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Die Zufluchtsstädte - Josua 20
„ … Gott ist barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn und groß an Treue und Gnade.” - 2. Mose 34:6
Nachdem Israel in das verheißene Land eingezogen und es in Besitz genommen hatte, war die Zeit gekommen, gewisse Vorkehrungen und Maßnahmen für das Allgemeinwohl und die Wohlfahrt des Volkes zu treffen. Eine von diesen - und wir werden sehen, daß sie wahrlich weise ist - war die göttliche Einrichtung von Zufluchtsstädten. Sechs von diesen wurden bezeichnet und sie waren so in der Länge und Breite des Landes Palästina verteilt, daß es für das ganze Volk paßte. Sie waren gottgewollt und sind bereits durch Mose erwähnt worden (4. Mose 35:9 - 34, 5. Mose 4:41 - 43, 19:1 - 9), und durch ihn ist der Plan vollständig festgelegt worden. Die sechs ausgesuchten Städte gehörten alle zu den Städten der Leviten, was einem jeden Juden in Bezug auf seine Sicherheit vor Versuchen der Rache oder Schädigung um so mehr Zuversicht gab. Der Stamm Levi stand abgesondert da, unterschied sich von all den anderen Stämmen und verdient vor allen anderen besondere Beachtung. Da sie die religiösen Vertreter der Nation waren, so war es zweckmäßig, daß diese Zufluchtsorte vor der Gerechtigkeit unter der Leviten Hut und Schutz standen.
Von frühester Zeit an und in fast allen Teilen der Welt ist der Totschlag ein Kapitalverbrechen gewesen, welches den Tod des Schlägers forderte. In fast allen Gegenden und besonders im Orient, wird es auch als die notwendige Pflicht des nächsten Verwandten des Getöteten angesehen, seinen Tod zu rächen. Bei einigen ist es zulässig als Gegenwert für das genommene Leben Geld anzunehmen, bei den Juden aber war dies nicht der Fall. Das Gesetz „Auge um Auge und Zahn um Zahn” hielt mit besonderer Strenge auf den Satz: ein Leben für ein Leben. Wir können die Weisheit dieses allgemeinen Gesetzes sehen, welches durch die ganze menschliche Familie anerkannt wird, daß das menschliche Leben als heilig angesehen werden muß und daß dem, der einen anderen töten sollte, keine Gnade erwiesen werden soll. Das Leben war ursprünglich eine Gabe Gottes, obwohl es durch die Sünde verfallen ist; und welcher Überrest davon auch immer von den Eltern auf das Kind übertragen wird, er muß noch als ein entsprechender Teil der ursprünglichen Gabe Gottes angesehen werden, und niemand hat die Freiheit, leichtsinnig damit umzugehen.
Die Zufluchtsstädte waren ein Schritt hin zu der Anwendung von durch Barmherzigkeit gemilderter Justiz. Sie waren nicht zum Schutz vorbedachter Mörder eingeführt worden, sondern für solche, welche unbeabsichtigterweise, durch Versehen oder Unfall, einem anderen das Leben nahmen. Alle die sogar so eines anderen Tod herbeiführten, waren nach dem Gesetz tatsächlich des Todes schuldig:
„Wer Menschenblut vergießt, durch den Menschen soll sein Blut vergossen werden” (1. Mose 9:6), unbeachtet der Entschuldigungen, die sie vorzubringen in der Lage wären, sei es aus Herausforderung oder Zorn oder Selbstverteidigung (Notfall) oder Unfall. Die Vorkehrung bestand darin, daß jemand der glaubte, den Tod eines anderen ohne jede Bosheit, Vorbedacht, Willen oder Absicht verursacht zu haben, zu einer dieser Zufluchtsstädte fliehen und hier gegen die volle Forderung des Gesetzes um sein Leben in Sicherheit sein konnte; so mochte er ein Maß von Gnade erlangen, die sich ihm entgegenstreckte, ohne daß sein Fehler vergeben wurde. Es war ferner vorgesehen, daß die Straßen, die zu diesen Zufluchtsstädten führten, mit größter Sorgfalt gebaut und erhalten werden sollten, frei von allen hemmenden Steinen, mit Brücken über den Wasserläufen usw., um den Schuldigen eine völlige Möglichkeit schnellster Flucht zu dem sicheren Ort zu gewähren. Weiter waren in häufigen Abständen Wegweiser angebracht, welche die Richtung nach den Zufluchtsstädten anzeigten und das Wort „Zuflucht” trugen. Es war auch ein Brauch bei den Juden, daß zwei Schriftgelehrte den Flüchtenden zu dem besonderen Zweck begleiteten, um den Rächer, falls er den Schuldigen einholen sollte, zu überreden zuzulassen, daß er die Zufluchtsstädte erreiche und dort eine rechte Prüfung seiner Sache erfahre. So wurde einerseits das Recht auf Rache anerkannt, aber auch andererseits die Anordnung der Barmherzigkeit unterstützt. Offenbar fühlte das ganze Volk teilnahmsvoll mit jeder Person, welche vor dem Rächer zu einer Zufluchtsstadt floh, da jeder einzelne an die Möglichkeit dachte, daß er selbst zu einer Zeit ein ähnliches Verbrechen begehen könnte und so gleichfalls in die Notwendigkeit versetzt wäre, Zuflucht und Barmherzigkeit zu suchen.
