Des Christen Leben und Lehre |
Die Herrlichkeit Jesu Christi
„Welcher das Bild des unsichtbaren Gottes ist, der Erstgeborene aller Schöpfung. Denn durch ihn sind alle Dinge erschaffen worden, die in den Himmeln und die auf der Erde, die sichtbaren und die unsichtbaren, es seien Throne oder Herrschaften oder Fürstentümer oder Gewalten: alle sind d u r c h ihn und f ü r ihn geschaffen. Und Er ist vor allen, und alle Dinge bestehen zusammen durch ihn.
Und Er ist das Haupt des Leibes, der Versammlung, welcher der Anfang ist, der Erstgeborene aus den Toten, auf daß Er in allen Dingen den Vorrang habe; denn es war das Wohlgefallen der ganzen Fülle, in ihm zu wohnen und durch ihn alle Dinge mit sich zu versöhnen - indem er Frieden gemacht hat durch das Blut seines Kreuzes -, durch ihn, es seien die Dinge auf der Erde oder die Dinge in den Himmeln“. Kol. 1:15-20
In den vorangehenden Versen unseres Textes (Vse. 15-20) bekundet der Apostel Paulus seine Freude darüber, daß das Evangelium in der ganzen Welt verkündet wird und die Saat des Reiches Gottes in schönem Wachsen begriffen ist; insbesondere auch, daß die frohe Botschaft die Gemeinde in Kolossä erreicht hat. Seine Fürbitte gilt diesen jungen Geistgezeugten, damit sie das Samenkorn des Wortes hegen und pflegen möchten in ihren Herzen, auch daß sie wachsen möchten in der Erkenntnis des Herrn und in seiner Gnade. Denn Erkenntnis ist notwendig, „um würdig des Herrn zu wandeln zu allem Wohlgefallen und in jedem guten Werke fruchtbringend“. (Vs. 10) Und Frucht ist nötig, damit sie zunehmen können in der Erkenntnis. Denn zwischen Frucht und Erkenntnis besteht ein Wechselverhältnis.
Wer Frucht bringen möchte, bedarf zuvor der Erkenntnis. Wenn er aber seiner Erkenntnis gemäß Frucht bringt, so wird er damit wachsen in der Erkenntnis und wird somit wieder befähigt, mehr Frucht zu bringen. „Jede Rebe, die (gemäß ihrer Erkenntnis) Frucht bringt, die reinigt der Vater, auf daß sie mehr Frucht bringe.“ (Joh. 15:2) Von der Erkenntnis zur Frucht, von der Frucht zu höherer Erkenntnis, von der höheren Erkenntnis zu vermehrter Frucht - das ist die Leiter, auf der wir zur Vollkommenheit hinaufsteigen sollen. Denn: „Ihr nun sollt vollkommen sein, wie euer Himmlischer Vater vollkommen ist.“ (Mt.5:4,8) V o r diesem Ziel gibt es kein berechtigtes „Halt.“
Darum sucht Paulus den Jüngern in Kolossä zunächst ihren Stand vor Gott und ihre Stellung in Seinem Schöpfungsplan klarzumachen. Er sagt ihnen, daß sie nun als Glieder des Christus in einen höheren Raum versetzt sind, in das lichtvolle Reich des „Sohnes Seiner Liebe“, daß sie werdende Schöpfungen auf höherer, ja höchster Stufe seien. Vor allem aber möchte Paulus den Kolossern einen Begriff geben von der Herrlichkeit Jesu Christi, von Seinem Verhältnis zu Gott und der ganzen Schöpfung Gottes. Diese erhabenen Gesichtspunkte sollen uns heute beschäftigen.
