sei nicht allzu gerecht”. Die Bibel spricht doch so oft von Gerechtigkeit. Im Matthäusevangelium 6:33 sagt Jesus: „Trachtet aber zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, und dies alles wird euch hinzugefügt werden.”

An anderer Stelle - Matthäus 5:10 und 11 - lesen wir: „Glückselig, die nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten … Glückselig die um Gerechtigkeit willen Verfolgten …”

Jede dieser Segnungen zieht eine Belohnung nach sich. Im Zusammenhang mit der ersten heißt es: „…denn sie werden gesättigt werden” und mit der zweiten: „…denn ihrer ist das Reich der Himmel.” Warum sagt also Salomo: „sei nicht allzu gerecht”? Wie wir später zeigen werden, ist es nur ein scheinbarer Widerspruch. Zunächst wollen wir uns die Fragen stellen: Was bedeutet es, allzu gerecht zu sein? Wozu führt ein solches Handeln? Um diese Fragen zu beantworten, werden wir Beispiele aus der Bibel nennen und eine Bestätigung dieser Worte aus dem Neuen Testament anführen, um dann Lehren für unser christliches Leben daraus zu ziehen.

Eine polnische Übersetzung sagt sinngemäß: „sei nicht übertrieben gerecht”. Diese Worte Salomos sind sicherlich das Ergebnis seiner Lebenserfahrung, die er in Vers 15 folgendermaßen beschrieb: „Das alles habe ich gesehen in den Tagen meiner Nichtigkeit! Da ist ein Gerechter, der bei seiner Gerechtigkeit umkommt… .” (Prediger 7:15)

Es ist bemerkenswert, daß der Prediger nicht von einer allgemeingültigen, sondern von seiner Gerechtigkeit spricht. Jemand ist also gerecht, hat aber gleichzeitig seine eigene, eine übertriebene Gerechtigkeit, die ihn zugrunde richten kann (Prediger 7:17). Unsere Gerechtigkeit entspricht nicht immer der Gerechtigkeit der Allgemeinheit. Dies trifft zum Beispiel auf die Pharisäer zu und wurde von Jesus kritisiert: „Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, Heuchler! Denn ihr verzehntet die Minze und den Anis und den Kümmel und habt die wichtigeren Dinge des Gesetzes beiseite gelassen: das Gericht und die Barmherzigkeit und den Glauben; diese hättet ihr tun und jene nicht lassen sollen. Ihr blinden Führer, die ihr die Mücke seiht, das Kamel aber verschluckt! Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, Heuchler! Denn ihr reinigt das Äußere des Bechers und der Schüssel, inwendig aber sind sie voller Raub und Unenthaltsamkeit. Blinder Pharisäer! Reinige zuerst das Inwendige des Bechers, damit auch sein Auswendiges rein werde.” (Matthäus 23:23 - 26)

Hier ist nicht die Rede von objektiv gerechten Menschen, die gemäß ethischen Grundsätzen handeln, unparteiisch die Rechte, die anderen Menschen zustehen, anerkennen und objektiv - also unparteiisch - urteilen. Hier geht es nicht um den Menschen, der sich an die Gesetze Gottes hält und auch nicht um den, der Schulden austilgt. Hier geht es um einen Menschen, der seine eigene Gerechtigkeit hat, der übertrieben gerecht ist, und das ist ein Übel. Ausdrücke wie „übertrieben”, „allzu”, „in zu hohem Maße” mögen neben dem Wort „Gerechtigkeit” belanglos klingen. So, als würden wir sagen, daß jemand übereifrig ist und zu viel tadelt.

