Die Weisheit von Gottes besseren Wegen

„Die Namen der zwölf Apostel aber sind diese: Der erste, Simon, der Petrus genannt wird, und Andreas, sein Bruder; Jakobus, der Sohn des Zebedäus, und Johannes, sein Bruder; Philippus und Bartholomäus; Thomas und Matthäus, der Zöllner; Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Lebbäus, der zubenamt war Thaddäus; Simon der Kananäer, und Judas, der Iskariot, der ihn auch überlieferte.“ - Matthäus 10:2-4.

O, wie unerschöpflich sind Gottes Hilfsquellen sowohl, als Seine Weisheit und Erkenntnis! Wie unerforschlich sind Seine Ratschlüsse und wie unausspürbar Seine Wege! So schreibt der Apostel, nachdem er einen Blick getan hat in Gottes Handlungsweise mit Seinen Begnadigten sowohl aus den Juden als aus den Heiden. (Römer 11:33) Mit Recht anerkennt er, daß Gottes Verfahrensweise oft jenseits des Fassungsvermögens der menschlichen Weisheit liegt; aber wenn Seine Pläne sich entfalten, dann offenbaren sie eine weitsichtige Weisheit, welche zu feuriger Lobpreisung hinreist. Durch den Propheten hat Gott auch gesagt: „Wie die Himmel höher sind als die Erde, so sind meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken höher als eure Gedanken.“ Und vielleicht nirgends ist der Unterschied zwischen Gottes Wegen und den unsrigen klarer offenbart, als in der Berufung der zwölf Männer, deren Namen uns im angeführten Texte überliefert werden.

Jesus war im Begriffe, in Seine große öffentliche Wirksamkeit einzutreten, und als Vorbereitung für dieses Werk sandte er Seine zwölf besonders erwählten Apostel hinaus, mit hinreichender Vollmacht und Belehrung darüber ausgestattet, wie sie vorgehen sollten, um Sein Werk zu fördern. Sie sollen seine Stellvertreter sein, Seine besonderen Genossen und Mitarbeiter in der Verkündigung der Evangeliumsbotschaft, indem sie vorläufig ihren Dienst beschränkten auf die „verlorenen Schafe des Hauses Israel“, aber ihn gegebenenfalls erstreckten über alle Nationen. In einem gewissen Sinne bildete Er aus ihnen Sein „Ministerkabinett“, das endgültig zu dieser Aufgabe ernannt war für die ganze Dauer des Evangeliumszeitalters. Jeder wurde individuell erwählt und ihm seine besondere Stellung vom Herrn selber angewiesen.

Gott hat das Schwache auserwählt

Dem menschlichen Geist würde es bei der Aufstellung einer Behörde für so verantwortungsvolle Posten notwendig erscheinen, die Wahl unter den Rängen der Großen, Gebildeten und Einflußreichen zu treffen. Man würde das Bedürfnis empfinden, Männer mit staatsmännischer Begabung zu berufen, solche, die mit Macht ausgestattet sind, um die Massen zu leiten, oder die organisatorische Fähigkeiten haben, um die verborgenen Kräfte zu einer konzentrierten Kraftanstrengung zusammenzufassen. Dies würde das Material sein, das menschliche Weisheit sich für ein solches Kabinet aussuchen würde. Dieses aber war nicht die Qualität der von Jesu erwählten Zwölfe. Er traf Seine Wahl unter den geringeren Ständen der Welt. Er berief Männer von Berufen und aus Umgebungen, daß sie nach weltlicher Beurteilung sehr wenig geeignet erscheinen mußten für ein großes öffentliches Werk. Ja, Er scheint sogar nicht etwa zwölf von den glänzendsten Persönlichkeiten gewählt zu haben, wie sie selbst in diesen unteren Ständen gefunden werden konnten. Auch da wieder setzt Er menschliches Wähnen und Wissen beiseite. Eine unvoreingenommene Beurteilung der Zwölfe, die schließlich erwählt wurden, würde ergeben, daß vielleicht nicht mehr als vier oder fünf von ihnen über irgend welche besondere Begabung verfügten. Sehr wenige von ihnen erlangten später eine hervorragende Stellung.

Wenn wir Petrus, Jakobus und Johannes und vielleicht noch Matthäus ausnehmen von den ersten zwölf Jüngern, so wissen wir von dem Rest verhältnismäßig wenig, abgesehen von Judas, dessen tragisches Ende in dem Bericht der Schriften einen beträchtlichen Raum einnimmt. Von einigen von ihnen wissen wir überhaupt nichts, außer daß sie mit den zwölf Aposteln aufgezählt werden. Das Urteil der menschlichen Weisheit würde lauten: „Was für eine armselige und unbedeutende Gruppe von Menschen, um sie mit einem Werke zu betrauen, das so viel Aussicht auf Erfolg und Verbreitung hatte!“ Aber Gott hat das Schwache und Törichte auserwählt, um das Mächtige zu Schanden zu machen, und Er hat Seine Pläne so eingerichtet und Seine Werkzeuge so gewählt, daß sich kein Fleisch vor Ihm rühmen darf. Wenn alle Einzelheiten Seiner oft geheimnisvollen Wege offenbart sein werden, dann wird allgemein anerkannt werden:

