Bibelstudium |
Unter Seiner Flügel Schutz
„Und mit Wonne werdet ihr Wasser schöpfen aus den Quellen des Heils.” - Jesaja 12:3
Durch die ganze Bibel wird deutlich gezeigt, daß „die Freude an dem Herrn” eine große Bereicherung und Stärkung für das christliche Leben bedeutet. Ihr Vorhandensein im Herzen ist nicht allein ein Anzeichen göttlicher Billigung, sondern auch eine Quelle der Kraft und der Siegeszuversicht. So wurde in den Tagen des treuen Nehemia zu dem Volke gesprochen: „Gehet hin, esset Fettes und trinket Süßes, und sendet Teile denen, für welche nichts zubereitet ist; denn der Tag ist unserem Herrn heilig; und betrübet euch nicht, denn die Freude an Jahwe ist eure Stärke.” Und unter den widerwärtigsten Verhältnissen bezeugt ein anderer Prophet in gleicher Weise die überwindende Kraft dieser Freude: „Denn der Feigenbaum wird nicht blühen, und kein Ertrag wird an den Reben sein; und es trügt die Frucht des Olivenbaumes, und die Getreidefelder tragen keine Speise; aus der Hürde ist verschwunden das Kleinvieh, und kein Rind ist in den Ställen. - Ich aber, ich will in Jahwe frohlocken, will jubeln in dem Gott meines Heils.” - Nehemia 8:10, Habakuk 3:17,18.
Auch die Psalmen sind voller Hinweise darauf, daß die „Freude Seiner Errettung” eine fortwährende Quelle des Trostes, der Gewißheit und der Bewahrung ist für denjenigen, der durch Glauben unter dem Schatten von Gottes liebender Fürsorge lebt. Weiterhin hat auch unser Herr, als er von seinen Jüngern Abschied nahm, ihnen eine solche Versicherung gegeben. Seine Freude würde, wenn sie in ihnen bleibt, ihre Trauer in Fröhlichkeit verwandeln und sie instand setzen. Er würde sich siegreich über alle Widerwärtigkeiten und vorausgesagten Drangsale ihrer Jüngerschaft erheben. Er wollte ihnen zu verstehen geben, daß sein Friede, wenn er in ihnen bleibt, sie in allen Lagen so stärken und unterstützen würde, daß nichts ihre Seelenruhe und ihr Bewußtsein zu zerstören vermag. Er würde sie niemals versäumen noch verlassen.
Und zu alledem hat das Gotteskind heute noch die wiederholten Ermahnungen der Apostel. Sie ermuntern uns, uns im Herrn zu erfreuen und uns allezeit zu freuen, ungeachtet der Wechselfälle des Lebens. Diese treu gemeinten Ermahnungen sind durch das Beispiel der Apostel bestärkt worden; denn sie haben uns auf so manche Weise gezeigt, daß es möglich ist, so „stark im Glauben” zu sein, daß wir uns wirklich zu freuen vermögen, „komme was da wolle”. Wahrlich, wenn wir uns diese Ermahnungen und Versicherungen vor Augen halten, dann offenbart sich auf einmal, daß der Glaube eines Christen von geringem Werte ist, wenn er zwar einen überwaltenden und liebenden Gott und Vater bekennt, aber doch nicht zu diesem vollkommenen Vertrauen und dieser Seelenruhe inmitten aller Widerwärtigkeiten gelangt.
