Der Friede Gottes

„Und der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, wird eure Herzen und euren Sinn bewahren in Jesu Christo“ Phil. 4:7

Mit „Frieden“ bezeichnet man einen Zustand der Ruhe oder Gelassenheit, des Freiseins von Störung oder Beunruhigung, der Stille und der Ungestörtheit. Eine solche Gemütsverfassung schreibt unser Text dem Allmächtigen zu. Seine Gemütsverfassung ist die der ungestörten Ruhe, die durch keinerlei Erregung unterbrochen, noch auch ermüdet oder in Verlegenheit gesetzt wird durch irgendwelche Sorgen in bezug auf sein gewaltiges Herrschaftsgebiet. Doch stützt sich dieser vollkommene Friede Gottes - wie die Schrift zeigt - weder auf die Tatsache, daß es keine Unordnung in seinem ungeheuren Machtbereich gibt, noch auch auf, irgendeine stoische Gleichgültigkeit gegenüber dem Schmerz oder der Freude, sondern vielmehr auf das vollkommene Gleichgewicht seiner herrlichen Eigenschaften, der zufolge er als unumschränkter Regent des ganzen Universums Herr seiner Situation ist.

Haben wir nicht die Kaltblütigkeit und ruhige Selbstbeherrschung großer Feldherren, wie Moltke oder Napoleon, inmitten des Schlachtgetöses und des Völkerkampfes bewundert? Oder großer Staatsmänner, wie Gladstone und Bismarck, inmitten nationaler Verwicklungen und Gefahren? Oder geübter ärzte oder anderer bei kritischen Zeiten und Gelegenheiten? Dies sind nur schwache Illustrationen jenes Friedens, der Selbstbeherrschung und des Selbstvertrauens, worauf die Gemütsverfassung Gottes beruht. Er ist niemals verwirrt, zerstreut, bestürzt, ängstlich - oder von Sorge bedruckt; er trägt sich auch nicht mit der geringsten Befürchtung darüber, daß seine Pläne fehlschlagen oder seine Vorsätze mißlingen könnten, weil alle Macht und Weisheit ihren Ursprung in ihm hat.

Der Bereich seiner mächtigen Verstandeskräfte erstreckt sich auf die äußersten Grenzen der Möglichkeit, indem er alle  U r s a c h e n  erkennt und alle  W i r k u n g e n  mit Genauigkeit unterscheidet; und infolgedessen weiß er das Ende vor dem Anfang. Als Schöpfer aller Dinge und der Urheber aller Gesetze ist er mit allen verwickelnden Feinheiten der physischen, moralischen und intellektuellen Gesetze bekannt, so daß kein Problem entstehen könnte, dessen Resultat seinem Auge nicht offenbar wäre. „Gott ist Licht, und in ihm ist garkeine Finsternis.“ - 1. Joh. 1:5

Gott, der  S c h ö p f e r  aller Dinge, ist auch der zuverlässige  E r h a l t e r  aller Dinge. In ruhiger Erhabenheit von Zeitalter zu Zeitalter führt das ganze physische Universum seinen Willen aus ohne den Schatten einer Unordnung oder eines Abgleitens; und dieselbe Macht verbürgt sich für die Erhaltung des Universums während einer nie endenden Zukunft.

So entspringt der Friede Gottes aus seinen eigenen unermeßlichen, ihm innewohnenden Hilfsquellen der Macht und Weisheit. Aber aus diesen Quellen allein entspringt dieser göttliche Friede nicht; denn Friede ist der unzertrennliche Begleiter der ihm wesenseigenen Güte. Gott ist die Verkörperung jeder Tugend und aller Gnade; und infolgedessen hat er die selige Befriedung und den Frieden bewußter moralischer Vollkommenheit sowohl, als auch ihm innewohnender Weisheit und Macht.

Die Gemütsveranlagung Gottes

Dieser Friede Gottes dauert trotz gleichzeitigem Bestehen von viel Unordnung und Unruhe fort. Als Lebengeber zeigt er uns, daß er die Liebe eines Vaters für seine vernunftbegabten Geschöpfe hegt - für jedes Geschlecht (Gottes) in den Himmeln und auf Erden - und daß seine Geschöpfe  s e i n e s  W o h l g e f a l l e n s  w e g e n  erschaffen worden sind. (Eph. 3:15; Off. 4:10) Er schuf sie in seinem eigenen Ebenbilde - mit denselben geistigen und moralischen Eigenschaften, die er selbst besitzt, damit er Gemeinschaft mit ihnen als mit Söhnen - und sie mit ihm als einem Vater haben könnten, und damit auf diese Weise der Schöpfer und sein Geschöpf in gegenseitiger Gemeinschaft Wohlgefallen, Glück und Wonne fänden.