„Sein Plan ist weis’, gerecht und gut, Sein Werk ist wohlgetan.“

Ein sorgfältiges Studium der Charaktere der Zwölfe oder derjenigen von ihnen, über die wir etwas wissen, wird eine tiefe Weisheit in ihrer Auswahl offenbaren, die leicht übersehen werden könnte. Jesus wählte, wie wir gesehen haben, nicht vor allem Redner, Diplomaten, Staatsmänner usw. aus, sondern Er tat etwas Wichtigeres. Er wählte zwölf sehr repräsentative Charaktere. Er kam in die Welt, um Menschen zu erretten, alle Arten von Menschen und aus allen Verhältnissen. Bei der Auswahl dieser zwölf Jünger hatte Er zwei Zwecke im Auge. Er bereitete sich Gefäße, so daß durch sie ein Zeugnis Seines Lebens, Seines Todes und Seiner Auferstehung gegeben werden könnte, und Er zeigte in ihnen, was er in irgendeinem Herzen, das Ihm völlig ergeben ist, auszurichten vermag. Für uns ist daher die Frage, was Jesus aus diesen Männern gemacht hat, von ebenso großer Bedeutung als die andere, was Er durch sie für ein Werk verrichtet hat.

Indem wir diese Charaktere studieren, laßt uns einen raschen Überblick gewinnen über das, was in den vier Evangelien von ihnen gesagt ist. Wenn wir die verschiedenen Episoden, die hier erwähnt werden, zusammenstellen, werden wir viel Tröstliches für unsere eigenen Herzen darin finden, und es kann sein, daß wir unser eigenes Charakterporträt so klar gezeichnet finden, daß wir nicht verfehlen können, den damit verbundenen Tadel oder die Anerkennung richtig auf uns anzuwenden.

„Du bist Petrus“

Die Berichte über diese Männer lassen keinen Grund zu einem Streit darüber, wem von ihnen unsere größte Beachtung gebühre. Der Herr selbst hat dies für uns festgestellt durch die Stellung, die Petrus in den Erzählungen der Evangelisten einnimmt. In Matthäus 10:2 lesen wir: „Dies sind die Namen der zwölf Apostel: Der erste, Simon, genannt Petrus.“ Mit einer Beharrlichkeit, die mehr als zufällig ist, geben Matthäus, Markus und Lukas dem Petrus diese Stellung. Kein anderer Name behält in der gegebenen Aufzählung seinen Platz als der des Petrus. Alle drei setzen Petrus an die erste und Judas an die letzte Stelle. Wie wir später sehen werden, nennt Johannes die Namen der Zwölfe nicht, noch gebraucht er die geläufige Verbindung „Petrus, Jakobus und Johannes.“ Und diese Weglassung ist augenscheinlich auch mehr als zufällig.

Petrus war zum Führer bestimmt, und offensichtlich wurde dies von den andern mehr oder weniger anerkannt. In verschiedener Weise gaben sie ihr Einverständnis mit dieser Tatsache zu erkennen, indem sie ihn als eine Art Sprecher betrachteten. Seine Charakterfestigkeit, seine Bereitschaft zur Tat und sein feuriges Wesen stellen ihn in die vorderste Reihe des Kampfes. Aus diesem Grunde sind seine Taten und Worte vollständiger überliefert, als die irgendeines anderen. Kein Jünger machte so viele Fehler, keiner außer ihm maßte sich an, dem Meister zu widersprechen, und keiner ist so scharf getadelt worden wie er. Im einen Augenblick ist er würdig eines Lobes und der Anerkennung, im nächsten verdient er beißenden Tadel. Seinem Temperament nach war er ein sehr sanguinischer Charakter, voll Vertrauen und Selbstsicherheit, ein Zug, der ihn notwendigerweise in mannigfache Schwierigkeiten verwickeln mußte, bis er gehörig regliert war. Er war bereit, für den Herrn zu kämpfen und zu sterben unter dem Impuls seiner feurigen Begeisterung, und unter veränderten Umständen war er ebenso bereit, Ihn zu verleugnen, sogar unter Beteuerungen.

Das ist der Petrus, wie ihn unser erster Blick erkennt - ein Mensch, in dem Tausende ihre eigenen Schwachheiten offenbart gefunden haben und mit dem sie sich durch eine tiefe Geistesverwandtschaft verbunden gefühlt haben. Petrus war in der Tat eine typische Gestalt. Alles war deplaziert bei ihm, außer seinem Herzen, und das war seine Rettung. Er steht also als ein Beispiel dafür vor uns, was Jesus mit einem ergebenen Herzen tun kann. Laßt den Goldklumpen noch so unansehnlich aussehen, laßt den Edelstein noch so tief in Masse eingebettet sein, er wird es dazu bringen, alle seine Schönheiten erstrahlen zu lassen, wenn er nur so völlige und so ungehemmte Handlungsfreiheit erhält, als er sie im Leben des Petrus erhalten hat.

