Der „Umweg“

„Und als er in das Schiff gestiegen war, folgten ihm seine Jünger. Und siehe, es erhob sich ein großes Ungestüm auf dem See, so daß das Schiff von den Wellen bedeckt wurde; er aber schlief. Und die Jünger traten hinzu, weckten ihn auf und sprachen: Herr, rette uns, wir kommen um! Und er spricht zu ihnen: Was seid ihr furchtsam, Kleingläubige? Dann stand er auf und bedrohte die Winde und den See; und es ward eine große Stille. Die Menschen aber verwundeten sich und sprachen: Was für einer ist dieser, daß auch die Winde und der See ihm gehorchen?“ - Mt.8:23-27

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In den (dieser Erzählung vorausgehenden) Berichten des Evangeliums wird uns gezeigt, daß der Herr Macht hatte über alle Krankheiten und Gebrechen. Hier erfahren wir noch etwas weit Erstaunlicheres, daß auch die Gewalten der Natur ihm gehorchen müssen. Kein Wunder, daß die Jünger, die schon so viel gesehen hatten, sich mit Befremdung fragen: „Was für einer ist dieser, daß auch die Winde und der See ihm gehorchen?“

Dabei ist das noch nicht einmal das Unfaßbarste, was wir in diesem Bericht finden. Das sehen wir vielmehr darin, daß Jesus in diesem Aufruhr der Naturgewalten ganz ruhig schlafen kann. Ist dieses Gefühl einer absoluten Geborgenheit in der Hand seines Vaters leichter zu glauben als seine Überlegenheit gegenüber den ungebändigten Kräften der Natur? Nach dem Verlauf der Ereignisse sehen wir, daß sich das Staunen der Jünger nicht auf den schlafenden Herrn bezieht, sondern einzig und allein darauf, daß ihm die Winde und das Meer gehorchen.

Das ist doch auffallend und sehr bemerkenswert für unseren Glauben. Denn im Mk.6:51 erfahren wir in einer ähnlichen Gelegenheit am Schluß, daß die Jünger  h i n t e r h e r  in große Furcht gerieten. Ja sogar: „Sie entsetzten sich und verwunderten sich über die Maßen.“

Wohl nicht, weil sie sich erst im Nachhinein der Größe der Gefahr, der sie gegenüberstanden, bewußt geworden sind. Oder vielleicht doch? Gibt es doch auch eine Furcht nach der Gefahr, nach überstandenem Schrecken, der sich wie lähmend auf unsere Glieder auswirken kann? Aber die eben erwähnte Furcht hat nichts zu tun mit ihrem jetzigen Erleben. Hier wird uns eine Furcht vor dem  H e r r n,  vor der Macht Gottes gezeigt. „Wer ist dieser Mann?“ Wie haben auch wir in all’ den Erfahrungen unseres Lebens im Glauben Gottes Beistand gespürt! Was ist uns nicht alles zuteil geworden! Durch das kostbare Blut Christi haben wir die erlösende Macht der Versöhnung empfangen, und durch Glauben die unschätzbare Rechtfertigung zur Annahme als Kinder Gottes. Wir sind durch die Erkenntnis der Wahrheit froh und frei geworden, um so in Neuheit des Lebens zu wandeln, dem Herrn und seinem Anliegen zu dienen.

Aber trotz dieses Näherkommens ist eines geblieben - und muß es bleiben: eine beständige Ehrfurcht vor unserem Schöpfer und vor unserem Herrn. Wer immer diese Distanz zu wahren weiß, erlebt auf seinem Glaubensweg immer wieder neue und größere Wunder.

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In unserer Geschichte werden uns Wirklichkeiten des Lebens geschildert. Stürme sind Realitäten. Nach gesegneten Zeiten erhebt sich oft unerwartetes Brausen. So war es auch damals bei den Jüngern des Herrn. So ist es auch heute noch unter Gottes Volk: Nach einem segensreichen Tag kann plötzlich etwas ganz Unerwartetes auf uns zukommen.