Dabei sagt die Bibel uns, daß wir tadeln sollen. Wir werden sogar zur Verantwortung gezogen, wenn wir keinen Tadel aussprechen. Andererseits sollen wir nicht gezielt nach negativen Eigenschaften bei unseren Geschwistern suchen und diese als einen Vorwand zum Tadeln nutzen. Unsere persönliche Meinung, die wir häufig als die einzig richtige ansehen, muß nicht immer tatsächlich die einzig richtige sein. Dafür sind unsere Schwestern und Brüder da. Sie können unsere Gesinnung korrigieren, uns unterstützen und mit einem Rat zur Seite stehen. Es fällt uns zugegebenermaßen nicht leicht zuzuhören. Dennoch: manchmal lohnt es sich vielleicht. Wir haben doch nicht immer Recht.

Wenn wir uns geschichtliche Ereignisse ansehen, müssen wir feststellen, daß Übereifer und übertriebene Gerechtigkeit viele Menschenleben gekostet haben. Als Beispiele können die Inquisition und die Religionskriege genannt werden. Man rechtfertigte sein Handeln mit der Bibel. Zunächst sagte man: „Wenn jemand zu euch kommt und diese Lehre nicht bringt, so nehmt ihn nicht ins Haus auf und grüßt ihn nicht!” (2. Johannes 1:10)

Wenn das nicht half, verwünschte man den betroffenen Menschen. Anschließend folgten das Inquisitionsgericht und der Scheiterhaufen.

„Denn ich, zwar dem Leibe nach abwesend, aber im Geiste anwesend, habe schon als anwesend das Urteil gefällt über den, der dieses so verübt hat, - wenn ihr und mein Geist mit der Kraft unseres Herrn Jesus versammelt seid - einen solchen im Namen unseres Herrn Jesus dem Satan zu überliefern zum Verderben des Fleisches, damit der Geist errettet werde am Tage des Herrn.” (1. Korinther 5:3 - 5)

So fand man also eine biblische Rechtfertigung für das „Verderben des Fleisches” (durch Verbrennung auf dem Scheiterhaufen), „damit der Geist errettet werde.” Man wendete die Worte des Apostel Paulus buchstäblich an.

Nun wollen wir unser Augenmerk auf die Lehren lenken, die Jesus uns gab. Um die Pharisäer zur Vernunft zu bringen, erzählte er vier Gleichnisse, die im Lukasevangelium (Kapitel 15 und 16) aufgeführt sind. Es sind die folgenden:

  1. Das Gleichnis vom verlorenen Schaf
  2. Das Gleichnis von der verlorenen Drachme
  3. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn
  4. Das Gleichnis vom ungerechten Verwalter

Wir wollen uns auf das vierte Gleichnis konzentrieren.

Lukas 16:1 - 9:

„Er sprach aber auch zu den Jüngern: Es war ein reicher Mann, der einen Verwalter hatte; und dieser wurde bei ihm angeklagt, als verschwende er seine Habe. Und er rief ihn und sprach zu ihm: Was ist es, das ich von dir höre? Lege die Rechnung von deiner Verwaltung ab, denn du wirst nicht mehr Verwalter sein können. Der Verwalter aber sprach bei sich selbst: Was soll ich tun? Denn mein Herr nimmt mir die Verwaltung ab. Graben kann ich nicht, zu betteln schäme ich mich. Ich weiß, was ich tun werde, damit sie mich, wenn ich der Verwaltung enthoben bin, in ihre Häuser aufnehmen. Und er rief jeden einzelnen der Schuldner seines Herrn herbei und sprach zu dem ersten: Wieviel bist du meinem Herrn schuldig? Der aber sprach: Hundert Bat Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldbrief und setze dich schnell hin und schreibe fünfzig. Danach sprach er zu einem anderen: Du aber, wieviel bist du schuldig? Der aber sprach: Hundert Kor Weizen. Und er spricht zu ihm: Nimm deinen Schuldbrief und schreibe achtzig. Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug gehandelt hatte; denn die Söhne dieser Welt sind klüger als die Söhne des Lichts gegen ihr eigenes Geschlecht. Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit, wenn er zu Ende geht, man euch aufnehme in die ewigen Zelte.”