Die Ebenbildlichkeit Gottes schließt bei allen seinen Geschöpfen nicht nur dieselben geistigen Fähigkeiten ein, die der Himmlische Vater besitzt, sondern auch ihre freie Ausübung in der Bildung des Charakters. Ein Geschöpf, das nicht dazu imstande wäre, auf diese Weise Charakter zu bilden, würde nicht dem Ebenbilde Gottes entsprechen. Und zum Zweck der Charakterbildung  m u ß  die Entscheidungsfähigkeit sowohl zum Guten als auch zum Bösen in das Geschöpf gelegt werden. Die rechten und die unrechten Grundsätze einer Handlung müssen erkannt - und es muß dem einzelnen Individuum frei überlassen werden, die eigene Entscheidung in der Angelegenheit zu treffen, damit das Wohlgefallen Gottes zum Ausdruck kommen kann angesichts des tugendhaften Charakters, der aus der freien Entscheidung für die Gerechtigkeit hervortritt.

Obschon die Liebe des Schöpfers für seine neu geschaffenen und unschuldigen Geschöpfe viel ausgeprägter ist als die Liebe irdischer Eltern für ein unschuldiges Kindlein, können beider Gemütsbewegungen doch miteinander verglichen werden. Während das kleine Kind heranwächst, kann Gottes Fürsorge und sein liebendes Interesse für sein Geschöpf nicht erkalten. Der Ewige selbst empfindet sowohl Schmerz als auch Wohlgefallen - je nachdem seine freien, vernunftbegabten Geschöpfe entweder den falschen oder den rechten Weg einschlagen - ebenso, wie das bei irdischen Eltern der Fall ist. Denn Schmerz und Freude können mit Recht als „Ebbe“ und „Flut“ der gleichen Gemütsveranlagung betrachtet werden.

Diese Darstellungen der Gesinnung des Allerhöchsten deuten klar das Vorhandensein einer Gemütsveranlagung an, wovon auch wir das Vorhandensein unserer eigenen Gemütsveranlagung herleiten können; der Mensch wurde im Ebenbilde Gottes erschaffen. Nein! Gott ist nicht ein Gott stoischen Gleichmuts, unempfindlich für die Gemütsbewegungen der Freude und des Schmerzes; aber das vollkommene Gleichgewicht seiner Eigenschaften bewahrt das Gleichgewicht seines Friedens  u n t e r  a l l e n  Um -  s t ä n d e n  - seien sie schmerzlicher oder freudiger Art.

Gottes Friede wird durch äußere Disharmonie nicht unterbrochen

Laßt uns nun an Hand dieses Gedankens die Umstände betrachten, unter denen der wunderbare Friede Gottes beständig aufrecht erhalten worden ist. Der tief angelegte Plan Gottes für sein gesamtes Schöpfungswerk setzt lange äonen, Zeitalter seiner Ausführung voraus.  J e n s e i t s  der noch vor ihm liegenden Zeitalter sah er - entsprechend seinem Vorsatz - die Herrlichkeit einer vernunftbegabten Schöpfung  i n  s e i n e m  E b e n b i l d e,  gegründet auf Gerechtigkeit und würdig seiner Gabe ewigen Lebens.  H i e r i n  sah er das gegenseitige Wohlgefallen des Schöpfers und des Geschöpfes; und mit friedevoller Geduld war er entschlossen, auf dieses herrliche Endziel zu warten.

Indem der Plan sich entwickelte und die Zeit dahin glitt, wurde die freie, moralische Betätigung seiner Geschöpfe durch Mißbrauch zu einem Mittel, böse Charaktere zu entwickeln. Auf diese Weise gelangte ein Mißton in seine Schöpfung, sowohl in den Himmeln als auch auf Erden. Alle seine Geschöpfe, Engel und Menschen, waren davon betroffen, und die „Familie“ wurde getrennt, indem einige an der Gerechtigkeit festhielten, und andere das Böse erwählten. Aber ein solches Geschehnis war  e i n e  d e r  v o r h e r g e s e h e n e n  N o t w e n d i g k e i t e n  des weit ausholenden Planes, dessen herrliches Endziel nach göttlichem Ermessen die Kosten der Drangsal und des Verlustes weit übertreffen wird.

