Eine praktische Selbstprüfung der Liebe

„Prüft euch, ob ihr im Glauben seid, untersucht euch!” (2. Korinther 13:5)

Es ist unmöglich Liebe zu beschreiben, diese wundervolle Eigenschaft, ohne die aus Gottes Sicht nichts annehmbar ist. Der Apostel versucht nicht die Liebe zu erklären, sondern beschränkt sich darauf, uns einige ihrer Auswirkungen zu zeigen. Diejenigen, die eine Liebe mit solchen Merkmalen besitzen, sind zwar imstande sie wertzuschätzen, können sie jedoch ansonsten nicht erklären. So, wie auch Leben und Licht schwierig zu erklären sind, können wir die Liebe tatsächlich dadurch am besten erläutern, indem wir uns bemühen, ihre Auswirkungen aufzuzeigen. Sie stammt von Gott, gottähnlich im Herzen, auf der Zunge, in den Händen und den Gedanken, - indem sie alle menschlichen Eigenschaften zu überwalten und zu kontrollieren versucht. Wo Liebe fehlt, sind die Resultate mehr oder weniger schlecht; wo die Liebe gegenwärtig ist, unterscheiden sich die Resultate nach dem Grad der Liebe und sind verhältnismäßig gut.

Bei einem Christen reicht eine äußerliche Kundgebung von Liebenswürdigkeit, Demut, Sanftmut, Geduld und anderen positiven Eigenschaften nicht aus, weder aus Gottes Sicht noch aus seiner eigenen. Diese Gnaden müssen durch den Geist der Liebe hervorgebracht werden, der das eigene Herz erfüllt und ausfüllt. Viele der Gnaden des Geistes werden von sündhaften Menschen als Ziele guter Erziehung anerkannt und nachgeahmt und dienen in vielen Fällen erfolgreich als ein Mantel oder eine Maske, um Herzen und Gefühle zu verdecken, die dem Heiligen Geist der Liebe ganz entgegengesetzt sind.

Das Maß unserer Wertschätzung der göttlichen Liebe wird das Maß unseres Eifers sein, unsere Charaktere mit dem göttlichen Vorbild in Übereinstimmung zu bringen. Eine angeborene, rauhe, ungestüme, verdorbene Veranlagung mag, nachdem die Gnaden der göttlichen Liebe in das Herz eingedrungen sind, lange Zeit benötigen, bevor jene Gnade sich in allen Gedanken und Worten und dem Handeln des äußeren Menschen zeigt. Andere dagegen, von vornehmerer Geburt und feinerer Erziehung, mögen ohne die innerliche Gnade sein und viel äußerliche Bildung besitzen. Niemand als nur Er, der die Herzen ließt, ist daher fähig zu beurteilen, wer diese Gnade bekommen und wer sie nicht bekommen hat. Auch beurteilt Er den Grad der Entwicklung in ihren Herzen. Möge aber jeder für sich selbst urteilen, und ein jeder, der von diesem Heiligen Geist der Liebe gezeugt ist, sollte danach trachten, dieses Licht auf allen Wegen des Umgangs mit seinen Mitgeschöpfen scheinen zu lassen, um Seinen Vater im Himmel zu verherrlichen, „damit ihr die Tugenden dessen verkündigt, der euch aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht berufen hat.” (1. Petrus 2:9)

Unter den „Gnadengaben” der frühen apostolischen Zeit wurden die Prophezeiung und die Redekunst als eine der höchsten hervorgehoben. Auch wurde die Erkenntnis der Geheimnisse Gottes sehr empfohlen, und ein starker Glaube wurde zu den Hauptanforderungen eines Christen gerechnet; jedoch erklärt der Apostel, daß, wenn er alle diese Gaben im vollsten Maße besäße, aber keine Liebe haben würde, er nichts als eine Null sein würde - jedenfalls kein Glied der Neuen Schöpfung, denn die Liebe ist der Geist bei der Zeugung zur Neuen Schöpfung.