Verschiedenheit ist in der Kirche notwendig

Die Kirche hat Petrusse nötig gehabt, und einige von ihren Führern sind Männer von dieser Art gewesen. Sie mögen oft gefehlt haben, während ihre Absichten löblich waren, aber ihr Dienst ist für die Kirche von unschätzbarem Wert gewesen. Luther machte einige sehr bedenkliche Fehler. Zu Zeiten war er sehr intolerant, und im Gegensatz zu seinem treuen Mitarbeiter Melanchton ließ er es sehr an Selbstbeherrschung fehlen und an ruhigem, leidenschaftslosem Urteil. Aber Gott gebrauchte Luther, um uns die Reformation zu schenken. Der Herzenskündiger sah unter die Oberfläche und machte durch Seine allesbeherrschende Macht Gebrauch von dem Gold und Silber, und zur rechten Zeit wurden die Schlacken weggebrannt.

Wie oft ist die Kirche aus dem Stillstand errettet worden durch den ruhelosen und impulsiven Geist der Petrusse innerhalb ihrer Mauern! Die Neigung auf irgendeinem ausgefahrenen Gleise festzulaufen und die große uns anvertraute Mission zu vergessen, ist eine immerdrohende Gefahr für uns; und wir haben wohl Ursache, Gott zu danken für die feurigen Petrusse, deren Geist sich nicht zur Ruhe bequemt, sondern die immer zur Tätigkeit aufrufen und darauf bestehen, daß wir wach und tätig seien. Wenn ein solches Temperament gestaltet worden ist unter der liebevollen Fürsorge Jesu, dann laßt uns als die Kirche es als eine unserer größten Aktiven betrachten. Laßt uns daran denken, daß Jesus oft da, wo wir nur impulsives Wesen sehen, einen Felsen, einen „petros“ sieht.

Petrus war ein Mensch, der einer starken, brennenden Liebe fähig war. Unter der rauhen Außenseite war eine tiefe und aufrichtige Zuneigung. Wir bekommen kleine Einblicke in seine Anhänglichkeit an Jesum durch einige berichtete Vorkommnisse. Dahin gehören seine Empfindungen bitterer Reue, als er nach der Verleugnung seines Meisters in die fragenden Augen Jesu aufblickt und „hinausging und bitterlich weinte.“ Wiederum, wenn die dreimal wiederholte Frage Jesu: „Simon, Sohn Jonas, liebst du mich mehr als diese?“ an seine schmähliche Verleugnung des Herrn erinnert und sein Herz betrübt, ja bis in seine Tiefen gequält wird, weil Jesus wieder und wieder fragen muß. Es war die Liebe eines durchaus ergebenen Herzens, die ihn antworten ließ: Herr, wie kannst Du daran zweifeln? „Du weißt ja alles. Du weißt, daß ich Dich liebe.“ Auch darin ist Petrus der Repräsentant von vielen kostbaren Seelen, die ihren „Pulsschlag des Edelmuts und ihre Asche der Schmach“ haben - an einem Tag Löbliches und Schönes tun, am nächsten in irgendwelche alten Schwachheiten zurückfallen, welche sie in den Staub demütigen. Die Wahl des Petrus durch den Herrn und die Umgestaltung seines Charakters in ein Wesen der Gnade und Kraft verheißen andern dieselben Ergebnisse.

Jakobus, der Sohn des Zebedäus

Der nächste in der Reihenfolge ist Jakobus. Und Jesus gibt uns einen Schlüssel zu seinem Charakter durch den Namen, den er ihm und seinem Bruder Johannes zulegt „Boanerges, Donnersöhne.“ Wir sind also nicht erstaunt, auch ihn voll glühender Begeisterung zu finden. Mit seinem Bruder verließ er freudig seine Beschäftigung, um Jesu nachzufolgen, und wir dürfen wohl glauben, daß er sie voll freudiger Begeisterung aufgab, und seinen neuen Lebensweg mit unvermischter Hingabe antrat. Sein feuriger Eifer veranlaßte ihn zu dem Vorschlage, daß der Herr Feuer vom Himmel auf die ungastfreundlichen Samariter herabrufe, und in späteren Jahren wurde er den Juden verhaßt, zweifellos wegen seines Feuereifers für Christum. Jesus macht sich dieses Feuer zu Nutzen und gestaltet Jakobus in den Charakter, den er benötigt. Wie verborgen ein Metallstück immer sei, wenn es im Feuer erhitzt wird, kann es mit Leichtigkeit in einen nützlichen und schönen Gegenstand umgeformt werden; so war es mit Jakobus. Wäre er zurückhaltend gewesen und nur mit halbem Herzen seines Meisters Einladung „Folge mir nach!“ gefolgt, so wäre aus ihm nie der Charakter geworden, als den wir ihn heute erfinden. So sehr hängt es von unserer Einstellung zu der Kraft Jesu ab, ob unsere Unschönheiten und Verborgenheiten jemals ausgeglättet werden oder nicht.

Jakobus war ein Donnersohn wie Elias, und er war auch ein Mann des Gebets wie der Prophet. Diese Elemente hat Jesus sehr erfolgreich vermischt, wie er sie in dem Charakter des Apostels vorfand, und hat so aus ihm einen Repräsentanten von sehr vielen Seines Volkes, die auf Seinen Ruf geantwortet haben, gemacht. Jakobus hätte auf Grund seines Eifers sehr leicht ein Fanatiker oder ein Zyniker oder ein Pharisäer werden können, aber Jesus hat seine Entartung in einen solchen Charakter verhütet.

