Was verunreinigt den Menschen?
Betrachtung über Mt. 15:1-20

„Dann kamen die Schriftgelehrten und Pharisäer von Jerusalem zu Jesu und sagten: ’Warum übertreten deine Jünger die Überlieferungen der Ältesten? Denn sie waschen ihre Hände nicht, wenn sie Brot essen.’ „ - Mt. 15:1,2

Für die Pharisäer war Jesus nicht der Herr. Er war nur ein Außenseiter, ein Unabhängiger und Störer des religiösen Friedens, der sich über Jahrhunderte alte Ordnungen hinwegsetzte.

Doch dies alles wäre nicht so gefährlich gewesen. Sonderlinge hat es zu allen Zeiten gegeben, solche, die nun einmal anders waren. Jedes Dorf, jede Stadt hat derartige „Originale.“ Sie sind gaßauf, gaßab bekannt, belächelt, und sie gehören doch als Merkwürdigkeiten zur Gemeinschaft.

Jesus aber zog  J ü n g e r  hinter sich her. Noch mehr: das ganze Volk horchte auf und fühlte sich in einer Weise angesprochen, die das Gewissen weckte. Die Menschen vernahmen da Töne, nach denen ihre Herzen doch eigentlich gehungert und gedürstet hatten. Sie empfanden die geistige Autorität Jesu, den Klang der unvergänglichen Wahrheit, die zu Gottes gewollter Zeit machtvoll und unüberhörbar an die Ohren der Bevölkerung dringt. Denn der Allerhöchste hat seine Offenbarungszeiten, und was Er dann spricht, das kehrt nicht leer zu Ihm zurück. So überzeugte sich das jüdische Volk von der Tatsache, daß Jesus ein Prophet, ein Gesandter Gottes ist. Sie sahen sich genötigt, einen Vergleich anzustellen zwischen Jesus und den religiösen Führern ihres Volkes. Und die Waagschale der Gunst neigte sich nach der Seite des Sohnes Gottes hin.

Denn es treten in jedem Menschenleben immer wieder Umstände ein, die ihn für die göttliche Wahrheit empfänglich machen. Die Menschen wandeln ihre selbstgewählten Wege. Diese Wege spiegeln den Inhalt ihrer Herzen und Wünschen wieder. Im Grunde aber sind diese Bestrebungen herkömmlicher Art - unbedeutend - und ihre Wege drehen sich im Kreise herum! Wirkliche Herzensbefriedigung gewähren sie den Individuen nicht.

Doch sehnt sich ein jeder nach Licht und Liebe, nach einer Insel des Friedens, nach einer Geborgenheit, die irgendeine Furcht oder Angst vor dem, was kommen könnte, fernhält. Die Not des Lebens, ein ungestilltes Sehnen nach einem Inhalt, nach einem Anker, macht den Einzelnen zu Zeiten ansprechbar für die Wahrheit. Eine solche Zeit geweckter Herzen war die Zeit Jesu.

Das merkten die Pharisäer und Schriftgelehrten wohl, und darum war der Herr in ihren Augen ein gefährlicher Mensch. Er war nicht ein harmloses „Original“, über das man lächelt, kein Schwärmer, dem ein paar ebenso harmlose Menschen nachfolgten. Der Gottessohn bedrohte das Ansehen der Schriftgelehrten bei dem Volk. Eine Möglichkeit, sich der überlegenen Wahrheit Jesu zu beugen, gab es für sie nicht. Das wäre ein offenes Eingeständnis ihrer Unzulänglichkeit gewesen, hätte zu Demütigung, zu Prestige- und Machtverlust geführt. Wer die Macht in den Händen hat, gibt sie nicht freiwillig her. Niemand will „klein“ werden.

Nun macht uns die göttliche Wahrheit immer demütig und klein vor uns selbst. Sie hebt viele Unterschiede auf, die in der Welt eine so große Rolle spielen - oder macht sie unwesentlich. Zu seinen Nachfolgern spricht der Herr: „Ihr aber, laßt euch nicht Rabbi nennen. Denn  e i n e r  ist euer Lehrer, ihr alle aber seid Brüder. Ihr sollt auch nicht jemand auf der Erde Vater nennen; denn  e i n e r  ist euer Vater, der in den Himmeln ist. Laßt euch auch nicht Meister nennen; denn  e i n e r  ist euer Meister, der Christus. Der Größte aber unter euch soll euer Diener sein. Wer irgend aber sich selbst erhöhen wird, wird erniedrigt werden; und wer irgend sich selbst erniedrigen wird, wird erhöht werden.“ - Mt. 23:8-12

Die Wahrheit, die den Hörer so klein macht, ist eine gefährliche Botschaft für die Ohren der Hohen und Mächtigen. Es ist eben eine Botschaft, die über alles, was die Menschen im allgemeinen verkündigen, weit hinaus geht.