Was für eine wundervolle Prüfung ist dies! Der Apostel gibt uns den Ratschlag: „Prüft euch, ob ihr im Glauben seid, untersucht euch.” Laßt uns ein jeder diese Prüfung an sich selbst vornehmen. Ob ich nach Gottes Einschätzung etwas bin oder nicht bin, wird vielmehr an meiner Liebe für Ihn, für die Geschwister, für Seine Sache, für die Welt im allgemeinen und sogar für meine Feinde gemessen, als an meiner Erkenntnis, meinem Ruf oder meiner Redekunst.

Das bedeutet jedoch nicht, daß jemand eine Erkenntnis der tiefen Geheimnisse Gottes besitzen könnte, ohne durch den Heiligen Geist der Liebe gezeugt worden zu sein; denn die tiefen Dinge Gottes kennt man nur durch den Geist Gottes. Jemand kann aber den Geist verlieren, bevor er die Erkenntnis verliert, die ihm durch den Geist gegeben wurde. Bei der Einschätzung des Charakters sollen wir daher die Liebe an die erste Stelle setzen, und sie als die Hauptprüfung unserer Nähe und Annehmbarkeit bei dem Vater betrachten.

Die Liebe ist das Geheimnis wahrer Höflichkeit

Nachdem uns der Apostel dieses Konzept der Wichtigkeit der Liebe gegeben hat, indem er beschreibt, was sie ist, und was sie nicht ist, wie sie sich auswirkt, und wie sie sich nicht auswirkt oder verhält, laßt uns dies gemeinsam auf uns anwenden und uns in unserem tiefsten Inneren fragen:

Besitze ich eine solche Liebe, besonders für den Haushalt des Glaubens, die mich dazu befähigt, für eine lange Zeit viel zu leiden und doch freundlich zu sein? Ertrage ich geduldig die Schwachheiten und Unvollkommenheiten anderer, wenn es in ihrem Verhalten irgendeinen Hinweis auf gute Absichten gibt? Bin ich selbst mit denen geduldig, die sich außerhalb des Weges befinden, weil ich erkenne, daß der große Widersacher die Gedanken der Massen bindet, und weil ich mich daran erinnere, daß diese Offenbarung der Liebe in unserm Herrn Jesus vollkommen war, der mit seinen Gegnern geduldig war?

Bin ich freundlich in meinen Methoden, indem ich mich anstrenge, über meine Gewohnheiten und meinen Ton zu wachen und dabei erkenne, daß sie in jeder Angelegenheit des Lebens Anwendung finden? Besitze ich dieses Zeichen der Liebe, das mein Handeln, meine Worte und Gedanken durchdringt? Denke ich an andere und nehme ich Rücksicht auf andere? Fühle und zeige ich ihnen gegenüber Freundlichkeit in Worten, im Ausdruck und im Handeln? Ein Christ sollte vor allen Dingen freundlich sein, höflich, sanft zu Hause und an seinem Arbeitsplatz, in der Versammlung, überall. In dem Maße, in dem vollkommene Liebe erlangt wird, werden die stetigen Anstrengungen des Herzens sein, jedes Wort, jede Handlung und jeden Gedanken der diesen zugrunde liegt, der völligen Geduld und Freundlichkeit zu unterwerfen. Bei einem Kind Gottes sind diese Eigenschaften nicht nur äußerliche Zierden. Sie können es nicht sein, weil sie im Gegenteil Früchte des Geistes sind. Sie sind Wachstum oder Ergebnisse davon, daß wir in Gemeinschaft mit Gott gekommen sind, von Ihm gelernt haben, von Seinem Geist der Heiligkeit gelernt haben zu lieben.

Besitze ich die Liebe, die „nicht neidet”, die Liebe, die großzügig ist, so daß ich andere gesegnet sehen und mich über ihr Wohlergehen freuen kann, selbst dann, wenn für eine Zeit lang meine Angelegenheiten nicht so gesegnet sind? Dies ist wahrhaftige Großzügigkeit, genau das Gegenteil von Eifersucht und Neid, welche von einer verdorbenen Natur ausgehen. Die Wurzel des Neides ist Selbstsucht. Neid entsteht nicht aus der Wurzel der Liebe. Die Liebe freut sich mit denen, die sich am Gelingen von guten Worten und Werken erfreuen. Sie freut sich auch am Fortschritt in christlicher Gnade, und an göttlichem Dienst aller, die durch den göttlichen Geist angetrieben werden.