Jakobus lernte unter dem Einfluß und Beispiel des Herrn, daß die Wahrheit, wenn sie mit Begeisterung verbunden ist, vor Unduldsamkeit bewahrt; denn die Wahrheit erzeugt Liebe. Er lernte auch, daß, wenn Demut unsern Feuereifer mäßigt, diese vor Stolz bewahrt; denn nur die Sanftmütigen und Niedriggesinnten stellen die Wahrheit wahrhaftig dar. Er lernte auch, daß der größte und sicherste Schutz gegen Enttäuschung in der Verbindung von Eifer mit dem Gebet liegt. So lernen wir schließlich den Jakobus als eine der Säulen in der Kirche Christi kennen, einen glühenden, eifrigen Charakter, aber weder fanatisch, noch menschenfeindlich noch pharisäerhaft. Wiewohl bei seiner Berufung noch sehr roh, wie die andern, aber sich dem Einfluß Jesu bereitwillig hingebend, wird er schließlich die Verkörperung der Charakterfestigkeit, die sich ergibt aus der Annahme jener Weisheit, welche Gott allen, die darum bitten, willig zuteilt.

Johannes, der Apostel der Liebe

Johannes nimmt eine einzigartige Stellung ein unter den Zwölfen, die ja alle von Jesu geliebt wurden. Nur von Johannes redet die Schrift als von dem „Jünger, den Jesus liebte.“ Dieser Umstand gibt uns einen gewissen Begriff von Johannes’ Charakter. Auch er hatte einen ganz individuellen Charakter, und folglich beeinflußte ihn seine Berührung mit Jesu wesentlich anders, als sie andere würde beeinflußt haben. Die Kirche hat sich daran gewöhnt, ihn den „Apostel der Liebe“ zu nennen, aber Johannes möchte lieber als der „Jünger, den Jesus liebte“, in unserer Erinnerung sein, zweifellos zu dem Zweck, damit wir besser erkennen, in welcher Weise ihn jene Liebe Jesu beeinflußte, was sie aus dem rohen Metall, das der Meister einige Jahre zuvor an der Küste des Sees gefunden hatte, gemacht hat.

Die Überlieferung malt den Johannes mit fast weibischen Zügen und mit goldenem Haar, das über seine Schultern fließt, zweifellos weil man dachte, dieses Bild würde übereinstimmen mit der tiefen, hingebungsvollen Liebe, welche Johannes an den Tag legt. Aber wir möchten diese traditionellen Bilder dieses Donnersohnes ernstlich in Frage stellen. Fischer pflegten nicht in solcher Aufmachung zu erscheinen; ihr Leben war ein gefahrenreiches und verlangte Stärke, Muskelkraft und robuste Natur. Außerdem zeigen uns die Evangelien, daß Johannes auch entschieden intolerant sein konnte und mit seinem Bruder gern die Samariter vernichtet hätte. Er hatte einen entschieden ehrgeizigen Charakter und wünschte sich über die Ansprüche der andern auf einen Platz zur Rechten oder zur Linken des Herrn der Herrlichkeit hinwegzusetzen. Augenscheinlich wurde er weder als ein Heiliger geboren, noch von Jesu als ein solcher aufgefunden, sondern durch die Berührung mit Ihm zu einem solchen gestaltet.

Johannes ist in erster Linie der Vertreter einer beschaulichen Gruppe von Gottes Volk, und sein Evangelium offenbart, wie seine Betrachtung Jesu ihn beeinflußt hat. „Wir haben seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater.“ (Johannes 1:14) Schon ein oberflächlicher Einblick in Johannes’ Schriften zeigt, daß sein Sinn immer den Vorzügen des Charakters und Betragens Jesu zugewendet war, und das machte aus ihm den „Apostel der Liebe“ und den „Jünger, welchen Jesus liebte“.

Johannes wurde angezogen von den großen Grundsätzen der Wiedergeburt und Sohnschaft. Die andern Evangelisten geben uns die äußeren Taten Jesu, Johannes gibt uns ihren inneren und ewigen Sinn. Unter seinen Entdeckungen sind folgende bemerkenswert: „Wer in der Liebe ist, ist in Gott.“ „Jeder, der liebt, kennt Gott.“ „Wir lieben Gott, weil er uns zuerst geliebt hat.“ „Wer nicht die Gerechtigkeit tut, ist nicht aus Gott.“ „Wer den Sohn hat, hat Leben.“ Und viele ähnliche Stellen finden wir in seinen Schriften.

Johannes stellt also ein sehr wichtiges und heilsames Element in der Kirche dar. Seine tiefe geistige Einsicht in die wirklichen und lebenswichtigen Tatsachen der Jüngerschaft ist bei einer hinlänglichen Anzahl von Nachfolgern Jesu gefunden worden, um ein Gegengewicht zu bilden zu denjenigen, die die Äußerlichkeiten übermäßig betonen. Seine Frömmigkeit und ungewöhnliche Ergebenheit gegenüber der Person Jesu ist in manchem andern Leben zum Ausdruck gekommen, dessen besonderer Wunsch dahin ging, den lebendigen Geist Jesu zu einer magnetischen Kraft der Einigung und des Liebesdienstes zu machen. Wir wollen es nicht in einem dogmatischen Sinne sagen, aber es scheint uns, daß die Kirche nie einen größeren Prozentsatz von Johannesnaturen gehabt hat, als ihn die ursprünglichen Zwölfe hatten. Sie sind daher von großem Wert für uns in diesen Tagen. Laßt uns volle Wertschätzung für sie haben.

