Lichtstrahlen |
Evangelium und Weltgeschichte
Die Botschaft an Philadelphia; Off. 3:7-13
Teil I
Von den sieben Versammlungen sind es nur zwei, die das ausschließliche Lob unseres Herrn haben: „Smyrna“ und „Philadelphia“.
Sicherlich können die treuen Nachfolger des Herrn sich keinen begehrenswerteren, keinen gesegneteren geistigen Zustand denken als den des ungeschmälerten Lobes Dessen, den sie vor allem lieben gelernt haben: Den, der sie in die Gemeinschaft des Sohnes u n d des Vaters einschließt: Jesus Christus. - s. Joh. 14:6
Wohl enthält die Botschaft Worte der Ermahnung, aber keine Worte des Tadels und des Vorwurfs. Der aufrichtige, gewissenhafte Gläubige wird darum das Verlangen haben, die Worte des Meisters sorgfältig und unter Gebet zu studieren, um herauszufinden, um was es bei dieser ungeteilten göttlichen Billigung geht. Und w e n n er es herausgefunden hat, wird er um die Kraft und Hilfe des Herrn bitten, all’ dies in seinem Leben auch in die Tat umsetzen zu können - vor allem, was die innigen und lebendigen Beziehungen zu allen anderen Geweihten betrifft.
„Philadelphia“ bedeutet: „Brüderliche Liebe.“ Eine Versammlung des Volkes Gottes, die ein derartiges Lob von ihrem Herrn entgegennehmen darf, kann nur eine Gemeinschaft verkörpern, die ein hohes Maß dieser Gnade besitzt. Und es ist tatsächlich so, daß eines der heiligsten Bande unter den Menschenkindern das Band der Liebe ist, das die Brüder, die Schwestern im Glauben miteinander verbindet.
„Ein neues Gebot gebe ich euch, daß ihr einander liebet, gleichwie ich euch geliebt habe.“ (Joh. 15:12) Und dieses Gebot wird aus vielen Hinweisen sowohl in den Aufträgen des Herrn an seine Jünger als auch in den Schriften der Apostel - zur Genüge als eine ganz besondere Tugend hervorgehoben. Freude und Schmerz, Kränkung oder Ehrung eines jeden Mitpilgers auf dem schmalen Pfad zur himmlischen Berufung sollte von allen mit-getragen werden. So vertraut und herzlich ist dieses Band. Der Himmlische Vater selbst hat diese menschliche Verbundenheit auf dem geistigen Grund des Glaubens eingesetzt. Soweit es uns bis heute bekannt ist, gibt es unter allen seinen menschlichen Geschöpfen nichts, das dieser Gemeinschaft des Herzens ähnlich wäre.
Infolge des gefallenen Zustandes des Menschen vermögen wir heute nur noch einen schwachen Überrest von dem zu erkennen, was dieses „Band der brüderlichen Liebe“ in der Vollendung bedeutet. Gott hat sich aus dieser Welt gefallener Geschöpfe einen besonderen Schatz herausgesucht. Es war sein Wohlgefallen, diesem den Namen „heilige Brüderschaft“ zu geben. - s. 1. Pet. 2:17
Jesus Christus ist der Erstgeborene dieser Brüderschaft, und alle ihre Glieder sind vom Vater selbst gezeugt. (Röm. 8:29; Hebr. 2:11,12) Gott hat Mittel und Wege eingesetzt, um dieses Verwandtschaftsverhältnis - zwar auf Glauben gegründet - dennoch in irdischen Gefäßen zu bilden und zusammenzuhalten. Er hat dieses „Verwandtschaftsverhältnis“ auf eine höhere geistige Ebene versetzt, das - in seiner Vollendung - einmal der ganzen Welt geoffenbart werden wird.
Diese geistige Verwandtschaft nun ist etwas gänzlich Neues: eine Neu-Schöpfung des Allmächtigen. Sie ist getragen von einem derart eigenartigen Charakter, daß ihren Gliedern in feierlichster Weise auch ein n e u e s Gebot gegeben wurde. Wir wiederholen es noch einmal, wie es unser Herr in erweiterter Form ausgesprochen hat: „Ein neues Gebot gebe ich euch, daß ihr einander liebet, auf daß - gleichwie ich euch geliebt habe, auch ihr einander liebet. Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“ - Joh. 13:34,35
Jesus betonte ferner nachdrücklich die überragende Wichtigkeit dieses neuen Gebotes, indem er den Seinen klar machte, daß sie n i c h t in Seiner Liebe bleiben könnten, ohne dieses Gebot erfüllt zu haben. „Wenn ihr meine Gebote haltet, so werdet ihr in meiner Liebe bleiben, gleichwie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in Seiner Liebe bleibe. … Größere Liebe hat niemand als diese, daß jemand sein Leben läßt (Fußn.: einsetzt, darlegt) für seine Freunde.“ - Joh. 15:10-13
Die Wichtigkeit des Philadelphia-Geistes liegt ferner in der Aussage, daß sein Besitz die sichere Garantie für das Entronnensein ist aus dem Fluch, der auf der ganzen Welt liegt. Entronnen - und eingetreten in ein neues himmlisch-geistiges Leben, ist ein solch Liebender versetzt auf die höhere Ebene der heiligen, himmlischen Brüderschaft; und damit ist er ein Glied (auf Probe) der Neuen Schöpfung geworden.