Er ist das Bild des unsichtbaren Gottes
In Jesu Christo ist Gottes Herrlichkeit den Menschen erschienen. Jesus ist mehr als ein vollkommener Mensch, mehr als Adam vor dem Fall insofern, als er der Gesandte Gottes, der Vertreter Gottes auf Erden ist. Als Privatperson ist Jesus der vollkommenste aller Menschen, die je gelebt haben. Aber daß er als der Vertreter von Gottes Sache auf die Erde kommt, ausgestattet mit der göttlichen Vollmacht, Wunder zu tun, die Herrlichkeit Gottes zu bezeugen, die L i e b e, die erlösende Barmherzigkeit Gottes und sein Reich auf dieser Erde zu begründen, d a s gibt ihm eine Würde, die weit über seine menschliche Würde hinausgeht. In ihm, in seinem ganzen Tun und Lassen, in seiner Sendung offenbart sich das W e s e n Gottes, des Allmächtigen, selbst. „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.“ - Joh.14:9
Nicht sich selbst wollte Jesus auf der Erde zur Geltung bringen; er ist gekommen, um den V a t e r zu offenbaren. „Der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist, hat Gott kundgemacht „, lesen wir in Joh. 1:18. Und Jesus bezeugt selbst: „Ich habe deinen Namen (d. h. dein Wesen) geoffenbart den Menschen, die du mir aus der Welt gegeben hast.“ - Joh.17:6
Ist uns der Vater kund geworden? Erkennen wir ihn? Haben wir ihn gesehen? Davon hängt sehr viel ab. Denn: „Dies ist das ewige Leben, daß sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen.“ Den Vater kennen heißt eben: Jesum kennen, Jesum gesehen haben. Und Jesum s e h e n können wir nur vermittelst des Glaubens.
Oh, es bedeutete sehr wenig, wenn wir Jesum im Fleische gesehen hätten, wie die Jünger ihn gesehen haben. Wie viele haben Jesum mit physischen Augen sehen dürfen, und sie haben ihn doch n i c h t g e s e h e n! Und andererseits hat ein Paulus den Herrn nie nach dem Fleische gesehen und war doch in keiner Weise benachteiligt gegenüber den anderen Aposteln. Keiner dürfte eine so vollkommene Erkenntnis des Herrn besessen haben wie er.
Sehen wir nicht, daß die Jünger Jesu nach längerem intimem Umgang mit dem Herrn diesen dennoch nicht „gesehen“ hatten? „So lange Zeit bin ich bei euch, und du hast mich nicht erkannt, Philippus? … Glaubet mir, daß ich in dem Vater bin, und der Vater in mir ist; wenn aber nicht, so glaubet mir um der Werke selbst willen…. Die Worte, die ich zu Euch rede, rede ich nicht von mir selbst; der Vater aber, der in mir bleibt, e r tut die Werke.“ - Joh.14:1-10
Der Erstgeborene aller Schöpfung
„Im Anfang war der Logos, und der Logos war bei (dem) Gott, und der Logos war ein Gott. Dieser war im Anfang bei (dem) Gott. Alles ward durch denselben, und ohne ihn ward auch nicht eines, das geworden ist.“ (Joh.1:1-3) Auch Offenbarung 3:14 nennt den Herrn den „Anfang der Schöpfung Gottes“. In ihm sind alle Dinge geschaffen!
Was sagen uns diese Worte? Sie sagen, daß Gottes Schöpferabsicht in erster Linie und unmittelbar auf die Erschaffung des Sohnes ging. Um des Sohnes willen, also um diese Schöpfung Gottes zur Vollendung zu bringen, um seinetwillen ist erst das ganze übrige Universum erschaffen worden. Es trat ins Dasein um des Sohnes willen. Denn der Sohn sollte erhoben werden von Stufe zu Stufe, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, zur vollen Ebenbildlichkeit und Wesensgleichheit des Vaters. Aber auf dieser Höhe wurde der Sohn nicht erschaffen; zu dieser Höhe konnte er nur erhoben werden nach der Erfüllung gewisser Bedingungen, aufgrund seiner B e w ä h r u n g. Alle Gaben Gottes sind bedingt.
Den Boden für die Bewährung des Sohnes nun sollte das Universum und im engeren Sinne die Erde und die Menschenwelt abgeben. D a r u m sind um des Sohnes willen alle anderen Dinge, das gesamte Universum, die sichtbare und die unsichtbare Welt umfassend, geschaffen worden.