Johannes ermutigt uns auch, auf einen völligen Sieg über unsere Schwachheiten zu hoffen. Zuerst ist er ehrgeizig nach einem ersten Platz im Königreich; auch bereit schnelles Verderben über die Gegner zu bringen, aber Jesus gestaltet ihn völlig um. Liebe vernichtete seine Rachsucht, und jetzt können wir seine Schriften durchlesen und finden niemals seinen Namen erwähnt. Er spielt nie an Ereignisse an, wo „Petrus, Jakobus und Johannes“ im Vordergrund stehen. Er verrät nicht mehr den früheren Ehrgeiz nach dem höchsten Platz, sondern wird zur Verkörperung der Liebe und Selbstverleugnung, die er in Jesu wahrgenommen hat. Durch seinen Erfolg gegenüber Johannes lehrt uns der Herr, daß auch wir Jünger werden können, die Jesus liebt.

Andreas, Simon Petrus’ Bruder

Was für eine Bedeutung liegt schon in dieser Feststellung! Wir würden niemals vermutet haben, daß zwischen dem Petrus und dem Andreas eine so nahe Verwandtschaft bestehen könnte. Petrus war voller Vertrauen; Andreas war behutsam und praktisch; der eine impulsiv, der andere vorsichtig, der eine ein geborener Führer, der andere nie fähig höher zu steigen, als zum einfachen Nachfolger. Dieser Jünger stellt den praktischen Sinn dar. Er wird sich nie zu höherem Schwung erheben, er wird nie irgendwelche glänzenden Erfolge erringen, aber er wird nichtsdestoweniger einen sehr notwendigen Zweck erfüllen im Dienste der Kirche. Sein praktischer Sinn offenbart sich bei zwei Gelegenheiten. Als Jesus die Jünger nach Lebensmitteln fragte, um die Menge zu speisen, da konnte nur Andreas einen Vorschlag machen: „Da ist ein Knabe mit fünf Broten und zwei kleinen Fischen.“ Und Jesus ging auf seinen Vorschlag ein. Wiederum da, wo Philippus die Griechen angetroffen hatte, die sich nach Jesus erkundigten, und offenbar nicht wußte, was er tun sollte, da zog er den Andreas zu Rate, und sofort wurden die Fragenden zu Jesu gebracht. Andreas war auch ein bescheidener Mensch. Der Zeit nach war er zuerst berufen worden, aber als später Petrus, Jakobus und Johannes, die nach ihm berufen worden waren, ihm vorgezogen wurden, beklagt er sich nicht darüber. Er begnügt sich damit, bekannt zu sein als „Andreas, Simon Petrus’ Bruder.“

Aber Jesus machte keinen Fehler, als Er Andreas berief, denn Er bedarf sehr der praktischen Leute. Solche stellen in allen Epochen der Kirchengeschichte einen höchst notwendigen, Halt gebenden Ballast dar.

Matthäus, der Zöllner

Wenn wir die Berichte durchlesen, so stoßen wir niemals auf eine Erwähnung wie „Petrus und Jakobus und Johannes, die Fischer“ oder ähnliche Feststellungen in betreff der übrigen Jünger, und es ist daher beachtenswert, daß Matthäus uns in seinem eigenen Bericht die Wendung „Matthäus, der Zöllner“ überliefert. Das zeugt für einen edlen Charakter dieses Jüngers. Augenscheinlich wollte er, daß man wisse, was die Berührung mit Jesu aus ihm gemacht habe. Seine Bekehrung war seiner Liebe und Zuneigung zu Jesu zuzuschreiben, denn wegen der Würdelosigkeit seines Zöllnerberufes gehörte er zu den gesellschaftlich Geächteten. Sogar Jesus rechnete diese Beschäftigung zu den allerverworfensten, indem Er sich der oft wiederholten Wendung „Zöllner und Sünder“ bedient. Wir sind durchaus berechtigt zu der Annahme, daß das, was Matthäus zu Jesu hinzog, Sein großes Mitgefühl war.

Für ihn war Jesus ganz verschieden von einem hochmütigen Pharisäer oder einem Durchschnittsjuden. Die schnelle Bereitschaft, womit er sein Geschäft verließ, um Jesu nachzufolgen, legt den Gedanken nahe, daß er auf Liebe und einen Beweis des Vertrauens in seinen wahrhaftigen Charakter gewartet hatte. Zweifellos war er dem Herzen nach ein viel besserer Mensch, als sein Gewerbe vermuten ließ, und er war eine suchende Seele. Er war reich geworden durch dasselbe, aber er war bereit, alles zu verlassen, um Einem zu folgen, der nicht hatte, wohin er Sein Haupt legen sollte. Daß er alles verließ, bedeutete bei ihm mehr, als es für viele andere bedeutete. Wenn sie enttäuscht wurden, konnten die andern sagen: „Ich gehe wieder fischen“, aber Matthäus hatte seine Stellung endgültig aufgegeben. Er konnte nicht dahin zurückkehren.

