Ruhe inmitten der Stürme

„Schafft er Ruhe, wer will beunruhigen?” Hiob 34:29

Elihu, der Sprecher dieser Worte, war ein junger Mann, der in den Tagen Hiobs, vermutlich zur Zeit Abrahams lebte. Er war einer der vier Freunde Hiobs, die ihn in seinen Drangsalen besuchten, um ihn zu trösten. Da er der jüngste von allen war, zögerte er, so offen zu sprechen, wie die drei anderen Freunde Hiobs es taten. Er hatte sie sprechen gehört und wahrgenommen, wo sie Fehler gemacht hatten.

Die Tatsache, daß gewisse Worte in der Bibel stehen, bedeutet noch nicht, daß die Worte auch unbedingt von Gott eingegeben oder auch nur wahr sein müssen. Wir erinnern uns daran, daß wir in unserer Jugend ein Gespräch mit jemandem hatten, der schließlich eine Schriftstelle anführte, die mit allen anderen Schriftstellen im Widerspruch zu stehen schien. Wir sagten: „Wir möchten doch wissen, ob das wirklich Gottes Wort ist.” Unser Gesprächspartner schaute in der Bibel nach und stellte fest, daß die Schriftstelle im Zusammenhang lautete: „Und der Teufel sagte: … ”. Es gibt gewiß keinen Grund, den Teufel für inspiriert zu halten oder zu glauben, daß die Worte des Teufels inspiriert seien.

Die Worte Elihus sind in gleichem Maße weise wie die Worte, die von den anderen Tröstern Hiobs gesprochen wurden, vermutlich sogar weiser. Aber so weit wir sie beurteilen können, enthalten sie nur menschliche Weisheit. Indem Elihu die Frage stellte: „Wenn Er Ruhe schafft, wer will beunruhigen?” versuchte er, der Kritik an Hiob ein Ende zu machen. Er war ein Feind jeder übertriebenen Behauptung und konnte weder mit Hiob noch mit seinen anderen Freunden übereinstimmen. Hiobs drei Freunde hatten darzulegen versucht, daß Hiob etwas sehr Böses getan haben müsse, und daß als Folge davon seine Kamele und seine Rinder, ja alles was er sein Eigen nannte, sein ganzes Besitztum, so wie auch seine Kinder vernichtet worden seien. Hiob hatte seine zehn Kinder verloren und verlor nun auch noch die Liebe seines Weibes. In diesem Augenblick versuchten nun auch noch seine Tröster, ihm das Geständnis abzunötigen, daß er irgendein großes Verbrechen begangen habe, und daß Gott ihm deshalb zürne. Aber Hiob bestand darauf, daß er sein Bestes getan habe. Er bemühte sich, darzulegen, daß er zwar nicht vollkommen aber doch bestrebt gewesen sei, ein Gott wohlgefälliges, gerechtes und ehrbares Leben zu führen.

Elihus gesundes Urteil

Als einerseits Hiob seine Beweis und andererseits seine drei Freunde ihre Beweise vorgetragen hatten, sagte Elihu (wir schreiben seine Worte zum besseren Verständnis im folgenden um): „Hiob, du gibst zu, daß du Beschwerden und Kummer hast! Wenn Gott dir Ruhe verschafft hätte, wer könnte dich dann beunruhigen? Es ist also sicherlich Sein „Vorsatz”, daß diese Beunruhigung über dich kommt. ”

Elihu verteidigte Gott. Er sagte, daß Gott es augenscheinlich so bestimmt habe, daß Hiob nicht länger mehr Frieden und Wohlergehen genieße, denn sonst hätten die Widerwärtigkeiten nicht über ihn kommen können. Was auch immer der Grund sein mochte, in jedem Fall war die Drangsal, die über Hiob gekommen war, nichts Zufälliges; die Hand Gottes mußte dabei im Spiele sein. Selbst wenn Satan alle die Drangsale und Prüfungen geschickt hatte, so durfte das doch erst dann geschehen, wenn Gott es zuließ. Niemand war imstande, die Vorkehrungen und den Willen Gottes zu durchkreuzen. Elihu war mit Hiob darin einig, daß Gott sowohl das Recht als auch die Macht hatte, zu entscheiden, was geschehen sollte, daß Hiob dagegen dieses Recht und diese Macht nicht hatte. Er bewies klar die Macht und die gerechte Autorität Gottes, alle Dinge unseres Lebens anzuordnen; und gleichsam zufällig bewies er auch, daß Hiob gerechter war als alle seine Genossen und nicht um seiner Ungerechtigkeit willen zu leiden hatte, obwohl er ein Sünder war.

Wir können der Rede Elihus einen nützlichen Gedanken entnehmen. Wir finden darin eine sehr klare Art des Denkens bei einem Mann, der weit zurück in der Vergangenheit lebte. Er lebte ungefähr zu einer Zeit, zu der nach der Evolutionstheorie die Menschen noch Affen gewesen sein sollen. Fürwahr, für einen Affen war das ein recht gesundes Urteil! Manch einer unserer heutigen Universitätsprofessoren könnte es nicht besser machen. Es ist geunde Logik.

