„Wer ist sie …?“

„Wer ist sie, die da heraufkommt von der Wüste her, sich lehnend auf ihren Geliebten?“ - Hohelied 8:5

Welches sind wohl in unserem Leben die am meisten gesegneten Stunden? Sicherlich sind es die, in denen uns der Blick aufgeht für das Unsichtbare, für die jenseitige Welt. Da ergeht es uns wie Mose, der standhaft alle Verlockungen der Welt von sich wies, indem er sich der Gegenwart des Allerhöchsten voll bewußt war. Sich in der Nähe dieses Himmlischen Vaters zu wissen, seiner Herrlichkeit und Allmacht - das ist Licht von oben, das ist Freude und eine unvergleichliche Quelle übernatürlicher Kraft und Zuversicht, die uns immer dann zukommen wird, wann wir ihrer so sehr bedürfen.

In solchen Stunden geistigen Sehens erkennen wir auch das uns anvertraute „Pfund“, mit dem wir arbeiten und wuchern sollen zur Ehre unseres Herrn, zum Segen der Glieder des Christus.

Wir alle haben ein solches Pfund empfangen; da ist keiner im Herrn, der nichts erhalten hätte. Die göttliche Wahrheit an sich ist so etwas Lebendiges, daß alle, die sie lieben und von ihr ergriffen wurden, mit geistigen Kräften reich ausgerüstet worden sind. Und diese Kräfte äußern sich, wollen zur Geltung kommen. Wo?

Überall in unserem Leben! Da gibt es keine abgezirkelten Sektoren, innerhalb derer die von oben empfangene Gabe kein Betätigungsfeld finden könnte. Wir dürfen sie nicht dämpfen, sonst wird dieses uns geschenkte Sehvermögen leiden. Gott, der uns so nahe steht, rückt dann immer mehr in die Ferne, und damit verblaßt auch das Licht in uns. Mit dem Licht aber erlischt unsere Freude und unsere Kraft.

So zeigt es sich, wie ungemein wichtig es ist, unser auf das Jenseitige gerichtete Auge offen zu halten, um durch  G l a u b e n  hineinzuschauen in das Unsichtbare, Ewige, Unvergängliche - in den Himmel! Es ist eine Lebensfrage für uns, daß wir die für uns unsichtbare Realität voll erfassen und mit ihr rechnen können. Auf diese Weise ist es uns erst möglich, aus dem Tod in das Leben in Jesus Christus zu dringen. Die wunderbaren Verheißungen Gottes werden dann für uns zu vollgültigen Anweisungen, auf deren Wert wir mit Gewißheit vertrauen.

Das sind  S i c h e r h e i t e n, die keine Bank der Welt uns geben könnte - Hoffnungen, die uns durch die Jugend hindurch bis ins Alter hinauf tragen, ja, bis zu unserem Ende. Wenn auch mit dem Tode alle irdischen Hoffnungen erlöschen - das Licht unserer Hoffnung erlischt uns nicht. Der ewige und getreue Himmlische Vater wird alle Verheißungen wahr machen in Christo Jesu.

„Die Worte, die ich zu euch rede, sind  G e i s t  und sind  L e b e n;  aber es sind etliche unter euch, die nicht glauben.“ (Joh. 6:63) In diesem Unglauben liegt Schuld; sie haben etwas in ihren Herzen, was sie der Gabe Gottes vorziehen. Wir können also den Glauben entweder vermehren oder vermindern. Er gehört gewissermaßen auch zu dem uns anvertrauten „Pfund“, mit dem wir wuchern sollen. Unser Glaube äußert sich in unserer Einstellung gegenüber dem Sichtbaren, Zeitlichen, dem Weltgeist und der Welt. Ihnen gegenüber müssen wir festhalten an dem im Geiste  G e s c h a u t e n. Wir dürfen uns diesen Blick nicht trüben, nicht entreißen lassen. Der Ewige belohnt den Glauben. Er belohnt ihn damit, daß wir am inwendigen Menschen gedeihen und erstarken, indem wir unseren Glauben  b e t ä t i g e n.  Das tun wir, indem wir uns dem  U n - g e i s t  d e r  W e l t  entgegenstemmen. „Diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christo Jesu war!“ - Phil. 2:5

