„Wer wird steigen auf den Berg Jahwe’s?“

Als David in Psalm 24 von dem  e i n e n  Königreich Gottes sprach, aber doch seine  b e i d e n  Teile (die geistige und die irdische Phase) kennzeichnete, da sagte er dort in Vers 3: „Wer wird steigen auf den Berg Jahwes, und wer wird stehen an seiner heiligen Stätte?“ Uns allen wird dieses Verlangen, an heiliger Stätte zu stehen, im tiefsten Herzen ausgeprägt sein. Doch  n o c h  sind wir nicht von unserem Himmlischen Vater für die ewige Stätte der Heiligkeit mit unserem Namen gerufen worden. Noch gilt es, in Treue den einmal beschrittenen Weg zu vollenden - gleichviel, ob uns erst vor kurzem oder schon vor vielen Jahren die Heilsbotschaft so begeistert hat. Wir alle werden nach Hebr.2:1 ermahnt-, „umso mehr auf das zu achten, was wir gehört haben, damit wir nicht etwa abgleiten“.

Wie wunderbar ist doch die Erkenntnis Gottes und Seines Sohnes Jesu Christi! Hat schon der Psalmist angesichts seines Erlebens mit dem allmächtigen Gott so tief empfunden, wieviel mehr werden Seine Worte an uns wahr, die wir - über die Jahrtausende hinweg - einen noch tieferen Einblick in all die Herrlichkeiten gewonnen haben! „Eines habe ich von Jahwe erbeten, nach diesem will ich trachten: zu wohnen im Hause Jahwe’s alle Tage meines Lebens, um anzuschauen die Lieblichkeit Jahwe’s - und nach IHM zu forschen in Seinem Tempel.“ - Ps.27:4

Ist es nicht ein edles Begehren, das ständige Verlangen in uns zu tragen, Lieblichkeiten unseres Gottes zu sehen und nach Ihm zu forschen? Mit anderen Worten: immer tiefer einzudringen in Sein gnadenvolles Vorhaben, immer mehr überwältigt zu werden von Seiner Liebe, Seiner Weisheit, Seiner Macht und Seiner Gerechtigkeit? Bei diesem Nachsinnen wird die Grundfeste Seiner Gerechtigkeit als tragendes Element der Charakter-Herrlichkeit unseres großen Gottes zu einer über alles hinausragenden Denksäule.

Indem wir nun Anwärter einer Herrlichkeit höchsten Ausmaßes sein dürfen, sollten wir da nicht allen Fleiß anwenden, um unsere Berufung und Erwählung festzumachen? Die Ermahnungen hierfür sind in reichlicher Fülle in Seinem Wort vorhanden. Und doch gibt es gewisse Gelegenheiten, wo dieses oder jenes Wort der Heiligen Schrift von besonderer Bedeutung für uns ist.

Darüber sind wir uns wohl alle einig, daß wir in den letzten Tagen des gesegneten Evangeliumszeitalters leben. Diese „letzten Tage“ sind aber nach dem Zeugnis der Schrift in Off.3:10 mit besonderer Versuchung verbunden. Um in dieser „Stunde der Versuchung“ im Herrn verbleiben zu können, ist ein reichliches Maß Seines Geistes erforderlich.

Paulus, der um das Wohl aller Versammlungen innerlich voll großer Besorgnis war, schreibt in 1.Thess.1:3,4: „ …unablässig eingedenk eures Werkes des Glaubens und der Bemühung der Liebe und des Ausharrens der Hoffnung auf unseren Herrn Jesus Christus, vor unserem Gott und Vater,  w i s s e n d,  von Gott geliebte Brüder, eure Auserwählung.“ Weil der Apostel an den Thessalonichern so viele Werke des Glaubens und der aus ganzem Herzen kommenden Liebe wahrnimmt, sieht er auch in ihrem Ausharren die so beglückende Gewißheit ihrer Auserwählung. Denn das, was jene  a u s  G l a u b e n  taten, gibt eine reichliche Hoffnung, in das Reich Gottes einzugehen, und gewähren auch uns diese Sicherung, trotz vieler Gefahren, unseren einmal beschrittenen Weg zu vollenden.