Besitze ich die Liebe, die demütig ist, „die sich nicht rühmt, die nicht aufgebläht ist”? - die Liebe, die Bescheidenheit zeigt, die nicht prahlerisch, nicht überheblich ist? Besitze ich die Liebe, die zu guten Taten anspornt, die nicht von den Menschen gesehen werden? Würde ich das Gleiche tun, wenn es niemand gesehen oder davon Kenntnis gehabt hätte, als nur Gott allein? Bin ich weder auf die Erkenntnis noch auf die Gnade stolz, sondern erkenne ich in Demut an, daß jede gute und vollkommene Gabe vom Vater kommt? Und vergelte ich Ihm in Liebe und im Dienst jede Seiner Gnaden? Das Prahlen über sein Ansehen hat nicht nur so manchen Menschen zur Torheit verleitet, sondern manchmal in seinem Bemühen, seine Prahlereien gut zu machen, zu groben Sünden geführt. Der Geist des Herrn ist der Geist des gesunden Verstandes, der nicht nur versucht andere großmütig zu behandeln, sondern auch sich selbst nüchtern einzuschätzen und seine Eigenschaften und Talente nicht zu hoch.

Besitze ich die Liebe, die höflich ist, die sich „nicht unanständig benimmt”? Stolz ist die Wurzel, aus der viel unanständiges Betragen hervorgeht - eine Unhöflichkeit, die unter denen, die von sich selbst denken, daß sie entweder intellektuell oder finanziell etwas darstellen, allgemein üblich ist. Höflichkeit ist als Liebe in Kleinigkeiten bezeichnet worden, Gefälligkeit in kleinen Dingen. Das Geheimnis der Höflichkeit ist entweder Oberflächenpolitur oder Liebe im Herzen. Als Christen sollen wir die Herzensliebe besitzen, welche uns zu Handlungen der Freundlichkeit und Höflichkeit anspornt, nicht nur gegenüber dem Haushalt des Glaubens, sondern auch in unseren Familien und in unserem Handeln mit der Welt.

Besitze ich die uneigennützige Liebe, welche nicht ausschließlich „das ihre sucht”, die willig einige ihrer eigenen Rechte im Interesse anderer opfert? Oder offenbare ich im Gegenteil Selbstsucht, die nicht nur bei jeder Gelegenheit ihre eigenen Rechte fordert, sondern die diese Rechte ohne Rücksicht auf die Bequemlichkeiten und Rechte anderer fordert? Besonders auf diese Weise Liebe zu zeigen, bedeutet, daß wir auf der Hut sein werden, irgendwelche ungerechten Vorteile anderen gegenüber in Anspruch zu nehmen. Wir werden es lieber vorziehen, einen Nachteil zu erleiden, als etwas falsches zu tun; lieber eine Ungerechtigkeit zu erleiden, als eine Ungerechtigkeit zu tun.

Die Liebe beginnt daheim

Nichts von all dem zuvor Gesagten bedeutet, daß jemand in irgendeiner Weise die Sorge und Vorsorge für diejenigen, die durch die Bande der Natur von uns abhängig sind, zu Gunsten anderer ablehnen sollte. In jeder Hinsicht beginnt die Liebe daheim. Sofern Mann und Frau im Besitz des Geistes der vollkommenen Liebe sind, denken sie in den Angelegenheiten des Lebens nicht ausschließlich an ihre eigenen Interessen. Wenn wir die Liebe auf diese Weise anwenden, üben wir großen Einfluß auf alle Bereiche des Lebens aus, sowohl innerhalb des Hauses und der Familie wie auch außerhalb.

Ist meine Liebe von so ausgewogenem Temperament, „daß sie sich nicht erbittern läßt” zum Zorn? Befähigt mich diese Liebe, beide Seiten einer Frage zu sehen? Gibt sie mir den Geist eines gesunden Sinnes, der mich befähigt wahrzunehmen, daß Erbitterung und heftiger Zorn nicht nur unbekömmlich sind, sondern schlechter als das? - verletzend für diejenigen, an die sie sich richten und ebenso verletzend in ihren Auswirkungen für mein eigenes Herz und meinen Leib?