Vor allen Dingen aber müssen wir an unsere  B e r u f u n g  glauben. Wir müssen wissen, daß unsere Weihung, unser Gelöbnis vom Herrn gehört und angenommen worden ist. Damit sind wir eine Bindung eingegangen, von der uns nur der geistige Tod lösen könnte. Es ist kein Kleines, dem Herrn zu geloben; wir haben es hier nicht mit Menschen, sondern mit dem lebendigen Gott zu tun. Darüber erfahren wir in 4. Mos. 30:3: „Wenn ein Mann dem Jahwe ein Gelübde tut oder einen Eid schwört, ein Verbindnis auf seine Seele zu nehmen, so soll er sein Wort nicht brechen; nach allem, was aus seinem Munde hervorgegangen ist, soll er tun.“

Diese unsere Berufung fest zu machen, das ist die uns von Gott gestellte Aufgabe; das sollte unser Lebensinhalt sein. Paulus sagt hierüber: „Vergessend, was dahinten und mich ausstreckend nach dem, was vorne ist, jage ich, das Ziel anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christo Jesu.“ (Phil. 3:14) „Das Ziel anschauend …“;  d a s  gibt unserem Bestreben, das ja an sich unendlich schwach ist, die Kraft und die Beständigkeit.

Paulus wirkte und lebte in der Anfangszeit der „hohen Berufung“ der Kirche. Noch wirkte die persönliche Erscheinung unseres Erlösers in den Herzen und Sinnen der Apostel und der sonstigen Gläubigen nach als ein ungeheures und einzigartiges Erlebnis, wie es eben nur eine Zeit bieten kann, die durch göttliche Offenbarung besonders hell erleuchtet wird. Aus diesem gewaltigen Erleben heraus schrieben die Apostel ihre Briefe unter dem Einfluß des Heiligen Geistes, damit die Herausgerufenen des ganzen Zeitalters hieraus einen Nutzen und Segen zögen.

Die stützende Hand des Geliebten

Aus den Hinweisen der Heiligen Schrift und deren Sicht des ganzen Weltgeschehens erkennen wir, daß wir uns heute in einer ebenso bedeutungsvollen Zeit befinden, wie die Apostel und die Gläubigen damals.

Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß die letzten Glieder der Kirche bald vollendet sein werden. Schon tritt Neues in Erscheinung, indem die Gnade und das Handeln Gottes zurückkehren zu dem irdischen Volk Israel. Die Ereignisse, die dieses Volk betreffen, reden zu uns gleich aufweckenden Posaunenstößen. Sie halten aber auch die ganze Welt in Atem. Spüren etwa die denkenden Menschen der Welt, daß hier etwas Ungewöhnliches angefangen hat, in Erscheinung zu treten? Etwas, das für unser ganzes Erdenrund sogar von Bedeutung zu sein scheint?

Das ganze Geschehen in Israel ist ja umwittert von uraltem Prophetenwort. Da und dort beginnen diese herrlichen Worte im Glanz der Erfüllung aufzuleuchten. Hier bahnt sich eine Offenbarung Gottes an, die nicht geringer sein wird als die mit dem ersten Advent des Herrn verbundene. In der kommenden Zeit dürfte Israel immer deutlicher zum Mittelpunkt des Weltgeschehens werden; denn zu allererst wird sich ja der gegenwärtige Messias seinem Volke Israel offenbaren. Von da aus wird die Gottes-Offenbarung alsdann die ganze Welt erfassen. Das gesamte Weltgeschehen drängt heute nach letzten Entscheidungen und Auseinandersetzungen, denen nur noch der Zusammenbruch folgen kann.

