Evangelium und Weltgeschichte

Die Botschaft an Sardes, Teil I

„Und der Versammlung in Sardes schreibe: Dieses sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne: Ich kenne deine Werke, daß du den Namen hast, daß du lebest, und bist tot.

Sei wachsam und stärke das übrige, das sterben will; denn ich habe deine Werke nicht völlig erfunden vor meinem Gott. Gedenke nun, wie du empfangen und gehört hast, und bewahre es und tue Buße. Wenn du nicht wachen wirst, so werde ich (über dich) kommen wie ein Dieb, und du wirst nicht wissen, um welche Stunde ich über dich kommen werde.“

„Aber du hast einige wenige Namen in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; und sie werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind es wert. Wer überwindet, der wird mit weißen Kleidern bekleidet werden, und ich werde seinen Namen nicht auslöschen aus dem Buche des Lebens, und werde seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Versammlungen sagt.“ - Off. 3:1-6

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Über die Bedeutung des Namens dieser ehemaligen Stadt und Gemeinde in Kleinasien sind sich die verschiedenen Ausleger der Offenbarung nicht einig. Brd. Russell jedenfalls vertrat den Gedanken von: „Das, was überbleibt.“ Andere sprechen von „Entronnen“ oder einem „Überrest.“ Der geistige Inhalt dieser Ausdeutungen ist jedenfalls derselbe.

Die Worte des Erlösers an die Herausgerufenen in Sardes in den Tagen des Johannes scheinen die denkbar schlimmste Lage zu beschreiben, in die eine Gemeinde geraten kann, die sich zum Namen Christi bekennt. Die ursprüngliche in Sardes bestehende Versammlung ist in obigen Worten des Herrn als „tot“ dargestellt. Das bedeutet, daß jene damalige Gemeinde nur eine äußerliche Bekennerin des Namens Christi war, ohne weder im Leben ihrer einzelnen Glieder, noch in der Verkündigung des reinen Evangeliums irgendein Maß ihres geistigen Lebens auszuleben und zu zeigen.

Aber der Herr spricht dennoch von den wenigen wahren Christen unter ihr, wenn er sagt: „Du hast einige wenige Namen in Sardes, welche ihre Kleider nicht besudelt haben.“ Es war wohl dieser kleine „Überrest“, der von der Ekklesia übriggeblieben war, die möglicherweise Paulus einst gründete. Es waren aufrichtige Gläubige, die in den Tagen der „Königsherrschaft der Jesebel“ deren falsche, verführerische Lehren nicht angenommen hatten. Darum entflohen sie auch jener geistigen Gefahr, die als „die Tiefen Satans“ bezeichnet ist.

Auf diese „Übriggebliebenen“ legte der Herr keine andere Last, als daß sie  d a s  behalten (oder festhalten) sollten, was sie an Wahrheit besaßen. Jenes kleine Häuflein hatte jedoch nicht die Macht, die Versammlung „Sardes“ als Ganzes aus ihrer erbärmlichen Lage zu retten.

„Du hast den Namen, daß du lebest, und bist tot“ - das sind die Worte dessen, der in der Botschaft „die sieben Geister Gottes“ und „die sieben Sterne“ hat. Daß der Erlöser die sieben Geister Gottes hat, scheint zu lehren, daß Er das volle Maß der göttlichen Macht innehat und in Ausübung dieser Macht den durch Satan verursachten (scheinbaren) Fehlschlag in der Kirche Christi wohl zu verhindern weiß.

Der „Stern“ oder Lichtträger - wer auch immer er in jener  u r s p r ü n g l i c h e n  Gemeinde zu Sardes gewesen sein mag, war offenbar zu kraftlos, um in der ihn umgebenden Finsternis mit dem wahren Evangelium durchzudringen. Die wenigen  w a h r e n,  treuen Jünger Christi in jener Stadt mußten natürlicherweise entmutigt werden, so daß ihnen die Glaubenskraft fehlte, um sich mutig auf die Macht zu stützen, die allein wieder Leben in die „tote“ Gemeinde hätte bringen können.

Um jene  P e r i o d e  der Erfahrungen der wahren Kirche Christi herauszufinden, die in denen der ursprünglichen Sardes-Kirche dargestellt sind, müssen wir nach der allerdunkelsten Zeit in der Geschichte des Evangeliums Ausschau halten, nach der entmutigendsten und scheinbar hoffnungslosesten Lage für die Sache Christi, die die Historiker überhaupt herausfinden können.

Die finsterste Periode der langen mittelalterlichen Jahrhunderte war auf jeden Fall diejenige vor der Reformation. Die wenigen Geheiligten des Herrn, die vergeblich gegen die Lehren und gotteslästerlichen Anmaßungen der „Jesebel“ protestiert hatten, wurden bald durch blutige Verfolgungen derartig dezimiert, daß für eine kurze Zeit ihr Zeugnis für die Wahrheit aufhörte.

Um die damalige Zeit herum (1514) existierte nichts mehr, was in Wahrheit die Bezeichnung „christlich“ verdiente, obwohl man sich in ganz Europa mit dem Namen Christi benannte. Doch - wie es in den Tagen der vorbildlichen Jesebel war, so gab es auch in dieser Zeit Gläubige, die durch die vorschattenden „Siebentausend“ repräsentiert waren: durch „alle die Knie, die sich nicht vor dem Baal gebeugt haben.“ (l. Kön. 19:18; Röm. 11:4) „Der Herr kennt, die sein sind.“ (2. Tim. 2:19) Was jedoch ein kollektives, öffentliches Zeugnis anbelangt, so waren die treuen Nachfolger Jesu zum Schweigen verurteilt.