Das reichste Wesen der Welt ist Gott. Ihm gehört die Erde, ihm gehört das Weltall. Es gibt niemanden, der reicher wäre als Gott. Er gibt. Wir sind die ungerechten Verwalter. Hier können wir uns fragen: Warum lobte Gott den ungerechten Verwalter? Es heißt doch: „Dafür halte man uns: für Diener Christi und Verwalter der Geheimnisse Gottes. Übrigens sucht man hier an den Verwaltern, daß einer treu erfunden werde.” (1. Korinther 4:1 - 2)

Besteht ein Widerspruch zwischen dem Lob für den ungerechten Verwalter und der Aussage dieses Verses? Ich glaube: nein, denn es gibt einen Unterschied zwischen dem Gerechten und dem Treuen. Als treuen Menschen bezeichnet man jemanden, der einer Sache oder Person verbunden ist, der jemandem ergeben dient, der nicht betrügt, vertrauenswürdig, zuverlässig und loyal ist. Wir könnten hinzufügen, daß ein Gott treuer Mensch gemäß dem Willen Gottes handelt - nach Seinem Vorbild und in Seinem Geiste.

Gerechtigkeit hingegen hängt mit dem Gesetz zusammen. In Hinsicht auf die Gerechtigkeit spielen der Charakter des Herrn und Seine Vorlieben keine Rolle. Für ein Vergehen kann man beispielsweise eine Gefängnisstrafe von einem bis zu 10 Jahren Gefängnis bekommen. Das Strafmaß hängt in weitem Maße vom Richter ab - seinem Charakter, seiner Barmherzigkeit - sowie von der Berücksichtigung von mildernden Umständen.

Der Herr wurde benachrichtigt, daß der Verwalter sein Habe verschwendet. Wir haben von Gott das Privileg erhalten, Seine Güter zu verwalten. Wenn wir sündigen, verschwenden wir Seine Habe. Im Gleichnis wurde der Herr über Seinen Verwalter benachrichtigt - Gott weiß alles. Er erfuhr, es gebe keinen einzigen Gerechten - Gott weiß, daß wir alle ungerecht sind. Der Herr sagte: „Lege die Rechnung von deiner Verwaltung ab.” - bevor wir sterben, müssen wir Rechenschaft ablegen. Wir sollten wissen, daß über jedes unrechte Wort am Tage des Gerichts geurteilt wird.

Der Verwalter sagt: „Ich weiß, was ich tun werde, damit sie mich, wenn ich der Verwaltung enthoben bin, in ihre Häuser aufnehmen.” Das Aufnehmen in die Häuser kann man auffassen als: einen guten Ruf haben, positive Erinnerungen in den Gedächtnissen der Menschen hinterlassen. „Graben kann ich nicht” - ich bin doch schon zu alt „und zu betteln schäme ich mich” - es ist doch so erniedrigend. Der Verwalter beschloß, die Schulden der Schuldner zu verringern, und so sorgte er dafür, daß er in Zukunft in ihre Häuser aufgenommen werden konnte. Er wußte ganz genau, wie viel sie ihm schuldeten. Dennoch fragte er höflich: „Wieviel bist du meinem Herrn schuldig.”

Diese Vorgehensweise entspricht der Methode, die im Matthäusevangelium 18:15 empfohlen wird. Es geht doch darum, einen Bruder zu gewinnen - oder ein verlorenes Schaf, eine verlorene Drachme, einen verlorenen Sohn. In unserem Gleichnis gelingt das durch die Verringerung der Schulden. Statt 100 Fässer Öl, schrieb der Verwalter 50 auf; statt 100 Kor Weizen, 80. Dabei gilt das Gesetz Gottes doch zu 100 Prozent. Der Verstoß gegen ein Gebot entspricht einem Verstoß gegen alle Gebote:

„Denn wer das ganze Gesetz hält, aber in einem strauchelt, ist aller (Gebote) schuldig geworden.” (Jakobus 2:10)

Worin bestand also die Sünde des Verwalters? Hat er wirklich gesündigt? Es ist bemerkenswert, daß nicht der Verwalter selbst die Schulden verringerte - er ließ die Schuldner ihre Schulden verringern, so, als würden wir sagen: Herr, ich schaffe es nicht, dir 100 Prozent zu geben. Ich gebe dir weniger. Ich gebe dir nur 50 Prozent. Ich kenne doch meinen Herrn. Ich weiß, daß er barmherzig und gütig ist. Er wird mir den Rest schenken. Einen neuen Antrag für 50 Prozent zu stellen bedeutet um Vergebung zu beten.

