Milde, eine Charaktereigenschaft des Christen

„Ein Knecht des Herrn aber soll nicht streiten, sondern gegen alle milde sein, lehrfähig, duldsam, der in Sanftmut die Widersacher zurechtweist.“ (2. Timotheus 2:24 - 25)

Der Apostel Paulus richtet die Worte unseres Leittextes an Timotheus, einen Ältesten der Gemeinde. Alle, die dem Herrn und dem Leibe Christi angehören, sind Söhne Gottes; doch sind sie auch alle Diener, Gebundene Jesu Christi. Jeder wahre Sohn wünscht den Interessen seines Vaters zu dienen, besonders wenn ein Vater gerecht und liebevoll ist. Jeder treue Knecht wünscht den Interessen seines Herrn und Arbeitgebers zu dienen, besonders wenn es sich um edle, würdige Herren oder Arbeitgeber handelt. Unser Herr Jesus, der Sohn des himmlischen Vaters, nahm Knechtsgestalt an, um den Interessen des Vaters zu dienen und seinen Willen hinauszuführen.

Unser Leittext findet auf jeden Diener Gottes, jedes Glied der Kirche, Anwendung. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob es unter den Brüdern eine besondere Stellung einnimt. Dieser Text ist eine Ermahnung an die gesamte Kirche. Jedes geistgezeugte Kind Gottes kann andere nach dem Maß seiner Gelegenheit und Fähigkeit belehren. Dies geschieht immer unter Berücksichtigung der Einschränkungen, die die Schrift in bezug auf die Stellung zueinander gibt. „Der Geist des Herrn, Jahwes, ist auf mir, weil Jahwe mich gesalbt hat, um den Sanftmütigen frohe Botschaft zu bringen, weil er mich gesandt hat, um zu verbinden, die gebrochenen Herzens sind, Freiheit auszurufen den Gefangenen, und Öffnung des Kerkers den Gebundenen.“ (Jesaja 61:1) Diese Worte des Propheten beziehen sich auf jedes Glied des Christus, Haupt und Leib.

Die rechte Darstellung der Wahrheit

Der Herr hat uns die Verkündigung der frohen Botschaft aufgetragen. Wir haben jedoch kein Recht dazu, sie anderen aufzudrängen. Um rechte Diener des Herrn zu sein, dürfen wir uns im Einklang mit seinen Vorkehrungen weder streiten noch uns auf sinnlose Wortgefechte einlassen. Wir sollten andere mit Sanftmut belehren, indem wir nicht von oben auf sie herabblicken oder mit unserem Wissen prahlen. Unsere Botschaft gilt denen, die „ein Ohr haben zu hören“. Wir dürfen uns anderen nicht aufdrängen und versuchen sie dazu zu zwingen, uns zuzuhören. Zwar sollten wir bereit sein, unsere eigenen Interessen in der Verkündigung der Botschaft unseres Glaubens aufzuopfern, aber wir dürfen dabei nicht streitsüchtig oder boshaft sein.

Denen, die dazu neigen, die Wahrheit mit einem Geist der Streitsucht darzulegen, sprechen wir die Gliedschaft am Leibe Christi nicht ab, aber sie haben den besseren Weg offenbar noch nicht erkannt. Sie haben die Eigenschaft der Liebe noch nicht ausreichend entwickelt und es mangelt ihnen in dieser Hinsicht an Weisheit von oben. Bei einer Gelegenheit kamen zwei Jünger unseres Herrn aus einer Stadt in Samaria, deren Einwohner ihnen keine Speise verkaufen wollten. Erregt fragten sie den Herrn, ob er wolle, daß sie Feuer vom Himmel herabfallen und sie verzehren lassen sollten. Unser Herr erwiderte ihnen: „Ihr wisset nicht, wes Geistes ihr seid.“ (Lukas 9:55 - 56) So gibt es auch heute solche, die bei jeder Gelegenheit streiten möchten. Eine solche Haltung ist sicherlich kein Beweis dafür, daß sie keine Kinder Gottes sind. Sie zeigt jedoch deutlich, daß sie sich nicht in der rechten Herzensstellung befinden, und daß eine Veränderung notwendig ist.

Die Schrift sagt uns, was Gott wohlgefällig ist. Die Nachfolger des Herrn sollen nicht nur gegen die Brüder in der Kirche milde sein, sondern gegen alle. Sie sollen nicht streitsüchtig sein, sondern geduldig. Sie sollen die Meinungen und Wünsche anderer berücksichtigen. Natürlich kann es Situationen geben, in denen Christen dazu gedrängt werden, sich verteidigen zu müssen. Es ist jedoch eine Sache, sich auf angemessene Weise zu verteidigen, und es ist eine ganz andere, streitsüchtig und angriffslustig zu sein.

Wenn wir anderen von der Wahrheit berichten, sollten wir uns vor Augen halten, daß unser Glaube nicht für jeden bestimmt ist. „Werfet eure Perlen nicht vor die Schweine.“ Sie werden eure Perlen nicht wertschätzen, sondern werden versuchen, euch zu schaden. Trotzdem sollten wir ohne Streitsucht jede Gelegenheit suchen, das Wort des Lebens zu verkünden. Wenn die Wahrheit angegriffen wird und aufrichtige Menschen zu fallen drohen, haben wir nach der Ermahnung des Apostels „für den einmal den Heiligen überlieferten Glauben zu kämpfen.“ (Judas 3) Dies bedeutet aber nicht, streitsüchtig zu sein oder sich auf Wortstreitigkeiten einzulassen. Vielmehr sollten wir immer bereit sein, die Wahrheit bei jeder passenden Gelegenheit mit Milde, Geduld und Demut, aber auch mit Ernst und Eifer darzulegen. Darin besteht unsere Pflicht. Wenn wir die Botschaft der Wahrheit darlegen und die Zuhörer ein offenes Herz besitzen, werden sie uns dies zeigen. Es ist daher richtig, wenn wir stets die Bereitschaft haben, unser Leben zur Verteidigung der Wahrheit und ihrer Interessen niederzulegen.