Drangsal ist kein Beweis göttlichen Mißfallens

Wir sehen auch, daß Hiob kein großer Sünder war. Im Gegenteil, wir haben allen Grund zu glauben, daß er ein Prophet Gottes, ein treuer Diener des Höchsten war. Wie die Bibel uns sagt, liebte Gott ihn ganz besonders. Wir erinnern an die Schriftstelle Hesekiel 14 Verse 19 bis 20, in der Gott durch den Propheten sagt: „Wenn ich die Pest in selbiges Land sende und meinen Gimm in Blut über dasselbe ausgieße, um Menschen und Vieh darin auszurotten, und Noah, Daniel und Hiob wären in demselben: so wahr ich lebe, spricht der Herr, Jahwe, sie würden weder Sohn noch Tochter erretten können; sie würden durch ihre Gerechtigkeit nur ihre eigene Seele erretten.” Ferner erinnern wir an die Worte des Apostels: „Von dem Ausharren Hiobs habt ihr gehört, und das Ende des Herrn habt ihr gesehen, daß der Herr voll innigen Mitgefühls und barmherzig ist.” (Jakobus 5:11)

Es ist sehr wahr, daß die Drangsal nicht hätte über Hiob kommen können, wenn Gott es nicht zugelassen hätte. Hätte Gott dem Hiob Ruhe geben wollen, so würde niemand dazu imstande gewesen sein, ihn in Unruhe zu versetzen. Aber Gott ließ Prüfungen zu, um seinen Diener zu erproben, genau so, wie Er es zuläßt, daß Drangsale über Seine Herauswahl kommen und wie Er es zuließ, daß Drangsale über Seinen vielgeliebten Sohn kamen. Wie die Schrift zeigt, ließ Er es zu, daß die Menschen Seinem eingeborenen Sohn alles mögliche Böse antaten: ihn verspotteten, anspien, schlugen, geißelten und zuletzt kreuzigten. Er schaffte ihm nicht immer Ruhe, sondern oft Unruhe.

Die Lehre unseres Leittextes für diejenigen, die sich in die Obhut Gottes begeben haben, ist die, daß ohne die Erlaubnis Gottes ihnen niemand Unruhe bereiten kann. Gott sagt uns, daß während des Evangeliumszeitalters alle Dinge Seinen Kindern zum Guten mitwirken müssen und daß Er nicht zulassen wird, daß wir über unsere Kraft versucht werden. (1. Korinther 10:13) Was unseren Herrn betrifft, so gefiel es Jahwe, ihn zu zerschlagen; Er ließ Tod und Leiden über ihn kommen. (Jesaja 53:10) Es gefiel Gott, diesen Weg zur Wiederherstellung der Welt einzuschlagen, weil derselbe am besten Seine Gerechtigkeit, Seine Weisheit, Seine Liebe und Seine Macht zeigt. Wir sehen auch, daß Jesus auf diesem Wege zuletzt große Ehre und Herrlichkeit erlangte.

Was die Kinder Gottes betrifft, so könnten sie gewisse Dinge, die mit dem Zeitalterwechsel in Verbindung stehen, am besten durch schwere Prüfungen verstehen lernen, die über sie kommen. Außerdem ist es auch Gottes Wille, daß gewisse Prüfungen über Seine Kinder kommen, weil Er wünscht, daß Seine Kinder Ihm auch da völlig vertrauen, wo sie Ihn nicht verstehen können. Er verlangt von ihnen unerschütterliches Vertrauen zu Ihm. Die Kinder Gottes können deshalb das Schriftwort unseres Leittextes in einer ganz anderen Weise auf sich beziehen, als Elihu es seinerzeit auf Hiob anwenden konnte. Wir können wirklich sagen: „Wenn Gott Ruhe schafft, wer will beunruhigen?” Wir erkennen, daß es eine gewisse Ruhe und Stille des Herzens gibt, der sich alle Heiligen Gottes erfreuen können. Wir erkennen diese Tatsache selbst dann, wenn Gott schwere Beunruhigungen über uns kommen läßt.

Der Apostel sagt in seinem Brief an die Hebräer: „Wir, die wir geglaubt haben, gehen in die Ruhe ein.” Wir gehen in die Ruhe ein, wenn wir in die Stellung des Glaubens gelangen und völliges Vertrauen zu Gott empfinden und ausüben. Manchmal erweisen sich äußere Schwierigkeiten als hilfreich in dem Bestreben, eine falsche Geisteshaltung zu korrigieren. Das Volk Gottes läßt sich nicht durch Dinge entmutigen, die anderen völlig die Lebenskraft und den Mut nehmen würden. Der falsche Geist wird bei Gottes Kindern ausgetrieben, während die Hand der Liebe die Schläge austeilt; und Gott weiß genau, wieviele und welcher Art Schläge ein jeder bedarf.