Niemand erkannte den Wert des Matthäus außer Jesus, aber er nimmt einen besonders wichtigen Platz unter den Aposteln ein. Sein Evangelium ist der vollständigste Bericht über den Dienst unseres Herrn, der am meisten in Einzelheiten eintritt, und eines der stärksten und ansehnlichsten Zeugnisse, die wir über den Dienst und das Leben Jesu haben. Er teilt uns die Bergpredigt mit größerer Vollständigkeit mit, und Er ist es, der uns die „große Einladung“ überliefert: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid, und ich will euch Ruhe geben.“

Auch Matthäus wird für uns zum repräsentativen Charakter. Er stellt sehr wohl eine Klasse dar, deren der Herr in besonderer Weise bedarf. Die Umstände, welche bei seiner Berufung vorhanden waren, sowie die große Liebe, die Jesus an den Tag legte, indem er ihn aus dieser verworfenen Lage und Ruhelosigkeit heraushob, veränderten und befestigten sein Leben. Einer der bemerkenswertesten Vorfälle, die Matthäus berichtet, ist die Erzählung von dem großen Feste, das er veranstaltete nach seiner Bekehrung. Die Gäste, die er zu diesem Feste einlud, offenbaren des Matthäus Charakter. Er lud eine große Anzahl von Zöllnern und anderen und auch Jesus ein. (Lukas 5:29) Wie verlangte es ihn danach, diese Leute zusammenzubringen! Sicherlich brannte sein Herz vor Begierde, andere, die ihrer ebenso bedürftig waren, in Berührung mit diesem liebevollen Jesus zu bringen. Was für Hoffnungen mögen in seinem Herzen aufgestiegen sein, indem er beobachtete, was für Frucht sein Bekehrungseifer bringen möchte! Und beachten wir wohl, Matthäus wurde von Jesus nicht enttäuscht. Jesus weigerte sich nicht, sich unter diese Bedürftigen zu mischen. Er büßte durch dieses Verhalten in den Augen anderer an Ansehen ein, aber Er kam ja nicht, „um die Gerechten zu berufen, sondern Sünder zur Buße.“ Matthäus veranschaulicht den tatbereiten Verkündigungsgeist. Jene „große Einladung“ war Musik gewesen für seine Seele, denn er war zu Jesu gekommen, gerade wie er war, „müde und erschöpft und traurig“ und hatte bei ihm einen Ruheort gefunden. Das hatte ihn glücklich gemacht.

So hat Matthäus den Einfluß und den Dienst des Herrn in breiten Kreisen zur Geltung gebracht. Er brachte die Hungrigen und Niedergeschlagenen zu Jesu, und er brachte Jesus zu ihnen. Was haben wir getan, um den Dienst dieses selben Jesus zur Geltung zu bringen? Sind wir besonders bekümmert gewesen um die Bedürfnisse der Trauernden und Mutlosen, und haben wir uns rechter Anstrengungen beflissen, um ihnen die Hilfe des großen Arztes zugänglich zu machen? Wohl mögen wir den Herrn der Ernte bitten, damit Er uns mehr solche Charaktere schicke, mehr solche, die Seine gnadenvollen Worte „Kommt zu mir!“ gehört und davon ergriffen worden sind. Wir sind dankbar für jedes Wort, das Matthäus geschrieben hat, und möchten nicht das geringste von ihnen entbehren, aber wenn durch irgendein Unglück alle übrigen verloren gegangen wären, und einzig dieser zarte Zuruf und die gnädige Einladung übrig geblieben wäre, so würden wir doch in Ewigkeit dankbar sein dafür, daß durch die Gnade Gottes Matthäus, der Zöllner berufen wurde zu einem Genossen und Apostel Jesu Christi, unseres Herrn. Wie die anderen ist er ein Beispiel dafür, was der Einfluß Jesu in einer dankbaren und Seiner Liebe dahingegebenen Seele wirken kann.