Jesus selber hat in dieser Hinsicht eine so scharfe Unterscheidung zwischen seinen Jüngern und der Welt gemacht, daß wir sie beachten sollten: „Frieden lasse ich euch; meinen Frieden gebe ich euch; nicht wie die Welt gibt, gebe ich euch. Euer Herz werde nicht bestürzt, seid auch nicht furchtsam.” (Johannes 14:27) Hier wird gezeigt, daß das Erbteil des Christen, die Art und Weise, wie er die Widerwärtigkeiten des Lebens beurteilt, ihn von anderen um ihn herum gründlich unterscheidet. Wie es bei dem Meister der Fall war, so wird es bei seinen Nachfolgern sein - sie werden einen Frieden genießen, der von einem völligen Vertrauen in die göttliche Weisheit, Liebe, Gerechtigkeit und Macht herrührt. Einen Frieden, der aus dem Bewußtsein der gnadenreichen Verheißungen für Seine Getreuen hervorgeht, daß nämlich nichts Seinem Volke etwas anhaben könne und daß alle Dinge denen zum Guten mitwirken müssen, die Gott lieben. Dieser Friede besitzt die Herzen derjenigen, die glaubensvoll alles anzunehmen vermögen, was die göttliche Vorsehung zulassen mag. Dieser Friede vermag unter Tränen noch mit freudiger Erwartung nach jenen endlichen Segnungen Ausschau zu halten, die der Meister in Aussicht gestellt hat, und wovon der jetzige Friede und die Freude nur ein Vorgeschmack sind.
Der Friede, den Jesus genoß, kam von seiner innigen Erkenntnis Gottes. „Gerechter Vater! - und die Welt hat Dich nicht erkannt; ich aber habe Dich erkannt.” Bei Ihm gab es keine Zweifel hinsichtlich der Treue seines Vaters; und so sollte es bei uns auch sein. Auch wir sollten uns in unserer Erkenntnis Gottes freuen - im Gegensatz zu solchen, die in Finsternis sind und Ihn nicht kennen. Wenn nach Gottes Überwaltung der ganzen Schöpfung nicht einmal ein Sperling in seinem Flug stecken bleiben und zur Erde fallen kann, ohne daß Er es bemerkt, dann können auch wir wahrlich nicht vergessen werden - wir, die wir Ihm so viel mehr wert sind als viele Sperlinge; denn, sagt Jesus, „der Vater liebt euch.”
Gesegnet sind eure Augen, daß sie sehen
„Ein Strom - Seine Bäche erfreuen die Stadt Gottes, das Heiligtum der Wohnungen des Höchsten.” So schreibt der Psalmist in prophetischem Voraussehen der Güte Gottes in Seinem Handeln mit Seinem Volke. Aber um die Tiefe und den praktischen Charakter dieser Versicherung zu verstehen, wird es nötig sein, den Zusammenhang, in dem der eben angeführte Vers steht, sorgfältig zu beachten: Die Tröstungen des 46. Psalms sind in einer allgemeinen Weise auf alle Heiligen während des ganzen Zeitalters angewendet worden, so wie sie unter verschiedenen Verhältnissen ihr Zeugnis unter den Nationen abgelegt haben. Aber im eigentlichen Sinne bezieht sich dieser prophetische Psalm auf die besonderen Erfahrungen von Gottes getreuem Volk in den letzten Tagen des Zeitalters. Heute befinden wir uns auf der Schwelle der von dem Propheten so lebendig geschilderten Auflösung. Darum sind diese vom Geist eingegebenen Worte doppelt kraftvoll in ihrer Bedeutung für die Heiligen Gottes. Ein zweifacher Sinn der Prophezeiung wird ersichtlich.