Die Bedingung für die Erhöhung des Logos zur Wesensgleichheit Gottes war die, daß gleiche Liebe in dem Sohne sei, wie sie auch in dem Vater ist. Der Sohn sollte bei einer völligen Freiheit des sittlichen Willens sich doch unter allen Umständen in völliger Harmonie mit dem Willen des Vaters erweisen.
Damit ein Wirkungsfeld für die Bewährung solcher Liebe entstünde, ließ Gott den Logos das Universum ins Dasein rufen. Denn mit dieser Schöpferkraft hatte er den Sohn ausgestattet. Und ihm sollte das Werk seiner Hände auch im eigentlichen Sinne zugehören. „Er kam in das Seinige, und die Seinigen nahmen ihn nicht an. Er war in der Welt, und die Welt ward durch ihn, und die Welt kannte ihn nicht. „ - Joh.1:11,10
Wie der Mensch mit schöpferischen Kräften ausgestattet ist, so daß er große Städte baut und auf den Meeren schwimmende Paläste dahinziehen läßt, wie selbst die Tiere mit schöpferischen Fähigkeiten begabt sind, daß der Vogel kunstvoll sein Nest, die Biene ihre Wabe, die Spinne ihr Netz baut, so wurde in einem viel höheren Maße der Logos befähigt, Welten zu bauen.
„Der Logos war ein Gott“, sagt das Wort Gottes. Aber Unabhängigkeit von Gott besaß er damit doch noch nicht. Er besaß noch nicht“ Leben in sich selbst“. (Joh.5:26) Nun war es aber Gottes Wunsch, seinem Sohne sogar auch dieses Höchste zu geben, wie es ja der Wunsch jedes liebenden Vaters ist, seinen Kindern alles zu hinterlassen, was er selbst besitzt.
Nach Gottes Vorsatz sollte der Sohn allerdings die g a n z e Herrlichkeit Gottes erhalten: er sollte „Erbe Gottes“ werden, Erbe über alles. Von dem ganzen Reichtum Gottes sollte ihm, dem Sohne, nichts vorenthalten bleiben. Der Hebräerbrief sagt uns, daß Gott den Sohn „gesetzt hat zum Erben aller Dinge, durch den er auch die Welten gemacht hat; welcher, der Abglanz seiner Herrlichkeit und der Abdruck seines Wesens seiend,… sich gesetzt hat zur Rechten der Majestät in der Höhe“. - Hebr.1:2,3
Doch zuvor mußte der Sohn einer Prüfung unterworfen werden. Den Raum für diese Prüfung sollte das Universum abgeben, das bevölkert werden sollte mit einem überaus großen Reichtum von Geschöpfen aller Art, himmlischen (geistigen) und irdischen, Engeln, Menschen und Tieren. Unter diesen Geschöpfen waren die höheren ausgestattet mit einem freien Willen mit der Fähigkeit, sich in sittlicher Beziehung selbst zu bestimmen. Nicht mechanisch und zwangsmäßig sollten sie sich in Übereinstimmung mit dem Willen ihres Schöpfers bewegen, sondern aus freier, unerzwungener Liebe zu diesem ihrem Vater.
Wo viele intelligente Geschöpfe mit einem freien Willen existieren, muß auch irgendwann die Mög1ich- keit des Widerspruchs vorausgesetzt werden. Gott s a h ihn voraus. Widerspruch, Feindseligkeit - das bedeutet Abfall von Gott, von dem absolut Guten - k a n n nur ins Gegenteil führen: in Sünde, Niederlage (denn Gott kann nicht überwunden werden), Zerstörung, Fäulnis, Tod.