„Gerecht und wahr sind deine Wege”
Nach der Ankunft in der Zufluchtsstadt war der Angeschuldigte nicht frei, sondern verpflichtet zwecks Untersuchung des Falles vor den Ältesten der Stadt zu erscheinen, welche die Versammlung von Israel vertraten. Er wurde in die Stadt aufgenommen und beschützt bis zu der Zeit, wo die Untersuchung stattfinden konnte. Seine Sache wurde sorgfältig und genau geprüft.
Die Tatsache, daß so viele Einzelheiten aufgeführt werden beweist, daß die Prüfung von der wir reden, eine sehr sorgfältige sein sollte. Trotzdem war es nicht die Bestimmung dieser Zufluchtsstädte, die Interessen der Gerechtigkeit zu schädigen. Es sollte vielmehr, während die Interessen der Gerechtigkeit gefördert wurden, dennoch die Gnade denen zu gute kommen, welche derselben würdig wären. Wenn ein Mensch als schuldig erfunden wurde, einen vorsätzlichen, überlegten, entschlossenen Mord begangen zu haben, dann rettete ihn die Zufluchtsstadt nicht vor der Todesstrafe; und wenn er von jeder bösen Absicht freigesprochen wurde, so war er dennoch verpflichtet, in der Zufluchtsstadt oder ihrem Gebiet von höchstens 1.000 Ellen außerhalb der Stadtmauern zu bleiben (4. Mose 35:26 und 28), und zwar für den Rest seines Lebens oder bis zum Tode des Hohenpriesters. Es war dies eine himmlische Strafe für seine Sorglosigkeit, Fehlverhalten usw., die Strafe der Trennung von seiner Familie, eine Beschränkung der Freiheit, die zweifellos nicht allein für die betroffene Person von Vorteil sein mußte, sondern auch auf das ganze Volk einen heilsamen Einfluß ausübte. Ein sorgloser Mensch ist schuldig, und wenn sein Mangel an Sorgfalt die ernstliche Schädigung eines anderen zur Folge hat, so ist es nur gerecht, daß die Angelegenheit eine Beschränkung für ihn selbst nach sich zieht und daß es ihn etwas kostet.
Der Hohepriester war in mancher Hinsicht die hervorragendste Persönlichkeit der Nation; und daher war sein Tod ein solch bedeutsames Ereignis, daß er durch alle Stämme hindurch bekannt werden mußte: Und bei dieser Gelegenheit wurde allen Flüchtlingen in allen Zufluchtsstädten die Freiheit gegeben, frei von der Gefahr eines Bluträchers in ihre Heimat zurückzukehren, da des Rächers Recht auf Rache mit dem Tode des Hohenpriesters erloschen war. Und wenn er später Blutrache ausgeübt hätte, so wäre er ein Mörder gewesen und genötigt, in eine Zufluchtsstadt zu fliehen. Diese einzigartige Einrichtung ist das rechte Gegenstück unserer heutigen Einrichtung, und weist schließlich in mancher Hinsicht Vorteile auf. Der Schuldige war selbst derjenige, der das Gefängnis aufsuchte und wünschte, zu seiner eigenen Sicherheit während der vorgesehenen Zeit darin zu bleiben. Hierdurch erübrigte es sich massive, ummauerte Gefängnisse zu bauen, aus welchen die Gefangenen ständig zu entfliehen suchten. Und anstatt das Volk anzureizen, den Schuldigen unter der Vermutung eines Verbrechens sogar vor der Untersuchung zu verfolgen, leitete die Vorkehrung eher zu einem umgekehrten Zustand der Gesinnung: zur Annahme der Unschuld des Angeschuldigten, zum Mitgefühl und dem Wunsch seitens des Volkes ihm zu seiner Sicherheit, zum Schutz und zur Begnadigung behilflich zu sein.