Alle, die ihre Berufung und Erwählung festmachen wollen, sind hell wach. Die Zeit der Schläfrigkeit ist vorbei. Sie sehen der Vereinigung des Bräutigams mit der Braut entgegen. Wir befinden uns in der Zeit, von der unser Leittext spricht: „Wer ist sie, die da heraufkommt von der Wüste her, sich lehnend auf ihren Geliebten?“ Eben - wer ist sie? Das ist das große Geheimnis, das der Allmächtige bald einer staunenden Welt offenbar machen wird: Es ist die Kirche; die wahre Kirche der Berufenen und Auserwählten und Treuen. Und sie kommt von der „Wüste“ herauf.

Verborgen in Nichtbeachtung, verleumdet und häßlich gemacht durch die Unverständigen unter den Menschen lebte sie in der ohne Freunde, ohne Bewunderer, völlig bedeutungslos und verachtet nach dem Urteil der Weisen dieser Welt. Durch so viele Jahrhunderte hindurch war sie den Blicken der öffentlichen Aufmerksamkeit meist entzogen. Nur, wer der göttlichen Wahrheit nachspürte, sie sich etwas - oder alles - kosten ließ, entdeckte sie hier und fand Anschluß an die verborgene Gemeinde.

Völlig bedeutungslos sei sie? Für die Weisen dieser Weltzeit sicher, da sie nicht mit einem Auge des Glaubens sehen können. Denn sie können ja auch Jesus Christus, den Herrn, nicht erblicken. Und  d i e s e r  H e r r  geht neben der Kirche einher in unserem lieblichen Bild. Er leiht ihr Seinen mächtigen Arm als Stütze. Bald aber wird er sich vor aller Welt zu diesen Gering-Geachteten, Niedrigen und Kleinen bekennen als zu seiner „Braut“ und Auserwählten. Darum, daß sie Ihn bekannt hat vor den Menschen - unter Verachtung, Schmach, Verfolgung und Leiden. Darum, weil sie Christi Geist in sich barg und ihren Bräutigam liebte. Darum wird Gott, der Allmächtige, herrlich ins Licht rücken, was im Geheimen, in der Verborgenheit unter viel Leid und Trübsal - immer unverstanden von der Welt - gebildet worden ist. „Aus Zion, der Schönheit Vollendung, ist Gott hervorgestrahlt. Unser Gott kommt, und er wird nicht schweigen; Feuer frißt vor ihm her, und rings um ihn stürmt es gewaltig. Er ruft dem Himmel droben und der Erde, um sein Volk zu richten: Versammelt mir meine Frommen, die meinen Bund geschlossen haben über Opfer.“ - Ps. 50:2-5

Die Geburtsstunde der Neuen Schöpfungen, die Herrlichmachung der Kirche, geschieht inmitten der gewaltigen Endereignisse dieser Welt. Und weil das Gericht über die Nationen ganz unzweifelhaft im Gange ist, so sehen wir heute die Kirche, die Braut Christi, am Rande der  W ü s t e  erscheinen. Wir erblicken sie mit dem Glaubensauge, denn noch sind wir in der Welt. Im Geiste jedoch erkennen wir uns als einen Teil dieser herrlichen Erscheinung, die da am Rande der Wüste ins Blickfeld rückt, sich lehnend und stützend auf den Arm des geliebten Herrn.