Was mit den „Werken des Glaubens“ gemeint ist, ist uns schon oft - und immer wieder nahegelegt worden. Es gibt so viele Beispiele heroischen Glaubens in der Urkirche oder in späteren Jahrhunderten - oder auch in der Endzeit. Aber auch  v o r  unserer christlichen Zeitrechnung hat es Glaubenshelden gegeben, wobei insbesondere auf Abraham, den „Vater der Gläubigen“, hingewiesen wird. Außerdem zählt die Heilige Schrift in Hebräer Kap. 11 noch viele andere auf, die ihren Glauben bewiesen haben - und als leuchtendes Vorbild für die späteren Geschlechter gelten. Solchen Glauben hat Paulus bei den Thessalonichern gesehen, und das gab ihm die Gewißheit ihrer Auserwählung. Sollte unser Glaube geringer sein? Darüber dürfen wir uns wohl klar sein, daß das Wort seine Gültigkeit behält: „Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott wohlzugefallen.“ - Hebr.11:6

Nun gibt es allerdings einen „Glauben“, der recht wenige Grundlagen hat - geschweige denn Grundlagen, die einen festen Stand verbergen. Der  w a h r e  Glaube besteht aus zwei Teilen: aus dem „Verstandesglauben“ und aus dem „Herzensglauben.“ Das sind die beiden „Füße“, die das „Kind“ vorwärtsschreiten lassen, hinweg über die Klippen harter Prüfungen, Durch diese tragenden Füße wird die Welt überwunden. „Das ist der Sieg, der die Welt überwunden hat: unser Glaube. (1.Joh.5:4) Es ist der Glaube, der sich einmal stützt auf die verstandesmäßige Logik für die Existenz eines erhabenen Schöpfers, und zum anderen auf ein unbegrenztes Vertrauen zu diesem allmächtigen Gott - und Seinem gegebenen Wort. Das sind die beiden Teile des Glaubens, die sich mit dem Unterbau und dem Oberbau eines Gebäudes vergleichen lassen.

Der  G l a u b e n s g r u n d  bildet das Fundament von der klaren, unumstößlichen Erkenntnis über das Dasein Gottes, das - wie Paulus in Röm.1:20 sagt - „in dem Gemachten wahrgenommen wird.“ Das menschlich unfaßbare Universum mit seinen Milliarden Welten, seiner lautlosen Ordnung, ist nur der unendlichen Weisheit eines solchen Schöpfers zuzuschreiben. „Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes, und die Ausdehnung verkündet Seiner Hände Werk. Keine Rede und keine Worte, doch gehört wird ihre Stimme.“ - Ps.19:1,3.

Dann: Die Erde in ihrer wunderbaren Gestaltung, ihren Bedingungen für organisches Leben, mit ihrem fruchtbaren Wachstum und ihrer Pracht der Blüte! Die Mannigfaltigkeit der Tierwelt gibt ebenfalls Zeugnis für den verstandesmäßigen Glauben an einen lebendigen, allmächtigen Gott. Doch der Mensch mit seinem genialen Organismus, mit der überragenden Konstruktion der Gliedmaßen, von denen jedes einzelne ein Wunder unnachahmbarer Technik ist, setzt die Krone auf für den Beweis von dem Dasein eines erhabenen, menschlich unvorstellbaren Schöpfers. Wenn nicht ein Gott wäre, wie könnten blinde, nicht gesetzmäßig regierte Kräfte - ohne Verstand, aus sich heraus - sich zur Intelligenz mit wunderbarem, schöpferischen Geist „entwickeln“? Das ist unmöglich. Und wie könnte die vorsatzlose Natur, ohne im Kreislauf durchdachter, schöpferischer Gesetze zu stehen, vernunftbegabte Wesen - wie den Menschen - schaffen? Wesen, mit hochgradiger Intelligenz und einem moralischen Bewußtsein als sichtbare Zeichen vor unseren Augen stehn? Die zwingende Logik für das Dasein eines hoch über uns stehenden geistigen Wesens ist damit unabweisbar!