Nathanael, ein wahrer Israelit

Von Nathanael ist wenig berichtet. Sein voller Name scheint gelautet zu haben Nathanael Bartholomäus. Aber dieses wenige ist sehr auskunftsreich. Jesus, der die Herzen lesen konnte, stellt uns einen ganz seltenen Charakter vor - „einen wahren Israeliten.“ Er war ein ehrlich Suchender, aber ein Zweifler. Er war der Einzige, der zögerte, zu folgen, als er berufen wurde. „Kann denn aus Nazareth etwas Gutes kommen?“ - aber er war durch und durch ehrlich und sehr ernst. Zweifellos konnte man ihn oft unter dem Feigenbaum finden, um geistige Orientierung zu suchen, aber er war voller hemmender Vorurteile, welche seinen Blick verdunkelten. Er stellt den zögernden Geist dar, der ernstlich um Licht bittet, über die Probleme des Lebens, aber davor zurückschreckt, einen praktischen Versuch zu unternehmen, um die Gesinnung des Herrn zu erforschen. „Wir können sogar den Feigenbaum zu einem Ort machen, der uns vor dem Christus, den wir doch suchen, verbirgt und uns veranlaßt, Ihn anderswo zu suchen.“ Aber so ernste Charaktere braucht es auch. Trotz seiner Absonderlichkeiten ist Nathanael in den Augen Jesu ein Charakter, der ein konservierendes Salz in irgendwelcher Gemeinschaft Seines Volkes darstellt. Die Ehrenhaftigkeit, Frömmigkeit, Unbescholtenheit, Vorsicht und gebetsvolle Gesinnung solcher Leute werden einen starken Einfluß da ausüben, wo es sich darum handelt, raschen und überstürzten Entschließungen entgegenzuwirken und oft durch einfache Fragen den Geist zu nüchternen Erwägungen anzuleiten. Solche Charaktere sind nicht dünkelhaft, noch festgefahren, sondern allezeit willig, „zu kommen und zu sehen“, einem guten Rate aufmerksam Gehör zu schenken.

Thomas, der Zweifler

Die Charakteristik des Thomas beschränkt sich gewöhnlich auf sein zweiflerisches Verhalten gegenüber der Auferstehung Jesu, aber andere Ereignisse zeigen uns, daß er einige ausgezeichnete Charaktereigenschaften besaß, die wert sind, nachgeahmt zu werden. Als zum Beispiel Jesu Worte über den Tod Lazarus’ eine drohende Gefahr anzudeuten schienen, schloß Thomas daraus, daß Jesu das Schlimmste bevorstünde, und er sagt daher: „Laßt uns mit ihm gehen, damit wir mit ihm sterben.“ Er hatte kein „böses Herz des Unglaubens,“ sondern eine standhafte und treue Liebe.

Bei anderer Gelegenheit, als Jesus zu ihnen von Seinem Weggang gesprochen hatte, war es Thomas, der Ihn inständig fragte: „Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst, und wie können wir den Weg wissen?“ Sicherlich wollte er sagen: Herr, wir würden auch hingehen, wenn wir nur den Weg wüßten. Es war Liebe, die ohne die Unterstützung des Glaubens sich vorwärts tastete und versuchte, das Dunkel zu durchdringen, das, wie er fühlte, seinen Blick verdüsterte. Und als dann der Schlag gekommen und Jesus tatsächlich gestorben war und sie verlassen hatte, da wurde sein Glaube bedenklich erschüttert. Da ging er, wie so viele, die er darstellt, beiseite, um allein über seinem Kummer zu brüten. Denn er war ja nicht zugegen, als Jesus kurz nach seiner Auferstehung einer Anzahl Jünger erschien. Ihr Zeugnis überzeugte ihn nicht, und nichts würde es vermocht haben als die Nägelmale in den Händen und die Speerwunde in der Seite Desjenigen, den er für verloren gehalten hatte. Gerade so ist auch das Gegenbild des Thomas unter den Brüdern von heute. Sie neigen zu der Gewohnheit einsamen Brütens über ihre Enttäuschungen, indem sie den Gram in ihren Seelen nähren und voller Zweifel in bezug auf die Aufrichtigkeit anderer sind. Diejenigen, die von Bunyans „Überströmende Gnade“ gelesen haben, finden dort ein lebendiges Gemälde des Thomas-Geistes. Die düstere Seite aller Dinge hat einen besonders starken Einfluß auf ihren Geist, und ein ständiger Kampf zwischen Furcht und Hoffnung erfüllt ihr Leben. Aber damit auch solche kämpfende Seelen ermutigt werden möchten, beruft Jesus den Zweifler Thomas unter Seine besonderen Jünger.

Und uns freut es, daß Thomas darauf bestand, die Wundmale Jesu zu sehen. Das sind gerade die Beweise, welche wir auch zu sehen wünschen, und gerade auf Grund dieser Kennzeichen rufen auch wir: „Mein Herr und mein Gott!“ Gerade das, wogegen sich Thomas drei Tage zuvor aufgelehnt hatte und was ihn in die tiefste Niedergeschlagenheit gestürzt hatte, wurde jetzt der greifbare und dauernde Grund eines festen Glaubens. In vieler Hinsicht ist Thomas für uns auch ein Charakter, von dem wir wertvolle Lektionen lernen können.