Erstens offenbart sie den Wachsamen die Bedeutung der laufenden Ereignisse. Es ist Gottes Voraussagung der Trübsal und Bestürzung, die sich heute in der Welt entwickelt, indem die organisierte Gesellschaft erschüttert und die alte Ordnung beseitigt wird. Die hier durch Berge symbolisierten Königreiche werden ja eben jetzt durch eine unwiderstehliche Kraft rasch in das Meer der Revolution und Anarchie hineingeschleppt. In Kürze werden sie in einem Ausbruch menschlicher Leidenschaft verschlungen werden und die gegenwärtige Ordnung der Dinge wird zerstört werden. Im Gegensatz hierzu gibt sodann dieser prophetische Psalm ein inspiriertes Gemälde von der Ruhe und dem Frieden des Volkes Gottes, das inmitten dieses Umsturzes der Gesellschaft lebt. „Gott ist in ihrer Mitte, sie wird nicht wanken; Gott wird ihr helfen beim Anbruch des Morgens.” Das heißt, daß die treue Kirche inmitten dieser Verhältnisse die Gegenwart und Hilfe des Herrn so sehr genießen wird, daß sie keinen Anteil an der Furcht, der Angst und Bestürzung derjenigen haben wird, die keine Kenntnis von Gottes Vorhaben und keine Gemeinschaft mit Ihm und Seinen Kindern haben.
Ich will vertrauen und mich nicht fürchten
Es ist nun Sache jedes einzelnen Kindes Gottes sich dahin zu prüfen, in welchem Maße es für sich diesen Frieden und diese Seelenruhe in dieser Stunde der Versuchung genieße. Sind wir „in Trübsal wie andere Leute” und betragen wir uns unter den gegenwärtigen Verhältnissen gleich wie Ungläubige? Oder genießen wir den Frieden Gottes, heben wir unsere Häupter empor und freuen uns, ungeachtet der gegenwärtigen Drangsale? Wir als Kinder des Lichtes, die mit einer von Gott geschenkten Erkenntnis ausgestattet und befähigt sind, über die gegenwärtige Stunde hinaus den Schwierigkeiten entgegenzublicken, sollten auch dazu in der Lage sein, den Schwierigkeiten, die mit dem bevorstehenden Herrschaftswechsel Zusammenhängen, ins Auge zu blicken. Dies tun wir mit einem Mut und einer Zuversicht, wie sie Heiligen, die sich im Gewahrsam Gottes wissen, geziemt. Und selbst dann, wenn wir in unserer Verbundenheit mit der Welt viel von dem Druck und der Spannung der gegenwärtigen Depression mit ertragen müßten. Das christliche Leben ist ein so wunderbares Vorrecht für die, welche Seine Bedingungen erfüllen. Es ist sicherlich etwas Großes und Heldenhaftes, alle anderen Hilfsmittel preiszugeben und ausschließlich noch im Glauben zu leben und wandeln. Da gibt es reichliche Gelegenheit, jene erhabenen Tugenden des Gehorsams und Glaubens zu entwickeln, wenn einer alle Interessen und Möglichkeiten ohne Zurückhaltung Gott übergeben hat, um fortan Schmerz oder Vergnügen, Freude oder Sorge, Gedeihen oder Mißerfolg gerade so entgegenzunehmen, wie es Gottes Wille ist. Die Bilder eines solchen Lebens ziehen uns an, und in der Tiefe des Herzens eines jeden aufrichtigen Gotteskindes liegt der brennende Wunsch, unter allen Umständen sagen zu können: „Dein Wille geschehe.” Wir verpflichten uns redlich und zuversichtlich, nicht zu murren, noch verstimmt zu sein über das, was des Herrn Vorsehung für uns zulassen mag. Und doch, wie oft müssen wir bekennen, daß unsere Lippen von Klagen übergeflossen und daß trotz der Trostesworte unseres Meisters unsere Herzen sehr bestürzt gewesen sind! Wenn wir den Zweck dieser „Arbeit des Kummers” und seine Bedeutung für unser gegenwärtiges Glaubensleben und die zukünftige Freude und Herrlichkeit nicht kennen würden, dann wären unsere Ängste und Herzensbedrängnisse verzeihlich. Nun hat Gott uns aber ins Vertrauen gezogen und uns im voraus gewarnt und gewappnet durch Erkenntnis all Seiner Absichten mit uns. Gibt es da noch eine Rechtfertigung für unsere Furcht und unseren Zweifel?