Und nun sehen wir an diesen Pharisäern und Schriftgelehrten, daß sie den Kampf gegen den Herrn nicht etwa auf dem Boden der göttlichen Wahrheit ausfechten wollen. Vielmehr kommen sie mit scheinfrommen Einwendungen, wenn sie darauf hinweisen, daß Jesu Jünger die religiösen Überlieferungen mißachten. (Mt. 15:1,2) In den Jüngern soll der Lehrer getroffen werden.

Jesus antwortet ihnen jedoch vom Boden der Wahrheit aus mit der Gegenfrage: „Warum übertretet auch ihr das Gebot Gottes um eurer Überlieferung willen? Denn Gott hat geboten und gesagt: ’Ehre den Vater und die Mutter’, und: ’Wer Vater oder Mutter flucht, soll des Todes sterben’.  I h r  aber saget: ’Wer zum Vater oder zur Mutter sagt: Ich will Gott als Opfergabe (für den Tempelschatz)  d a s  weihen, was du sonst als Unterstützung von mir empfangen hättest, der braucht seinen Vater oder seine Mutter nicht weiter zu ehren’ (oder: ist nicht verpflichtet, seine Eltern zu unterstützen). Damit habt ihr das Wort Gottes euren überlieferten Satzungen zuliebe außer Kraft gesetzt!“ - Mt. 15:3-6

Wir sehen, daß der Herr seinen Gegnern nicht auf das schlüpfrige Gebiet ihrer theologischen Menschensatzungen folgt, sondern daß er auf dem Boden des göttlichen Wortes bleibt: auf dem Boden des Gesetzes. Alle Feinde der Wahrheit gehen so vor, wie diese Gesetzeslehrer. Es wird wohl der allerletzten Zeit des Antichristen vorbehalten sein, die christliche Maske vom Gesicht der religiösen Autoritäten wegzuziehen - und die Wahrheitsfeindschaft dieser Klasse offen hervortreten zu lassen. Bis dahin hat auch der schlimmste Gegner der Wahrheit ihr gegenüber immer noch eine scheinbare Treue und Loyalität bekundet. Das Laster macht vor der Tugend seine Verbeugung, um selbst bestehen zu können.

Darum durfte man Jesus, den Wahrhaftigen, nicht als solchen ans Kreuz nageln; Nein - er mußte zuerst zum Verbrecher, Lästerer und Feind Gottes gestempelt werden, damit man Hand an ihn legen konnte.

So erging es vielen Kindern Gottes zu allen Zeiten. Man erhob auch nie Anklage gegen sie, weil sie sich zu der Wahrheit, die vom Herrn kommt, bekannten und sie glaubten. Man verfolgte sie nicht um ihrer Treue und Wahrheitsliebe willen. Die Anklage lautete stets anders: Sie seien Aufrührer, Irregeführte, Unruhestifter und Staatsfeinde, und suchten ihre eigene Sache. Ihre Richter gaben sich als die vom Allmächtigen bestellten Aufseher aus, als Schützer des Rechts, der Wahrheit - als Fromme, die die Ehre Gottes zu verteidigen hatten, als Verwalter der höchsten geistigen Güter.

Und auch wir können nicht erwarten, daß es uns besser geht. Sollte es dazu kommen, daß wir uns vor den Mächten dieser Welt verantworten müßten wegen unseres Glaubens, so werden wir es auch erleben, daß mit verkehrten Fronten gekämpft wird, mit vertauschten Rollen. Unsere Richter werden sich mit einer Selbstverständlichkeit, die keinen Zweifel duldet, als die gebärden, denen es um die von Jesus Christus geoffenbarte Wahrheit geht, und  w i r  sind die abgestempelten Feinde Gottes und der Wahrheit, die dem Heiligen gegenüber keine Verantwortlichkeit fühlen. In solcher Lage kann uns nur der Heilige Geist und die Gnade Gottes fest machen. Denn wir dürfen ebensowenig wie unser großer Bruder mit den gleichen Waffen kämpfen wie unsere Gegner, dürfen ihre „Gutgläubigkeit“ ohne Grund nicht in Zweifel ziehen.