Wie furchtbar ist doch der Mißton innerhalb einer Familie! Wie oft bringt ein verlorener Sohn oder eine verirrte Tochter ihre irdischen Eltern mit Herzeleid in das Grab! Wahrlich, der Himmlische Vater kennt etwas von solchem Schmerz; denn er sah Satan, einen seiner Söhne (s. Jes. 14:12), einen Engel des Lichts, wie einen Blitz vom Himmel fallen. (Lk. 10:18) Während eines Zeitraumes von wenigstens sechstausend Jahren befindet sich dieser Sohn in trotziger Rebellion wider Gott, und er ist überaus geschäftig, Verderbtheit, weiteren Widerstand und Bosheit anzustiften. Gott sah, wie viele Engel ihren „ersten Zustand“ verließen (Judas 6) und Bundesgenossen Satans wurden; und er sah weiter, wie das ganze menschliche Geschlecht in Sünde fiel. Haben je menschliche Eltern eine solch bösartige und hassenswürdige Verschwörung in ihrer eigenen Familie entstehen sehen? Gewiß nicht!

Daraus ergab sich für Gott die Notwendigkeit, die unliebsam Pflicht, Zucht zu üben. Und in seiner Gerechtigkeit mußte er seinen untreuen Söhnen seine Anerkennung versagen und sie als Feinde behandeln. Obgleich seine väterliche Liebe die ganze Zeit hindurch mit Gedanken des Segens für seine betrogenen und gefallenen Geschöpfe beschäftigt war - nach seinem Vorsatz der Erlösung, nach dem die Bußfertigen wieder in seine Gunst zurückgebracht werden sollen - mußte die Liebe verhüllt werden, und nur unentwegte, unbeugsame Gerechtigkeit konnte geoffenbart werden. Dies war keine beglückende Pflicht, noch auch hat das Verhalten der Sünder ihm wohlgefallen können.

Betrachten wir die Liebe, gegen die diese Abtrünnigen sündigten! Obgleich jede gute und vollkommene Gabe vom Allmächtigen kommt, sind seine Gunstbezeugungen dennoch verachtet worden; seine Liebe ist mit Füßen getreten, seine gerechte Autorität mißachtet und sein Charakter verleumdet und falsch dargestellt worden, so daß er hassenswürdig, ungerecht und gar verächtlich erscheint. Dennoch hat der Friede Gottes durch alles dieses hindurch bestanden, und seit sechstausend Jahren hat er den Widerspruch von Sündern wider sich erduldet.

Und - welch wunderbare Gnade - noch jetzt ist seine Liebe überströmend. Und es steht geschrieben, daß er die Menschen, obgleich sie noch Sünder waren, also liebte, daß er seinen eingeborenen Sohn für sie in den Tod gab, und daß durch den Einen (den Herrn) das Gericht (die Erprobung) auch auf die gefallenen Engel ausgedehnt werden soll. Hiervon ausgenommen ist Satan, der Anführer und Anstifter dieser ganzen Verschwörung: der „Vater der Lügen.“ - Joh. 3:16; 1. Kor. 6:3; Judas 6; Hebr. 2:14; Off. 20:10,14. Er ist schon gerichtet.

Der Friede Gottes ist mit Schmerz vereinbar

Diese Gabe der göttlichen Liebe war eine weitere Andeutung dessen, was unseren Himmlischen Vater der große und wunderbare Plan kostete, den er gefaßt hatte. Nicht nur sah er, wie die Menschheit in Sünde fiel; ihre Wiederherstellung kostete ihn das Opfer seines teuersten Herzensschatzes - eine Dahingabe seines Geliebten in die verwerflichste Demütigung und Schmach, in Leiden und Tod. Wiederum kommt uns die Illustration menschlicher Liebe zu Hilfe, so daß wir die Kosten dieser Offenbarung der Liebe Jahwes verstehen können. Mit welch zärtlichen und tief empfundenen Gemütsbewegungen der Liebe muß er dieses Opfer seines geliebten Sohnes gegeben haben, an dem er sein ganzes Wohlgefallen hatte! Den lieblichen Charaktertugenden, die den Logos von Anfang seiner Existenz an gekennzeichnet hatten, wurde nun eine weitere Tugend hinzugefügt, nämlich die der vollen Unterwürfigkeit unter den Willen des Vaters - selbst angesichts der Tatsache, daß der zu betretende Weg ein Weg der Demütigung und des Schmerzes war.