Heute sind wir kraft unserer Hoffnung und Erwartung dieser so wichtigen Stunde offensichtlich schon sehr nahe gekommen. Wie wir schon in dem zuvor betrachteten prophetischen Vorausblick gesehen haben, steigen die Wogen der Trübsal höher und höher und kommen in gewissem Sinne auch an die Heiligen näher und näher heran. Das bedeutet, daß wir jetzt eine außergewöhnliche Gelegenheit haben, die Echtheit unseres Glaubens zu beweisen und die Tragkraft unserer Hoffnung und Erwartung. Die Zeit ist gekommen, da wir mit Freude und Frohlocken „Wasser-schöpfen aus den Quellen des Heils” und vor Wonne erbeben wegen der wunderbaren Möglichkeiten der Zeit, in der wir leben. Wie früh am Morgen die treue Kirche erlöst werden wird, das wissen wir nicht. Aber zahlreiche Schriftstellen scheinen anzudeuten, daß die Heiligen noch Zeuge eines beträchtlichen Teiles der Anfänge der Drangsal sein werden. Doch die umfassende Verheißung ist allen zugesichert: „Er wird mich bergen in Seiner Hütte am Tage des Übels; Er wird mich verbergen in dem Verborgenen Seines Zeltes; auf einen Felsen wird Er mich erhöhen.” (Psalm 27:5.) Wir dürfen also wahrhaftig sagen: „Ich will vertrauen und mich nicht fürchten.”
Vor Jahren mögen die erweckten Heiligen gesungen haben:
Vermehrter Glaub’ sei mir beschieden,
Wann sich naht die Drangsalszeit!
Bewahr’ mich, Herr, in Deinem Frieden,
Wenn Tausend fallen mir zur Seit.
Das Ende aller Dinge ist vorhanden
Wie schön hat der Dichter die außergewöhnlichen Vorrechte des heutigen Tages in den bekannten Versen dargestellt:
„Ja, wir weben und wir leben in einer Zeit voll Not und Plag; doch es kann mein Herz erheben, zu leben an so großem Tag!”
Welche Empfindungen der Freude erfüllen uns, wenn wir, verborgen unter dem „Schatten Seiner Flügel” und die Weltereignisse von unserem sicheren Schlupfwinkel aus betrachtend, „den Anfang der Dinge, die geschehen sollen, erblicken”! Wenn wir sehen, wie sie mit raschen Schritten der vorausgesagten Auflösung entgegeneilen! Behütet vor der Schlinge des Vogelstellers, verschont vor der verderblichen Seuche, bewahrt vor der Fallgrube, in die so manche zu unserer Zeit gefallen sind. Was für ein günstiges Los ist uns beschieden! Jahrhunderte hindurch haben treue Knechte Gottes Ausschau gehalten nach dem Tage, da Gottes Plan an dem Entwicklungspunkte angelangt sein würde, wo wir heute stehen, und nach den Ereignissen, die in der unmittelbaren Zukunft liegen. Und wie der treue Abraham freuten sie sich und frohlockten, wenn sie von ihrem entfernten Zeitpunkt aus die Erfüllung der großen Verheißungen des Gotteswortes erkannten. Wie unselig wäre es, wenn uns gerade unsere große Nähe bei diesen gewaltigen Wandlungen daran hindern sollte, ihre Bedeutung zu würdigen!