Auf diesem Boden dann würde sich die Aufgabe stellen für den Sohn. Wenn in dem Sohne die Liebe Gottes war, dann wünschte er - so wie Gott selbst - seine Geschöpfe glücklich und g e r e t t e t zu sehen; dann war er bereit dazu, den Frieden der Schöpfung um den Preis seines eigenen Lebens zu erkaufen. Und zeigte sich der Sohn bereit, um der leidenden Schöpfung und um der Liebe des Vaters willen das Kreuz auf sich zu nehmen, sich zum Lösegeld zu geben für d i e vielen, dann war die Zuverlässigkeit seiner Liebe erwiesen, seine gottgleiche Gesinnung bewährt. Auf diese Weise konnte ihm der Vater das Höchste, eine unaussprechliche Freiheit, die völlige Unabhängigkeit vom Vater und damit Rang- und Wesensgleichheit, auch Unsterblichkeit und Unzerstörbarkeit, schenken: die Krone des Lebens, einen Platz auf dem Throne zu Seiner Rechten. Darum hat Gott dem Sohne gegeben, Leben zu haben i n s i c h s e l b s t.
Aus dieser Betrachtung ergeben sich zunächst zwei wichtige Gedanken. Einmal die Tatsache, daß das K r e u z Christi vorgesehenes Mittel war schon bei der Erschaffung des Sohnes, vor Grundlegung der Welt. Die Erhöhung des Sohnes zur Wesensgleichheit mit Gott lag in Seinem Plan, somit auch der Weg zur Bewährung des Logos durch die Erniedrigung bis zum Tode am Kreuz. Es war das Wohlgefallen des Schöpfers, daß die ganze Fülle der Gottheit in dem Sohne wohnen sollte. (vgl. Kol.1:19, 2:9) Darum wird Christus Jesus auch „das geschlachtete Lamm von Grundlegung der Welt an“ genannt. - s. Off.13:8
Weiter tritt aus diesen Tatsachen der Gedanke vor unseren Blick, daß die ganze Schöpfung außerhalb des Sohnes zunächst um des Sohnes willen ins Dasein gerufen wurde. Im M i t t e l p u n k t des Planes Gottes, ja, des Erlösungsratschlusses für die Welt, steht also nicht die Menschheit - der Gegenstand der Erlösung -, sondern der Sohn, d e r E r l ö s e r. Der Mensch ist eher Mittel als Endzweck dieses göttlichen Vorsatzes.
So stellt sich die Sache dar, wenn wir die Dinge von oben betrachten, vom göttlichen Standpunkt aus. Daß auch eine Betrachtung vom menschlichen Standpunkt aus statthaft ist, wonach die Interessen dieses Menschen in den Mittelpunkt gestellt werden, so daß mit Recht gesagt wird: „Um unserer Sünden willen ist der Sohn Gottes dahingegeben worden“ (s. Röm.4:25), soll damit nicht in Abrede gestellt werden.
Aber wir verstehen nun besser das Wort: „In ihm sind alle Dinge erschaffen.“ Indem Gott sich die Erschaffung und Erhöhung des Sohnes zum Erben aller Dinge vorsetzt, schloß diese Schöpfung notwendigerweise alles Weitere in sich ein - schloß auch ein, daß alle weitere Schöpfung d u r c h den Sohn und f ü r den Sohn erschaffen werden sollte. Somit „bestehen alle Dinge zusammen durch ihn“; nichts von dem Geschaffenen würde Grund haben zum Bestehen ohne ihn und außer ihm.
Geoffenbart wurde der Sohn um euretwillen
Petrus redet von Christus als von „einem Lamme ohne Fehl und ohne Flecken; welcher zwar zuvorerkannt ist vor Grundlegung d e r W e l t, aber g e o f f e n b a r t worden (ist) am Ende der Zeiten um euretwillen, die ihr durch ihn glaubet“. -1.Pet.1:19b-21a
Die Feststellung, daß der Sohn von Gott zuvorerkannt war als rein und zuverlässig, scheint die Frage nahezulegen: warum bedurfte es dann noch einer Prüfung und des Kreuzes? Indessen ist diese Frage ungehörig. Das Vorherwissen Gottes verbietet überhaupt den Gedanken, daß Gott irgendwelche Dinge erst aus der Entfaltung seines eigenen Schöpfungsplanes erfahren müsse. Wenn Gott trotz der Vorherkenntnis seines Sohnes diesen dennoch den Weg durch Prüfung und Kreuzestod gehen ließ, so zeigt das, daß es ihm nicht darauf ankommt, etwas zu w i s s e n, sondern seine Gedanken auch zu o f f e n b a r e n, Gestalt annehmen zu lassen.