Das ist der  U n t e r b a u  des Glaubens, der  V e r s t a n d e s g l a u b e  an einen persönlichen Gott. Jedoch mit diesem Verstandesglauben allein kannst weder du noch ich vor dem Erhabenen bestehen; denn „auch Dämonen glauben  u n d  zittern.“ (Jak.2:19) Um zu dem Ewigen - dem lebendigen Gott kommen zu können, ist neben dem Unterbau auch der  O b e r b a u  des Glaubens erforderlich. Wie sagt uns doch Sein Wort in Hebr.11:6: „Wer Gott naht, muß glauben, daß Er ist, und denen, die Ihn suchen, ein Belohner ist.“ Der Verstandesglaube ist die Voraussetzung für den Herzensglauben. Letzterer kommt aus dem Gemüt und ist das „Zuhause“ aller Gotteskinder. In diesem Glaubenshaus wohnt ein restloses Vertrauen zu unserem Himmlischen Vater und Seinem Wort.

Hierin gab Jesus ein vollkommenes Vorbild. Er anerkannte jederzeit Gottes beständige Liebe, Seine Fürsorge, Seine Weisheit in allen Seinen Angelegenheiten. Das kommt besonders in jenen Worten zum Ausdruck: „Den Kelch, den mir der Vater gegeben hat - soll ich den nicht trinken?“ (Joh. 18:11) Gleicherweise auch in dem Gespräch mit Pilatus: „Du hättest keinerlei Gewalt wider mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre.“ - Joh.19:11.

Da wir dazu gesetzt sind, Jesu Fußspuren zu folgen, muß auch unseren Glauben grenzenloses Vertrauen zu Gott umhüllen. Wir sollen wissen, daß alle Verheißungen für Gottes Volk „Ja“ und „Amen“ sind. (2.Kor.1:20) Es sind Verheißungen, die versichern, daß wir Teilhaber göttlicher Natur werden dürfen, sofern wir treu bleiben. (2.Pet.1:4)

Aber auch Verheißungen Seiner Liebe und Fürsorge sollen uns sicher sein. Dieser Glaube in kindlichem Vertrauen ist das Glaubenshaus, in dem Vater und Sohn mit uns Wohnung machen können. - s.Joh.14:23

So sehen wir, daß sowohl Verstandesglaube als auch Herzensglaube  „d e r  Glaube ist, der uns fähig gemacht hat zu einem Anteil am Erbe der Heiligen im Lichte.“ (Kol.1:12) Weder dieser noch jener Bestandteil des Glaubens ohne den anderen kann uns den Sieg bringen. Erst beide „Zweige“ des Glaubens zusammen lassen das Wort in 1.Joh.5:4 wahr werden. „Dies ist der Sieg, der die Welt überwunden hat: unser Glaube.“ Dieser Glaube ermöglicht die geistige Kraft eines ungeteilten Herzens im Streben nach dem Ziel, und führt weiter zu dem tiefen Reichtum der Weisheit und der Erkenntnis Gottes. „0 Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes!“ - Röm.11:33

Einen solchen Glauben hatte Paulus bei den Thessalonichern gesehen, und das war es, was ihn so glücklich machte. Aber er sah neben den Werken des Glaubens auch noch etwas anderes. Es waren die „Bemühungen der Liebe“, die bei jenen Gotteskindern so besonders ausgeprägt waren. Die Schrift spricht von der Liebe als „Endziel des Gesetzes.“ In 1.Tim.1:5 heißt es: „Das Endziel des Gebotes aber ist: Liebe aus reinem Herzen.“ Das bedeutet mit anderen Worten, daß das Gesetz Gottes in der Liebe gipfelt. Das Gebot (oder Gesetz) Gottes führt hin zu  d e r  Liebe, die sich im Grund- und Eckstein des gesamten Erlösungsratschlusses Gottes - Jesus Christus - offenbart, und das Fundament ewig dauernden Lebens ist.

Den gefallenen Menschen ist durch das Gesetz Mose’s ein Wegweiser nach dem Endziel „LIEBE“ gezeigt worden. Die zehn Gebote umschreiben mit knappen Worten das göttliche Gesetz der Liebe. Später drückte Jesus in wenigen Worten dieses alles überragende Gesetz folgendermaßen aus: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstande, und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ - Mt.22:37-39.

Aber noch ein weiteres Wort finden wir in der Heiligen Schrift, das das Gesetz Gottes - und damit die Quintessenz aller gegebenen Gebote - in einem einzigen Satz kundtut: „Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott - und Gott in ihm.“ (1.Joh.4:16) Ein solcher lebt in Gott, lebt im Zelt des universalen Gesetzes,  l e b t  i n  d e r  L i e b e.  Das ist das Endziel des Gesetzes Gottes: „Liebe aus reinem Herzen.“ So muß sich im Himmlischen Vater, dem Zentralwesen gestaltender Liebe, alles zusammenfinden.