Die Wellen drangen in das Schiff, in das Innere des Bootes. So lange der Sturm nur von außen her tobte, war es noch erträglich; als aber das Schiff selbst sich mit Wasser füllte, wurde die Lage schon alarmierend. Ähnlich ergeht es uns auch mit  u n s e r e m  Innenleben. Versuchungen, Nöte und Schwierigkeiten von außen können wir vielleicht noch abwehren; was machen wir aber, wenn die „Wellen“ aus unserem Inneren kommen? Wir sind wohl noch in der Welt, aber: „Seid nicht von dieser Welt“, ermahnt uns der Herr. Wehe daher, wenn die Welt  i n  uns ist, wenn wir versucht werden durch die „alte Natur“, durch das Fleisch, die Probleme, die Schwierigkeiten, die Auseinandersetzungen unter Glaubensgenossen!

Wenn der Apostel Paulus den Korinthern schreibt: „Solches alles widerfuhr jenen zum Vorbilde; es ist aber geschrieben  u n s  zur Warnung, auf welche das Ende der Welt gekommen ist“, dann denken wir an die Worte in 2.Mos.13:17,18, wo geschrieben steht: „Als nun Pharao das Volk gehen ließ, führte sie Gott nicht auf die Straße durch der Philister Land, wiewohl es am nächsten war; denn Gott gedachte, es möchte das Volk gereuen, wenn sie Krieg sehen, und möchten wieder nach Ägypten umkehren. Darum führte Gott das Volk den  U m - w e g  durch die Wüste am Schilfmeer.“

Wie ganz anders, als Israel es sich gedacht hatte, gestaltete sich sein Weg, auf dem es zu seinem Ziel geführt werden sollte! Niemand ahnte, daß Gott sein Volk auf dem Umweg durch die Wüste führen würde. Nicht der gewöhnliche und kürzeste Weg durch der Philister Land war  I s r a e l s  Weg. Aber in Gottes Augen war es der  r e c h t e  Weg für das aus der Knechtschaft herausgerette Volk. Der Allmächtige wußte, daß er mit seinem Volk auf dem direkten Weg nicht zum Ziel kommen würde; darum der Umweg durch die Wüste. Auf diesem Weg nun kam Israel aus einer Angst in die andere. Kaum war eine Not vorüber, so stellte sich wieder eine andere ein. So ging es aus einer Prüfung stets in eine neue Prüfung, und aus einer Glaubensprobe in eine andere Erprobung ihres Vertrauens.

Zunächst kam der ungebahnte Weg durch das Schilfmeer; dann folgte Mara mit seinem Bitterwasser, die Wüste mit ihrem heißen Sand, die Orte und die Zeiten mit ihrem Mangel an Brot und Fleisch, an Zwiebeln und Melonen. Israels Geschichte wäre niemals an Offenbarungen und Herrlichkeiten Gottes so reich geworden, wenn Er nicht gerade  d i e s e n  Weg für sie erwählt hätte. Und gerade auf diesem „Umweg“ durch die Wüste mit seinen Entbehrungen und Prüfungen offenbarte sich der Allmächtige durch die größten Wunder seiner Liebe, seiner Fürsorge und seiner Weisheit.

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Wie Israel auf seinem eigenen Umweg, so soll auch das gegenbildliche, das „geistige Israel“ auf seiner Überfahrt zum „anderen“ Ufer hier im Schiff erkennen lernen, daß der Herr vollständig alle unsere Nöte zu unseren segensreichsten Erfahrungen umwandeln kann! Diese (vielfach so „unverständlichen“) Führungen des Allmächtigen müssen seinem gegenbildlichen Israel zu einem Segen werden, zu einem Weg, auf dem es von Erkenntnis zu Erkenntnis und von Kraft zu Kraft und von Herrlichkeit zu Herrlichkeit gelangen wird. Die größten Schwierigkeiten auf unserem Glaubensweg führen so in der Regel zu den größten Offenbarungen und Segnungen.