Laßt uns solche Verwalter sein. Das im Gleichnis genannte Öl ist ein Symbol für den Heiligen Geist. Des Weiteren steht es für unser geistiges Leben und unsere Verpflichtungen gegenüber Gott. Weizen steht für die Verpflichtungen gegenüber unseren Mitmenschen. Das Öl und das Weizen sind wie die beiden Gebotstafeln. Auf der einen stehen die Verpflichtungen gegenüber Gott, auf der anderen die Verpflichtungen gegenüber den Menschen.

Wenn wir fallen, verpflichten wir uns zu besserem Handeln. „100 Prozent schaffe ich nicht. Nur 50 Prozent sind mir möglich.” Gott wird uns dafür loben. Was unsere irdischen Angelegenheiten angeht, sollten wir den anderen Menschen ihre Schulden teilweise erlassen, damit ihre Schuld gegenüber dem Herrn 20 Prozent geringer ausfällt (statt 100 schreiben wir 80 Kor auf). Gott vergibt uns und möchte, daß wir uns gegenseitig vergeben. Wenn jemand fällt, dann sollten wir ihm nicht den letzten Tritt verpassen, wenn er seine Schuld einsieht und um Vergebung bittet. Wir sollten einander vergeben und uns gegenseitig unterstützen. So verringern wir die Schuld unserer Geschwister.

Warum lobte der Herr den Verwalter? Er lobte ihn, denn sein Verhalten entsprach dem Gottes. Um dieses Gleichnis richtig verstehen zu können, muß man sich klarmachen, was der Unterschied zwischen einem gerechten und einem treuen Menschen ist. Wir sind ungerechte Verwalter, weil wir immer Fehler machen, aber wir sollten immer treu sein. Deswegen spricht Jesus später von der Treue und nicht von der Gerechtigkeit als Bedingung für eine künftige Verwaltertätigkeit (Lukas 16:12). Vers 11 weist daraufhin, daß wir nicht an irdischen Gütern hängen sollen. Denn das Vertrauen in irdische Güter ist ein Zeichen der Untreue gegenüber Gott. Wir sollen Gott treu sein; wir sollen wie Er, in Seinem Geiste, handeln. Wir sollten die Schuld verringern, um einen Bruder zu gewinnen - wie ein verlorenes Schaf, eine verlorene Drachme und einen verlorenen Sohn.

Ein anderes Gleichnis bezieht sich ebenfalls auf unsere Fragestellung. Es ist das Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht, das im Matthäusevangelium verzeichnet ist (Matthäus 18:23 - 25):

„Deswegen ist es mit dem Reich der Himmel wie mit einem König, der mit seinen Knechten abrechnen wollte. Als er aber anfing, abzurechnen, wurde einer zu ihm gebracht, der zehntausend Talente schuldete. Da er aber nicht zahlen konnte, befahl der Herr, ihn und seine Frau und die Kinder und alles, was er hatte, zu verkaufen und (damit) zu bezahlen. Der Knecht nun fiel nieder, bat ihn kniefällig und sprach: Herr, habe Geduld mit mir, und ich will dir alles bezahlen. Der Herr jenes Knechtes aber wurde innerlich bewegt, gab ihn los und erließ ihm das Darlehen.