In diesem Geiste dürfte es uns möglich sein, auch vor dieser Welt Dinge zu sagen, die schweres Gewicht haben und denen nicht einfach widersprochen werden kann. Die göttliche Wahrheit hat in gewissen Situationen, wenn ER es will, eine Wucht und Eindringlichkeit, die auch die ärgsten Gegner betroffen macht - und wenigstens für Augenblicke in Verlegenheit setzt und verstummen läßt. Aber  d a s  muß uns der Geist schenken.

Der Meister spricht seine Gegner hier als „Heuchler“ an: „Treffend hat Jesaja von euch geweissagt: „Dieses Volk ehrt mich mit seinen Lippen, aber ihr Herz ist ferne von mir! Ihr Gottesdienst ist wertlos, denn sie verkündigen Lehren, die nichts als Menschensatzungen sind.“ - Mt.15:7-9; s.a. Jes. 29:13

Die Ruhe (oder Trägheit) der meisten Menschen gegenüber geistigen Dingen beruht auf solchen Menschensatzungen. Sie denken, daß es nicht ihre Aufgabe ist, auf diesem Gebiet Entscheidungen zu treffen, über ihren Glauben nachzudenken. Sie lassen sich in den wichtigsten Dingen des Lebens geistig entmündigen, eben - weil es für sie nicht die wichtigsten sind. In bezug auf ihre materiellen Freiheiten und Rechte sind sie anscheinend viel wachsamer, und lassen sich nicht ein „x“ für ein „u“ vormachen. Aber im Geistigen überlassen sie die Wachsamkeit gerne einer Institution, und fühlen sich gesichert durch einen Zaun, den diese aufgerichtet hat.

So braucht es Selbständigkeit und Unerschrockenheit, sich dem Zwang der Überlieferung zu entziehen. Es ist uns vielleicht nicht genügend bewußt, welche Kühnheit es bei einem Brd. Russell voraussetzte, um in den „Schriftstudien“ ein so sehr vom Hergebrachten abweichendes Bild der göttlichen Wahrheit aufzustellen. Wir denken hierbei nicht so sehr an ungewöhnliche äußere Anfechtungen, die dieser Bruder zu bestehen hatte, als vielmehr an die Furchtlosigkeit und Entschlußkraft des  G e i s t e s,  die es benötigte, um überall bis auf den Kern der Wahrheit vorzustoßen.

Es gibt im Reich des Denkens ebenso außerordentliche Wagnisse als in unserem natürlichen, gefahrvollen Leben. Es ist immer ein schwerwiegendes Unterfangen, die herkömmlichen Vorstellungen zu verlassen und zu ganz neuen Erkenntnissen vorzudringen. Es gehört Mut dazu, aus einem Zaun auszubrechen.

Das, was uns den Schritt in die Freiheit verlegen will, das sind eben die „Menschensatzungen“, die Überlieferungen und starren Ordnungen, in die das geistige Leben eingezwängt ist. Jesus sagt zu seinen Jüngern: „Die Wahrheit wird euch frei machen.“ (Joh. 8:32) Er will, daß wir geistig an keinen Menschen und an keine Menschengruppe versklavt sind - vor allem, daß wir nicht der Sünde, dem Bösen anhangen. Das bedingt, daß wir frei sind, der Wahrheit zu folgen auf ihrem Wege, und daß wir unsere Gewissen von ihr leiten lassen.

Nachdem der Meister sich in der angeführten Weise gegenüber den Pharisäern und Schriftgelehrten geäußert hatte, rief er das Volk herbei und erklärte: „Höret, und verstehet es: Nicht das macht den Menschen unrein, was zum Munde eingeht, sondern das, was zum Munde ausgeht, das macht den Menschen unrein.“

Dieses Wort wird von den Jüngern nicht ohne weiteres verstanden. Petrus bittet den Herrn um Erklärung, und Jesus antwortet: „Seht ihr denn nicht ein, daß alles, was zum Munde eingeht, in den Magen kommt und dann durch den Darm ausgeschieden wird? Was aber zum Munde ausgeht, das kommt aus dem Herzen, und das kann den Menschen unrein machen. Denn: böse Gedanken, Mordabsichten, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl, falsches Zeugnis und Verleumdung - die kommen aus dem Herzen, und hierdurch wird der Mensch verunreinigt. Aber mit ungewaschenen Händen essen, das macht den Menschen nicht unrein.“ - Mt. 15:17-20