D a s  ist ja das Geheimnis ihrer Kraft. Ja, es ist unser aller Geheimnis der Kraft. Die Beharrlichkeit, der wir bedürfen, sie kommt uns von dem Herrn zu. Nur deshalb stehen wir noch aufrecht, weil wir uns auf diesen starken Arm stützen dürfen; ohne diese Zusicherung wären wir ja längst zusammengebrochen und umgekommen. Längst wären unsere Füße abgeglitten vom schmalen und schlüpfrigen Pfad der Treue und Selbstverleugnung. Schon längst wären wir gefangen in irgendeiner Sektiererei oder abgeirrt in nackten Unglauben. Schon längst hätten uns die Mächte und Kräfte der Welt durch ihre brutale Gewalt, durch ihre imponierende Größe erdrückt, und schon längst hätten die Lebenssorgen, die Existenzangst und all’ die Eitelkeiten und Verlockungen unserer Umgebung unseren Glauben als wucherndes Unkraut erstickt.

Aber das darf nun nicht sein. Unser Bräutigam steht neben uns. Er reicht uns Seinen Arm, er hält uns fest, wenn wir fallen wollen. Nicht so, daß er uns mit Gewalt an sich fesseln möchte; immer ist es uns anheimgestellt, ob wir ihn verlassen oder bei ihm bleiben möchten. Diese Entscheidung wird von der Liebe zu Ihm abhängen.

Wenn wir den Herrn und die göttliche Wahrheit lieb haben, dann harren wir aus bei Ihm. Und diese Liebe fordert ihre Opfer, große Opfer: Selbstaufgabe, vorbehaltlose Weihung und Hingabe. Denn: „Die Liebe ist gewaltsam wie der Tod, hart wie der Scheol ihr Eifer. Ihre Gluten sind Feuergluten, eine Flamme Jahs. Große Wasser vermögen nicht, die Liebe auszulöschen, und Ströme überfluten sie nicht. Wenn ein Mann allen Reichtum seines Hauses um die Liebe geben wollte, man würde ihn nur verachten.“ - Hohelied 8:6,7

Wie könnten wir besser die ganze Tiefe und den Ernst unserer Verbindung mit dem Herrn darstellen, als mit diesen Worten? Jene Gläubige waren von dieser Liebe erfaßt, die den Raub ihrer Güter mit  F r e u d e  erduldeten - die bereit waren, für den Herrn ins Gefängnis, in Marter und Tod zu gehen. Die bereit waren, Frau und Kinder zu verlassen, ob auch ihr Herz fast brach vor Schmerz. Ihre Gluten sind Feuergluten, eine Flamme Jahs.

Von dieser Glut sollen auch wir im Herzen tragen. Unsere Liebe zum Herrn sollte eine feurige, eine heiße sein. Nur solche Liebe ermöglicht eine ganze Hingabe an den Herrn und die Opfer, die damit verbunden sind. Jedes Glaubensleben, das unter Bedingungen und geheimen Vorbehalten sich mit den Forderungen des Herrn auseinandersetzt, bleibt fruchtleer und kraftlos. Solche Vorbehalte können bedeuten, daß wir uns nicht völlig auf den Herrn stützen möchten, daß wir noch mit anderen Stützen und einem anderen Halt rechnen. Ist das aber nicht überaus gefährlich in unserer Zeit, da eine Stütze der Welt nach der anderen zusammenbricht? Ist nicht die Welt gerade deswegen von Angst erfüllt, weil eine Sicherung nach der anderen sich als trügerisch erweist - weil eine Säule nach der anderen abbröckelt? Laßt uns daher auf solche „Stützen“ verzichten.

Auf den sicheren Arm des Herrn wollen wir uns lehnen; er wird niemals versagen. Unser großer Bruder wird uns nie verlassen noch versäumen; er liebt uns ja. Unser Glaube wird uns heute mächtig beflügelt durch das, was wir um uns herum geschehen sehen: Erfüllung prophetischer Voraussage, gegeben zu unserer - der Gläubigen - Ermunterung und Stärkung. Wir glauben, daß die Zeit da ist, in der wir unsere „Häupter erheben“ und frohlocken sollen, weil wir sehen, „daß unsere Erlösung naht.“ - Lk. 21:28.



Tagesanbruch Bibelstudien- Vereinigung