Je gelassener und beherrschter wir auf Widerspruch reagieren, desto besser können wir die Botschaft verteidigen und empfehlen. Je größer der Kontrast zwischen unserem Geist und dem unseres Gegners ist, desto mehr Gewicht werden unsere Argumente für die Wahrheit bei denen haben, die bei einer solchen Unterhaltung anwesend sind. Auch werden wir eher fähig sein, die Vorurteile unseres Gegners zu beseitigen, wenn er ein aufrichtiges und ehrliches Herz hat. Jemand, der die Selbstbeherrschung verliert und streitsüchtig wird, schwächt seinen eigenen Standpunkt. Man sollte nie die Beherrschung verlieren, da man sonst unüberlegte Dinge sagt - man legt dabei einen Tonfall und ein Verhalten an den Tag, die mit dem Geist unseres Herrn unvereinbar sind. Ein solcher Fehler würde mehr Schaden als Nutzen stiften. Wir sollten die Botschaft stets freundlich, sanftmütig und deutlich darlegen. Es mag notwendig werden, daß unsere Erläuterungen sehr deutlich hervorgebracht werden müssen, aber dies sollte sowohl bei privaten als auch bei öffentlichen Anlässen stets in sanftmütiger Weise geschehen.

Die Befähigung zu einem wahren Lehrer

Der Apostel sagt, daß ein Diener des Herrn „lehrfähig“ sein muß. (1. Timotheus 3:2, 2. Timotheus 2:24) Der Apostel Paulus redet hier in besonderer Weise zu einem Ältesten der Versammlung. Um lehrfähig zu sein, muß man die Fähigkeit besitzen, lehren zu können. Nicht alle haben die Fähigkeit oder Gabe, anderen etwas erklären zu können. Manche werden trotz vieler Worte nicht verstanden. Wenn jemand bemerkt, daß er so veranlagt ist, sollte er sich der gedruckten Botschaft bedienen und sich bemühen, auf diese Weise anderen die Wahrheit nahe zu bringen und sie ihnen klar und logisch zu erklären. Bei der Erklärung der Wahrheit ist Geduld erforderlich. Wir müssen dazu bereit sein, dieselbe Erklärung mehrfach zu geben und uns in die Lage der Belehrten hineinzuversetzen. Dabei sollten wir uns daran erinnern, wie schwer es uns selbst fiel, von der Finsternis in das Licht zu gelangen.

Laßt uns niemals ein gereiztes Temperament zeigen, gleich an welchem Ort wir die Wahrheit verkünden. Hüten wir uns davor, Reizbarkeit im Gesichtsausdruck oder in unserem Tonfall an den Tag zu legen. Wenn wir diesen Fehler begehen, errichten wir eine Schranke zwischen uns und dem, dem wir dienen möchten. Laßt uns daher milde, zurückhaltend und demütig sein.

Wenn jemand uns einen Beweis oder Schriftstellen nennt, von denen er annimmt, daß sie unsere Auffassung widerlegen, dann sollten wir antworten: „Laßt uns sehen, ob dies in Einklang mit den Lehren der Bibel steht. Wir dürfen nur das als Wahrheit annehmen, was mit allen Zeugnissen des Wortes Gottes übereinstimmt. Laßt uns die Sache prüfen.“ Laßt uns sanftmütig und lehrfähig sein - laßt uns zeigen, daß wir bereit sind, auch von anderen etwas zu lernen, wenn sie uns mit dem Worte Gottes dienen können. Unsere Gegner werden unter solchen Umständen bereitwilliger sein zu hören, was wir zu sagen haben, wenn sie überhaupt vernünftigen Darlegungen zugänglich sind.

Gottes Kinder haben aber ohne Zweifel zunehmend die Lektion zu lernen, die unser Leittext enthält - „ein Knecht des Herrn aber soll nicht streiten, sondern gegen alle milde sein“. Es ist eine Lektion, die alle lernen müssen, Älteste genauso wie Diakone und jedes Glied des Leibes Christi. Dies ist sowohl notwendig zu unserer eigenen Charakterentwicklung als auch, damit wir dem Meister einen wirksamen Dienst leisten können. Als wir zuerst mit unseren Waffen zu hantieren begannen und glaubten, das Schwert des Geistes zu schwingen, haben wir sicherlich mehr Schaden angerichtet als Nutzen gestiftet. Wir hatten das Gefühl, daß niemand unseren Beweisführungen widerstehen könne. Aber wir haben gelernt, milder, weiser, geduldiger und liebevoller zu sein. Dadurch sind wir besser befähigt worden, andere zu belehren. Wir haben erkannt, daß wir durch eine falsche Darstellung der Wahrheit die Interessen des Herrn schädigen können, und daß wir durch eine rechte Darstellung ein erfolgreicheres Werk leisten können, indem wir hungrige Herzen erreichen und unserem großen König wohlgefälliger sind, den wir alle lieben und dem wir zu dienen begehren.

amerikanischer WT vom 01.06.1915



Tagesanbruch Bibelstudien- Vereinigung