Philippus

„Er findet Philippus.“ Nur von Philippus werden diese Worte gebraucht. Er sah die andern, Petrus und Johannes, an ihrer Arbeit, Nathanael unter dem Feigenbaum, den Andreas, wie er Ihm folgte, aber er „findet“ Philippus. Die Evangelien sagen uns nicht viel über ihn; doch war er jedenfalls ein frommer Mann, bevor Jesus ihn fand. Sehr wahrscheinlich war er ein tiefer suchender Geist schon vor seiner Berufung, denn diese Geisteseigenschaft zeigt sich in der Folge durch seine ernste Frage: „Zeige uns den Vater, und es genügt uns.“ Er stellt mithin eine Klasse dar, die sich entschieden zu Jesu hingezogen fühlt, aber die unfähig scheint, völlig in das geistige Leben einzugehen, das Er erschließt. Wir hören sie wiederholt ihr Unvermögen bekennen, den geistigen Gesichtspunkten der Dinge zu „folgen“. Gewisse Dinge sind ihnen immer recht unbestimmt. Vieles, was andere zu genießen scheinen, liegt jenseits ihres Gesichtsfeldes, und darum rufen sie aus: „Zeige uns den Vater, und es genügt uns.“ Und das ungeachtet der Tatsache, daß in ihrem eigenen geliebten Meister der Vater doch restlos offenbart worden ist. Es gibt einige, die tief in die unsichtbare Welt einzudringen vermögen und in ihren Stunden der Sammlung eine reichliche Gemeinschaft mit dem Unsichtbaren genießen, aber die große Mehrzahl der Christen sind nicht so hellsichtig und konzentriert auf diese Dinge, und sie müssen fühlen, daß sie sich eine arge Vernachlässigung zu schulden kommen lassen. Aber Philippus ist ein verwandter Geist von solchen. Sie wünschen innig, die volle Offenbarung des Vaters zu genießen, und aus einem Seelenhunger heraus, der sicherlich schließlich befriedigt werden wird, sehnen sie sich danach, zu erkennen, wie sie selbst erkannt worden sind. Seine Bitte ist gerade die Bitte, die Jesum auf die Erde gebracht hat, und sie muß das Gebet eines jeden Herzens sein so lange, bis der Glaube abgelöst worden sein wird durch das Schauen. Wie wir früher gesehen haben, war Philippus kein initiativer Geist. Er konnte keinen Vorschlag darüber machen, wie die große Menge gespeist werden sollte. Er wußte auch nicht, was er mit den Griechen anfangen sollte, die Jesum zu sehen wünschten. Und doch wurde er auch auserwählt als einer der Zwölfe. Darum muß sicherlich seine Nützlichkeit in andern Eigenschaften, die er besaß, gelegen haben. Philippus war bis zu einem gewissen Grade dem Andreas ähnlich. Er war ein Mann der Tatsachen. Theorien waren für ihn von geringem Wert. Er wollte eine Sache durchschauen, dann war er befriedigt. Gebt ihm einen bestimmten Beweis, dann wird er sichere Tritte tun. Jesus hat allezeit Fürsorge getroffen, genügend viele Philippusse unter Seinem Volk zu haben, damit Seine Kirche gesichert und bewahrt bleibe vor überstürzten und unüberlegten Unternehmungen. Wir sind jenen ehrlichen Fragern, die zuweilen unsern Übereifer hemmen durch ihre nüchternen Fragen nach dem Warum und Wozu, viel schuldig. Mehr als einmal ist der bedächtig-gründliche Geist eines Philippus der Kirche ebenso nützlich gewesen wie der tatbereite Sinn eines „Donnersohnes“.

Es braucht keine gewichtige Maschinerie

Das war Jesu besonders erwähltes „Ministerkabinett“, dem Er so große Verantwortlichkeit übertrug. Gewiß, Er fügte ihnen später noch den Paulus hinzu, und wenn dieser auch in mancher Hinsicht ihnen allen überlegen war, so war er doch ein Mann von „gleichen Empfindungen“ und bedurfte des umgestaltenden Einflusses Jesu. Von jedem menschlichen Gesichtswinkel aus stellten sie ein sehr schwaches, unbedeutendes „Ministerium“ dar, gewiß. Aber was für eine Spur haben diese zwölf Männer in der Weltgeschichte zurückgelassen! Was für einen fraglosen Erfolg hatte ihr Dienst! Und wie vollkommen ist durch denselben Gottes Vorhaben gefördert worden! Wahrlich, wir erkennen, daß Gottes Wege nicht unsere Wege sind, und daß Er das Einfache erwählt, um die Ratschlüsse der Weltweisen zunichte zu machen! Die große Lehre, die wir daraus ziehen sollen, ist die, daß Gott gerade durch Mischung von Charakteren, die Er sucht, der Kirche Halt gibt und Bewahrung angedeihen läßt. Möchten wir doch Nutzen ziehen aus all den verschiedenen Temperamenten und alle für den Dienst des Meisters zu gewinnen suchen. Keine großartige Maschinerie braucht Er, sondern liebevolle und ergebene Herzen. Er trachtet ja nicht nach einer neuen sozialen Ordnung in diesem Zeitalter, sondern Er sucht eine von irdischen Banden ungehemmte Kirche, die den evangelischen Lehren und der aus Christo fließenden geistigen Kraft ganz unterworfen ist.

Gewiß sollten wir neues Vertrauen und Mut fassen, wenn wir bemerken, daß diese Männer uns so ähnlich waren, und den Einfluß auf ihr Leben, sowie den Erfolg Seines durch sie gewirkten Dienstes gewahren. Wir vermögen dem Unglück auszuweichen, unsere Gnadenstellung neu zu kräftigen und vorwärtszuschreiten mit der Gewißheit, daß unser geliebtes Haupt durchaus fähig ist, Sein Werk in uns und durch uns hinauszuführen, wenn wir an dem Orte bleiben, wo Er uns gemäß Seinem Willen gestalten kann.



Tagesanbruch Bibelstudien- Vereinigung