Es sollte uns eindeutig klar sein: wenn es wahr ist, (und die Schrift bezeugt es in Jak.1:18), daß wir eine „gewisse Erstlingsfrucht Seiner Geschöpfe sind“, wir uns im Strahlengang der vom Allerhöchsten ausgehenden Liebe befinden müssen. Sollte das nicht der Fall sein, dann sind wir dem Himmlischen Vater entfremdet, denn aus 1.Joh.4:8 erfahren wir: „Wer Gott nicht liebt, hat Gott nicht erkannt.“ Sind wir also ohne die von Gott (als Gesetz) geforderte Liebe, dann wird alles Laufen nach dem Kleinod vergeblich sein. Die Gotteskindschaft ist dann in Frage gestellt; denn mit der Geistzeugung hatten wir ja schon den Geist der Liebe erhalten. Denn in Röm.5:5 schreibt Paulus: „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben worden ist.“ Und das geschah bei unserer Geistzeugung. Während sich also unsere Liebe als erstes auf unseren Schöpfer und Seinen geliebten Sohn erstreckt, der in Seiner Liebe uns Erlösung und Sohnschaft geschenkt hat, so muß sich  i m  weiteren unsere wiederstrahlende Liebe auch auf unseren Nächsten beziehen.

Die Frage: „Wer ist denn mein Nächster“?, wurde in Luk.10:29 von einem Gesetzesgelehrten an unseren Herrn gestellt. Und wie antwortete er? Er nahm das Gleichnis vom barmherzigen Samariter zu Hilfe. Dieses Gleichnis lehrte, daß  a l l e  Menschen unsere Nächsten sind. Unsere Liebe tritt dann in Aktion, wenn sie unsere Hilfe, unseren Beistand brauchen, und wir ihnen Gutes tun können. Wir (als die „Erstlingsfrucht“ Seiner Geschöpfe) sind ja Vertreter des göttlichen Gesetzes der Liebe -und dieses inmitten einer gottentfremdeten Welt! Wir sind ja doch dazu beauftragt, als Lichtglanz der alles überstrahlenden universalen Liebe das göttliche Gesetz zu reflektieren - und uns im Endziel des Gesetzes Gottes, „Liebe aus reinem Herzen“, zu betätigen. Dadurch wird unser „Nächster“ gesegnet, daß wir etwas Hilfreiches für ihn tun können. Die Richtschnur, wann wir zu handeln haben, wird vom Herrn durch die Aufstellung Seiner „goldenen Regel“ in Mt.7:12 gezeigt: „Alles nun, was immer ihr wollt, daß  e u c h  die Menschen tun sollen, das tut auch ihr  i h n e n,  denn dies ist das Gesetz und die Propheten.“

Aber denken wir nicht, daß unsere Nächstenliebe nur denen gilt, die uns Freundlichkeit, Güte und Hilfsbereitschaft erweisen. Nein - unsere Liebe in Erfüllung des göttlichen Gesetzes gilt auch denen, die uns feindlich gegenüberstehen. Es kann sein, daß uns das schwer fällt; aber überlegen wir doch, daß es ein weises Gesetz unseres unfehlbaren Himmlischen Vaters ist! Nur dadurch ist die Grundlage für ewiges Glück und immerwährende Wohlfahrt gewährleistet. Wir, als „Erstlinge“ göttlicher Geschöpfe, sind in dieser unglücklichen Welt Anwälte des göttlichen Gesetzes der Liebe; und als solche drängt es uns dazu, dieses Gesetz auszuleben, weil es ein göttliches Gesetz ist.

Jedoch neben den Menschen als unseren „Nächsten“ (im allgemeinen Sinne) haben wir noch eine ganz besondere Beziehung zu den „Nachfolgern des Herrn“, zu unseren Brüdern und Schwestern in Christo. Sie sind unsere „Nächsten“ im höchsten Sinne des Wortes. Für diese hat der Herr noch zusätzlich ein „neues Gebot“ gegeben. In Joh.13:34 ist es aufgezeichnet: „Ein  n e u e s  Gebot gebe ich euch, daß ihr einander liebet, auf daß, gleichwie ich euch geliebt habe, auch ihr einander liebet.“ Und Johannes macht die Bedeutung dieser Worte unseres Herrn in 1.Joh.3:16 unmißverständlich: „Hieran haben wir die Liebe erkannt, daß Er für uns sein Leben niedergelegt hat; auch wir sind schuldig, für die Brüder das Leben darzulegen!“ Wenn wir uns auf dem Wege im Lichtglanz von dem Gesetzes-Endziel: „Liebe aus reinem Herzen“ befinden, dann begleitet uns auf diesem Pfade ein noch größeres Anliegen des Herrn: „Einer trage des anderen Lasten, und also erfüllet das Gesetz des Christus.“ - Gal.6:2.