In vollkommenem Frieden bewahrt

„Den festen Sinn bewahrst du in Frieden, in Frieden; denn er vertraut auf dich.” (Jesaja 26:3) Der Gedanke, der in diesen Worten liegt, ist sehr kostbar für uns als Neue Schöpfungen. „Der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, wird eure Herzen und euren Sinn bewahren in Christus Jesus.” (Philipper 4:7) Wir sollen die Dinge des gegenwärtigen Lebens der ewigen Herrlichkeit nicht wert achten. Der Apostel sagt: „Denn das schnell vorübergehende Leichte unserer Drangsal bewirkt uns ein über die Maßen überschwengliches, ewiges Gewicht von Herrlichkeit, indem wir nicht das anschauen, was man sieht, sondern das, was man nicht sieht; denn das, was man sieht, ist zeitlich, das aber, was man nicht sieht, ewig.” Wenn wir unsere Gesinnung auf Gott richten und unsere Erfahrungen richtig betrachten, so können wir mit dem Dichter singen:

„Kein Sturm kann unsere innerste Ruhe erschüttern,
wenn wir uns an diesem Felsen der Zuflucht klammern!”

Wir haben Frieden, einerlei, wie auch unsere äußeren Verhältnisse sein mögen. Das Volk Gottes bekommt die Prüfungen und Schwierigkeiten des Lebens mit Freuden gemischt - erst Regen und Sturm, dann Sonnenschein. Gottes Kinder genießen alle rechtlichen Freuden, die in Harmonie mit ihrer Weihung sind. Sie lernen Ausharren in der Trübsal, weil sie wissen, daß die Trübsal Ausharren bewirkt, das Ausharren aber Erfahrung, die Erfahrung aber Hoffnung; die Hoffnung aber beschämt nicht. (Römer 5:3 - 5)

Dem Christen also gibt unser Schriftwort die Versicherung, daß ihn, wenn Gott ihm Ruhe schafft, niemand beunruhigen kann. „Sie werden jedes böse Wort lügerisch wider euch reden um meinetwillen”, sagt der Herr; und dann fährt er fort: „freuet euch und frohlocket!” „Euer Herz werde nicht bestürzt!” (Matthäus 5:11 und 12; Johannes 14:1) Wir denken, unser Schriftwort ist sehr kostbar, wenn wir es von unserem Standpunkt aus betrachten.

Prüfungen sind zu unserer Erprobung notwendig

Unser Himmlischer Vater bestimmt, daß verschiedene Arten von Prüfungen über uns kommen, damit sie unseren Charakter entwickeln und erproben. Es ist ein Teil des göttlichen Planes für uns, uns Erfahrungen durch Trübsal zukommen zu lassen. (Psalm 119:67, 71 und 75; Psalm 34:19 und 20) Wenn sich heute Kinder Gottes in Drangsalen und Prüfungen befinden, so steht es uns nicht zu, zu sagen, daß Gott gegen sie ist. Ein jeder von uns muß seine Bereitschaft bekunden, dem Willen Gottes gemäß zu leiden, und zwar oft ungerecht zu leiden. Unser Herr gibt uns ein Beispiel von freudiger, geduldiger Unterwerfung unter den Willen Gottes. Wir sollen in seinen Fußstapfen wandeln. Außerdem haben wir die Apostel als Beispiel in ihrem Ausharren in den Prüfungen und Schwierigkeiten, die über sie kamen; ferner dienen uns während des ganzen gegenwärtigen Zeitalters auch noch andere Heilige als Beispiele.

Prüfungen sind nicht unbedingt ein Zeichen davon, daß wir bei Gott in Ungnade stehen. Im Gegenteil, wir wissen: „Viele sind der Widerwärtigkeiten des Gerechten”, und: „Alle, die gottselig leben wollen in Christo Jesu, werden verfolgt werden.” Die Wahrheit wird Gottes Kinder etwas kosten; Treue gegen Gott aber wird sie viel kosten. Der Apostel sagt: „Wenn ihr dagegen ohne Züchtigung bliebet, die doch allen (anderen Söhnen) zuteil geworden ist, so wäret ihr ja unechte Kinder und keine Söhne.” (Hebräer 12:8) Wenn Gott den Frieden des Herzens gibt, wer kann dann denjenigen, der in Harmonie mit Gott ist, und in dem dieser Herzensfriede regiert, beunruhigen? Der Friede Gottes ist darum die größte aller Segnungen. Gott sichert denjenigen, die treulich streben, in den Fußstapfen Jesu zu wandeln, diesen Seinen Frieden zu. Wir haben eine Zufluchtsstätte, die außer den Seinen niemand kennen kann. Unter dem göttlichen Schutze kann uns kein Unheil erreichen, kein Sturm von unserem Ankergrund losreißen; denn wir sind sicher verankert an dem Felsen der Zeiten. „Wir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken, denen, die nach Vorsatz berufen sind.” (Römer 8:28) Und so, wie die Segnungen, die Hiob nachher empfing, dessen kurze Prüfungen weit überwogen, so werden auch die Segnungen, die uns erwarten, unsere gegenwärtigen Prüfungen weit überwiegen.

WT Oktober 1916
Amerikanischer WT vom 01.04.1916


Tagesanbruch Bibelstudien- Vereinigung