Der Sohn sollte geoffenbart werden - und in ihm Gott selbst. Und die Offenbarung des Sohnes bedingte eine weitere Schöpfung, f ü r die er geoffenbart werden konnte. Ja, diese Offenbarung erforderte sogar solche Wesen, die dem Sohne e b e n b ü r t i g und wesensgleich wären, um imstande zu sein, das Wesen des Sohnes zu e r k e n n e n. Die Offenbarung des Sohnes bedingte die Ekklesia, seine zukünftige „Braut“.
Es hätte keinen Zweck gehabt, den Sohn durch das Kreuz zu offenbaren, wenn niemand den tiefen Sinngehalt dieses Opfers hätte verstehen können.
Darum eben mußte Gott dem Sohne einige geben, denen er den Namen (das Wesen) des Vaters offenbaren konnte. (s. Joh.17:6) Jetzt verstehen wir das Wort, daß der zuvorerkannte Christus von Gott „geoffenbart worden ist um euretwillen, die ihr an ihn glaubet“. (l.Pet.1:20) Diese „Glaubenden“ hat Gott aus der sündigen, gefallenen Menschheit genommen. Aber er mußte sie zuvor mit einer Kraft ausstatten, die außerhalb des Menschlichen lag, damit sie Ihn erfassen könnten: er mußte sie mit der Kraft des Glaubens, mit Heiligem Geist ausstatten.
So setzte die Offenbarung des Herrn die Schaffung der Kirche Christi als einer“ Neuen Schöpfung“ Gottes voraus.
Und noch eine andere Bedeutung drängt sich uns auf. Beachtet die große Konsequenz im Plane Gottes, den Reichtum harmonischer Beziehungen: Gott wünschte seinem Sohne alle Herrlichkeit zugänglich zu machen, die er selbst besaß. Doch mußte der Sohn sich dieser Herrlichkeit würdig erweisen, indem er eben seine Liebe bewährte und sich bereit fand, um des Friedens der Schöpfung willen sein Leben niederzulegen. Er sollte erweisen, daß er die gleiche Liebe hat - wie auch der Vater.
Wenn der Sohn nun seinen Geschöpfen gegenüber dieselbe väterliche Liebe hatte, mußte er dann nicht auch - wie der Vater - den Wunsch haben, denen, die ihm der Vater gegeben, die gleiche Herrlichkeit zugänglich zu machen, die der Vater auch ihm bestimmt hatte? Ist es nicht eine Eigenschaft der Liebe, daß sie Teilhaber der eigenen Glückseligkeit um sich sehen möchte? Und mußte nicht Gott dieses Bedürfnis des Sohnes kennen und Wohlgefallen daran haben? Mußte er nicht mit Wohlgefallen die Kundgebung des Sohnes aufnehmen: „Vater, i c h will, daß die, welche du mir gegeben hast, auch bei mir seien, wo ich bin, auf daß sie meine Herrlichkeit schauen, die du mir gegeben hast; denn du hast mich geliebt vor Grundlegung der Welt“? - Joh.17:24
Denn gerade diesen Willen wollte der Vater ja an seinem Sohne sehen. Nicht Ehrsucht und Herrschsucht und das engherzige Bedürfnis, allein Inhaber der höchsten Herrlichkeit zu sein, wollte er sehen, sondern d i e Gesinnung, die auch im Vater selbst war, der mit seinem Sohne alle Herrlichkeit gemeinsam teilen wollte.
War es da nicht folgerichtig, wenn der Vater dem Sohne Gefährten zur Seite stellte, die einer so hohen Stellung als Miterben von ihm für würdig erachtet werden? Gefährten, die bereit waren, der Einladung zum Mit-Leiden und Mit-Kreuztragen zu folgen, damit sie dereinst auch an seiner Herrlichkeit teilnehmen dürften?