Hier sind wir an einem Punkt angelangt, dessen Hinausführung eigentlich leicht erscheint, aber doch mit zu den schwersten und entscheidensten Prüfungen unter dem Volk des Herrn zählt. Die „Liebe für die Brüder“ kann sich in gegebenen Fällen wohl in materieller Hinsicht betätigen; der Schwerpunkt jedoch liegt im Geistigen. So lesen wir in Kol.3:13: „Einander ertragend und euch gegenseitig vergebend, wenn einer Klage hat wider den anderen; wie auch der Christus euch vergeben hat, also auch ihr.“

Die uns hier noch anhaftende Sünde und Selbstsucht erschwert das Beieinander und Füreinander unseres gemeinsamen Laufes. Der Mensch (von seinem gefallenen Zustand aus) neigt dazu, die Gebrechen des Bruders als untragbar zu empfinden. So stellt sich dementsprechend ein Gefühl der Bitterkeit ein und gewinnt an Raum. Vom weltlichen Standpunkt aus gesehen, begegnet uns solch eine Situation als eine alltägliche Sache. Aber wir gehören nicht mehr der Welt an; bei uns ist doch (lt. 2.Kor.5:17) „alles neu geworden.“ Das königliche Gebot der Liebe verpflichtet uns, viel lieber bei den Geschwistern eine Menge von Sünden zu bedecken, als auch nur eine einzige zu vergrößern. Das ist die Forderung des göttlichen Wortes; denn in 1.Pet.4:8 heißt es: „Vor allen Dingen habt eine inbrünstige Liebe, denn die Liebe bedeckt eine Menge von Sünden.“

Haben wir nicht  a l l e  selbst ein reichliches Maß von Schwachheiten und Fehlern, wodurch unsere Geschwister verletzt werden - oder sich ärgern könnten? Wäre es nicht möglich, daß  u n s e r e  Mängel bei den Mitverbundenen  a u c h  Mißbehagen auslösen? Wenn wir zu Trägern der Liebe des Christus geworden sind, dann laßt uns aber nie in den Fehler verfallen, von unserem Mitbruder oder unserer Mitschwester für uns selbst Liebe zu erhoffen. Wir haben kein Recht dazu, die Forderung nach Liebe an einen unserer Mitverbundenen für uns persönlich zu stellen. Eine solche Erwartung würde Selbstsucht bedeuten. Wohl können wir zur Liebe  h e r a u s  f o r d e r n.  Das kostet aber viel! Die Prüfung für uns in diesem „neuen Gebot“ des Herrn ist ein Teil der „Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen soll.“ Auch Gottes Volk wird in der Endphase des Evangeliumszeitalters davon berührt.

Als Beweis der Auserwählung und als Frucht für die Vollendung ist nun neben Glauben und Liebe noch ein Drittes erforderlich. Auch hiermit waren die Thessalonicher gesegnet. Paulus war eingedenk ihres Werkes des Glaubens, ihrer Bemühungen der Liebe - und auch bezüglich ihres Ausharrens in der Hoffnung auf den Herrn Jesum Christum. Erst das Ausharren schenkt dem christlichen Lauf die Bewährung als Gottes Auserwählte; und dies wiederum bedeutet die Vollendung ihrer Zubereitung für das ewige Erbteil. Im gleichen Sinne spricht Jakobus in Kapitel 1:4: „Das Ausharren habe ein vollkommenes Werk, auf daß ihr vollkommen und vollendet seid und in nichts Mangel habt.“ Was würde es den Nachfolgern des Herrn helfen, wenn sie alles an Glauben und Liebe aufgewendet hätten, aber im Ausharren zurückblieben? Der Herr hat die Sachlage in Lk.21:19 gekennzeichnet: „Gewinnet eure Seelen durch euer Ausharren!“ Dieses Wort schließt in sich, daß wir möglicherweise in der Gefahr stehen, durch Mangel an Ausharren alles zu verlieren.