Und ließ der Vater ihn wohl diesen Weg der Barmherzigkeit betreten, ohne das geringste Zeichen einer schmerzerfüllten Gemütsbewegung an den Tag zu legen? Empfand er nicht die Schmerzen der Liebe eines Vaters, als die Pfeile des Todes das Herz seines geliebten Sohnes durchbohrten? Als unser geliebter Herr sagte: „Meine Seele ist sehr betrübt bis zum Tode“, und wiederum: „Mein Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst“ - berührten seine Worte da nicht eine mitfühlende Saite in dem Herzen des Ewigen? Ja, wahrlich, die unentwegte Liebe des Vaters nahm mitfühlend Anteil an den Schmerzen des Herrn. - Mt. 26:38,39

Der Grundsatz, den Gottes Wort lehrt, daß wahre Liebe mit den Weinenden weint und sich freut mit den sich Freuenden, findet auch in dem göttlichen Charakter seinen Ausdruck. Unser großer Gott in seiner Unsterblichkeit konnte nicht selbst für uns sterben, denn seine göttliche Natur machte den Tod absoluterweise unmöglich. Und selbst - wenn er hätte sterben können, so würde es keine höhere Macht gegeben haben, die ihn aus dem Tode hätte auferwecken können. Als Folge davon würde die Schöpfung auf ewig ohne einen Lenker geblieben sein, und nur Unglück und Zerfall hätte daraus hervorgehen können. Aber der Allmächtige konnte um den hohen Preis seines liebevollen Vaterherzens das Liebste aufopfern, das er hatte, und er tat es; und so offenbarte er die große Liebe, mit der er seine betrogenen und gefallenen Geschöpfe liebte. - 1. Joh. 4:9

Auch unser Herr Jesus offenbarte seine Teilnahme für den Vater bezüglich der Lästerung dessen Charakters, die er von Zeitalter zu Zeitalter so geduldig ertragen hatte. Das eine Ziel seines Lebens ging dahin, den Vater zu verherrlichen und den falschen Eindruck von seinem herrlichen Charakter richtigzustellen, der unter den Menschen vorherrschte. Und er wollte seinen menschlichen Geschöpfen seine Güte, Barmherzigkeit, Liebe und Gnade zeigen, um sie dahin zu bringen, daß sie diesen gnadenvollen Himmlischen Vater lieben lernen möchten, der sie so geliebt hatte, daß er für sie einen Vorsatz zu ihrer ewigen Erlösung faßte, während sie noch Sünder waren.

Gottes Friede hat seinen Ursprung in Ihm selbst

Wahrlich, es ist eine große Verwirrung hineingetragen worden in die auseinander gerissene Familie Gottes, eine Verwirrung, an der Gott keinen Gefallen gehabt hat, wie er in Ps. 5:4 bezeugt. Ungeachtet dessen ist  s e i n  F r i e d e  n i e m a l s  g e s t ö r t  w o r d e n.  Im vollen Bewußtsein seiner eigenen moralischen Vollkommenheit, seiner unfehlbaren Weisheit und seiner Allmacht hat er geduldig und friedevoll - und sogar freudevoll inmitten der Drangsal den Widerspruch von Sündern gegen sich während eines Zeitraumes von sechstausend Jahren erduldet. Aber während des siebten Jahrtausends wird es - dem göttlichen Vorsatz gemäß - das freudevollste Vorrecht unseres Herrn Jesu sein, aller Kreatur im Himmel und auf Erden den wunderbaren Charakter des Vaters zu offenbaren. Dann wird der Vater sich erfreuen an der Glückseligkeit seiner Familie im Himmel und auf Erden, die dann wieder zusammengebracht werden wird unter ein Haupt. - Eph. 1:10

Dieses gesegnete Endziel wird indessen nicht erreicht sein, bis die Ungerechten ausgeschieden sein werden, weil sie immer noch die Ungerechtigkeit mehr geliebt haben als das ihnen angebotene ewige Leben in völliger Harmonie mit ihrem Schöpfer, aus dessen Hand sie hervorgegangen sind. Dies wird die letzte unerfreuliche Pflicht des Vaters aller sein, der ausdrücklich bezeugt, daß es eine traurige Pflicht sei. Nichtsdestoweniger aber eine Pflicht, die zu vollführen er im Interesse universalen Friedens beschlossen hat. Hören wir, was er sagt: „So wahr ich lebe, spricht der Herr, Jahwe, ich habe kein Gefallen am Tode des Gesetzlosen, sondern daß der Gesetzlose von seinem Wege umkehre und lebe! Kehret um, kehret um von euren bösen Wegen! Denn warum wollt ihr sterben?“ - Hes. 33:11