„Und er ist das Haupt des Leibes“ - Kol.1:18
Nachdem Paulus den Kolossern Jesum Christum als den Mittelpunkt und Endzweck der Schöpfung Gottes gezeigt hat, weist er nun darauf hin, daß dieses erhabene Wesen auch der Anfang der Kirche Christi, der „Neuen Schöpfung in Christo“, ist. Auch diese „Kirche“ ist ganz und gar bedingt durch Ihn, ist um seinetwillen da, ist“ in ihm erschaffen“. Nur in Ihm ist uns die höchste Herrlichkeit zugänglich gemacht worden. Weil zur Offenbarung des Christus die Kirche g e h ö r t, so ist diese Kirche vor Grundlegung der Welt eingeschlossen in den Schöpfungsplan, in den Offenbarungsplan des Christus. Dies bestätigen ja manche Schriftstellen, wie besonders Eph.1:4: „Wie er (Gott) uns auserwählt hat in ihm (Christo) vor Grundlegung der Welt, daß wir heilig und tadellos seien vor ihm in Liebe; und uns zuvorbestimmt hat zur Sohnschaft durch Jesum Christum für sich selbst nach dem Wohlgefallen seines Willens“, vgl. auch Röm.8:29.
Der Bedeutung und Würde dieses Wesens entsprach es, daß aller Zwiespalt und aller Unfriede in der ganzen Schöpfung nur durch Ihn allein beseitigt werden sollten. Sowohl die zur geistig-himmlischen Lebensstufe Herausgerufenen der „Neuen Schöpfung“ als auch die gefallene Menschheit auf irdischer Stufe sollten durch den Sohn zu Gott und zum Frieden zurückgeführt werden.
„Denn der Vater richtet auch niemand, sondern das ganze Gericht hat er dem Sohne gegeben, auf daß alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren.“ (Joh.5:22,23a) So verstehen wir die Worte in unserem Leittext: „Es war das Wohlgefallen der ganzen Fülle, in ihm zu wohnen und durch ihn alle Dinge mit sich zu versöhnen - indem er Frieden gemacht hat durch das Blut seines Kreuzes - durch ihn, es seien die Dinge auf der Erde oder die Dinge in den Himmeln.
Der Nachdruck liegt hier durchaus auf dem“ durch ihn „ (und nicht etwa auf dem „alle Dinge“ oder „alles“); der Apostel betont den Gedanken, daß alle wichtigen Kompetenzen auf der Person Jesu Christi vereinigt sind. Wie ER die Welt erkauft und mit Gott versöhnt hat durch das Blut seines Kreuzes, so hat er auch die für den Himmel Bestimmten zu Gott gebracht. „Niemand kommt zum Vater, als nur durch mich.“ (Job.14:6b) Darum ist ER der Heiland der Welt, wie auch der Heiland der Herauswahl.
Oder sollte hier von einer Versöhnung der „gefallenen Engel“ mit Gott geredet sein? Wir bestreiten nicht, daß Christus in einem gewissen Sinne auch der Heiland der gefallenen Engelwelt ist, daß er auch für diese den W e g zu Gott zurück bedeuten kann. Nur gründet sich ihre Errettung nicht direkt auf das Blut Jesu, sondern mehr auf die erhabene P r e d i g t seines Kreuzes, seiner Selbsterniedrigung bis zum Kreuzestod. Von der Wirkung dieser Predigt redet Petrus: „Es hat ja Christus einmal für Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, auf daß er uns zu Gott führe, getötet nach dem Fleische, aber lebendig gemacht nach dem Geiste, in welchem er auch hinging und p r e d i g t e den Geistern, die im Gefängnis sind.“ - 1.Pet.3:18
Welchen Geistern? Wir denken sicherlich mit Recht an jene Geistwesen oder gefallenen Engel, die vor der Sintflut mit Menschenweibern Söhne gezeugt haben, wie zu lesen ist: „Engel, die ihren ersten Zustand nicht bewahrt, sondern ihre eigene Behausung verlassen haben, hat er zum Gericht des großen Tages mit ewigen Ketten unter der Finsternis verwahrt.“ - Judas 6; s.a. 2.Pet.2:4
Diese Engel sollen noch ins Gericht kommen. Das wird doch heißen, daß sie noch einer Probe auf Leben unterworfen werden sollen. Diesen Geistern hat Jesus „gepredigt“. Was hat er ihnen gepredigt? Wir brauchen keineswegs an ein buchstäbliches Herabsteigen des Herrn in den Tartaros zu denken. Das ganze Verhalten des Herrn, seine Demütigung, sein Gehorsam bis in den Tod, sein restloses Vertrauen in den Vater, das der Ausdruck seiner Liebe war, sodann das Verhalten Gottes, der den treuen Sohn aus dem Tode auferweckte und hoch erhöhte - das alles war eine eindrucksvolle Predigt für alle abgefallenen und ungehorsamen Geister.