Jener Knecht aber ging hinaus und fand einen seiner Mitknechte, der ihm hundert Denare schuldig war. Und er ergriff und würgte ihn und sprach: Bezahle, wenn du etwas schuldig bist! Sein Mitknecht nun fiel nieder und bat ihn und sprach: Habe Geduld mit mir, und ich will dir bezahlen. Er aber wollte nicht, sondern ging hin und warf ihn ins Gefängnis, bis er die Schuld bezahlt habe. Als aber seine Mitknechte sahen, was geschehen war, wurden sie sehr betrübt und gingen und berichteten ihrem Herrn alles, was geschehen war. Da rief ihn sein Herr herbei und spricht zu ihm: Böser Knecht! Jene ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich batest. Solltest nicht auch du dich deines Mitknechtes erbarmt haben, wie auch ich mich deiner erbarmt habe? Und sein Herr wurde zornig und überlieferte ihn den Folterknechten, bis er alles bezahlt habe, was er ihm schuldig war. So wird auch mein himmlischer Vater euch tun, wenn ihr nicht ein jeder seinem Bruder von Herzen vergebt.”

In diesem Gleichnis siegt die Barmherzigkeit Gottes über Seine Gerechtigkeit und der Knecht erweist sich als allzu gerecht. Der König entspricht Gott, die Knechte den Geweihten. Die Schuld des Knechtes, die sich auf 10.000 Talente beläuft, steht für unsere Sünden. Wir sind nicht in der Lage, diese Schuld bei Gott zu begleichen oder uns freizukaufen. Es ist ein Zustand, in dem wir uns bewußt sind, daß wir sterben müssen. Der Knecht fällt nieder - dies entspricht unserer Weihung. Durch Christus wird uns vergeben: unsere Sünden werden getilgt und wir werden gereinigt.

Unter den Geweihten sind aber auch solche, die übertrieben gerecht sind. Sie treffen Geschwister, die ihnen 100 Cent schulden. Diese 100 Cent entsprechen unseren gegenseitigen Verpflichtungen. Verglichen mit dem Ausmaß unserer Sünde sind sie nicht der Rede wert. Der böse Knecht übte aber großen Druck auf seine Mitknechte aus und brachte ihn ins Gefängnis. Dies entspricht einem Zustand der Verachtung anderer. Gott hat uns alles vergeben. Und wir? Manchmal kommt es vor, daß wir auf Vergebung unserer Sünden hoffen, aber selbst nicht bereit sind, unseren Schuldigern zu vergeben.

Wir sollten uns so oft wie möglich beieinander entschuldigen; wir sollten möglichst häufig - 77 Mal - einander vergeben. Jesus erzählte dieses Gleichnis als Antwort auf Petrus’ Frage: „Herr, wie oft soll ich meinem Bruder, der gegen mich sündigt, vergeben? Bis siebenmal? Jesus spricht zu ihm: Ich sage dir: Nicht bis siebenmal, sondern bis siebzigmal sieben.” (Matthäus 18:21 - 22)

Jeder von uns weiß selbst, wie groß seine Schuld ist. Wir sollten immer an die Worte Jesu denken, mit denen er das besprochene Gleichnis schloß: „Und sein Herr wurde zornig und überlieferte ihn den Folterknechten, bis er alles bezahlt habe, was er ihm schuldig war. So wird auch mein himmlischer Vater euch tun, wenn ihr nicht ein jeder seinem Bruder von Herzen vergebt.”

Wir wollen nun drei Beispiele aus dem Alten Testament betrachten. Auch hier begegnen wir übertrieben gerechten Menschen. Die erste Geschichte ist im 2. Buch Samuel, Kapitel 12, zu finden. Es ist die Geschichte Nathans, der von Gott zum König David geschickt wird. Wir kennen sie alle. Der Prophet Nathan erzählte eine Geschichte über einen reichen Mann, der Besuch bekam. Der reiche Mann wollte gastfreundlich sein, aber er wollte seine Schafe und Rinder nicht anrühren. Er nahm also dem Gast sein einziges Lamm weg und bereitete es für ihn zu. Als der Prophet die Geschichte erzählt hatte, erzürnte sich der König David und sprach zu Nathan: „So wahr der HERR lebt, der Mann, der das getan hat, ist ein Kind des Todes. Das Lamm aber soll er vierfach erstatten, dafür daß er diese Sache getan hat, und weil es ihm (um den Armen) nicht leid getan hat. Da sagte Nathan zu David: Du bist der Mann!” (12:5 - 7)