Von der ganzen Welt her hören wir von Geschwistern, welche Schwierigkeiten sie durchzumachen haben, um sich nur das Lebensnotwendige zu beschaffen. Sogar in den bevorzugten Ländern gibt es Brüder, die die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit, von Mißernte und allgemeinem finanziellen Zusammenbruch ebenso hautnah zu spüren bekommen wie irgendwelche Weltmenschen. Der Kampf ums Dasein ist so allgemein geworden, daß die Heiligen Gottes unvermeidlich in Mitleidenschaft gezogen werden müssen. Heißt es denn nicht von diesen, daß nicht viele Reiche oder Große, sondern die Armen dieser Welt berufen worden sind? Es war uns eine große Freude, zu bemerken, daß sich die meisten dieser Mitteilungen durch einen Geist des Gottvertrauens charakterisierten. Weitaus der größere Teil derjenigen versichern uns ihr standhaftes Gottvertrauen und beweisen so, daß sie lernen wollen, Ihm unter allen Umständen zu vertrauen. Das ist sicher eine Bestätigung der prophetischen Verheißung, die heute sehr wohl anwendbar ist: „Gott ist in ihrer Mitte, sie wird nicht wanken.” Und Gottlob, ehe noch der Sturm in seiner ganzen zerstörenden Wut losbrechen wird, soll ein Entrinnen den als würdig Erwiesenen ermöglicht werden, denn „Gott wird ihr helfen beim Anbruch des Morgens.”
Noch eine kleine Weile
Aber der Gedanke, den wir hier vor allem betonen wollen, ist der Segen unseres großen Vorrechtes, unter Seiner Flügel Schutz zu wohnen. Wir meinen nicht, daß dies einen Zustand bedeutet, der uns von allen tatsächlichen Schwierigkeiten des alltäglichen Lebens trennt. Es ist vielmehr eine Stimmung der Freude und des Glückes inmitten solcher Widerwärtigkeiten - indem wir eben die Freude des Herrn unsere Stärke sein lassen. Nirgends in der Bibel wird uns Unverletzlichkeit von Seiten der Drangsal verheißen. Ja, gerade unser Priesteramt und unser zukünftiger Dienst an der Menschheit machen es notwendig, daß wir am gewöhnlichen Schicksal der Menschen Anteil haben. Um ein barmherziger Hohepriester sein zu können, mußte ja auch unser teurer Erlöser „in allem versucht werden gleich wie wir.” Um uns die Tröstungen zukommen zu lassen, die wir so sehr benötigen, mußte er mit den Empfindungen unserer Schwachheiten Bekanntschaft machen. Ebenso muß die Kirche, damit sie für das zukünftige Werk der Hebung einer sündenkranken Welt befähigt werde, die Widerwärtigkeiten des Lebens durchmachen.
Nur allzu oft fallen wir in die alte Gewohnheit zurück, die Prüfungen größer zu machen, als sie sind, und zu beten: „Wenn wir hier unten Deinen gerechten Willen ertragen haben, mögen wir denn in Dein Königreich des Friedens aufgenommen werden.” Bei dieser Geisteshaltung wird Gottes Wille „kein Ruhekissen sein, sondern eine schwere Last,” denn wir erwarten ein Ausruhen von Mühsalen, statt ein Ausruhen in Mühsalen. Wir bitten um ein Aufhören der Prüfungen, die für unseren zukünftigen Dienst nötig sind; solche, die durch Gottes Gnade Ausharren, Erfahrung und eine Hoffnung bewirken und die Gott in der Tat nicht zu schanden werden läßt.
Umgeben von Seiner Gnade
Und wenn die Welt uns verfolgt und wir durch ihre ungerechten Zustände herumgeschubst werden? Schließlich kann ja nichts Gottes Absichten in Bezug auf uns vereiteln, wenn wir nur unterwürfig in Seiner Hand bleiben. Er, der bewirken kann, daß der Zorn der Menschen und Teufel Ihn preist, hat uns so in Seine Gnade eingehüllt, daß all unsere Gegner in Wirklichkeit zu unseren Freunden werden. Sie helfen in dieser oder jener Weise, das in uns zu gestalten, was wesentlich ist, um „passend zu werden für das Erbe der Heiligen im Licht.”