So sehen wir denn, daß der Friede Gottes mit großer Gemütsbewegung, mit Schmerz und Leid jeder Art vereinbar ist; denn er ist nicht von äußeren Umständen abhängig, sondern von einem richtigen Gleichgewicht des Gemüts und von den Verhältnissen eines vollkommenen Herzens. Einen solchen Frieden, den Frieden Gottes, genoß auch unser Herr Jesus inmitten all der Unruhe und Verwirrung seines ereignisreichen irdischen Lebens. Und dies bringt uns zu der Betrachtung des Nachlasses unseres Herrn an seine Jünger, als er im Begriff stand, die Welt zu verlassen:

„Frieden lasse ich euch,  m e i n e n  Frieden gebe ich euch; nicht wie die Welt gibt (in beschränktem Maße oder: in einer vergänglichen Art), gebe ich euch. Euer Herz werde nicht bestürzt, sei auch nicht furchtsam.“ - Joh. 14:27

Unseres Herrn letzter Wille

So vermachte unser Herr mit überströmendem Mitgefühl und großer Zartheit in der letzten Nacht seines irdischen Lebens seinen Jüngern seinen Abschiedssegen, sein Legat - oder sein Vermächtnis des Friedens. Es war der reichste Nachlaß, den jemals jemand hinterlassen hat, und sein Wert ist schier unschätzbar. Es war die Verheißung jener Ruhe der Seele, die er selbst besaß -  d e s  F r i e d e n s  G o t t e s.  Es war derselbe Friede, den der Vater selbst genießt, sogar inmitten all der Verwirrung, welche die Zulassung des Bösen mit sich gebracht hatte;  a b e r  e r  e n t s p r a n g  n i c h t  d e r s e l b e n  Q u e l l e.  Bei Jahwe beruht dieser Friede auf dem, was ER selbst ist; er ist sich seiner schrankenlosen Allmacht und Weisheit bewußt.  D e r  F r i e d e  C h r i s t i  hingegen hatte seinen Stützpunkt  n i c h t  in sich selbst, sondern in  G o t t  - durch Glauben an seine Weisheit, Macht und Gnade. So muß auch, wenn  w i r  den Frieden Gottes, den Frieden Christi - „Meinen Frieden“ - genießen wollen, dieser Friede gleich dem seinigen durch Glauben seinen Stützpunkt im Geber aller guten und vollkommenen Gaben finden.

Ja, der „Friede Christi“ ist ein unschätzbares Vermächtnis. Aber doch - wie schnell brach die Sturmwolke der Drangsal, die schon da sich dunkel zusammenballte, mit Wucht über das Haupt gerade der Jünger herein, an die diese Worte direkt gerichtet waren! Sie folgte fast unmittelbar auf sein gnadenvolles Legat und brachte ihren Herzen Bestürzung, Verwirrung und Ratlosigkeit, so daß ihr Glaube in seinen Grundfesten erschüttert wurde.  W o  w a r  d e n n  d e r  F r i e d e?  Während der Herr diese Worte redete, hat der hämische Verräter Judas den Mörderpfad betreten. Dann folgte der ringende Kampf in Gethsemane und der Schrecken und die Verwirrung der Jünger, als sie sich des Schicksals ihres geliebten Herrn bewußt wurden. Bald machte ihre atemlose Spannung noch schrecklicheren Erwartungen Platz, als er vor seinen erbarmungslosen Anklägern und Verfolgern allein stand im Prätorium des Pilatus und im Hofe des Herodes, indem sie machtlos waren, ihn zu schützen. Dann kam das tragische Ende - die Schrecken der Kreuigung.

Was war aus dem Frieden geworden?

Wo blieb der verheißene Friede unter diesen dramatischen Umständen, als alle Jünger ihn vor Furcht und Schrecken verließen? Wo war er, als Petrus seinen Herrn dreimal verleugnete und mit Fluchen bezeugte, daß er ihn niemals gekannt habe, obwohl er ihn doch verteidigen wollte?

