„Dies habe ich zu euch geredet, auf daß ihr euch nicht ärgert“

„Sie werden euch aus der Synagoge ausschließen; es kommt aber die Stunde, daß jeder, der euch tötet, meinen wird, Gott einen Dienst darzubringen. Und dies werden sie tun, weil sie weder den Vater noch mich erkannt haben. Dieses aber habe ich zu euch geredet, auf daß, wenn die Stunde gekommen ist, ihr daran gedenket, daß ich es euch gesagt habe.“ - Joh.16:1-4

Jesus tut hier einen eigentümlichen Blick in die ferne Zukunft. Er weiß, daß das Zeugnis vom Reiche Gottes, das er gebracht hat, nicht abgeschlossen ist. Es wird auch mit seinem Tode und seiner Auferstehung nicht abgeschlossen sein. Dazu hat er ja seine Jünger und Apostel berufen, damit dieses Zeugnis weitergetragen werde über den „ganzen Erdkreis“. „Und dann wird das Ende kommen“. Mt.24:14

Aber den Jüngern verrät er nicht allezeit mit gleicher Deutlichkeit, daß seine Kirche eine Weltmission zu erfüllen hat. Er weiß, daß solch eine Aussicht ihre Kraft und Zuversicht jetzt noch übersteigen würde. Darum sagt er nur: „Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende sein, bis der Sohn des Menschen gekommen sein wird“. (Mt.10:23) Sie sollen vorerst noch das überschaubare Missionsfeld von  I s r a e l  ins Auge fassen. Aber mit „Israel“ ist die ganze Erde gemeint. Und wenn der Herr in unserer Johannes-Schriftstelle vom kommenden Ausschluß der Jünger aus der Synagoge redet, so hat er dabei doch nicht nur jüdische Verhältnisse im Auge, sondern er denkt viel weiter: an Weltverhältnisse! Und dann heißt „Ausschluß aus der Synagoge“ eben Ausschluß aus den Kulturverbänden irgendwelcher Zeit und irgendwelchen Landes.

Man wird die, denen der Sohn Gottes selbst seine Botschaft und Wahrheit anvertraut hat, nicht gelten lassen, nicht ernst nehmen; man wird sie vielmehr hochmütig ablehnen, verleumden, hassen, töten - und man wird meinen, Gott damit einen Dienst erwiesen zu haben, daß man sie als „Schädlinge“, „Sektierer“, „Ketzer“ gebrandmarkt und gerichtet hat. Es ist ganz klar, daß Jesus hier nicht nur jüdische Verhältnisse im Auge hat; er sieht die ganze Kirchengeschichte vor sich.

Wer sind dann aber die Verfolger Seiner Kirche? Es sind „fromme Leute“; denn sie wollen ja Gott einen Dienst erweisen. Jesus wird hierbei kaum an Heiden denken, denn sonst wäre seine Begründung: „und dies werden sie tun, weil sie weder den Vater noch mich erkannt haben“ - doch allzu überflüssig! Nein, er redet von solchen, die den Anspruch erheben, den Vater und Jesus Christus zu erkennen und zu vertreten, während sie die im Dienste des Vaters und Jesu Christi Stehenden, die wahren Nachfolger des Herrn, verfolgen. Jesus hat also ein universales Geschichtsbild vor Augen - und dazu ein völlig richtiges, wenn er auch bei den Jüngern durchaus nur den jüdischen Horizont voraussetzt. Es kommt die Zeit, da auch  s i e,  durch den Heiligen Geist erleuchtet, das universale Geschichtsbild der Zukunft erkennen werden und dazu imstande sind, den Worten Jesu die Deutung auf das Universale zu geben. Jetzt,  v o r  der Kreuzigung Jesu, können sie es noch nicht.

Muß der Herr nicht befürchten, die Jünger mit solchen trüben Eröffnungen zu erschrecken? Er wird es nicht befürchten. Was in weiter Zukunft liegt, ängstigt die Menschen nicht. Jedenfalls würde Jesu Wahrheitsverkündigung ein wichtiger Zug gefehlt haben, wenn er nicht mit aller Deutlichkeit auf die kommenden Leiden, das Martyrium der Kirche, hingewiesen hätte. Letzten Endes aber muß „Wahrheit“ immer  h e i l s a m  sein. Wenn dann - später - die Verfolgung wirklich eintritt, werden die Jünger sich daran erinnern, daß ihr Meister es ihnen im Voraus gesagt hat.