Wir wissen aber auch aus der Geschichte Israels und durch die Erkenntnis der Wahrheit, wie sich in uns der alte Mensch regt und immer wieder den Versuch macht, das Neue, das aus Gott Gezeugte unter  s e i n e  Herrschaft zu bringen. Hatte zwar unser Feind, der Widersacher Gottes und der Menschen, es nicht verhindern können, daß wir durch den Geist Gottes zu einer neuen Schöpfung gezeugt wurden, so sucht er nun immer von neuem zu vereiteln, daß wir Kinder Gottes  b l e i b e n.

Daher durchleben wir oft diese großen Stürme und schweren Kämpfe, und manchmal stehen wir ohnmächtig unserem Feind gegenüber. Aber gerade in diesen Stunden lernen wir erkennen, daß der alte Mensch seine Herrschaft verlieren  m u ß  gegenüber dem Leben, das aus Gott geboren wird. So ist auch unsere Lage im Schiff des Glaubens auf der Fahrt ans „jenseitige Ufer“ bei Sturm und Wogen nicht ungefährlich. Als nun das Schiff der Jünger zu sinken drohte, waren die doch erfahrenen Fischer am Ende ihres Könnens.

Aber wie erschütternd auch Stürme sein mögen - diese Wirklichkeiten sind es, denen gegenüber sich Glaube und Unglaube unterscheiden. Es geht dann weniger um das Wissen oder Können oder um ein Festhalten an Lehrmeinungen und Satzungen. In der Wirklichkeit unseres Lebens inmitten der Stürme wird sichtbar, wie wir Gott gegenüber in Wahrheit stehen. In den Stürmen, in den Nöten lernen wir so recht den Psalmdichter verstehen, der da sagt: „Alle meine Quellen sind in dir!“ (Ps.87:7) Das hat unser Leben schon immer reich gemacht an Erfahrung, Liebe, Geduld, Ausdauer - und an Verständnis für Gottes Plan und seine Heilsabsichten.

Es waren die „Umwege“ unseres Lebens und seine Stürme, die der Allmächtige über uns hereinbrechen ließ, wo wir unsere Ohnmacht wie nie zuvor erlebten.

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Was uns nun aber in unserer Erzählung besonders auffällt, ist, daß sich nicht etwa die Jünger selbst in Gefahr begeben haben! Wir lesen: „Und  E r  trat in das Schiff, und seine Jünger  f o l g t e n  ihm.“ Vielleicht zeigt uns dies die Ausgangslage unserer Geschichte.

Wir dürfen doch als gesichert annehmen: Es geht hier um eine Herauswahl in die Nachfolge Jesu Christi, und es ist eine „Überfahrt“ ans „jenseitige Ufer“ - in ein Land also, in das nur „Er“ allein diese, die ihm vom Vater gegeben sind, zu führen vermag. „Ich bitte für sie; nicht für die Welt bitte ich, sondern für die, die du mir gegeben hast, denn sie sind dein.“ - Joh.17:9

Zunächst geht es in dieser „N a c h f o l g e“, in dem „Eintreten“ in das Schiff um nichts Außergewöhnliches oder Aufsehenerregendes. Und doch ist schon dieser Anfang, diese Einladung in die Nachfolge Jesu von einer eigentümlichen prophetischen Bedeutung. Es wird uns klar: Wir sind nicht allein in diesem Seinen Schiff. Es ist  d e s  H e r r n  S c h i f f,  in dem wir uns befinden. Und es ist nicht eine einmalige Begebenheit dort in jenen Stunden auf dem See. Wir dürfen als sicher annehmen: es wird darin das Bild der Kirche Christi gezeigt!

Als Nachfolger Jesu Christi haben wir nämlich keine Garantien, daß wir in Abhängigkeit von Gott keine Leiden und Kämpfe, keine Prüfungen und Anfechtungen zu bestehen haben würden. Als Nachfolger bleiben wir in  d i e s e r  Welt mit ihren Entbehrungen und Versuchungen, mit ihren Nöten und Leiden, mit ihrer Sünde und Ungerechtigkeit.