Die Erklärung ist, daß der Friede noch nicht gekommen war; denn, wie der Apostel Paulus uns sagt: „Wo ein  T e s t a m e n t  ist, da muß notwendig der  T o d  dessen eintreten,  d e r  d a s  T e s t a m e n t  g e m a c h t  h a t.  Denn ein Testament (ein Vermächtnis) ist gültig, wenn der Tod eingetreten ist, weil es niemals Kraft hat, so lange der lebt, der das Testament gemacht hat.“

Aber sobald die tragische Szene vorüber war und ihre Ohren den Ruf vernommen hatten: „Es ist vollbracht!“, da fing offenbar der Friede, so seltsam dies auch klingen mag, an, sich in ihre betrübten Herzen Eingang zu suchen. Die verfinsterten Himmel, das Erdbeben, die zerrissenen Felsen, der zerrissene Vorhang des Tempels - alles dies war für sie eine Botschaft des Trostes, welche die Welt nicht empfangen konnte.

F ü r  d i e  W e l t  (für Juden und Heiden, die beide an dem Verbrechen teilnahmen) waren diese Ereignisse eine Sprache göttlichen Zorns und göttlichen Unwillens wider sie. Und während Furcht auf das Volk fiel und der Lärm und die Aufregung jenes schrecklichen Tages sich verliefen, schlug das Volk an seine Brust und kehrte nach seinen Häusern zurück. Der römische Hauptmann und diejenigen, die mit ihm waren, fürchteten sich sehr, und der Hauptmann rief aus: „Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn!“

Z u  d e n  J ü n g e r n  aber redeten diese Ereignisse eine ganz andere Sprache. Die Sache ihres geliebten Meisters war  i h r e  Sache, und sie war  G o t t e s  Sache. Für sie waren diese übernatürlichen Kundgebungen Beweise dafür, daß Gott dieses Geschehnis nicht mit Gleichgültigkeit betrachtete. Und - obschon sie durch den Schleier der Finsternis seine lichten Pläne nicht zu sehen vermochten, so lag doch in diesen Ereignissen für sie der Schimmer einer  H o f f n u n g.

Drei Tage später wurde diese Hoffnung belebt durch die Botschaft von der Auferstehung unseres Herrn, die bestätigt wurde durch seine Erscheinung in ihrer Mitte. Wiederum vierzig Tage später wurde diese Hoffnung gekräftigt durch seine Himmelfahrt, nachdem er ihnen seine letzten Weisungen gegeben und ihnen segnend verheißen hatte, wiederzukommen. Und der Meister hatte sie noch dazu angewiesen, in Jerusalem zu bleiben,  b i s  sie die Verheißung den Tröster, den Heiligen Geist der Kindschaft - zu Pfingsten empfangen würden.

Da begann der Friede Christi, das reiche Vermächtnis des Herrn, sich zu verwirklichen, und die Tage des Harrens, die sie in betender Erwartung verbrachten, waren Tage andauernden Friedens“ eines Friedens - tief wie ein Strom. Als aber am Pfingsttage der verheißene Tröster kam, fand der Strom ihres Friedens noch ein tieferes Flußbett; und ihre Freude kannte keine Grenzen mehr!

„Sel’ger Friede Gottes! Herrlich fließest du;
gibst dem Herzen stetig stille, tiefe Ruh’;
fließest klarer, voller, tiefer Tag und Nacht,
siegreich über alles trägt mich deine Macht!

Strömt der Friede Gottes über mich dahin,
müssen alle finstern Mächte von mir flieh’n.
Seine Fluten tragen Angst und Sorgen fort,
Friede meines Gottes, sel’ger Ruheort!“
F.R. Havergal

Unser reiches Vermächtnis des Friedens

Aber nicht allein der Urkirche galt dieses Vermächtnis des Friedens. Es ist das gesegnete Erbteil der gesamten Kirche (Herauswahl), selbst bis zum Ende des Zeitalters hin. Gerade an jenem Tage zeigte unser Herr, daß er an uns alle dachte, als er in seinem Gebet sagte: „Nicht für diese allein bitte ich, sondern auch für die, welche durch ihr Wort an mich glauben.“ - Joh. 17:20

Der verheißene Friede - merken wir wohl - ist nicht der kurzlebige Friede der Welt, der oft nur kurze Zeit genossen wird, dieweil das Glück lächelt, Freunde zahlreich sind und Gesundheit unser Teil ist. Wie schnell verfliegt er wieder, wenn Armut kommt und Gleichgesinnte uns verlassen, wenn Krankheiten uns bedrücken und der Tod die Schätze unserer Herzen raubt. „Mein Friede“, der Friede  G o t t e s,  den Christus durch Glauben besaß, dieser sein Friede dauerte an bei Verlust, Verfolgung, Schmach und Hohn … und selbst durch die Todesnöte des Kreuzes hindurch. Er blieb sein Besitz, obschon er um unseretwillen arm wurde, da er doch reich war. Er verließ ihn nicht, als er Freund auf Freund verlor und in seiner letzten Stunde auch noch von den wenigen Verbleibenden verlassen wurde, außer Maria und Johannes. Denn „der Friede Gottes“ ist etwas, das durch die Wechselfälle des Lebens nicht zerstört und von keinem Feind uns genommen werden kann. Gepriesen sei der Himmlische Vater, daß dieses Vermächtnis seines Friedens auch in uns Heutigen noch überstömend ist!