Sie werden daran erkennen, daß die Leiden um Christi willen vorhergesehen waren, daß sie auch vorgesehen waren als eine Notwendigkeit in Gottes Heilsplan. Sie werden daraus entnehmen, daß es nichts ist, was sie erschrecken oder in Panik versetzen sollte. Sie sollten sich dann nicht „ärgern“, nicht am Wege des Herrn irre werden. Zu ihrem Zeugnis gehört gerade so gut das Leiden um der Wahrheit willen, wie dies auch zum Zeugnis ihres Meisters gehört hat. Als geweihte Nachfolger Jesu haben sie „einen Bund über Opfer“ geschlossen (Ps.50:5), und damit werden sie Teilhaber am Opfer des Christus, Haupt  u n d  Leib; nicht am Lösegeldopfer Jesu, aber an dem Opfer, das dem Christus als Ganzem aufgetragen ist. Und „köstlich ist in den Augen Jahwes der Tod seiner Frommen.“ - Ps.116:15

Die Verwerfung Jesu Christi ist das Gericht für die  J u d e n.  So sagt denn der Herr. „Zum Gericht bin ich in diese Welt gekommen.“ (Joh.9:39) Die Verwerfung des „Leibes Christi“ ist das Gericht der  W e l t.  Somit muß auch dieses offenbar werden. Die Welt ist bereit, irgendeine allgemeingültige „Wahrheit“ anzuerkennen, wie die Juden bereit waren, das Gesetz Moses anzuerkennen und sich dem Buchstaben zu unterwerfen; aber die Welt ist nicht bereit, die lebendige, aus Gott stammende Wahrheit anzuerkennen. Mit der aktuellen Wahrheit fühlt sie sich immer im Widerstreit. Warum? Jesus sagt: „ … weil sie weder den Vater noch mich erkannt haben.“

Paulus sagt: „Ich gebe ihnen das Zeugnis, daß sie Eifer für Gott haben, aber nicht nach Erkenntnis.“ (Röm.10:2) Sie haben Glauben an  i h r e n  Gott, an  i h r e n  Herrn. So können sie „Herr, Herr“! sagen, aber der Geist Christi ist nicht in ihnen Wie würden sie sonst Christi Brüder und Gottes Kinder verfolgen und hassen können? Der Mensch glaubt nicht alles, was er mit seinen Lippen bekennt. Jesus muß den Pharisäern sagen: „Wähnet nicht, daß ich euch bei dem Vater verklagen werde; da ist einer, der euch verklagt: Moses, auf den ihr eure Hoffnung gesetzt habt. Denn wenn ihr Moses glaubtet, so würdet ihr mir glauben; denn er hat von mir geschrieben. Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Worten glauben“? - Joh. 5:45-47

Das heißt nichts anderes, als: Ihr glaubt eben  d o c h  nicht, was ihr bekennt, sonst könnten eure Taten nicht im Widerspruch zu eurem Bekenntnis stehen. Es gibt einen inneren Zusammenhang zwischen Moses, den Propheten und Christus. Dieser Zusammenhang wird geoffenbart, als Jesus auf dem Berge Tabor den Jüngern einen Blick in das Reich des Geistes, ins Reich Gottes gewährt. Da sehen sie in einer Vision den Sohn Gottes verklärt, „das Aussehen seines Angesichtes anders und sein Gewand weiß strahlend. Und siehe, zwei Männer redeten mit ihm, welche Moses und Elias waren. Diese erschienen in Herrlichkeit, und besprachen seinen Ausgang. - Lk.9:29-31

Moses und Elias sind Vorstufen der Offenbarung Gottes, und sie sind nicht um ihrer selbst willen da, sondern weisen auf den Menschensohn und Gottessohn hin. Und indem Israel den Messias verwirft, verwirft es, ohne es zu wissen, auch Moses und die Propheten. Auch diese haben hinfort Israel nichts mehr zu sagen. Ihr Zeugnis gewinnt Erfüllung und Zusammenhang  n u r  im Hinblick auf Jesus, den Messias.

Und so verhält es sich auch mit den Verfolgern der wahren Kirche Christi. Sie glauben - aber etwas anders, als sie meinen. Was glauben sie? Sie glauben an die „Kirche“ als sichtbare Institution, als eine Grundsäule unserer abendländischen „Kultur“, als einen Faktor der Stabilität und des Konservatismus, als eine Garantie der Ordnung auf dieser Welt, als großartige „Erziehungsanstalt“ für die Massen, als wirksames Instrument der Disziplinierung des Volkes. Ihre Andacht gilt nicht dem Geist, sondern der Fassade; nicht dem „Tempel Gottes“, sondern „dem von Händen gemachten Tempel“, wie Stephanus ihnen vorhält: „Salomon baute Gott ein Haus. Aber der Höchste wohnt nicht in Wohnungen, die mit Händen gemacht sind, wie der Prophet spricht: ’Der Himmel ist mein Thron, und die Erde der Schemel meiner Füße. Was für ein Haus wollt ihr mir bauen, spricht der Herr, oder welches ist der Ort meiner Ruhe?’“ - Apg.7:48,49