Der Glaube also gewährt daher keine Garantie, daß der Nachfolger „im Schiff“ nicht seine Kämpfe und Schwierigkeiten haben werde gegen die Stürme und Wogen des Meeres. Aber dieser im Herzen wurzelnde Glaube hat doch die Verheißung, daß wir nie dauernd Stürme haben werden; denn der  H e r r  ist im Schiff. Wir haben doch gesehen, daß Jesus „sein“ Schiff bestieg; und seine Jünger folgten ihm. „Ihr habt nicht mich auserwählt, sondern ich habe euch auserwählt und euch gesetzt, daß ihr hingehet und Frucht bringet, und eure Frucht bleibe, auf daß, was irgend ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, er euch gebe.“ - Joh.15:16

Das zeigt uns doch klar und deutlich, daß es nicht  u n s e r  Schiff ist, und Er ist auch darin; nein - es ist  S e i n  Schiff, und  w i r  sitzen darin! Fast ist es dasselbe, und doch ist es nicht dasselbe. Der Herr nimmt die Jünger, die ihm der Vater gegeben,  m i t  s i c h  in  s e i n  Boot. Diese Einsicht und Erkenntnis nimmt uns jede Selbstgefälligkeit und -sicherheit. Wie viel Unklarheit, Verwirrung und Unverständnis war stets (bis heute) im Leben der Kirche vorhanden, weil man  d i e s  zu wenig beachtet hatte!

Als religiöse Gemeinschaft - sei sie groß oder klein - will man den Herrn so gerne  m i t  dabei haben im Schiff; behaupten doch alle: Die Kirche ist unsere Sache, und Er ist bei  u n s!  Das ist (ganz rein menschlich) wohl zu verstehen.

Alle christusgläubigen Bewegungen beanspruchen Jesus für sich, und behaupten nach außen, der Herr sei in ihrem Schiff! Doch auch da hat uns der Herr gänzlich das Mittel aus der Hand genommen für die Behauptung:  W i r  haben den Herrn,  w i r  haben die Wahrheit;  E r  ist in  u n s e r e m  Schiff.

Wir denken da oft zu menschlich! Wie unendlich klein sind wir „Ihm“ gegenüber, der doch Geist ist! Und dieser Geist läßt sich nicht an eine Lehre binden, an eine Überlieferung oder an ein Dogma, das  u n s e r e  Lehre,  u n s e r  Dogma ist. So, daß wir kühn behaupten könnten: Er ist in unserem Schiff als Bürge des Segens, anstatt sich durch den Geist, durch das lebendige Wort Gottes leiten zu und mitnehmen lassen in  s e i n e m  Boot. Diese Herauswahl, diese Körperschaft des Christus ist doch keine menschliche Einrichtung.

Wir sagten schon: es war  S e i n  Schiff, in das auch wir eingeladen wurden, einzusteigen und Ihm nachzufolgen, wohin es auch gehe. Seine Anwesenheit, Seine Wahrheit, Sein Geist genügen - und sind die alleinige Voraussetzung für alles, was für diese „Überfahrt“ in das himmlische Kanaan notwendig ist. Das ist das Geheimnis, das ist das große Wunder; denn es läßt sich nichts begrenzen. Der Geist weht, wo er will und wann er will, und tut sein Werk im Verborgenen. So steht es auch um das Leben der Kirche Christi infolge der Anwesenheit des Herrn. Ist Er im Schiff, hat Er es bestiegen und ist Er uns vorausgegangen - und nimmt Er uns mit, dann sind wir durch Seinen Geist innerlich ergriffen, und sind Sein. Denn die Wahrheit hat uns innerlich erfaßt, und Sein Geist führt uns auf Höhen, wo wir jetzt schon jene geheimnisvolle Kraft des Himmels zu verspüren bekommen als einen Vorgeschmack himmlischer Herrlichkeit.