Es mag Zeiten geben, in denen die Liebe stark sein muß, ja beinahe voller Strenge und Unbeugsamkeit. Dies ist da notwendig, wo es um Grundsätze geht, wo absehbare Lektionen unerwünscht sind; dann kann ein solches Verhalten unter dem Einfluß von Zorn entstehen. Wenn wir das Wort im Hinblick auf eine berechtigte Entrüstung in einem angemessenen Sinn benutzen, so werden wir dies jedoch nur eine Zeit lang üben und nur, um Gottes Willen zu tun. Wenn wir gerechterweise zornig sind, sollten wir uns anstrengen, weder mit unseren Lippen noch in unseren Herzen zu sündigen. Zu keiner Zeit sollten wir irgend etwas außer Liebe und Großmut denen gegenüber empfinden, die unsere Feinde sind, oder gegenüber jenen unserer Freunde, denen wir beistehen, die wir unterrichten oder auf die wir guten Einfluß ausüben möchten.

Leicht erbittert zu sein bedeutet ein schlechtes Gemüt zu haben. Es bedeutet Reizbarkeit, schlechten Humor, Empfindlichkeit, Angriffslust. Dies ist dem Geist der Liebe völlig entgegengesetzt. Wer auch immer auf des Herrn Seite steht und Ihm zu gefallen sucht und nach der Stellung eines Überwinders trachtet, sollte angesichts dieser allgemein drohenden Gefahr unserer Tage eifrig über sich selbst wachen. Das Maß, in dem diese Sinnesart gefördert, willig geduldet oder nicht dagegen gekämpft wird, wird sie zum Zeugnis für Mangel und Unvollkommenheit unserer Entwicklung des Heiligen Geistes unseres Vaters. Sie zeigt einen Mangel in unserer Ähnlichkeit zu unserem Herrn Jesus, unserem Vorbild.

Sehr wenige der Zeugnisse eines verkehrten Geistes kommen aus jemandem selbst, ebenso der Grad ihrer Zuneigung und die Entschuldigungen für ihre Fortsetzung. Gleich, wie stark die natürliche Verderbtheit und Erbsünde mit nervöser Unruhe nach diesem Geist des Unmuts, der Schweigsamkeit und Empfindlichkeit streben mag, jedes mit dem Geist des Herrn erfüllte Herz muß dieser Neigung zum Bösen in seinem Fleisch widerstehen. Es muß die Bereitschaft haben, einen guten Kampf dagegen zu führen.

Es geht nicht, daß wir sagen: „Dies ist meine Art”, denn jede Äußerung der gefallenen Natur ist schlecht, und es ist vielmehr die Aufgabe der neuen Natur die alte Natur sowohl in diesem als auch anderen Werken des Fleisches und des Teufels zu überwinden. Auf nur wenige Art und Weise können wir unseren Freunden und Hausgenossen die Macht der Gnade der Liebe eindeutiger zeigen, als in dieser. Wenn diese Gnade wächst, sollte sie jedes Kind Gottes sanftmütig machen. Auf keine bessere Art und Weise können wir Seinen Lobpreis verkünden, der uns aus der Finsternis in Sein wundervolles Licht berufen hat, als durch die Darstellung des Geistes der Liebe in den täglichen Angelegenheiten des Lebens.

Die Liebe denkt nichts Böses

Besitze ich den Geist der Liebe, der „nichts Böses denkt”, der arglos ist, nicht mißtrauisch zum Bösen ist oder nach den Fehlern der anderen ausschaut, ihnen keine bösen Absichten unterstellt? Besitze ich die Liebe, die das Betragen anderer immer nachsichtig zu erklären sucht, um in der Beurteilung der Irrtümer jede mögliche Nachsicht einzuräumen, und nicht die guten Absichten des Herzens in Frage stellt? Vollkommene Liebe ist stark in sich selbst, sie bevorzugt es und ist so weit wie möglich bestrebt, die Worte und das Betragen der anderen vom gleichen Standpunkt aus zu betrachten. Sie hegt keine Abneigung und keinen Argwohn, auch stellt sie aus unbedeutenden Angelegenheiten keine Kette von ausführlichen Beweisen böser Absichten her. Ein sehr weiser Ausspruch lautet: „Fehler sind groß, wo die Liebe gering ist.”