„Daraufhin erwiderte David: Ich habe gegen den HERRN gesündigt.” (Vers 13)

Wegen des Ehebruchs hätte David sterben müssen, denn es war eine 100-prozentige Sünde in den Augen des Herrn. Der König gestand seine Schuld und die Sünde wurde um 20 Prozent verringert (wie beim Weizen). Diese 20 Prozent Erlaß drückte Nathan in den folgenden Worten aus: „So hat auch der HERR deine Sünde hinweggetan, du wirst nicht sterben.” (Vers 13)

Folglich verlor David nicht die Gemeinschaft mit Gott. Der Prophet Nathan kann hier mit dem ungerechten Verwalter verglichen werden. Er empfahl David zu beten. Gott gab ihm zwar das Leben, aber die Strafen blieben nicht aus: „Nun denn, so soll das Schwert von deinem Haus auf ewig nicht weichen, dafür daß du mich verachtet und die Frau Urias, des Hetiters, genommen hast, damit sie deine Frau sei.”

Das Böse betrat die Pforten des Hauses von David. Amnon vergewaltigte seine Schwester Tamar. David konnte Amnon nicht mit dem Tod bestrafen, da er wußte, daß er selbst gesündigt hatte. Er erlebte den Aufstand seines Sohnes Absalom. Andere Männer schliefen mit seinen Frauen und seine Sünde wurde im ganzen Land verkündet. Auf diese Weise büßte David für seine Sünde. Gott erläßt uns unsere Sünden nicht komplett. Wir werden büßen müssen.

David erwies sich als allzu gerecht, denn er verurteilte den Mann, der seinem Gast sein letztes Lamm nahm, zum Tode, obwohl das Gesetz eine Todesstrafe nicht vorsah. Das Gesetz sprach nur von einer vierfachen Wiedergutmachung (4 Schafe für 1 - in 2. Mose 22:1). David hätte nicht das härteste Urteil treffen müssen. Wenn ein Richter mit einem solchen Streitfall betraut war - in diesem Fall David - erfolgte nur eine zweifache Wiedergutmachung (nach 2. Mose 22:9). Darüber hinaus erzürnte sich David. Er war folglich übereifrig und allzu gerecht. Wir sollten immer an die folgende Regel denken: „Denn mit welchem Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden.” (Matthäus 7:2). Häufig sehen wir den Splitter im Auge unseres Bruders und übersehen den Balken in unserem eigenen. Hätte David sein Urteil besser erwogen, so wäre möglicherweise ein milderes Urteil in seiner eigenen Sache getroffen worden. Vielleicht wären er und sein Haus nicht so hart bestraft worden. Wenn uns jemand etwas Böses sagt, sollten wir ihn nicht sofort verurteilen. Wir müssen miteinander reden.

Eine weitere Lehre ergibt sich aus der Geschichte Josephs aus 2. Mose, Kapitel 42. Als Josephs Brüder nach Ägypten kommen, werden sie der Spionage verdächtigt. Joseph droht an, sie bis zur Ankunft Benjamins ins Gefängnis zu werfen und läßt sie drei Tage lang überwachen. Die Brüder erkennen Joseph nicht und sagen zueinander: „Fürwahr, wir sind schuldbeladen wegen unseres Bruders, dessen Seelenangst wir sahen, als er uns um Gnade anflehte, wir aber nicht hörten. Darum ist diese Not über uns gekommen. Und Ruben antwortete ihnen: Habe ich nicht zu euch gesagt: Versündigt euch nicht an dem Jungen? Aber ihr habt nicht gehört; doch siehe, sein Blut wird gefordert!” (1. Mose 42:21 - 22)

Joseph weinte, denn er wußte, daß seine Brüder ihre Schuld eingesehen hatten. Wir sollten uns über jede positive Haltung unserer Geschwister freuen. Joseph war nicht übertrieben gerecht. Er hätte doch sein Recht einklagen können.