Wo er aber nicht im Schiffe ist, fehlt jene schützende und treibende Macht, jener Friede, jene Freude, die alle Vernunft und jeden Verstand übersteigt. Wohl mag viel Religiosität vorhanden sein, auch christliche Betriebsamkeit; aber Bekenntnisse, Reden, Singen und Beten können „Ihn“ nicht ersetzen. Ohne Ihn wird alles nur zu einem „religiösen Bedürfnis“, wird alles nur zu einem Leerlauf führen.

Aber er ist ja nicht allein im Boot! Da sind die Seinen - eine Körperschaft, von Gott herausgerufen aus dieser Welt! Da ist eine Einheit des Geistes, des Weges, des Zieles: Die Berufenen dieses Evangeliums Zeitalters. Der Herr hat uns eingeladen, mit Ihm hinauszufahren ans jenseitige Ufer: nach dem himmlischen Kanaan. Aber - wie wir lesen - dann kam der Sturm. Doch er kam nicht sogleich!

Er kommt nicht, solange wir noch in Sichtweite des verlassenen Ufers sind. Es ist und war eine herrliche Fahrt; das haben wir doch alle so recht tief erlebt, als wir zum Glauben kamen und durch die Wahrheit die tiefgründige Bedeutung und den Sinn dieses gegenwärtigen Lebens erkennen lernten. Das war ein „Wegfahren“, als wir durch die Wahrheit den Heilsplan Gottes schauen durften; aber auch erkannten, daß das LEBEN erst beginnt, wenn man sich in „Seinem“ Schiff befindet. Sprüche 8:17 drückt das so schön aus: „Ich liebe, die mich lieben, und die mich frühe (oder eifrig) suchen, finden mich.“

Dann aber kommt der Sturm; er kommt gewiß und bleibt nicht aus. Das zeigt uns nun, daß die Anwesenheit des Herrn im Schiff keine Gewähr für uns ist, eine ruhige Fahrt zu erleben. Auch da denken wir oft zu menschlich; daher ergeben sich auch auf unserem Weg so viele Mißverständnisse, auch Irrungen unseres Glaubens und Weges mit Christus. Mit einem Wort: Prüfungen, die der Herr zuläßt, um uns auf dem irdischen Übungsfeld der Liebe und des Glaubens stark zu machen.

Wir vergessen immer und immer wieder: Es ist ja nicht unser Schiff. Darum kommt der Sturm. Doch das Wetter und die finsteren Wolken in unserem Glaubensleben sind keine Anzeichen dafür, daß der Herr uns verlassen hätte. Im Gegenteil: es sind Beweise seiner Anwesenheit und Gegenwart; Zeichen, daß wir tatsächlich in Ihm sind - und unterwegs. Aus dem Text ist klar ersichtlich, welcher Art dieses Wetter und Ungestüm war. Wir lesen:

„Jesus bedrohte den Wind und das Meer; und es ward eine große Stille.“ Der Herr gebot den Mächten und Gewalten, die sich der Natur bedienten, Einhalt, so daß sie gehorchen mußten. In diesem Sturm ist der Einfluß der „Gewalt der Luft“ am Werk, die die Natur regiert und dirigiert - und dazu benutzt, um (womöglich) den  H e r r n  im Schiff zu vernichten. Es sind die Mächte und Gewalten auf der Lauer, das ganze Schiff und alle, die sich darin befinden, untergehen zu lassen. Vielleicht war jener Sturm auch ein Vorbote der gewaltigen und dämonischen Macht gewesen, die sich später über Jerusalem entlud, als das Geschrei der Masse des Volkes wie Wasserwogen über dem Haus zusammenschlug, als sie schrien: Kreuzige ihn! „Wir wollen nicht, daß dieser über uns herrsche.“ - s. Lk.19.14