Es offenbarte ihnen, daß Gott sich nichts rauben läßt, daß er aber wohl bereit ist, Treue und Gehorsam zu belohnen und selbst das Höchste, Gottgleichheit, seinen Geschöpfen zu g e b e n; wogegen der, welcher „durch Raub Gott gleich zu sein trachtet“, sein Spiel verliert. Es zeigt ihnen auch, bis zu welchem Grad der Selbstverleugnung Gottes Liebe und die dienende Liebe des Sohnes gehen können.
Das war gerade d i e Belehrung, die diesen gefallenen Wesen, die sich höhere Ehre hatten nehmen wollen oder aus den Bahnen des Gehorsams abgewichen waren, Not tat.
Übrigens predigt nicht nur der Herr, sondern auch die Kirche Christi diesen Wesen. Paulus sagt: „Denn wir sind der Welt ein Schauspiel geworden, sowohl Engeln als Menschen.“ (l.Kor.4:9, vgl. auch Ephes.3:10) Und diese Predigt wird abgeschlossen sein, wenn die treuen Überwinder den Lohn ihres Gehorsams erhalten haben - wenn die gefallenen Engel davon Zeugen sein werden, daß Gott sogar sündigen M e n s c h e n den Weg zur göttlichen Natur geöffnet hat.
P r e d i g t setzt wohl voraus, daß diese Wesen noch Gelegenheit haben, zu lernen und umzukehren von ihrem verkehrten Weg. Der Verleumder Gottes, der Teufel, der ihnen den Vater als einen Machthaber dargestellt hatte, der niemandem Anteil an seiner göttlichen Herrlichkeit zugesteht, er wird nun durch die Erhöhung Jesu Christi und seiner Herauswahl der Lüge und Verleumdung überführt.
In Christo ist die Liebe des Vaters auch diesen Geschöpfen aufs neue offenbar geworden. So dürfte diese machtvolle „Predigt“ manche auch von den verführten Geistern zu Gott zurückbringen. Aber diese Errettung beruht nur indirekt auf dem Blute des Kreuzes Christi, weil das Beispiel der Treue bis in den Tod dieser Predigt die Kraft gibt. Die gefallenen Engel bedürfen keines Lösegeldes. Sie sind auch nicht zum Tode verurteilt und sterben auch nicht. Sie brauchen also nicht durch ein Loskaufgeld aus dem Gefängnis des Todes zurückgekauft zu werden, wie das Geschlecht Adams. Die Tür zur Rückkehr ist ihnen noch offen. N o c h kann die eindrucksvolle Predigt des Christus sie vor dem verblendenden Einfluß des Verführers befreien und von der Liebe des Vaters überzeugen.
Bei der Zurechtbringung dieser Geschöpfe wird mit Christo auch der verherrlichten Kirche eine Aufgabe zufallen. Paulus weist darauf hin, daß „wir Engel richten werden“. (l.Kor.6:3) Wir sagen: manche werden wohl die Belehrung annehmen, aber wohl nicht alle. Vor allem wird ihr Haupt, Satan, nicht zu Gott umkehren. Nicht, daß ihm objektiverweise die Möglichkeit einer Umkehr genommen wäre. Warum sollte der Allmächtige sich nicht freuen, wenn auch dieser den Weg der Demütigung und Unterwerfung einschlagen wollte? Aber es ist Gott vorausbewußt, daß Satan nicht umkehren wird.