Der ewige Gott ist unsere Zuflucht
Der Kernpunkt der Lektion, die in dieser vorbildlichen Einrichtung enthalten ist, ist so recht in unserem Leittext dargestellt worden: „Gott ist barmherzig und gnädig …”. Die Vorkehrung einer Zuflucht für den Schwachen und Irrenden und den, welcher nicht mit Vorsatz das göttliche Gebot übertreten hatte, ist tatsächlich eine Offenbarung der göttlichen Eigenschaft, die als Barmherzigkeit oder Gnade bekannt ist. Eine der wichtigsten Lehren, die die Neue Schöpfung zu lernen hat, ist die Liebe, das Mitgefühl, die Barmherzigkeit. Nach den Vorkehrungen Gottes und in den Umständen in denen wir leben, müssen wir diese Eigenschaft beständig üben. Unsere eigenen Unvollkommenheiten verlangen ständig nach göttlicher Gnade und Barmherzigkeit und sie sollten auch bei uns ständig die barmherzige Herzensstellung hervorrufen, denen gegenüber, mit welchen wir zu tun haben. Nur so werden wir geeignet und zubereitet werden, bei der Behandlung und Segnung einer Welt von Menschenkindern während des messianischen Königreichs Getreue und barmherzige Glieder der königlichen Priesterschaft zu sein. „Glückselig die Barmherzigen, denn ihnen wird Barmherzigkeit widerfahren.”
„Wenn ihr aber den Menschen ihre Vergehungen nicht vergebet, so wird euer Vater auch eure Vergehungen nicht vergeben.” (Matthäus 6:15). „Und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir unseren Schuldnern vergeben.” (Matthäus 6:12)
Wie bei der göttlichen Vorkehrung im vorbildlichen Israel Zufluchtsstädte bestanden, so ist bei dem geistigen Israel die größere Zuflucht vorgesehen, von der das Wort sagt: „Gott ist uns Zuflucht und Stärke, eine Hilfe, reichlich gefunden in Drangsalen.” (Psalm 46:1, Psalm 90:9, 2. Samuel 22:3) Von der Zeit an, da wir mit den uns betreffenden Tatsachen bekannt werden, verstehen wir, daß ein Todesurteil ausgesprochen wurde, welches einen jeden von uns einschließt. Wir erkennen auch, daß die Gerechtigkeit ein volles Recht hat, uns bis zum Tode zu verfolgen, weil wir „alle gesündigt haben und ermangeln des Ruhmes Gottes” (Römer 3:23) und weil „der Tod der Lohn der Sünde ist.” (Römer 6:23). Der Apostel Paulus erklärt diese Frage ausführlich, indem er in Römer 5:12 sagt: „Gleichwie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen und durch die Sünde der Tod, und also der Tod zu allen Menschen hindurchgedrungen ist, weil sie alle gesündigt haben.” Deshalb erkennen wir von dem Moment an, wo wir begreifen daß wir Sünder sind - das wir vor Gottes Gegenwart nicht gebilligt werden können -, daß der Rächer, die Gerechtigkeit auf unseren Spuren ist und es nur eine Frage der Zeit ist, wann wir erreicht und vernichtet werden, es sei denn, wir erreichten irgend eine Zufluchtsstätte. Auf unserer Flucht sehen wir Fingerzeige, die Gott zu unserer Belehrung gegeben hat und die uns zu Christus als dem einzigen Zufluchtsplatz weisen, und zu ihm müssen wir fliehen.