Wir sehen daher, daß die Anwesenheit des Herrn unter seinen Jüngern im Schiff (wie auch in unserem Glaubensleben) nicht ohne Prüfungen sein kann. Wer die Wahrheit liebt, ja, mehr liebt als sein Leben, wird nie ohne Stürme sein; denn die Finsternis haßt das Licht. Die Versuchung wird uns stets so zusetzen, daß wir manchmal mit Zweifeln und Anfechtungen, mit Sorgen und Angst nicht fertig werden. Es  m u ß  ja so sein, denn wir sind ja immer noch „unterwegs“. Von diesem Gesichtspunkt aus (und nur allein vor diesem Hintergrund) können wir uns das eigentümliche Schlafen des Herrn inmitten des Sturmes erklären. Es hat allerdings etwas Aufregendes an sich, sich in einer solchen Lage noch ruhig verhalten zu können.

Wir fragen uns: Kann der Herr wirklich noch schlafen, jetzt, wo die Jünger schier außer sich sind, um ihr Leben kämpfen und das Boot durch die hohen Wellen und den Sturm zu steuern suchen? Nimmt der Herr sich nicht seiner in Not geratenen Jünger an? Aber wie könnte er anders, als ihnen beizustehen? Er, der doch die Herrlichkeit verließ und sie darangab, um alle zu erretten? Wird er nun die „Seinen“ umkommen lassen?

Sind wir nicht auch die gleichen Jünger, mit all diesen Fragen, die uns aus dem Herzen gesprochen sind? Auch wir leiden darunter, daß wir in den Schwierigkeiten und Nöten des Lebens oft den Eindruck bekommen: Der Herr schläft! Er greift auch garnicht ein. Anstatt zu warten und zu glauben, daß wir, wie Israel, auf  U m w e g e n  die Rettung und das Heil des Allmächtigen erleben sollen, geben wir uns dem Zweifel hin. Dieses „Schlafen“ Jesu ist die Kraft der frohen Botschaft des Herrn, der inmitten des Sturmes, im Schiff, stille sein kann.

Wir dürfen doch annehmen, der Herr schlief - nicht aus Müdigkeit. Sein Schlaf war vielmehr das Zeichen von Ruhe und Geborgenheit in Gott, der sicheren Überlegenheit des Glaubens, die ihm diese letzte Gewißheit des Sieges gibt.

Für unseren Glaubensweg dürfen wir diese Gewißheit allezeit haben, denn Hebr.7:24 sagt es uns: „Dieser aber, weil er in Ewigkeit bleibt, hat ein unveränderliches Priestertum. Daher vermag er auch völlig zu erretten, die durch ihn Gott nahen, indem er immerdar lebt, um sich für sie zu verwenden.“ Aus diesen Worten entnehmen und erkennen wir, daß der Herr lebt, und daß das, was Ihn weckt, nicht der Sturm sein kann. Heute - wie auch damals war es nicht der Sturm, der Wind, noch die Wellen des Meeres, die da ins Schiff schlugen, die Ihn weckten.

Aber auch nicht die Bemühungen und Anstrengungen der so geübten und hart geprüften Fischer, die suchten, durch gegenseitiges Ermuntern bis zum Äußersten auszuharren. Sicher ist, daß nur eines den Herrn „weckt“ und ihn aufhorchen läßt - das, auf was Er stets wartet, um inmitten des Sturmes einzugreifen! Sind es doch die Worte, das volle Eingeständnis unserer Ohnmacht: „Herr, hilf, wir gehen unter!“ Es braucht oft viel, bis auch wir zu diesem Schluß kommen. Das will uns vielleicht diese Geschichte lehren. Die Jünger haben sicher manch schweren Sturm auf dem See erlebt, aber was sie hier erfahren haben, ging über ihre Kraft, über ihr Können und Verstehen.