Mögen  s i e  glauben an das Sichtbare;  w i r  glauben an den Unsichtbaren; und wir glauben, daß die Wahrheit ein  G a n z e s  und  U n t e i l b a r e s  ist, und daß man nicht ein Stück von ihr isolieren kann, um es nach eigenem Geschmack auslegen zu können. Wem in einem Teil der Zugang zur Wahrheit verbaut ist - durch Menschenlehren und -dogmen verbaut, dem ist der Zugang zum Ganzen verbaut, und er kann die Gesamtheit der göttlichen Wahrheit nicht erkennen.

„Dieses aber habe ich euch von Anfang an nicht gesagt, weil ich bei euch war.“ (Joh.16:4) Solange Jesus auf dieser Erde wandelte, gab es in Wahrheit keine Gefahr für die Jünger. In seiner Gegenwart hatten sie kein Interesse für die Feinde der Wahrheit. Die Obersten Israels wußten recht gut, daß sie (die Jünger) nichts waren ohne IHN. So konzentrierte sich alle Nachstellung auf das „Haupt“ alleine. War dieses ausgelöscht, so war (wie sie meinten) die Bewegung tot. Der Herr hatte also keinen Grund, seine Jünger auf Angriffe vorzubereiten. Jetzt aber, wo er im Begriff war, von ihnen zu gehen, mußte er sie auf die fernere Zukunft hinweisen.

Für den Augenblick hatte diese Warnung keine große Bedeutung; aber „es kommt die Stunde“, da werden die Jünger wissen, warum und wozu sie gegeben wurde. Und  j e t z t  gibt der Herr seinen Jüngern die Weisungen und Verhaltungsmaßregeln für das ganze Zeitalter der Zubereitung der Kirche.

„Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat, und niemand von euch fragt mich: Wo gehst du hin? sondern weil ich dieses zu euch geredet habe, hat Traurigkeit euer Herz erfüllt.“ - Joh. 16:5,6

Warum stellt niemand eine Frage? Und warum erwartet Jesus überhaupt eine Frage? Es steht etwas Dunkles und Furchtbares vor den Jüngern; ein Vorgefühl des Schrecklichen, was in der Luft liegt, bedrückt sie, erfüllt sie mit Beklommenheit. Aber keiner hat die Kraft, an die Sache zu rühren. Wer weiß, was für Eröffnungen nun auf sie warten! Der Herr dagegen möchte dieses Thema zur Sprache bringen; er möchte ihnen dieses Bevorstehende ins Glaubenslicht rükken, damit sie erleichtert und gestärkt würden. Aber keine Frage gibt ihm Anlaß dazu. Da weist er sie denn auf den kommenden Tröster hin, von dem er ihnen schon geredet hat: „Doch ich sage euch die Wahrheit: Es ist nützlich, daß ich weggehe; denn wenn ich nicht weggehe, wird der Sachwalter nicht zu euch kommen; wenn ich aber hingehe, werde ich ihn zu euch senden.“ - Joh.16:7

Erst, wenn Jesus weggenommen sein wird, kann die Kirche in Funktion treten. Gott gibt seinen Geist nur seinen Beauftragten. Sowie er weggenommen ist, wird die Kirche Beauftragter Gottes. Bisher war er, der Herr, „das Licht der Welt.“ (Joh.8:12; s.a. Joh.9:5); nun aber tritt das Wort aus Mt.5:14 in Kraft:  „I h r  seid das Licht der Welt.“ Die Berufenen des Evangeliumszeitalters müssen jetzt nicht das  k o m m e n d e,  sondern das  g e k o m m e n e  Reich Gottes verkünden, den gekommenen Erlöser, den Menschen Jesus Christus, um ein Lösegeld zu geben für die in Adam verlorengegangene Menschheit.

Damit tritt die Kirche in das Amt Jesu ein, und somit muß sie auch ausgerüstet werden zu ihrem Dienst durch die Darreichung des Heiligen Geistes. Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch den Verstand, sagt ein weltliches Sprichwort ganz richtig. So mußte Gott dem Mose die Kraft geben, vor dem Pharao zu stehen, dem Aaron die Macht der Rede, dem David die Tapferkeit, um gegen Goliath ausziehen zu können, dem Salomo die Weisheit. Und wem Gott ein Amt nimmt, dem nimmt er auch den Verstand. Das sehen wir an Saul, der in Trübsinn und geistige Umnachtung verfällt, nachdem er durch Ungehorsam sein Recht auf den Thron verwirkt hat.