Aber wo die Liebe die Feindseligkeiten übergeht, ihnen keine Rechnung trägt und keinen Groll hegt, behandelt die Liebe die Übeltäter nicht genau in der gleichen Weise wie ihre Freunde. Es mag angebracht oder sogar notwendig sein, den Feindseligkeiten eine gewisse Beachtung zu schenken. Dabei darf man ihr gegenüber jedoch weder Herzlichkeit zeigen, noch Haß, Groll, oder Hader bekunden. Alles, was wir zu zeigen haben, sind Freundlichkeit und Sanftmut, indem die Tür der Gelegenheit für eine schnellstmögliche, völlige Versöhnung, offen bleibt; indem man alles mögliche dazu unternimmt, um eine Versöhnung zu fördern und den Willen zur Vergebung und des Vergessens des Unrechts zu zeigen.

Die Liebe freut sich nicht über Ungerechtigkeit

Besitze ich die Liebe, die aufrichtig ist, die „sich nicht über die Ungerechtigkeit freut, sondern sich mit der Wahrheit freut”? Sind die Grundsätze von Recht und Unrecht so fest in meinem Gedächtnis verankert, stimme ich mit dem Recht überein und dem Unrecht entgegen, so daß Unrecht mich betrübt, wo auch immer ich ihm begegne und mit allen mitfühle, die dem Bösen verfallen sind oder Versuchungen erdulden müssen? Widersetze ich mich dem Unrecht so sehr, daß ich es nicht begrüße, selbst wenn es zu meinem Vorteil wäre? Stimme ich so mit dem Recht und der Wahrheit überein, daß ich es nicht vermeiden kann, mich der Wahrheit und ihres Gedeihens zu erfreuen, selbst wenn ich mich von einigen meiner vorgefaßten Meinungen abwenden muß oder dies einen Nachteil einiger meiner irdischen Interessen bedeutet?

Jeder der bestrebt ist, durch den Heiligen Geist in seinem Herzen die vollkommene Liebe zu entwickeln, sollte sowohl über diesen Punkt der Aufrichtigkeit des Beweggrundes als auch über die Rechtschaffenheit der Verwaltung sorgfältig wachen. Die geringste Einflüsterung der Freude über den Fall irgendeiner Person oder einer Sache, die in gewissem Grad Rechtschaffenheit oder Güte darstellt, muß bedauert und überwunden werden. Die vollkommene Liebe … „freut sich unter keinen Umständen oder Bedingungen über die Ungerechtigkeit”, und würde keine Sympathie dafür zeigen. Sie würde vielmehr über den Fall eines anderen Leid tragen, selbst wenn dieser Fall seinen eigenen Fortschritt bedeuten würde.

Die Liebe Gottes, welche die Apostel hier als den Geist des Volkes des Herrn beschreiben, ist Liebe, die weit entfernt von aller Selbstsucht ist und sich auf die festgelegten Grundsätze stützt, die Tag für Tag deutlicher wahrgenommen werden sollten, und an denen immer und um jeden Preis festgehalten werden sollte.

Wie vorteilhaft der Irrtum auch immer sein mag, die Liebe könnte daran keinen Anteil haben und nicht die Belohnung des Bösen wünschen. Sie nimmt jedoch freudigen Anteil an der Wahrheit - der Wahrheit über jeden Gegenstand und besonders an der Wahrheit der göttlichen Offenbarung, wie unbeliebt die Wahrheit auch sein mag, wieviel Verfolgung ihre Verteidigung bedeuten mag, wieviel es auch immer kosten mag, die Freundschaft dieser Welt zu verlieren, und von denen, die von dem Gott dieser Welt geblendet sind. Der Geist der Liebe besitzt eine solche Verwandtschaft mit der Wahrheit, daß er sich freut, Verlust, Verfolgung und Not oder was immer gegen die Wahrheit oder ihre Diener kommen mag, zu teilen. Nach Einschätzung des Herrn ist es das gleiche, ob wir uns seiner oder seines Wortes schämen; und von allen solchen sagt er, daß er sich ihrer schämen wird, wenn er kommt, um in seinen Heiligen verherrlicht zu werden.