Wir leben nun innerhalb der geheiligten Grenzen seiner Errettung, Befreiung und Zuflucht, welche Gott selbst für uns bereitet hat. Wir lesen ja: „Gott ist es welcher rechtfertigt; wer ist, der verdamme?” (Römer 8:33) Und dennoch ist es mit uns so, wie es uns im Vorbild gezeigt wird: es handelt sich nicht um einen Zufluchtsort nach willentlicher und absichtlicher Übertretung des göttlichen Gesetzes, sondern um einen solchen zur Bedeckung unserer Schwachheiten und Unkenntnis, der Folgen des Falles. Wie im Vorbilde eine durchgreifende Untersuchung stattfand, so wird auch - dessen können wir sicher sein - in unserem Fall eine restlose Durchforschung der Beweggründe, Absichten usw. vorgenommen werden.
Zum Glück für uns ist diese Zuflucht in Christo ganz besonders für diejenigen vorgesehen, die „Neue Kreaturen in Christo Jesu” sind und deren sündiges Leben, bevor sie zu einer Erkenntnis des Herrn kamen, nicht als willentlich oder absichtlich, sondern als der Unkenntnis entspringend angesehen wird. Man kann daher sagen, daß unsere Verantwortlichkeit für willentliche Sünde mit unserer Erkenntnis des göttlichen Gesetzes beginnt und zunimmt. Obwohl freigesprochen in Bezug auf willentliche Sünde vor der Zeit der Erkenntnis des Herrn, ist es notwendig, daß wir fortfahren, „in ihm zu verbleiben”, und daß wir das Kleid der Gerechtigkeit Christi nicht ablegen. Wenn wir die Zufluchtsstadt verlassen, das heißt wenn wir unser Vertrauen auf das kostbare Blut verlieren, welches uns von aller Sünde reinigt, dann sind wir wieder den Anforderungen der Gerechtigkeit preisgegeben, und zwar ohne Barmherzigkeit. Die göttliche Gerechtigkeit wird in dem Rächer dargestellt, während die göttliche Barmherzigkeit in der Zufluchtsstadt repräsentiert wird; und notwendigerweise fällt der, welcher die Zufluchtsstadt verlassen würde, in die Hände der Gerechtigkeit. So führt ja wiederum der Apostel aus: „Es ist furchtbar, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen!” (Hebräer 10:31), sich von Christo zu entfernen, die Barmherzigkeit aufzugeben und die Vergebung, die der Vater für uns, die Schuldigen, durch den Geliebten zubereitet hat.
Wie lange müssen wir so in der Gnade Christi verbleiben und haben außerhalb seines Kleides der Gerechtigkeit keine Vorrechte oder keinen Schutz und auch keine Sicherheit außerhalb der von ihm vorgesehenen Zufluchtsstädte? Wir antworten, daß wir so zu leben haben „bis zum Tode des Hohenpriesters”. Dieser ist bereits bis zu einem großen Teil vollendet. Das Haupt des gegenbildlichen Hohenpriesters, unser Herr und Meister, hat bereits das Werk beendet, das der Vater ihm anvertraut hatte, und die Glieder des Leibes des Hohenpriesters, seine Kirche im Fleisch, sind im Begriff zu ergänzen, was noch rückständig ist von den Drangsalen des Christus. (Kolosser 1:24) Bald wird der ganze Hohepriester, ein jedes seiner Glieder, gestorben sein. Dann wird die neue Zeitverwaltung eingeführt werden, und nicht länger mehr werden wir genötigt sein, unsere eigene Unvollkommenheit zu tragen und eines Schutzes vor der Gerechtigkeit zu bedürfen. Dann sind wir durch einen Anteil an der ersten Auferstehung vollkommen gemacht worden, und nachdem wir unserem Herrn und Meister gleichgemacht worden sind, wollen wir dem Vater vorgestellt werden - tadellos, fehlerlos, ohne Flecken oder Runzeln oder etwas dergleichen (Epheser 5:27), ohne irgendwie der Vergeltung seitens der göttlichen Gerechtigkeit ausgesetzt zu sein.
Die ganze Einrichtung stammt von Gott; Gerechtigkeit ist der Rächer der Sünde und Christus ist die Zuflucht und Freisprechung. Während wir daher den Herrn Jesus anerkennen und sein Werk für uns recht hochachten, nämlich die durch sein Opfer bewirkte Erlösung und alle Segnungen, die durch ihn vom Vater kommen, und während wir so den Sohn ehren, wie wir auch den Vater ehren, so ist es angebracht, daß wir uns erinnern, daß all diese Segnungen vom Vater sind durch den Sohn: „Gott ist uns Zuflucht und stärke, eine Hilfe, reichlich gefunden in Drangsalen.”