Wir haben so manchen stürmischen Pfad zu überwinden und viele Prüfungen zu bestehen.  E s  m u ß  s o  s e i n  für seine Getreuen,  b i s  die Vorsätze Gottes in der Zulassung des Bösen erreicht sind. Wir wandeln diesen Pfad jedoch mit der Versicherung, daß durch alle Unbilden hindurch dieser Friede unser Teil sein wird. „In der Welt habt ihr Drangsal“, aber in mir habt ihr Frieden.

Der Glaube als die Grundlage des Friedens

Wenn wir die Grundlage und die Festigkeit dieses bleibenden Friedens kennenlernen möchten, der die schwersten Stürme des Lebens zu überwinden vermag, so haben wir nur auf die Lehre und das Beispiel unseres Herrn und der Apostel zu blicken. Was war es, das ihnen eine solche Festigkeit und eine solche Gemütsruhe inmitten ihrer Leiden gab? Es war ihr  G l a u b e  - ihr Glaube an die Liebe, Macht und Weisheit Gottes. Sie  g l a u b t e n,  daß Gott fähig sei, das, was er verheißen hatte, auch hinauszuführen, und daß sein gerechter und wohlmeinender Plan kein Fehlschlag sein könne. Durch den Mund seiner Propheten hatte er bezeugt: „Mein Ratschluß soll zustande kommen, und all’ mein Wohlgefallen werde ich tun. …  I c h  habe geredet, und ich werde es auch kommen lassen;  i c h  habe entworfen und werde es auch ausführen.“ „Jahwe der Heerscharen hat es beschlossen, und wer wird es vereiteln? (Jes. 46:9-11; 14:27) Sie ruhen in den Versicherungen Gottes. In IHM ankert ihr Glaube; es machte nichts aus, wie wild auch die Stürme wüteten - oder wie sie auch von den Wellen des Lebens hin- und hergeworfen wurden, so lange ihr Anker am Thron der Gnade eingegraben war.

Die Sprache des Glaubens unseres Herrn war: „Gerechter Vater! - und die Welt hat dich nicht erkannt; ich aber habe dich erkannt.“ Er war von Anfang an bei dem Vater gewesen, kannte seine Liebe und seine Güte, hatte seine Macht gesehen und war Zeuge seiner Gerechtigkeit, seiner liebenden Fürsorge und der väterlichen Obhut seiner Werke. Und daher heißt es: Durch seine Erkenntnis wird mein gerechter Knecht die Vielen zur Gerechtigkeit weisen, und ihre Missetaten wird er auf sich laden.“ (Jes. 53:11) Die Erkenntnis, die er von dem Vater hatte, bot seinem Glauben hinsichtlich aller Vorsätze Gottes in bezug auf die Zukunft eine feste Grundlage. Daher vermochte er durch Glauben zu wandeln, und er tat dies. Und dieser Glaube befähigte ihn, alle Hindernisse zu überwinden und den Sieg, selbst über den Tod, zu erlangen.

Es heißt daher zu unserer Unterweisung: „Dies ist der Sieg, der die Welt überwindet: unser  G l a u b e“  - der auf Gott (oder in unserem Falle) auf das Zeugnis des Herrn vom Vater gegründete Glaube. Und wiederum heißt es: „Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott wohlzugefallen.“ Nur durch standhaften, unerschütterlichen Glauben kann der Friede Gottes - der Friede Christi seinem Volke verbleiben.

Während der Herr bei seinen Jüngern war und sie in ihm die Offenbarung des Vaters sahen, war ihr Glaube stark, und sie hatten Frieden in ihm, wie er sagte: „Als ich bei ihnen war, bewahrte ich sie in deinem Namen.“ (Joh. 17:12). Aber erst, nachdem er sie verlassen hatte, erhielt ihr Glaube seinen Ankergrund in  G o t t.  Nach Pfingsten wurde ihnen derselbe Friede zuteil, den Christus genossen hatte - der gesegnete Friede, der auf die Erkenntnis zurückführte, daß Gott sie als Söhne und Erben und Miterben mit Christo anerkannte, wenn sie getreulich fortfuhren, in den Fußstapfen des Erlösers zu wandeln.