Und nun laßt uns auch noch beachten, daß der Herr diese Worte in Verbindung mit der drangsalsschweren Endzeit aussprach! Da wir in dieser zunehmend schwierigen Zeit leben, gilt uns nun insbesondere die Mahnung, unsere Seelen durch unser Ausharren zu gewinnen. Die Gefahr, im Ausharren zu versagen, ist deshalb in dieser Endzeit besonders groß, weil die vorhergesagte „Stunde der Versuchung“ herbeigekommen ist. Ja - worin werden wir denn versucht? Welche Versuchungen stellen denn so besonders hohe Anforderungen an unser Ausharren?

Die Zeit-Erscheinungen des Endes lassen die Frucht des Bösen mehr und mehr in den Vordergrund treten. Bei der Mehrheit unserer Mitmenschen ist heute nicht mehr die ergebene und ehrfurchtsvolle Einstellung dem allmächtigen Schöpfer gegenüber vorhanden. Sie gehen ihre eigenen Wege. Der Geist des Stolzes und der eigenen „Größe“ setzt sie über alles hinweg. Die Erkenntnisse der Naturwissenschaft über die Größe des Weltalls und von der Kleinheit der Atome mit ihrem komplizierten Aufbau haben die Menschen zum hochtrabenden Besitzer eigener Weisheit gemacht. Die menschlichen „Götter“ der Wissenschaft haben sich an die Stelle des Allerhöchsten gesetzt, und die Masse wird von einer überschwemmenden Selbstgerechtigkeit und Anmaßung erfaßt.

Hierbei werden die im Herzen übernommenen Gesetze von Sitte und Moral verdrängt. Die „Stunde der Versuchung“, die den ganzen Erdkreis zunehmend einnimmt, wird vom Apostel in 2.Tim.3:1-5 folgendermaßen gekennzeichnet: „Dieses aber wisse, daß in den letzten Tagen schwere Zeiten da sein werden; denn die Menschen werden eigenliebig sein, geldliebend, prahlerisch, hochmütig, Lästerer, den Eltern ungehorsam, undankbar, heillos, ohne natürliche Liebe, unversöhnlich, Verleumder, unenthaltsam, grausam, das Gute nicht liebend, Verräter, verwegen, aufgeblasen, mehr das Vergnügen liebend als Gott, die eine  F o r m  der Gottseligkeit haben, deren Kraft aber verleugnen.“ Und auf christlichem Gebiet stehen die höheren Textkritiker, die die Inspiration des heiligen Wortes Gottes leugnen.

In all’ diesem - sowohl weltlich als auch geistig - steht das Volk des Herrn wie auf einer Insel, umbrandet von den Stürmen einer untergehenden Welt, ständig ihren bösen Einflüssen unterworfen. Und: Gefahr zu laufen, von dem Irrtum der Ruchlosen mit fortgerissen zu werden und aus der eigenen Festigkeit zu fallen. (s.2.Pet.3:17)  D a s  ist die Stunde der Versuchung, wovon Gottes Volk in der Endzeit nicht verschont wird. Als Gegengewicht hat es aber dafür die große Gunst der Parousia, der Gegenwart unseres Herrn, für die nach Mt.24:45,46 ein „kluger und treuer Knecht“ erwählt wurde, dem der Herr die kraftvolle „Speise zur rechten Zeit“, zum geduldigen Ausharren Seiner Jünger in dieser Endzeit bereitet hat.

Geliebte, so haben wir denn das Ausharren als abschließende Erprobung noch vor uns. Ach - möchten wir doch als Zeugnis unserer Erwählung auch im Ausharren nicht müde werden bis zum Ende, wo auch wir vom Himmlischen Vater gerufen werden. Für den jetzt noch kurzen Pilgerlauf laßt uns die Worte des Apostels in Hebr.10:35,36 tief in unser Herz schreiben:

„Werfet eure Zuversicht nicht weg, die eine große Belohnung hat. Denn ihr bedürfet des Ausharrens, auf daß ihr, nachdem ihr den Willen Gottes getan habt, die Verheißung davontraget.“



Tagesanbruch Bibelstudien- Vereinigung