Wir bekommen wahrlich einen sehr tiefen Begriff von dem Reichtum der Welt und ihrer Materie, wenn wir bemerken, wie Gott in ihr und durch sie die Naturen Seiner Heiligen zu erziehen vermag. Wir verlästern die Welt, wir reden davon, wie sie uns die Wahrheit verberge, wie sie uns bedrohe und uns dazu verführe Schlechtes zu tun, wie ihre harten Schläge uns Leiden zufügen, wie ihre schwere Last uns zermalme; aber es gibt in der Tat einen anderen, einen dankbareren und großherzigeren Gedanken über diese reiche alte Erde, die so klaglos unsere Klagen entgegennimmt und ihre Güte nie zurückhält wegen all unserer Verdrießlichkeit - und unseres Murrens. Wenn das Geheimnisvolle Glauben bewirkt, wenn Versuchung zur Treue anleitet, wenn Schmerz Geduld bewirkt, dann ist die Erde, die an all diesen drei Dingen so reich ist, wahrlich ein gesegneter Ort. Es mag sein, daß wir die ganze Ewigkeit hindurch zurückblicken werden, vom Standpunkt vollkommenen Lichtes, vollkommener Heiligkeit und Freude aus, nach dieser alten Erde, wo wir diese getrübten und drangsalsreichen Jahre durchlebt haben. Und wir werden sie wegen der Erinnerung an das Geheimnisvolle lieben, die Versuchungen und die Schmerzen, die sie enthielt.
„Laßt uns zu Ihm beten, daß wir uns nie gegen irgendwelche Züchtigung auflehnen möchten, wie hart sie uns auch scheinen mag. Sie macht uns reicher um irgend eines der Dinge, woran wir Mangel leiden. Oder sie macht uns etwas weiser in Seiner Weisheit oder etwas gehorsamer gegenüber Seinem Gesetz oder etwas geduldiger gegenüber Seinem Willen. Denn nur so können wir Ihn gewinnen, dessen völliger Besitz die Vollendung unseres Lebens bedeutet.”
Das heißt Wasser schöpfen aus den Quellen der Wahrheit, wenn wir uns aufs neue erinnern, daß Gott in der Mitte Seines Volkes ist, und daß der Mann glückselig ist, der die Versuchung erduldet. Wenn er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die der Herr denen verheißen hat, die Ihn lieben.
Wie in alten Zeiten, so muß der Herr auch heute wieder sagen: „Mein Volk hat zwiefach Böses begangen: Mich, den Born lebendigen Wassers, haben sie verlassen, um sich Zisternen auszuhauen, geborstene Zisternen, die kein Wasser halten”, und darum müssen sie hungern in der Zeit der Trockenheit. Aber die, welche sich an den Quellen des Heils erfreut haben, die der Herr selbst geöffnet hat, haben keine solche Enttäuschung erfahren. In der Morgenkühle erquickt dieses Wasser ihre Herzen und Sinne weiter. Mit unaufhörlicher Bewunderung betrachten sie die Weisheit, Gerechtigkeit, Liebe und Allmacht in der Entfaltung des göttlichen Planes. Die Liebe Gottes zu einer Welt von Sündern, die sich Ihm durch Sünde entfremdet hatte und durch die Gabe Seines eigenen geliebten Sohnes erlöst worden ist, erfreut und begeistert die Seelen derjenigen, die fortfahren aus diesem überströmenden Brunnen zu trinken.
Und immer neue Schönheiten und zunehmendes Licht offenbaren Gottes besondere Liebe für die Kirche - ein Volk für Seinen Namen, gesammelt aus den Juden und den Nationen, und dazu bestimmt, durch Gottes Wirksamkeit in das Bild und die Ähnlichkeit Seines eigenen lieben Sohnes verwandelt zu werden; jetzt bevorrechtet, mit ihm zu leiden und Anteil zu haben an seinem Kelch, seiner Taufe und seinem Tode, dann aber mit ihm tausend Jahre in seinem gesegneten Königreich zu herrschen, wenn die Erde von der Herrlichkeit Gottes erfüllt werden soll, so tief wie die Wasser den Meeresgrund bedecken. Aber Gott kann nie aufhören, Seine Segnungen auszugießen. Die Königreichsvorrechte erschöpfen Seine Liebesgaben an die Kirche nicht, denn in den „zukünftigen Zeitaltern" - so wird uns gesagt - wird Er fortfahren, „den überströmenden Reichtum Seiner Gnade in Seiner Güte gegen uns durch Christum Jesum zu zeigen.” Sicherlich „kein Auge hat gesehen und kein Ohr hat gehört” und „in keines Menschen Herz ist gekommen, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben.”