Die Pflege eines unerschütterlichen Glaubens

Hierin besteht auch die Grundlage unseres Friedens. Es tut nichts, wie wild auch die Stürme des Lebens uns anfechten mögen, wenn wir nur niemals unseren Glauben fahren und uns treiben lassen. Wir wollen uns immer vor Augen halten, daß „der Grund fest steht“, daß „seine Wahrheit Schild und Tartsche“ ist, „daß er, was er verheißen hat, auch zu tun vermag“, ungeachtet unserer menschlichen Unvollkommenheiten und Gebrechen. Durch die Bedeckung der Folgen unserer gefallenen Natur dürfen wir die Gewißheit der zugerechneten Gerechtigkeit Christi, unseres Bürgen und Fürsprechers haben, und - daß der Vater uns liebt.

Denn „er kennt unser Gebilde, ist eingedenk, daß wir Staub sind“, und er hat daher auch Mitgefühl mit den Söhnen seiner Liebe; er ist sehr teilnehmend und voller Barmherzigkeit. Wahrlich - hätte er uns mehr verheißen können, als er uns verheißen hat, um unseren Glauben zu gründen und unsere Herzen zu stärken für geduldiges Ausharren inmitten der Widerwärtigkeiten und Prüfungen des schmalen Weges des Opfers?

Nichts ist unvorteilhafter für den Christen in der Gegenwart seiner Feinde, als daß er - selbst nur zeitweilig - sein Festhalten an dem Anker seines Glaubens aufgibt. Wenn er dies für einen Augenblick tut, so fängt notwendigerweise die Dunkelheit an, ihn zu umringen. Er vermag den Lichtschein des Antlitzes des Vaters nicht mehr zu sehen, denn „ohne Glauben ist es unmöglich, Gott wohlzugefallen.“ Und während er wiederum sich nach dem Anker ausstreckt, fechten ihn die Mächte der Finsternis stark mit Zweifel und Befürchtungen an. Diese Angriffe richten sich hauptsächlich auf seine menschlichen Unvollkommenheiten, die - was er stets im Gedächtnis halten sollte - von dem Kleid der Gerechtigkeit Christi bedeckt sind.

Wenn wir uns wünschen, daß der Friede Gottes in unseren Herzen regieren möchte, so dürfen wir niemals unseren Anker fahren lassen - noch auch dem Widersacher gestatten, daß er unseren Mut durch seine Angriffe niederbeugt. Die Sprache unserer Herzen sollte immer die sein: „Selbst, wenn er mich tötet, werde ich auf ihn hoffen.“ Bei diesem Glauben bleibt der Friede Gottes,  d e r  Friede, den der Meister uns vermachte, stets unser Teil. Auf diese Weise wird „der Friede Gottes“, der allen Verstand übersteigt, eure Herzen und euren Sinn bewahren in Christo Jesu. Steht doch wiederum geschrieben: „Den festen Sinn bewahrst du in Frieden, in Frieden, denn er vertraut auf dich.“

Möchten unsere Herzen belebt und unser Sinn gestärkt werden inmitten unseres Kampfes - nicht nur durch die Versicherungen, daß alle göttlichen Vorsätze hinausgeführt werden, sondern auch durch Verheißungen persönlicher, göttlicher Gunst, wie beispielsweise:

„Wie sich ein Vater über die Kinder erbarmt, so erbarmt sich Jahwe über die, welche ihn fürchten. Denn er kennt unser Gebilde, ist eingedenk, daß wir Staub sind.“ „Könnte auch ein Weib ihres Säuglings vergessen, daß sie sich nicht erbarmte über den Sohn ihres Leibes? Sollten selbst diese vergessen, ich werde deiner nicht vergessen. Siehe, in meine beiden Handflächen habe ich dich eingezeichnet!“ „Der Vater selbst hat euch lieb.“ „Es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben.“ „Sein Wohlgefallen sind die im Wege Vollkommenen.“ „Ergötze dich an Jahwe, so wird er dir geben die Bitten deines Herzens (den Frieden Gottes, selbst inmitten des Sturmes und der Wogen).“

C.T.R.



Tagesanbruch Bibelstudien- Vereinigung