Jesus stellt also fest, daß die bösen Gedanken aus dem Herzen kommen, und er macht keine Ausnahme vor dieser Tatsache. Er sagt also nicht: Bei den Pharisäern und auch sonst beim Volke gebe es solche bösen Herzen,  a b e r  bei seinen Jüngern verhalte sich dies anders. Nein: die Möglichkeit zum Bösen ist in uns allen vorhanden. Wir ahnen es vielleicht garnicht, was alles Platz hat in unseren Herzen. Aber mitunter bricht solche Unreinigkeit plötzlich hervor aus unserem Wesen und bedroht die Neue Schöpfung in Christo, die durch den Heiligen Geist gezeugt worden ist. Wir sind Fleisch, und das „Fleisch“ ist und bleibt dem Geiste entgegengesetzt und feindlich, weil hier all das Schlimme, wovon der Herr redet, seit Adam vorhanden ist und ständig bestrebt, auch die Neue Schöpfung zu überwältigen. So sagt ja der Apostel Paulus: „ich weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleische, nichts Gutes wohnt.“ (Röm. 7:18) Das „Fleisch“ hat keinen Willen zum Guten. Der gute Wille dagegen ist (mehr oder weniger) ein Überrest der verloren gegangenen Ebenbildlichkeit Gottes im Menschen: er ist „Geist.“

Das ist auch ein wichtiger Dienst, den uns die Wahrheit leistet, daß sie uns darüber aufklärt, was wir dem „Fleische“ nach sind. Das geschieht aber nicht dazu, damit wir uns vor uns selbst entsetzen - oder gar entmutigt den „guten Kampf“ aufgeben. Denn Paulus fügt hinzu: „Ich elender Mensch, wer wird mich retten von diesem Leibe des Todes?“ Von diesem Willen des Fleisches, in dem so viel Böses verborgen ist? Und dann fährt er fort: „Ich danke Gott durch Jesum Christum, unseren Herrn! Also diene ich nun selbst mit dem Sinne (d.h. mit meinem  n e u e n  Sinne, meinem Herzen und meinen Bemühungen, die Gott als vollkommene Tat ansieht) Gottes Gesetz, mit dem Fleische aber der Sünde Gesetz. Also ist jetzt keine Verdammnis für die, welche in Christo sind.“ - Röm. 7:25-8:2

Paulus sagt damit, daß in Jesu unsere Rettung ist. Das mag ein abgegriffenes Wort sein - zu oft, und vielleicht auch in einem falschen Sinne angewendet. Wer aber schon unter der Not der Sünde gelitten hat, wer die Zwiespältigkeit seines Wesens erfahren und seine Machtlosigkeit gegenüber der Sünde empfunden hat, der weiß, warum Paulus sagt: „Ich danke Gott durch Jesum Christum, unseren Herrn!“ Und weiter: „Also ist jetzt keine Verdammnis für die, welche in Christo Jesu sind. Denn das Gesetz des Geistes des Lebens hat mich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.“

Was bedeutet „Leben in Christo“ anderes, als daß der Heilige Geist nun die Kontrolle über unsere Natur in die Hand genommen hat! Und  d a s  bewirkt unsere Reinigung. Denn nunmehr geht nicht mehr willentlich Unreines aus unserem Munde hinaus.

Jesus will aber mit seinen Worten auch darauf hindeuten, daß das Böse, das aus unserem Munde hinausgeht, ebensosehr die Mitmenschen gefährdet und verunreinigt. Denn das Böse ist eine große Macht der Verführung. Es kann auch täuschen, es kann verwunden. So weist also der Herr mit seinen Worten darauf hin, daß es der Heilige Geist ist, der uns reinigt. „Ihr seid schon rein um des Wortes willen, welches ich zu euch geredet habe.- Joh. 15:3 Das Wort kommt von Gott zu uns als eine reinigende Kraft. Was Menschen an Satzungen aufstellen und ausüben, das hat keine reinigende Kraft. Den Allerhöchsten kann man nicht mit äußerer Frömmigkeit und Zeremonien zufriedenstellen. Er will mehr: „Gib mir, mein Sohn, dein Herz, und laß deine Augen Wohlgefallen haben an meinen Wegen.“ (Spr. 23:26) Dem Allmächtigen dürfen wir nur mit unserem Herzen nahen.



Tagesanbruch Bibelstudien- Vereinigung