Was für eine beglückende Ruhe ist unser Teil unter dem Schutze Seiner Flügel, während wir die Wunder Seiner Gnade genießen und das Lied von Seiner erlösenden Liebe singen! Und nun inmitten von Weltereignissen zu leben, die anzeigen, daß dieser wundervolle Plan so weit hinausgeführt ist, daß das lange erbetene Reich Gottes sozusagen da ist, das sollte uns unsere zeitlichen Schwierigkeiten sicherlich vergessen lassen und uns veranlassen, unsere Häupter zu erheben und uns zu freuen.
Bis sie den Spätregen empfängt
Aber das Trinken von den Quellen des Heils muß uns zu einem tieferen Erfassen der Möglichkeiten unseres in Christo verborgenen Lebens führen. So viele Schriftbelehrungen betonen die Tatsache, daß unsere Entwicklung fortschreitet „von Gnade zu Gnade.” Der Frühregen der göttlichen Gnade ist so wichtig für das Wachstum. Die Zwischenzeit des Sonnenscheins oder der Bewölkung ist auch wichtig; aber die Reifezeit wird als Stunde der Entscheidung hingestellt.
Der Ackersmann wartete mit langer Geduld. Wird er belohnt werden, indem er eine voll ausgereifte Frucht empfängt? Und von welcher Art wird die Frucht sein, die unserem geliebten Meister am meisten gefallen wird? Wird es das sein, was wir für ihn getan haben? Oder werden es die Kämpfe sein, die wir in seinem Namen ausgefochten haben, oder die Festungen des Irrtums, die wir mit seiner Wahrheit bombardiert haben? Werden es die Lehren sein, die wir verteidigt haben, oder die Auslegungen, auf denen wir bestanden haben, oder besondere Kampfmethoden, die wir angewendet und gutgeheißen haben? Vieles von dem mag in bedeutendem Maße die Billigung des Herrn mitbestimmen; aber das alles zusammen könnte uns nicht bewahren vor der Verwerfung und den Ackersmann nicht vor einer Enttäuschung. All dies könnte vorhanden sein und dennoch Gottes Absicht mit uns, die „Gestaltung; des Christus in uns”, nur sehr unvollkommen erreicht sein. Die Prüfungen der gegenwärtigen Stunde offenbaren vielleicht, daß es vielen mehr auf eine Ähnlichkeit in der Stellung als auf eine Ähnlichkeit in der Gesinnung angekommen ist.