Nun das letzte Beispiel:

Der Herr sagte zu Jona: „Da geschah das Wort des HERRN zum zweiten Mal zu Jona: Mache dich auf, geh’ nach Ninive, der großen Stadt, und ruf ihr die Botschaft zu, die ich dir sagen werde. Da machte Jona sich auf und ging nach Ninive, gemäß dem Wort des HERRN. Ninive aber war eine große Stadt vor Gott, drei Tage zu durchwandern. Und Jona begann, in die Stadt hineinzugehen, eine Tagereise (weit). Und er rief und sprach: Noch vierzig Tage und Ninive ist zerstört! Da glaubten die Leute von Ninive an Gott; und sie riefen ein Fasten aus und kleideten sich in Sacktuch von ihrem Größten bis zu ihrem Kleinsten.” (Jona 3:1 - 6)

Die Leute von Ninive wurden demütig, aber Jona stellte es nicht zufrieden. Er wollte seine Worte erfüllt sehen und forderte eine Zerstörung Ninives. Aber Gott erbarmte sich der Stadt, da ihre Einwohner ihre Schuld erkannt hatten und Buße taten. Erinnert ihr euch an die Reaktion Jonas?

„Und es mißfiel Jona sehr, und er wurde zornig. Und er betete zum HERRN und sagte: Ach, HERR! (…) ich wußte, daß du ein gnädiger und barmherziger Gott bist, langsam zum Zorn und groß an Güte, und einer, der sich das Unheil gereuen läßt. Und nun, HERR, nimm doch meine Seele von mir! Denn es ist besser, daß ich sterbe, als daß ich lebe! Und der HERR sprach: Ist es recht, daß du zornig bist? (…) Und er sagte: Mit Recht bin ich zornig bis zum Tod!”

Jona warf Gott vor, Er habe das Böse nicht bestraft. Er akzeptierte die Buße der Einwohner nicht. Er war betrübt wegen des Rhizinusstrauchs, wollte sich aber der Stadt nicht erbarmen. Er war ein sturer Mann. Er konnte „bis zum Tod” zornig werden. Wir sollten niemals Jonas ähneln. Wir dürfen nicht sagen, daß Gott uns allein erlösen und alle anderen auslöschen wird. Wir dürfen andere Geschwister und Andersgläubige nicht verachten. Wir sollten uns lieber um unsere eigene Erlösung kümmern.

Abschließend wollen wir uns die Frage stellen: Warum sagt der Prediger, daß ein allzu Gerechter sich zugrunde richten wird? Wäre Davids eigenes Urteil über ihn gefällt worden, dann hätte er sich zugrunde gerichtet. Hätte Joseph seine Brüder so behandelt, wie sie ihn vorher behandelt hatten, dann wären sie gestorben. Wenn wir uns unserer Sache allzu sicher sind, wenn wir besserwisserisch sind, andere belehren und ihnen unsere Meinung aufzwingen wollen, kann es passieren, daß wir gerade darin geprüft werden. Ein solches Verhalten kann unseren Glauben ins Wanken bringen und uns zugrunde richten. Wenn wir gesündigt haben, sollten wir versuchen, unsere Sünde zu erkennen und wieder gutzumachen. Andererseits sollten wir uns nicht quälen, indem wir sagen: „Wie konnte ich das nur tun?”, denn wir könnten daran zerbrechen. Apostel Paulus sagt, daß er sich selbst nicht richtet. Selbst Gott „beugt nicht das Recht und die Fülle der Gerechtigkeit”. (Hiob 37:22).



Tagesanbruch Bibelstudien- Vereinigung