Das Lateranische Konzil gratulierte im Jahre 1514 sich selbst, daß die Christenheit nun nicht mehr länger durch die „Ketzer“ gestört wurde. „Der Widerstand gegen die päpstliche Herrschaft ist zu Ende“, hieß es; „es gibt keine religiösen Widersacher mehr. Es ist offenbar, daß die ganze Christenheit jetzt ihrem Haupte (dem damaligen Papst Leo X) unterworfen ist.“

Wer möchte daran zweifeln, daß die Sardes-Periode der wahren Kirche Christi in jenen dunklen Zeiten zu suchen ist? Diese Epoche ist in der Geschichte der Kirche eine der erschreckendsten und auffallendsten Visionen, die vor den Augen des geliebten Johannes vorüberzogen, und die auch später in der Offenbarung noch erwähnt wird.

„Ich kenne deine Werke, daß du den Namen hast, daß du lebest - und bist tot. Sei wachsam und stärke das Übrige, das sterben will; (eig.: das im Begriff steht zu sterben); denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen erfunden vor meinem Gott.“ - Kap. 3:1,2

„Ich kenne deine Werke!“ - Mit diesen Worten wendet sich der Erlöser an die Ekklesia von Sardes und ihren „Stern“ oder „Engel.“ Wenn wir richtig gehen, diese Botschaft prophetischerweise auf die Periode gerade  v o r  der Reformation zu beziehen, dann können wir sicher sein, daß in dieser damaligen Kirche eine Vereinigung all jener Sünden vorhanden war, die in den vorhergehenden Botschaften erwähnt wurden.

Das ungleiche Joch mit der Welt, der rein weltliche Geist. der in der durch die Botschaft an Pergamus dargestellten Geschichts-Epoche so vorherrschend war, die verderblichen Lehren des „Weibes Jesebel“ in Verbindung mit ihrer furchtbaren Verfolgungswut (dargestellt durch Thyatira) - dies alles zusammen hatte zu dem schon erwähnten Zustand geführt, den der Erlöser als „die Tiefen Satans“ brandmarkte. Die  n o m i n e l l e  Kirche auf Erden war tatsächlich „tot“. Und  s o  lagen die Dinge in der Periode kurz vor der Reformation.

Daß der Herr in seiner Botschaft nachdrücklich auf die „sieben Sterne“ in seiner Rechten hinweist, scheint zu lehren, daß ER vollkommene Kontrolle über die Diener seiner Kirche hat und daß er sie bewahren oder hinwegnehmen kann nach Seinem Wohlgefallen.

„Sei wachsam und stärke das Übrige, das im Begriff ist, zu sterben!“ Zweifellos gab es etliche - sowohl in der eigentlichen Versammlung von Sardes als auch in der durch Sardes dargestellten geschichtlichen Periode, auf die jene Worte des Herrn sich beziehen. Wo ein geistiges Leben Schaden nimmt oder zu erlöschen beginnt, ist es heilige Pflicht des „Engels“ (oder Ältesten) einer Versammlung, seine besten Kräfte einzusetzen, um den verglimmenden Funken mit Ermunterung, Liebe und Geduld wieder anzufachen.

„Denn ich habe deine Werke nicht völlig erfunden vor meinem Gott.“ Eine genaue Übersetzung lautet: „Denn ich habe deine Werke nicht völlig ausgerichtet erfunden vor meinem Gott.“ Offenbar sind diese Worte an den „Engel“ der Versammlung gerichtet - und an „die wenigen Namen, die in Sardes übriggeblieben sind.“ Es ist wahr, daß der Herr von denen, die sein sind, gewisse Werke erwartet, die ein selbstverständliches Ergebnis von Glauben und Liebe sind. In Sardes werden diese Werke „nicht völlig ausgerichtet“ worden sein, weil durch den allgemeinen geistigen Niedergang in den übriggebliebenen Jüngern Jesu eine so große Entmutigung platzgegriffen hatte.

Der Erlöser ermahnt nun seine wenigen Getreuen: „Gedenke nur, wie du empfangen und gehört hast.“ In Zeiten der geistigen Not, sei es nun durch äußere Einflüsse oder durch persönliche Bedrängnisse, können wir immer einen festen und tröstenden Anker finden in der Erinnerung an unsere erste Begegnung mit der „frohen Botschaft“, mit der Erkenntnis des Sohnes Gottes, der uns in die Gnade des Allerhöchsten, des himmlischen Vaters, geführt hat: wie es geschah, daß wir Vergebung der Sünden und Annahme bei Gott erlangten - und welche verschiedenen Werkzeuge dazu gebraucht wurden, um uns an allen diesen Segnungen teilhaben zu lassen.

Daß die ursprüngliche Ekklesia in Sardes schon in so verhältnismäßig kurzer Zeit nach ihrer Gründung (wahrscheinlich durch die Apostel) zu einem derartig geistigen Tiefstand gelangt war, ist erschreckend. Wenn nun diese ihre charakteristischen Merkmale auf die kirchengeschichtliche Periode vor der Reformation Anwendung finden, so sollten wir dennoch im Auge behalten, daß die Lage, wie sie in den einzelnen Botschaften des Herrn an die sieben ursprünglichen Versammlungen in Kleinasien gerichtet waren, keineswegs mit dem Ende der gegenbildlichen geschichtlichen Epochen ihren Abschluß fanden. Alle die vom Herrn ausgesprochenen Belohnungen, Mahnungen und Rügen haben ihre Gültigkeit durch das ganze Evangeliumszeitalter hindurch behalten - bis zum heutigen Tag.

Fortsetzung folgt.



Tagesanbruch Bibelstudien- Vereinigung