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Die Kirche hat das höchste und heiligste Amt erhalten, das je Menschen anvertraut worden ist. Und in der Erfüllung dieses Amtes bereitet sie sich vor auf ein nicht minder wichtiges und ehrenvolles, das ihr nach bestandener Prüfung anvertraut werden soll; denn „er hat uns gemacht zu einem Königtum, zu Priestern seinem Gott und Vater.“ (Off.6:1) So bedarf die Kirche auch einer außerordentliche Begabung, um diesen Dienst nach dem Willen Gottes verwalten zu können: Der Begabung mit den (für uns noch unvorstellbaren) Wirkungskräften des Heiligen Geistes, des Geistes Gottes, der auch in Christo Jesu war und ist, dem Geist der Heiligkeit, der Besonnenheit, der Kraft und des gesunden Sinnes. Dieser Geist ist Feindschaft gegen das Böse, gegen die Lüge, die Unwahrheit, die Ungerechtigkeit, gegen die Unreinheit und alles Ungöttliche. Der Heilige Geist bedeutet nicht Feindschaft gegen  d i e  Bösen,  d i e  Ungerechten; denn er unterscheidet den Sünder von der Sünde, den Verführten vom Verführer.

Aber zwischen der Kirche und dem Widersacher Gottes  k a n n  nur Feindschaft bestehen. Darum muß die Kirche auch diese Feindschaft fühlen, und sie muß zur Darstellung kommen im Zeugnis gegen den Widersacher und alle, die unter dessen Einfluß stehen: die  W e l t.  Daraus kann sich nur Schmach für die Nachfolger Christi ergeben - dieselbe Schmach, die ihren Meister getroffen hat. Diese Schmach ist die Ehre der Kirche bei Gott. Dem Herrn gegenüber wurde in der Stunde des Gerichts der Mörder Barrabas vorgezogen. So wird die Zeit kommen, da sich die Welt für Diebe und Mörder, aber gegen die Gemeinde des Herrn erklären wird.

Das ist unvermeidlich; das liegt in der tiefsten Natur der Dinge; das liegt in dem Verhältnis der Welt zur Wahrheit des Allerhöchsten. Den „Mörder“ kann man brauchen; man hat schon eine Verwendung für ihn in der „Synagoge“; aber der Sohn des lebendigen Gottes, der die ewige Wahrheit kundtut, den kann man nicht brauchen; er muß ans „Kreuz.“

Darin wird die Welt vom  G e i s t  gerichtet. Die Richter Jesu selbst standen vor dem Richterstuhl, ohne es zu wissen. In gleicher Weise wird der Heilige Geist durch die  K i r c h e  die Welt überführen: „Und wenn er (der Sachwalter) gekommen ist, wird er die Welt überführen von Sünde und von Gerechtigkeit und von Gericht. Von Sünde, weil sie nicht an mich glauben; von Gerechtigkeit aber, weil ich zu (meinem) Vater gehe, und ihr mich nicht mehr sehet; von Gericht aber, weil der Fürst dieser Welt gerichtet ist.“ - Joh.16:8-11

So steht seit den Tagen des Menschsohnes die Welt im Gericht - nicht etwa im großen Gerichtstag des Herrn, (wie so viele aus der Bibel herauszulesen meinen. Denn nicht umsonst ist in Joh.3:17 zu lesen: „Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, auf daß er die Welt richte, sondern daß durch ihn die Welt (vom Todesurteil) errettet werde.“ Wenn Jesus (in Joh.3:18) sagt: „Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet; wer aber  n i c h t  glaubt, ist schon gerichtet“, so erklärt er anschließend doch sehr genau,  w i e  dieses Gericht, von dem er da spricht, aussieht.

„Ich bin das Licht der Welt“. (Joh. 8:12) Die „Welt“ (als überwiegende Mehrheit) hat dieses Licht nicht angenommen; sie hat sich für die Werke dessen entschieden, der heute noch die Welt regiert: der den Tod verursachende Widersacher des allmächtigen Gottes. Der Beweis dafür besteht nicht allein in all’ dem, was unseren Lebensraum und unsere sogenannte Gesellschaftsordnung zerstört, sondern ganz besonders auch im Verhalten der Welt gegenüber denen, die der Herr als „Lichtträger“ (Mt.5:14) berufen hat.

Das Beweis-Verfahren besteht im Verhalten der Welt gegenüber den Trägern des Heiligen Geistes Gottes. Darum spielt das Zeugnisleiden der wahren Kirche Christi eine große Rolle in dem Erlösungsratschluß des Allmächtigen. Und an der Treue der Nachfolger des Herrn - bis in den Tod - liegt die wirksame Hinausführung dieses Verfahrens. Dazu müssen Treue und Gnade sich die Hand reichen.



Tagesanbruch Bibelstudien- Vereinigung