Besitze ich die Liebe, „die alles erträgt”, die unempfänglich für die Angriffe des Bösen ist, die dem Bösen, der Unreinheit, der Sünde und allem, was im Gegensatz zur Liebe ist, widersteht; die imstande und willig ist, für die Sache Gottes gegenüber Vorwürfen, Mißbilligung, Verlusten, falschen Darstellungen und sogar bis in den Tod auszuharren? „Dies ist der Sieg, der die Welt überwunden hat, unser Glaube”. Das Leben und der Mittelpunkt des Glaubens ist der Heilige Geist der Liebe für den Herrn und für jene, die Sein sind und das Mitgefühl für die Welt. Die vollkommene Liebe kann unter allen Umständen fruchtbar werden und uns durch Gottes Gnade zu Überwindern machen, und zu „mehr als Überwindern durch den, der uns liebt”. (1. Johannes 5:4, Römer 8:37)

Die Liebe ist nicht argwöhnisch

Besitze ich die Liebe, „die alles glaubt”, die nicht willens ist, andere zu beschuldigen, außer wenn sie durch unbestreitbare Beweise dazu gezwungen wird? Besitzen wir die Liebe, die bewirkt, daß wir von jemandem lieber das Gute als das Böse glauben würden, daß wir kein Vergnügen daran finden würden Böses zu hören, sondern geneigt wären es übelzunehmen? Vollkommene Liebe ist nicht argwöhnisch, sondern ist im Gegenteil geneigt, vertrauensvoll zu sein. Sie handelt nach dem Grundsatz, daß es besser ist, wenn notwendig, sich hundertmal zu täuschen, als verbittert mit einem argwöhnischen Sinn durch das Leben zu gehen - weit besser als auch nur eine Person ungerecht anzuklagen. Dies ist der barmherzige Sinn in Gedanken, von dem der Meister sagte: „Glückselig die Barmherzigen, denn ihnen wird Barmherzigkeit widerfahren”. (Matthäus 5:7) Der unbarmherzige, schlechtdenkende Sinn ist der Vater von unbarmherzigem Betragen gegenüber anderen.

Besitze ich die Liebe „die alles hofft”, die unter unvorteilhaften Bedingungen ausharrt, und die die Hoffnung und die Bemühungen für jene fortsetzt, die meinen Beistand benötigen? Besitze ich die Liebe „die alles erduldet”, die fortwährend und in allem das Beste erhofft, die für das Beste zu kämpfen bereit ist, und das mit Beharrlichkeit? Vollkommene Liebe ist nicht leicht entmutigt. Dies ist das Geheimnis der Beharrlichkeit der Liebe, daß sie von Gott gelernt hat und ein Teilhaber Seiner Heiligkeit geworden ist, daß sie auf Ihn vertraut und unerschrocken auf die Erfüllung Seines gnadenreichen Bundes hofft, wie dunkel auch immer die unmittelbare Umgebung sein mag.

Dieser hoffnungsvolle Bestandteil der Liebe ist eines der auffallendsten Merkmale in der Beharrlichkeit der Heiligen, das sie befähigt, Mühsal als gute Soldaten zu ertragen. Ihr hoffnungsvolles Wesen hindert sie daran, leicht beleidigt zu sein, oder leicht im Werk des Herrn aufgehalten zu werden. Wo andere entmutigt wären oder in die Flucht geschlagen würden, gibt der Geist der Liebe das Ausharren, daß wir einen guten Kampf kämpfen und dem Anführer unserer Errettung gefallen mögen. Die Hoffnungsfreudigkeit der Liebe kennt keine Verzweiflung, denn ihr fester Halt tritt in das ein, was jenseits des Vorhangs ist, und wird stark befestigt als Fels der Zeitalter.

Laßt uns, Geliebte, mit all unserem Streben Liebe erlangen, nicht nur in Worten, sondern in der Tat und in der Wahrheit - die Liebe, deren Wurzeln in dem neuen Herzen sind, in uns gezeugt sind durch unseres Vaters Liebe, und die in den Worten unseres geliebten Erlösers durch Beispiele veranschaulicht werden. Alles was sonst gesucht und erlangt wird, wird nicht mehr als Verlust und Abfall sein, es sei denn, daß wir bei allem Liebe erlangen.



Tagesanbruch Bibelstudien- Vereinigung