„Wir wissen“, schreibt der Apostel Johannes in 1. Joh. 3:14, „daß wir aus dem Tode in das Leben übergegangen sind, weil wir die Brüder lieben; wer den Bruder nicht liebt, bleibt in dem Tode.“
Das vollkommene Vorbild dieser Liebe ist Jesus Christus selbst. „Hieran haben wir die Liebe erkannt, daß er (der Herr) für uns sein Leben dargelegt hat; auch wir sind schuldig, für die Brüder das Leben darzulegen.“ (l. Joh. 3:16) Ja - d i e s e Liebe ist der stärkste Beweis für die Erhabenheit und die göttliche Autorität des christlichen Glaubens.
„Die Menge derer aber, die gläubig geworden, war e i n Herz und e i n e Seele (Apg. 4:32-35) Dies war die hervorragendste und auffallendste Charaktereigenschaft der Urkirche - in der damaligen Zeit, da der Himmlische Vater Seinen Geist, die Kraft aus der Höhe, über die Jünger Christi ausgegossen hatte. Es war eben d e r Philadelphia-Geist der brüderlichen Liebe, der in den angegebenen Versen von Apg. 4:32-35 beschrieben ist: Die wichtigste und begehrenswerteste aller christlichen Tugenden.
Dieses Offenbarwerden der Liebe ist natürlicherweise eine der auffallendsten Charakterzüge bei jedem Versuch einer Reformation oder Wiederbelebung. Es galt, die Gläubigen zu dem ursprünglichen Zustand zurückzuführen, von dem die nominelle Kirche in so beklagenswerter Weise abgewichen ist.
* * *
Betrachten wir nun die Philadelphia-Botschaft als ein Glied in der Kette der sieben prophetischen Kundgebungen Jesu Christi an die sieben Gemeinden, so folgt daraus, daß wir sie in die Reihenfolge der übrigen einzugliedern haben. Es handelt sich um d i e E p o c h e, die unmittelbar auf die von „Sardes“ folgte. Jene Periode wird in ihren Anfängen durch die Bewegung der protestantischen Reformation dargestellt. Doch - behalten wir im Gedächtnis, daß die Verhältnisse und der Geist von Sardes in den großen nominellen Kirchensystemen fortexistierte.
Das „Licht“ von Philadelphia stellt deshalb - im symbolischen, prophetischen Sinn - nicht etwa eine neue, besondere Einrichtung oder Gliederung des christlichen Glaubens dar, sondern vielmehr eine B e - w e g u n g, die durch den Geist Gottes belebt wurde. Ihr Zweck war die Reformation der w a h r e n Kirche Gottes, die inmitten der Verwirrung und des Abfalles von „Thyatira“ und des geistigen Todes von „Sardes“ im Kleinen aber dennoch weiterlebte. Es ist der Philadelphia-Geist, der in a l l e n Überwindern zu a l l e n Zeiten vorherrschend war; und gerade der Besitz dieses Geistes ist der auffallendste Charakterzug, der die Überwinder kennzeichnet.
Über diese Periode der Kirchengeschichte schrieb Ch. T. Russell folgendes: „Diese Phase in der Geschichte der Kirche begann offenbar mit der Reformation; und auch heute noch gibt es viele unter den Lebenden dieser gegenwärtigen Laodicäaepoche, die die erwähnte Charaktereigenschaft aufweisen. Es existiert eine auffallende Ähnlichkeit zwischen jenem Werk, das zu Pfingsten begonnen wurde, und demjenigen Luthers und seiner Freunde. Die Reformation war in einem gewissen Sinn der Anfang einer neuen Aera, ein Aufdämmern des Lichtes an einem Ort, wo allgemeine Finsternis geherrscht hatte: die Trennung des Wahren vom Falschen, und ein neuer Beginn auf dem Wege der Wahrheit.“
„Während der Philadelphia-Epoche, besonders in ihrem Anfangs- und in ihrem Endstadium, wurden die treuen Gläubigen gezwungen, aus dem nominellen „Tempel“ auszutreten, oder sie wurden ihres beharrlichen Zeugnisses wegen hinausgeworfen.“ - Zitat-Ende.
„Sardes“ stellt einen Zustand dar, der als eine „christianisierte Welt“ bezeichnet werden könnte, die jedoch weiterhin eine „Welt“ blieb, die voll und ganz im Argen lag, und in der man nur hie und da einen wahren Christen treffen konnte.
„Philadelphia“ hingegen mag die Wirkung des Geistes Gottes in jenen verhältnismäßig Wenigen veranschaulichen, die in lebendigem Glauben sich bemühten, das Volk Gottes gegen die anstürmenden Wogen der hereinbrechenden völligen Verweltlichung zu schützen. Eine Bewegung von solchem Charakter resultierte in dem Zusammenschluß der g e i s t i g Gesinnten in ungeheuchelter Bruderliebe, die in der G e - s i n n u n g von Philadelphia zum Ausdruck kommt.
Es ist jedoch leider immer wahr gewesen und wahr geblieben, daß viele sich diesen Bewegungen anschlossen, die diesen Geist entweder überhaupt nie besaßen- oder die sich nach ihrer Vereinigung mit den geweihten Christen beharrlich weigerten, diese Gesinnung der Bruderliebe zu entwickeln.
Jene, die diese Liebe nicht haben - und auf den Wegen der natürlichen Menschen wandeln (s. 1. Kor. 3:1-4), verfallen nach kurzer Zeit der Frömmelei und Intoleranz, die stets zu Spaltungen und Streitereien über u n w e s e n t l i c h e D i n g e führen; dadurch entstehen Prüfungen und Sichtungen, um die Bewährten offenbar zu machen, die den Philadelphia-Geist besitzen: Die wahre Gesinnung der Überwinder.
Fortsetzung in der nächsten Ausgabe