Ja, es braucht oft viel, bis auch wir uns durchgerungen haben und eingestehen: Wir können viel, und glauben auch, und doch  k ö n n e n  w i r  n i c h t s.  „Herr. hilf, wir gehen unter!“ Wir wollen meistens uns selbst helfen, um jeden Preis. Darum erklingen des Herrn Worte fast wie ein Tadel, wenn er sagt: „Warum seid ihr so furchtsam, ihr Kleingläubigen?“ Bemerkenswert ist zu sehen, daß ihr Versagen darin bestand, daß sie in Unglauben und Furcht verzweifelten -  t r o t z  seiner Anwesenheit! Daß sie an ihm vorbeischauen, der doch da war, im Schiff inmitten des Sturmes, während sie sich benahmen, als wäre er garnicht da, als dürften sie garnicht mit seiner Kraft  r e c h n e n.

Ist denn seine Gegenwart Sicherheit gegen den Sturm? Das ganz gewiß; aber nicht so, daß uns der Kampf erspart bleiben wird. Seine Gegenwart ist Garantie dafür, daß - wo Er ist - Licht ist, Hoffnung, Liebe, Treue und der Sieg, der die Welt überwindet. Denn wir sehen: Als der Herr aufsteht und die große Stille eintritt, wird auch das Boot sicher und wohlbehalten ans jenseitige Ufer geleitet. Das ist ja das Zeichen, das untrüglich wahre Zeichen, das leuchtend und unübersehbar - gleich einer zuversichtlichen Stärkung - uns durch die Verheißung leiten wird: „MIR ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden.“ - Mt.28:18

So wird er auch uns in seinem Schiff und inmitten des Sturmes auf brausendem Meer die Hand reichen und uns sicher und gewiß ans jenseitige Ufer führen. Er wird auch jenem gewaltigen Sturm und dem brausenden Meer sein „Stille!“ gebieten, das der ganzen Welt und der Menschheit den ersehnten Frieden und die ersehnte Heilung von allen Schäden unter Seiner Herrschaft bringen wird.

Der natürliche Mensch wird die Stürme seines Lebens als einen Fels des Ärgernisses empfinden. Wenn wir aber auf dem Boden des Kreuzes stehen, können wir aufsehen auf Jesus als den Anfänger und Vollender unseres so kostbaren Glaubens.

Diese „Stürme“ sind aber Gelegenheiten neuer Offenbarungen von der Größe und Herrlichkeit des Allmächtigen. Vielleicht verstehen wir nicht immer gleich, warum wir manchmal unter Druck gehalten werden, warum Gott für uns auch eine gefahrvolle Umgebung zugelassen hat, warum oft so wenig Verständnis unter den Menschen, auch unter Geschwistern, zu finden ist. Einst aber werden wir alle diese für uns segensreichen „Umwege“ und Stürme verstehen; denn sie waren von Gott überwaltet.

Später werden wir vom himmlischen Jerusalem aus auf unseren Glaubensweg zurückblicken. Dann werden wir auch begreifen, daß unser Herr, der große Herzog unserer Seligkeit, nur auf diesem Umweg und durch diese Stürme mit uns zum Ziel kommen konnte. Jede Prüfung und Glaubenserprobung, die wir erlebt haben, wird ein wunderbarer Anlaß sein, unseren großen Lebengeber voller Dankbarkeit anzubeten - und in gleicher Weise das Lamm, unser Haupt und unseren Erlöser. Es wird uns völlig klar werden, daß Gott in seiner so vielfach verhüllten Führung auch in unserem jetzigen irdischen Leben keine Fehler gemacht hat.

Denn gerade durch diese vermeintlichen Umwege und Stürme hat er uns zum Ziel unserer Sehnsucht und in die Heimat unseres Herzens geführt. Dieser so kostbare Weg, den er uns gehen ließ und auf dem der Herr uns begleitete, ließ uns alles finden, was wir auf unserem (eigenen) Weg nie gefunden hätten. Das Ziel, nicht der Weg zu diesem Ziel war bei Gott das Entscheidende, als er auch bei uns die Führung über unser Leben übernahm, um uns aus der Knechtschaft zur Freiheit und aus der Fremde in die Heimat zu leiten.



Tagesanbruch Bibelstudien- Vereinigung