Der Verlust der ersten Liebe
Der Herr läßt uns nicht im Zweifel darüber, welche Eigenschaften ihm am besten bei seinem Volke gefallen und was uns seine Billigung und Zustimmung sichert. Er, der die sieben Sterne hat und inmitten der sieben Leuchter wandelt, fand zu Ephesus Werke und Arbeit und Ausharren und standhaften Widerstand gegen das Böse, Treue und Gehorsam, Freudigkeit im Ertragen von irgendwelchen Lasten und einen gerechten Haß gegen Taten und Handlungsweisen, welche Christus auch haßt. Einer, der auf diese Eigenschaften hinblickt und sie nicht der einzigen feierlichen Anschuldigung gegenüberstellt: “du hast deine erste Liebe verlassen“, wird naturgemäß die Frage stellen: Ist es möglich, daß man all diese Eigenschaften besitzen kann und doch Mangel hat an dieser einen, über alles wichtigen Sache? Die Worte dessen, der unter dem Leuchter wandelt, sagen, daß es so ist. Die Worte schließen auch den Gedanken ein, daß der Verlust der ersten Liebe die unmittelbare Folge einer Abweichung vom wahren christlichen Leben sein muß. …. Es war Ephesus, welches arbeitete, welches ausharrte, welches Böses nicht ertragen konnte. Zu Ephesus sprach der Heiland diese eine tiefe Enttäuschung ausdrückenden Worte. Wir werden nun fragen: Was ist das „die erste Liebe”? War es nicht das, wozu ihnen die Wahrheit bekannt gemacht wurde? Wurde die Wahrheit den Christen von Ephesus nicht gegeben, um in ihnen eine wahre und tiefe Liebe für den Herrn zu erzeugen? Um sie zu befähigen, mit Christo selbst bekannt zu werden als einem allgegenwärtigen Heiland, Freund, Ratgeber und Führer? Es kann nur eine richtige Antwort darauf geben: Es war tatsächlich so.
„Erste Liebe” ist also etwas, was über die Liebe zur Wahrheit hinausgeht. Es ist etwas, was über den Wunsch, für die Wahrheit und in Verbindung mit der Wahrheit zu dienen, hinausgeht. Es ist Liebe für den Herrn selbst, Liebe und Wertschätzung für das, was er für uns getan hat. Liebe auch für seine erhabene Person, die die Eigenschaft des göttlichen Charakters widerspiegelt. Diese höchste und edelste Form der Liebe findet in ihm allein ein volles und vollkommenes Genügen. Sie findet ihren lebendigen Ausdruck in unseren glühenden Wünschen und Bestrebungen Ihm zu gefallen, der uns zuerst geliebt hat, und den „wir lieben, ohne Ihn gesehen zu haben.” Alle anderen Arten von Liebe sind in dieser „ersten Liebe” mit enthalten. Mit diesen Worten unseres Herrn vor Augen mögen wir unsere Selbstprüfung mit Erfolg fortsetzen. „Werke”, „Arbeit” und „Ausharren” werden vom Herrn empfohlen, aber lassen wir unser Leben befruchten durch die „Werke des Glaubens”, die „Arbeit der Liebe” und das „Ausharren in der Hoffnung”, die aus einer Gemeinschaft mit Gott hervorgehen. Mögen Werke, Arbeit und Ausdauer vorhanden sein, selbst ohne die Frische des ursprünglichen Impulses, der sie bewirkt hat. Sie können doch zu einer bloßen „Form der Gottseligkeit”, ohne Kraft werden. Wenn wir nicht von Christo gefangen genommen sind, nur in ihm und für ihn allein leben, nur auf seine Zustimmung und Bewunderung blicken, so unterscheidet sich unser Dienst in nichts von dem eines bloßen Namenchristen. Haben wir aber gelernt, in Gott zu bleiben und unsere tiefste Freude in unserer Verwandtschaft mit Ihm zu finden, und sowohl den Vater als den Sohn durch diese kostbare Gemeinschaft zu erkennen, dann wird es uns zur Gewißheit, daß wir unter Seiner Flügel Schutz sind. Mögen dann auch die Schatten der herankommenden Nacht finsterer und finsterer werden, wir werden uns nur noch inniger an unseren Geliebten anschließen und singen:
„Im Schutz Seiner Flügel, da wohnt sich’s so sicher, wie finster die Nacht auch, wie stürmisch der Wind! Ich darf Ihm vertrauen; Er wird mich bewahren; denn Er hat erlöst mich, und ich bin Sein Kind.
Im Schutz Seiner Flügel, welch herrliche Bergung! Da bleibe ich, bis meine Prüfung vorbei. Am Herzen des Herrn wird kein Leid mich befallen, für immer bin ich geborgen und frei.”