In gleicher Weise war dem Himmlischen Vater die Bewährung des Logos im voraus bekannt. Ist doch Jesus schon im Alten Testament, lange vor seinem Leiden und Sterben, als der „bewährte Stein und kostbare Eckstein“ bezeichnet (Jes.28:16); und von seiner Erhöhung und Einsetzung als König der Welt - ist nicht z. B. in Psalm 2 und Psalm 110 darüber schon geschrieben?
So ist Gott auch die Nicht-Bewährung Satans vorausbekannt und sein ewiges Geschick endgültig fixiert: „Ich habe aus deinem Innern ein Feuer ausgehen lassen, welches dich verzehrt hat, und ich habe dich zu Asche gemacht auf der Erde vor den Augen aller derer, die dich sehen. Alle, die dich kennen unter den Völkern, entsetzen sich über dich, ein Schrecken bist du geworden und bist dahin auf ewig.“ (Hes.28:18,19) Dieses Geschick werden auch manche von den abgefallenen Engeln erleiden.
Gott alles in allem
Nach der Versöhnung aller Geschöpfe mit Gott und ihrer Wiederherstellung zur gottgewollten Vollkommenheit - all derer, die von der angebotenen Gabe des Lebens Gebrauch gemacht haben - wird der Sohn das ihm aufgetragene Werk der Friedenmachung in der Schöpfung ausgeführt und das ganze Gericht vollstreckt haben. Dann wird auch das Universum von aller Sünde und gottfeindlichem Wesen durch die Vernichtung der Widerspenstigen im zweiten Tod gereinigt sein. Alle Kreatur wird jetzt den Sohn ehren, wie sie den Vater ehrt.
Aber nach durchgeführter Aufgabe wird sich noch einmal die Liebe des Sohnes herrlich offenbaren, indem dieser freiwillig und ohne Nötigung alle ihm übertragene große Macht in die Hand des Vaters zurückgibt.
Der Vater wurde durch die Liebe gedrängt, dem Sohne Anteil zu geben an seiner ganzen Fülle; der Sohn aber, nachdem er diese Herrlichkeit erlangt hat und in die M ö g l i c h k e i t versetzt ist, als konkurrierende Macht n e b e n Gott zu thronen, wird durch die nie erlöschende Liebe und Ehrfurcht vor dem Vater dazu gedrängt, sich dennoch und aus freien Stücken dem Vater ehrfürchtig u n t e r z u o r d n e n. So sagt das Wort Gottes: „Wenn ihm (dem Sohne) aber alles unterworfen sein wird, dann wird auch der Sohn selbst dem unterworfen sein, der ihm alles unterworfen hat, auf daß Gott alles in allem sei.“ - 1.Kor.15:28
Wenn sich die Liebe des Vaters vorgesetzt hat, die ganze Schöpfung in dem Sohn und durch den Sohn und für den Sohn zu erschaffen und ihm „in allem den Vorrang zu geben“, Ihn zum Mittelpunkt und Endzweck Seines Schöpfungsplanes zu machen, so sagt sich die Liebe und Demut des Sohnes, daß aber doch letzten Endes der Vater selbst im M i t t e l p u n k t der ganzen Schöpfung stehen muß, und daß diese letzten Endes, wie auch er selbst, um des Vaters willen ins Leben gerufen wurde. Das bestätigt auch der Apostel, indem er von Gott, dem Vater, sagt: „Denn v o n ihm und d u r c h ihn und f ü r ihn sind alle Dinge. Ihm sei die Herrlichkeit in Ewigkeit! Amen.“ - Röm.11:36
So strahlt endlich die wunderbare Liebe, die der Vater dem Sohne und der ganzen Schöpfung gegenüber betätigt, von diesem Sohne und durch den Sohn wieder auf den Vater zurück.
O Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes!